Startseite » Allgemein »

Chancen des chinesischen Werkzeugbaus

Beschaffung von Werkzeugen, Teil 2: Massivumformung
Chancen des chinesischen Werkzeugbaus

Der Lehrstuhl für Produktionssystematik am Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen beschreibt im Rahmen einer dreiteiligen Reihe das Potenzial des internationalen Werkzeugeinkaufs. Nach dem im ersten Teil gezeigten Überblick über globale Werkzeugbaumärkte, werden im zweiten Teil die Chancen des chinesischen Marktes für Großblech- und Massivumformwerkzeuge präsentiert.

China steht im Fokus deutscher produzierender Unternehmen. Dabei haben deutsche Unternehmen nicht mehr nur das Interesse an einem kostengünstigen Produktionsstandort von vergleichsweise einfachen Produkten. Stattdessen nutzen sie das Land zunehmend als Absatz- und Beschaffungsmarkt hochwertiger Investitionsgüter. Diese Entwicklung hat in China in den vergangenen Jahren eine ausgeprägte Zuliefererstruktur im Werkzeugbau entstehen lassen. So ist das Volumen des chinesischen Werkzeugbaumarktes bereits um ein Vielfaches größer als in Deutschland. In China existieren mittlerweile über 40 000 Werkzeugbaubetriebe, die insgesamt über eine 1 Million Mitarbeiter beschäftigen und einen jährlichen Umsatz von ca. 15 Mrd. Euro erwirtschaften. In Deutschland hingegen sind in der Branche Werkzeugbau ca. 68 000 Mitarbeiter in knapp 5000 Betrieben beschäftigt, die 4,5 Mrd. Euro pro Jahr umsetzen. Der Werkzeugbau in China ist auf dem gesamten chinesischen Festland präsent, wobei die drei Küstenprovinzen Guangdong, Zhejiang, Jiangsu und die Stadt Shanghai 80 % der chinesischen Werkzeugproduktion abdecken und diese Regionen damit in China als die Werkzeugbauzentren gelten.

