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Der Lieferant wird Lösungsanbieter

Beschaffung im Krankenhaus: Strategien für Einkäufer und Hersteller gefragt
Der Lieferant wird Lösungsanbieter

Die Kosten im deutschen Krankenhaussektor steigen seit Jahren. Neben den Personalkosten sind es vor allem die Ausgaben für Medizinprodukte, die den Kliniken zusetzen. Hersteller müssen sich den Anforderungen der Einkäufer stellen, wenn sie ihre Produkte absetzen wollen.

Allein in Deutschland erhalten derzeit jährlich rund 100 000 Patienten einen Herzschrittmacher, einen implantierbaren Defibrillator oder ein Herzinsuffizienz-Therapiesystem für die Kardiale Resynchronisations-Therapie. Deshalb stehen diese Produkte häufig auf den Beschaffungslisten vieler spezialisierter Herzkliniken. So auch bei der Klinikum Region Hannover GmbH. Die Gruppe mit zwölf Kliniken und rund 3400 Betten in der Stadt und in der Region Hannover versorgt jährlich rund 135 000 Patienten stationär und zudem 180 000 ambulant. Damit gehört die KRH-Gruppe zu den größten kommunalen Klinikunternehmen Deutschlands. Das Einsetzen von herzunterstützenden Systemen gehört fast zum Tagesgeschäft.

Ausschreibungen für neue Produkte wie Herzschrittmacher und Geräte sowie die Neueinführung, den Ersatz und die Ergänzung von Waren und Dienstleistungen übernimmt die Abteilung Einkauf und Logistik nach einem standardisierten Verfahren. Dabei haben sich die Anforderungen an die Medizintechnikhersteller deutlich verändert, erklärt Einkaufsleiter Joachim Mozoni-Frosconi. Ein Beispiel ist die Ausschreibung zur Versorgung des gesamten Klinikverbundes mit Herzschrittmachern, implantierbaren Defibrillatoren und Zubehör. „Der oder die Partner sollen in diesem Fall nicht nur das gesamte Spektrum des benötigten Materials bereitstellen können, sondern auch ein Management-Konzept vorstellen und umsetzen, das die reibungslose Einführung der Produkte sicherstellt. Dazu gehören auch die Schulung des Personals, eine kontinuierliche standortübergreifende Produktstandardisierung und -harmonisierung sowie flächendeckende Versorgung über die gesamte Lieferungszeit.“ Ziel sei sowohl die zuverlässige und wirtschaftliche Belieferung des Klinikums mit qualitativ hochwertigen Produkten und entsprechendem Zubehör als „Produktlieferant“ sowie die Sicherstellung der Standardisierung und die logistische Gesamtversorgung als „Lösungsanbieter“.
Wesentliches Kennzeichen des Vergütungskonzepts ist die Versorgung der KRH mit allen benötigten Materialien wie Herzschrittmachern, implantierbaren Defibrillatoren und Zubehör sowie Managementlösungen zu einem festen Preis pro Versorgungsart. Der Versorgungspreis sollte dabei alle Kosten für benötigte Implantate, entsprechendes Zubehör sowie Einführung eines Versorgungskonzepts beinhalten. Diesen Trend, den Hersteller von Medizinprodukten als Lösungsanbieter verstärkt in die Beschaffungs- und Bewirtschaftungsaufgaben mit einzubeziehen, sieht auch Dr. Wolfgang Sening, Gründer und Chef des Wissenschaftlichen Instituts für Innovation und Beratung, Senetics Healthcare, in Erlangen. „Die Zuliefererindustrie in den Healthcare-Branchen wird immer stärker in den Prozess- und Entwicklungsablauf eingebunden und muss sich an strengere Regularien anpassen“, erklärt der Experte für Beschaffungsstrategien. Er sieht deshalb besonders die Entwickler der Medizintechnikunternehmen in der Pflicht, sich zu informieren, welche Anforderungen die Ärzte und Anwender stellen und welche möglichen Unterschiede es gibt. Dabei, so meint er, sei es unerlässlich, die Rahmenbedingungen für die Nutzung von Medizintechnik in Kliniken und Praxen kennenzulernen und sich deren Abläufe zu verinnerlichen: Worauf legen Kliniken und Praxen bei Produkten Wert? Welche Details sind ihnen wichtig?
