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„Der moderne Einkauf steht am Anfang der Prozesskette“

Dr. Egbert Hubmann, Chief Procurement Officer bei Bilfinger SE
„Der moderne Einkauf steht am Anfang der Prozesskette“

Dr. Egbert Hubmann, CPO bei Bilfinger SE, sprach mit Beschaffung aktuell über die Verantwortung des Einkaufs im Gesamtprozess, die Bedeutung von guter Kommunikation und die Herausforderungen einer dezentralen Einkaufsorganisation.

Beschaffung aktuell: Herr Dr. Hubmann, Sie sind bei Bilfinger verantwortlich für den weltweiten Konzerneinkauf – wie sieht Ihre Einkaufsorganisation aus?

Dr. Egbert Hubmann: Wir haben ein sehr breit aufgestelltes Geschäft. Früher waren wir ein reiner Baukonzern, inzwischen macht der Bau nur noch ca. 15 Prozent des Gesamtgeschäfts aus. Unsere Aktivitäten konzentrieren sich auf Dienstleistungen: Industrieservice, Powerservice und auch Facility Management. Das bedeutet, dass wir ein Portfolio mit einem sehr hohen Anteil von Dienstleistungen haben, aber wenige Produkte.
Als ich hier vor vier Jahren bei Bilfinger begonnen habe, war der Einkauf eine kleine Abteilung mit einstelliger Mitarbeiterzahl, die im Schwerpunkt lediglich eine verwaltende Funktion hatte. Es war eine sehr dezentrale Organisation mit ebenso dezentralen Verantwortlichkeiten. Die Zentrale spielte in dieser Hinsicht keine große Rolle. In den letzten Jahren haben wir eine Einkaufsorganisation aufgebaut, die drei Aufgabengebiete umfasst. Das erste ist die sogenannte Governance, die den Rahmen im Sinne einer Richtlinienfunktion für den gesamten Konzern setzt. Hier werden die Prozesse, Methoden und Tools festgelegt, aber auch, welche Weiterbildungsprogramme wir aufsetzen.
Das zweite Aufgabengebiet ist das Commodity Management. Hier geht es darum, Aktivitäten im Konzern sinnvoll zu bündeln. Das betrifft vor allem den sogenannten indirekten Bereich, also Fleet, Energie, IT oder auch Professional Services. In Abstimmung mit den operativen Einheiten werden dazu auch verschiedene Bündelungsmodelle auf den unterschiedlichen Konzernebenen umgesetzt.
Das dritte Aufgabengebiet ist Travel Management.
Diese drei Aufgabenschwerpunkte liegen im Zentralbereich Einkauf. Das operative Geschäft wird in den Divisionen und den zugeordneten Einheiten durchgeführt. Jede Division hat einen Einkaufsleiter, der das Einkaufsgeschäft seiner Division verantwortet. Die Strategien für den Konzern werden im Einkaufsboard definiert. Noch ein paar Worte zum Einkaufsvolumen: Wir haben ein Gesamtvolumen von vier Mrd. Euro, davon liegen 75 Prozent bei den operativen Einheiten, etwa 10 Prozent auf Divisionsebene, und der Rest liegt auf Konzernebene. Hier haben wir ein Bündelungsvolumen etwa von 500 Mio. Euro.
Beschaffung aktuell: Also eine dezentrale Einkaufsstrategie?
Hubmann: Teils teils. Auf Konzernebene liegt die Governance. Sie gibt den Rahmen für das Einkaufen im Konzern vor und wird mit allen Divisionen fachlich weiterentwickelt. Wichtige Themen, denen wir uns immer wieder stellen müssen sind z. B. die Sicherstellung der Transparenz über das Einkaufsvolumen, national und international. Inzwischen sind hier rund 80 Prozent der Gesellschaften erfasst. Damit wissen wir zu mehr als 85 Prozent, welche Mengen bei welchen Lieferanten und auch, was wir kaufen. Der Vertrieb greift ebenfalls auf diese Daten zu, weil viele unserer Lieferanten auch unsere Kunden sind. Das ergibt sich aus dem Geschäftsmodell. Darüber hinaus liegen in der Governance natürlich die Themen Competence Management, Lieferantenmanagement, Zielgrößensteuerung und die Sicherstellung eines leistungsfähigen Einkaufsnetzwerkes. Die Bündelung von Material ist abhängig vom Bündelungspotential. Hier gilt bei uns der Grundsatz, dass Bündelung immer auf Materialebene oder Lieferantenebene funktionieren muss.