Fokus: Massivumformung. Basierend auf einer vom WZL sowie der WBA Aachener Werkzeugbau Akademie veröffentlichten Studie zum Werkzeugbau in China soll nachfolgend der Fokus auf den Markt für Großblech- und Massivumformwerkzeuge gelegt werden. Hauptabnehmer für chinesische Großblech- und Massivumformwerkzeuge ist der asiatische Markt (62 %). Lediglich 7 % der Kunden kommen aus Deutschland, 14 % aus Amerika und 13 % aus dem Rest der Welt. Die meisten Betriebe legen ihren Fokus auf das Angebot wenig komplexer Strukturteile. Es existieren nur wenige Betriebe, die ausreichendes Know-how in der Umformung von komplexen Groß- und Dickblechen besitzen. Im Vergleich: Im deutschen Werkzeugbau gehört das Tiefziehen von Außenhautteilen für die Automobilindustrie und von Blechen bis zu einer Dicke von 9 mm weltweit zur Königsdisziplin. In China können das nur eine geringen Anzahl der ansässigen Betriebe.
Im Vergleich zu Deutschland weisen chinesische Werkzeuge zur Großblech- und Massivumformung im Branchendurchschnitt und mit nur wenigen Ausnahmen eine niedrigere Qualität aus. Dies zeigt sich beispielsweise an der in den Betrieben erreichten Oberflächengenauigkeit: So erreichen lediglich 15 % der Werkzeugbaubetriebe eine Oberflächengenauigkeit von <1µm. Hierzu sagt der Experte Herbert Johann, Direktor Werkzeug- und Prüfmittelbau ZF Friedrichshafen: „Im Bereich der Blechumform- und Schneidwerkzeuge ist das deutsche Qualitätsniveau in China noch nicht erreicht und dies ist auch mittelfristig nicht zu erkennen. So sind die Oberflächenrauigkeiten aufgrund von ungenügenden Bearbeitungsstrategien und Bearbeitungswerkzeugen, aber auch aufgrund einer nur mäßig geeigneten Fertigungstechnologie in einem nicht funktionalen Zustand.“
Gleichzeitig ist das Preisniveau chinesischer Werkzeuge im Bereich der Großblech- und Massivumformung bis zu 70% niedriger als in Deutschland. Trotz stetig stark ansteigendem Lohnniveau in Verbindung mit geringeren Produktivitätszuwächsen, ist nicht davon auszugehen, dass chinesische Werkzeuge mittelfristig das Preisniveau deutscher erreichen werden. Demnach wird auch zukünftig neben einer möglichen Nähe zur lokalen Produktionsstätte der Einstandspreis das hauptausschlaggebende Argument für Werkzeuge „made in China“ sein.
Bemusterung in China. Neben Werkzeugen verfügen viele chinesische Werkzeugbaubetriebe der Großblech- und Massivumformung über ein umfangreiches Dienstleistungsangebot. Gut ausgestattete Konstruktionsabteilungen – in China ist Siemens NX die gängigste Konstruktionssoftware – mit vielen Mitarbeitern ermöglichen insbesondere eine Beratung bei der Bauteilgestaltung und -optimierung. Die Bemusterung der Werkzeuge findet vornehmlich auf internen Anlagen statt, jedoch zu einem geringeren Anteil als in Deutschland. So bieten nur 66 % einen internen Bemusterungsprozess an. Fehlende internationale Kooperationen führen zudem dazu, dass eine Bemusterung außerhalb von China, in der Nähe des Produktionsstandorts, eine Ausnahme darstellt. Auffällig ist jedoch, dass
bei Vorhandensein von internen Try-out-Anlagen diese in einer überproportional hohen Anzahl verfügbar sind.
Chinesische Werkzeugbaubetriebe weisen eine gute Prozessleistungsfähigkeit auf. Durch eine hohe Verfügbarkeit an Kapazitäten in der Konstruktion, mechanischen Fertigung sowie der Bemusterung können Werkzeugprojekte schnell realisiert werden, da selten Ressourcenengpässe auftreten. So arbeiten im Durchschnitt zwei bis drei Personen an einer Konstruktion. Die gute Prozessleistungsfähigkeit zeigt sich an einer auch im Vergleich zu Deutschland sehr hohen Termintreue von über 80 % sowie kurzen Durchlaufzeiten. Die Kompetenz der Mitarbeiter insbesondere im Bereich der Know-how-intensiven Montage und im Try-Out ist dagegen häufig auf Basiswissen beschränkt. Ähnlich ist die Leistungsfähigkeit des Engineerings für komplexe Werkzeugprojekte einzustufen, da der Zugang zu qualifizierten Mitarbeitern, aufgrund des immer noch geringeren Qualifikationsniveaus in China, eine große Herausforderung für Werkzeugbaubetriebe darstellt. Dies macht sich unter anderem in den immer noch mangelnden Englischkenntnissen vieler Mitarbeiter bemerkbar. Zwar sind nahezu alle chinesischen Werkzeugbaubetriebe in der Lage, mit internationalen Unternehmen in englischer Sprache zu kommunizieren, jedoch beschränken sich die Sprachkenntnisse auf einzelne Personen aus dem Vertrieb oder dem Management. In der maschinellen Bearbeitung weisen viele chinesische Werkzeugbaubetriebe hingegen eine sehr gute Maschinenausstattung bezogen auf alle Fertigungstechnologien auf. So beträgt das Durchschnittsalter der Fertigungsressourcen in China 4,8 und in Deutschland 12,3 Jahre.
In Zukunft gilt es für den chinesischen Werkzeugbau die Differenz zwischen der Maschinenausstattung und dem Ausbildungsniveau gezielt zu schließen. Das enorme Potenzial wird dadurch verstärkt, dass chinesische Werkzeugbaubetriebe im Durchschnitt eine sehr junge Mitarbeiterstruktur von 30,8 Jahren aufweisen.
Interessant, aber … Im Ergebnis kann festgehalten werden, dass chinesische Werkzeuge eine interessante Beschaffungsoption darstellen. Viele chinesische Werkzeugbaubetriebe besitzen eine sehr gute Maschinenausstattung und können durch zusätzlichen Mitarbeitereinsatz leistungsfähige Werkzeuge anbieten. Aktuell kann im Bereich von Großblech- und Massivumformwerkzeugen jedoch nicht ohne eine langfristige und systematische Lieferantenqualifikation zuverlässig beschafft werden. Für deutsche Einkäufer bleibt die Herausforderung, geeignete Partner unter den chinesischen Werkzeugbaubetrieben zu identifizieren, gezielt weiterzuentwickeln und dadurch Wettbewerbsvorteile auf Basis geringerer Einstandspreise zu generieren.
Aktuelles Heft
Titelbild Beschaffung aktuell 4
Ausgabe
4.2024
PRINT
ABO

Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de