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Für Lieferantenkontakte gilt „Unabhängigkeit bewahren“

Einkäufer-/Lieferantenbeziehung
Für Lieferantenkontakte gilt „Unabhängigkeit bewahren“

Für Lieferantenkontakte gilt „Unabhängigkeit bewahren“
Das Rezept der Kaufleute „Billig einkaufen und teuer verkaufen“ umschreibt treffend das Spannungsfeld zwischen Einkauf und Verkauf. Der Einkauf will und muss preiswert einkaufen, während das verkaufende Unternehmen sein Produkt so teuer als möglich an den Mann bringen will.

Bernhard Riffner, Ralf Weidelich, Kreatives Kostenmanagement, 76227 Karlsruhe

Daraus entsteht zwischen Einkäufer und Verkäufer ein Spannungsfeld, das sich quantifizierbar in Mark und Pfennig beziehungsweise in Euro und Cent ausdrückt. Und sicherlich hat dabei das Unternehmen die Nase vorn, welches beide Vorteile auf sich vereinigt: nämlich am preiswertesten einkaufen und gleichzeitig am teuersten verkaufen. Am teuersten verkaufen ist gleichzusetzen mit größtmöglichem Nutzen für das verkaufende Unternehmen. Und was ist eigentlich am „preiswertesten“ einkaufen? Hier ist eine mögliche Antwort: Günstiger einkaufen als der Wettbewerb! Wobei selbstverständlich nicht nur der Einstandspreis als Bemessungsgrundlage gewertet wird, sondern eben auch die Zusatzleistungen des Anbieters in die Waagschale geworfen werden.
Für jeden Einkaufsverantwortlichen stellen sich zwei Fragen:
  • 1.Kaufe ich die benötigten Güter und Dienstleistungen im Vergleich zum Wettbewerb am günstigsten ein?
  • 2.Was kann ich tun, um die Versorgung des Unternehmens auf eine noch preiswertere Art zu sichern?
Die Einkaufsverantwortlichen zweier Unternehmen, welche gleiche Güter oder Dienstleistungen einkaufen, sind Konkurrenten. Sie streben das Ziel an, die Versorgung des Unternehmens mit geringeren Kosten als vergleichbare Unternehmen zu realisieren. Dieses aktive Benchmarking wird durch folgende Anekdote, die der ehemalige Präsident von Sony, Akio Morita, des Öfteren erzählte, untermauert:
Zwei Manager stehen in der Savanne plötzlich einem Löwen gegenüber. Von einer Fee haben sie nun noch einen Wunsch frei, um sich aus dieser bedrohlichen Situation zu befreien. Einer der beiden sagt darauf wie aus der Pistole geschossen: „Ich wünsche mir ein Paar Turnschuhe!“ „Aber auch mit Turnschuhen“, sagt die gute Fee, „sind Sie nicht schneller als der Löwe!“ „Nein“, antwortet der Geschäftsmann, „aber schneller als mein Kollege.“
Ein Weg zur Optimierung der Einstandspreise und Senkung der Materialgemeinkosten ist sicherlich die Intensivierung des Einkaufsmarketing. Dazu gehören unter anderem die Marktforschung, Global Sourcing, Wertanalyse, Variation in der Fertigungstiefe und vieles mehr. Eine weitere Möglichkeit ist die Optimierung der Lieferantenpflege bzw. die Überprüfung und ggf. die Veränderung des Umgangs mit den Zulieferern. Dieses Thema soll Gegenstand nachstehender Ausführungen werden.
Loyalität ist Einkäuferpflicht
Es wird in diesem Zusammenhang sehr viel von Offenheit, Ehrlichkeit und Partnerschaft gesprochen. Diese moralisch wohlklingenden Fundamente einer zwischenmenschlichen Beziehung sind auf die Einkäufer-/Verkäuferbeziehung nur schwerlich anwendbar. Denn primär hat der Einkäufer bzw. die Einkäuferin die Interessen des eigenen Unternehmens zu vertreten und nicht gleichzeitig an die Bedürfnisse der Zulieferer zu denken. Zudem sei provokativ die Frage gestellt: Welcher Zulieferer sagt ihnen denn immer die Wahrheit? An dieser Stelle soll kurz auf den in der Literatur oft verwendeten Satz „Der Einkauf ist Mittler zwischen Zulieferer und Bedarfsträger“ verwiesen werden.
Diese Aussage darf nicht so verstanden werden, dass der Einkauf neutral ist. Der Einkauf ist immer parteiisch, er hat immer die Interessen seines Unternehmens zu vertreten. Wenn nun über die Prüfung der Beziehungen zum Zulieferer gesprochen wird, soll festgehalten werden, dass auf der Verkäuferseite auch nur Menschen sitzen, die sicherlich nicht weniger Probleme zu bewältigen haben als man selbst.