Nur wer weiß, was dem Einkäufer wichtig ist, hat einen Wettbewerbsvorteil bei der Entscheidung für oder gegen ein Produkt. So könnte sich ein Hersteller beispielsweise auch um die Entsorgung der Verpackungen kümmern, die er seinem Kunden mit der Zusendung des Produktes mitliefert. Dabei nutzen Senings Ansicht nach die Kliniken das Know-how der Hersteller für einen möglichst optimalen Einsatz der Produkte im komplexen Krankenhaussystem noch viel zu wenig. Und das, obwohl laut Sening ein Großteil aller Medizinprodukte direkt beim Hersteller gekauft werden. Aber auch diese müssen die Mechanismen der Budgetverhandlung der Krankenhäuser verstehen, um ihren Kunden ein passgenaues Angebot erstellen zu können.
2017 Kliniken mit insgesamt 501 000 Betten waren im vergangenen Jahr in Deutschland registriert, davon 697 in privater Hand. 2011 meldete Destatis noch 2045 Krankenhäuser und 500 Betten mehr. Dabei ist der Trend – vor allem bei den öffentlichen und freigemeinnützigen Häusern – weiter rückläufig. Und obwohl die Krankenhäuser von der Regierung kurzfristig Finanzhilfen in der Gesamthöhe von über 1 Mrd. Euro für 2013 und 2014 erhalten, ist die wirtschaftliche Situation vieler Häuser weiterhin angespannt. Der Druck für ein betriebswirtschaftlich positives Ergebnis wächst und damit auch die Notwendigkeit, die Erlös-/Kostenschere zu optimieren. Zum Ende des Jahres 2011 meldeten die Kliniken einen Gesamtkostenaufwand von 82 Mrd.Euro – davon entfallen knapp 32 Mrd. Euro auf Sachkosten. Den größten Anteil hat dabei der medizinische Bedarf: Knapp die Hälfte der Ausgaben floss in ärztliches und pflegerisches Verbrauchsmaterial sowie in Produkte des Dialysebedarfs, in Implantate wie Herzschrittmacher, Gefäßprothesen und Stents oder in medizinische Instrumente. Aber auch Narkose- und sonstige OP-Produkte, Infusionen und Arzneimittel zählen zu den benötigten Waren.
Welche Produkte wie beschafft werden, hängt stark von deren Komplexität ab – und am Automatisierungsgrad der Herstellung, erklärt Dr. Sening. Beim einfachen Verbrauchsmaterial haben die Hersteller aus Deutschland starke Wettbewerber aus dem Ausland, die häufig günstigere Produkte anbieten. Hier bieten sich Einkaufsgemeinschaften an, die im großen Rahmen für Krankenhäuser und Klinikverbünde aktiv werden. „Wobei ausländische Hersteller von Einwegspritzen beispielsweise wiederum keine Chancen gegen die deutsche Produktion haben“, so Sening. Hier habe sich der hohe Automatisierungsgrad der Unternehmen als deutlicher Absatzvorteil erwiesen. „Hier bei uns laufen die Spritzgießmaschinen 24 Stunden an sieben Tagen in der Woche – selbst die Chinesen haben da keine Chance.“
Optimierungen möglich. Jan-Christoph Kischkewitz, Leiter des Competence Centers Health Care beim Einkaufsdienstleister Inverto, sieht ebenfalls noch Optimierungsmöglichkeiten bei den Beschaffungsstrategien der Krankenhaus-Einkäufer: „Ein Großteil der Kliniken bündelt zwar seine Einkaufsbedarfe in mehr oder weniger gut organisierten Einkaufsgemeinschaften, um so über größere Bestellmengen am Markt bessere Preise zu erzielen“, so Kischkewitz. Doch aus seiner Sicht sei eine derartige Bündelung nur ein erster Schritt. „Viele Häuser verfallen nach dem Beitritt in eine Einkaufskooperation in eine Art ‚Komfort-Starre‘, weil das Thema Einkauf damit für sie hinreichend bearbeitet ist“, ergänzt er. Wichtig sei aber hierbei zum Beispiel die dauerhafte Beobachtung und Umsetzung der Einkaufsverträge. Es gebe oft eine Vielzahl von Verträgen, bei denen hohe Einsparpotenziale ausgewiesen werden, jedoch nutzten die Anwender auf Station diese Verträge nicht, da ein anderes Produkt außerhalb der Verträge nach Meinung der Anwender interessanter sei.