Dieses Modell funktioniert in der Praxis mittlerweile sehr gut. Der Einkauf ist ja immer, wo sinnvoll, sehr dicht am operativen Geschäft, insofern muss man auch mit einer Zentralisierung sehr vorsichtig sein. Bei den Commodities im Automobilbereich funktioniert so etwas wunderbar, weil es dort nicht so viele Produkte gibt. Aber unser Geschäft ist sehr vielfältig, vom Industrie-, Facility- oder Kraftwerksbereich bis hin zum Hochbau. Es gibt also wenige Commodities, die man ausschließlich auf Konzernebene bündeln könnte. Wichtig ist dabei etwas ganz anderes. Die Spielregeln müssen einheitlich im Konzern festgelegt werden, also wie etwas gemacht wird. Und – das ist in unserer dezentralen Organisation ganz wichtig – wir müssen gut und richtig kommunizieren. Deshalb haben wir für den Einkauf ein eigenes Kommunikationskonzept entwickelt, mit Newslettern, Online-Informationen, Videochats und einer weltweiten Procurement Konferenz. Es gibt Podcasts mit Tutorials zu einkaufsspezifischen Themen. Derzeit bauen wir auch ein E-Learning-Tool auf. Wir haben schließlich ca. 500 Einkäufer, und die müssen wir überall erreichen.
Beschaffung aktuell: Sie sagen, der Vertrieb arbeitet mit der gleichen Datenbank wie der Einkauf. Gibt es dabei auch abteilungsübergreifende Teams?
Hubmann: Natürlich. Wir nutzen diese Datenbank ja auch für Gegengeschäfte, und da müssen Einkauf und Vertrieb an einem Tisch sitzen. Ein Beispiel: Wenn der Vertrieb in der Datenbank sieht, dass wir mit Firma X ein großes Einkaufsvolumen haben, dann hat er ein gutes Verhandlungsargument, um nach Möglichkeiten für seine Umsatzsteigerung zu suchen.
Beschaffung aktuell: Verträgt sich das denn mit Ihren Compliance-Richtlinien?
Hubmann: Das Geschäft macht ja nicht der Einkauf, sondern der Vertrieb. Wir können einkaufsseitig den Lieferanten bitten, auch einmal ein Gespräch auf Vertriebsseite zu führen. Und wir prüfen natürlich die Möglichkeit von Gegengeschäften bei großen Lieferanten, mit denen wir noch nicht im Geschäft sind. Dabei arbeiten Einkauf und Vertrieb eng zusammen, mit dem Einkauf als Türöffner für den Vertrieb. Das gilt auch umgekehrt. Diese Zusammenarbeit schlägt sich übrigens ganz konkret in unseren Zahlen nieder. Noch sieht allerdings nicht jeder im Vertrieb die Chancen, die aus dem Einkauf kommen. Und es ist ja nicht verboten, dass beide Funktionen eng miteinander reden. Ein guter Einkäufer kann auch ein guter Vertriebsmann sein. Und anders herum gilt das auch.