Aber nicht nur für Krankenhäuser bieten sich Vorteile durch die Zusammenarbeit mit einer Einkaufsgemeinschaft, fasst der BME in einem Leitfaden zum strategischen Krankenhauseinkauf zusammen. Die Industrie könne durch solche Modelle die Effizienz der Vertriebsaktivitäten steigern, da Preise letztendlich nur an einer Stelle verhandelt werden müssen.
Die individuelle Betreuung eines Kunden bleibt dabei nach wie vor bestehen. Natürlich, so Matthias Berg, Leiter der BME-Fachgruppe „Einkauf im Krankenhaus“, könne dies durchaus zu Einschränkungen des Wettbewerbes führen. Ebenso sei zu beachten, dass durch die zunehmende Bündelung und Standardisierung über Einkaufsgemeinschaften Alleinstellungsmerkmale der Häuser verwässert oder gar beseitigt werden. Kritisch sieht er zudem die deutliche Verschiebung der Transparenz in Bezug auf die Marktpreise und Prozesse, weg vom Einkauf hin zur Industrie und den Einkaufsgemeinschaften. Daher sollte im Vorfeld analysiert werden, bei welchen Warengruppen sich eine Beschaffung über eine Einkaufsgemeinschaft tatsächlich lohnt.
„Je komplexer das Produkt wird, desto individueller wird auch sein Beschaffungsprozess. Und die Anforderung an eine Gesamtlösung“, weiß auch Wolfgang Sening. Bei Implantaten, Diagnostik-Geräten und vernetzten OP-Produkten führt der Weg weiterhin über die klassische Ausschreibung, da die Sicherheit des Patienten – und damit die Anforderungen an gültige Vorschriften und CE-Kennzeichen – zu jeder Zeit Vorrang hat. Auch die Entscheidungen fallen hierbei häufig an anderer Stelle – nämlich direkt bei den verantwortlichen Medizinern.
Die Beschaffung von kostspieligen medizinischen Großgeräten ist ein Beispiel. Oft wird der Einkauf in Krankenhäusern erst nach Festlegung der Hersteller eingebunden. Denn die Entscheidung fällt meist zugunsten am Markt neuer Produkte, von denen vor allem Deutschland als einer der Innovationstreiber einige zu bieten hat. Ohne beteiligte Einkäufer überwiegen nach Erfahrung von Inverto eher subjektive Entscheidungskriterien. „Hier muss der Einkauf noch mehr als Partner der Anwender wahrgenommen werden und objektive Kriterien wie Preis, Qualität und Serviceleistung betonen, wie es etwa in der Industrie längst üblich ist“, so Kischkewitz.
Dass innovative Produkte nicht nur in deutschen Kliniken begehrt sind, ist kein Geheimnis. Und für die Hersteller bieten die Wachstumsmärkte in Asien, Afrika und Südamerika künftig wichtige Absatzchancen: Denn während in Deutschland so gut wie keine Kliniken mehr gebaut werden, investieren diese Märkte verstärkt in den Aufbau und die Ausstattung von Krankenhäusern – gerne nach westlichem Standard und mit Hightech aus Deutschland.
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