Beschaffung aktuell: Bilfinger wird ab diesem Sommer an der Universität Mannheim den deutschlandweit ersten Lehrstuhl für Procurement sponsern…
Hubmann: Es gibt in Deutschland Lehrstühle für Produktion, Logistik oder Supply Chain Management, aber bisher keinen an einer renommierten Universität, der sich ausschließlich mit dem Thema Procurement beschäftigt. Die Idee eines solchen Lehrstuhls ist gemeinsam mit Kollegen und dem Dekan der Universität Mannheim entstanden. Das Thema Einkauf ist hier bisher, wie an den meisten Universitäten, mehr oder weniger „nebenher“ gelaufen. Das heißt im Klartext: Der Einkauf hat keine wissenschaftliche Heimat. In der Folge haben wir uns darum bemüht, Firmen aus der Rhein-Main Gegend zu akquirieren, die gemeinsam mit uns einen Stiftungslehrstuhl Procurement sponsern wollten. Ein mühsamer, aber letztlich erfolgreicher Weg, wir konnten acht Unternehmen gewinnen. Inzwischen sind wir soweit, dass die Universität Mannheim kurz vor der Berufung eines Professors steht und der Lehrstuhl in der zweiten Jahreshälfte seinen Betrieb aufnimmt.
Beschaffung aktuell: Was versprechen Sie sich davon?
Hubmann: Uns fehlt der Nachwuchs, das muss man ganz ehrlich sagen. Nicht nur im Einkauf. Der Kampf um die Ressource Mensch wird immer wichtiger. Nur wer die Besten bekommt, wird auch langfristig erfolgreich sein. Darüber hinaus gibt es im Bereich Procurement kaum Grundlagenforschung, und die Studenten nehmen den Einkauf auch nicht wirklich als Berufsfeld wahr. Wenn sie sich dann doch damit beschäftigen, sind sie erstaunt, was der Einkauf alles zu bieten hat. Und diese Wahrnehmung muss sich ändern, wenn wir auch zukünftig qualifizierten Nachwuchs haben wollen. Wir werden uns auch über das reine Sponsoring hinaus an diesem Lehrstuhl engagieren, Praktika und Workshops anbieten und natürlich auch ganz gezielt versuchen, unseren eigenen Nachwuchs dort zu rekrutieren. Und das Interesse seitens der Studenten ist da, das erste Semester im Masterstudiengang startet mit rund 70 Studenten. Für uns ist das immens wichtig, denn die Einkaufsfunktion wandelt sich immer weiter hin zu einer strategischen Aufgabe in Unternehmen. Die Verantwortung des Einkaufs innerhalb des gesamten Geschäftsprozesses wächst, und damit steigen natürlich auch die Anforderungen. Ein Einkäufer muss heutzutage betriebswirtschaftliche Kenntnisse haben, die Geschäftsprozesse des Unternehmens kennen und in der Lage sein, den Status quo immer wieder kritisch zu hinterfragen. Und, ganz wichtig: Er muss kommunizieren und netzwerken können. Kaum eine andere Funktion im Unternehmen hat so viele Schnittstellenpartner und ist operativ so stark verankert.
Beschaffung aktuell: Wo liegen für Sie die zukünftigen Trends im Einkauf?
Hubmann: Aus meiner Sicht gibt es drei Trends, die sich immer wieder zeigen und auch verallgemeinert werden können. Der Erste ist sicherlich die Volatilität der Märkte. Wir haben diese Geradlinigkeit von früher nicht mehr. Es gibt ganz enge Märkte, und die schwanken auch sehr stark. Das ist ein Thema, mit dem wir uns auf jeden Fall beschäftigen müssen. Der zweite, immer wiederkehrende Trend ist die Internationalisierung. Die Karawane zieht um die Welt auf der Suche nach günstigen Ressourcen, darum kommen wir nicht herum. Es gibt aber auch den umgekehrten Trend, die Produktion aus dem Ausland zurück nach Deutschland zu holen. Der dritte Trend kommt aus dem Einkauf selbst: Er ist nicht mehr der reine Kostendrücker, der er früher einmal war. Der moderne Einkauf ist innovativ, achtet auf die Optimierung von Prozessen und nutzt auch die Innovationskraft seiner Lieferanten. Er steht nicht am Ende der Prozesskette, sondern ist von Anfang an daran beteiligt.
Beschaffung aktuell: Herr Dr. Hubmann,
vielen Dank für das Gespräch.
Das Gespräch führte Ulrike Dautzenberg.
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