Typische Merkmale des gegenwärtigen Käufermarktes wie z.B. hohe Angebotsvielfalt, Verdrängungswettbewerb, sinkende bzw. stagnierende Preise bringen die Verkäufer in eine nicht gerade angenehme Situation. Unzweifelhaft ist deshalb ein beliebter Weg der Absatzsicherung die Intensivierung der persönlichen Beziehungen zum Einkaufsverantwortlichen. Man kennt sich schon lange („…wann haben wir eigentlich das erste Mal miteinander Geschäfte gemacht?“), kennt die Familienverhältnisse („…was macht ihr Fräulein Tochter?“) und hat eventuell gemeinsame Urlaubserlebnisse.
Grundsätzlich ist gegen eine solche Verbindung nichts einzuwenden, wenn die Konfliktfähigkeit nicht darunter leidet bzw. ganz verschwindet! Diese Frage muss man sich auch in einer langfristig gewachsenen Einkäufer-/Lieferantenbeziehung immer wieder stellen.
Und ein Einkäufer bzw. eine Einkäuferin, die gegenüber einem Zulieferer nicht mehr konfliktfähig ist, sodass z.B. ein für die Versorgungssicherheit notwendiger Lieferantenwechsel oder eine Auftragsstornierung nicht durchgesetzt wird, dürfte wohl dem Ziel „Günstiger einkaufen als der Wettbewerb“ nur schwerlich nahe kommen.
Die Überprüfung der Beziehungen zum Lieferanten sollte unter der Prämisse einer zweckdienlichen und menschlich akzeptablen Umgangsform geschehen. Wenn in nachstehendem Beispiel von einem „sachlichen“ bzw. „knallharten“ Einkäufer gesprochen wird, bedeutet das nicht, dass diese Person unfreundlich und rüpelhaft ist. Es bedeutet vielmehr ein zielorientiertes Arbeiten und eine klare Richtlinie bei Nichteinhaltung von Versprechungen bzw. vertraglichen Bestandteilen. Das nachstehende Fallbeispiel, das zugegebenermaßen stark polarisiert, soll einfach darstellen, dass die Aussage: „Wir erhalten nur deshalb Ware bzw. Leistung, weil ich (Einkäufer/in) so gute Kontakte zum Zulieferer habe“, oft nicht stimmt und manchmal genau das Gegenteil die Praxis ist.
Verkäufer verhalten sich rational
Fallbeispiel: Ein Verkäufer hat fünf Kunden zu betreuen. Jedem Kunden wurde ein Pufferlager zugesichert und vertraglich fixiert, dass einen Tag nach Abruf mindestens 20 Materialeinheiten geliefert werden. Aufgrund der Erfahrungswerte, eventuell auch durch Nachlässigkeit oder einfach durch Bestandsoptimierung begründet, sind im Pufferlager nur 64 Stück vorhanden. Die Wiederbeschaffungszeit (WBZ) beträgt hier im Beispiel zwei Wochen. Unüblicherweise wird das Material von allen dringend benötigt und so rufen alle fünf Kunden je 20 Stück gleichzeitig ab.
Da alle Kunden die gleiche Menge abnehmen und auch pünktlich bezahlen, ergibt sich kein sachlicher Grund für eine Differenzierung. Persönlich aber sehr wohl (siehe Grafik). Kunde A und E sind langjährige Geschäftspartner und quasi gute Bekannte. Kunde C ist ein Branchenneuling, bei dem der Lieferant nicht genau weiß, wo er dran ist. Kunde B und D sind die sachlichen „knallharten Einkäufer“, die im Rahmen der Versorgungssicherheit agieren und auch sofort reagieren, z.B. eine Second Source in Anspruch nehmen und Deckungskäufe realisieren, vereinbarte Konventionalstrafe geltend machen, wasserdichte Verträge abschließen, sich nicht vertrösten lassen und sofort höhere Instanzen beim Zulieferer einschalten, Verträge nachbessern, optimieren oder ggf. kündigen. Also genau das, was von einem Einkaufsverantwortlichen erwartet werden kann. Nun, was wird wohl der Verkäufer tun?
Mit größter Wahrscheinlichkeit zuerst seine beiden langjährigen Geschäftspartner A und E anrufen und um Aufschub bitten, um Zeit zu gewinnen. Gerne benutzte Argumente sind unter anderem Fertigungsstillstand, Zulieferer hat Probleme, Maschine defekt und Engpass auf dem Rohstoffmarkt. Da die Gründe vielleicht sogar der Wahrheit entsprechen, ist der Verkäufer ehrlich bemüht, so schnell wie möglich die Lieferung erfolgen zu lassen. Da ein sehr guter persönlicher Kontakt besteht und auch weiter bestehen soll, ist in diesem Fall die erforderliche Konfliktfähigkeit nicht gegeben. Der Einkäufer fungiert als Puffer, sowohl intern als auch extern. Zumal der Verkäufer in unserem Fallbeispiel noch kurzfristig und „ausnahmsweise“ 6 Stück sofort ausliefern kann.
Als nächstes kommt Einkäufer C an die Reihe, dem ebenfalls die Probleme eindringlich geschildert werden und der 12 Stück ebenfalls „ausnahmsweise“ zugesichert bekommt. B und D bekommen ihre 20 Stück, und nun ist erst mal Ruhe und Zeit gewonnen. Selbstverständlich setzt unser Verkäufer alle Hebel in Bewegung, um A, C und E nicht hängen zu lassen, und es gelingt ihm auch, z.B. innerhalb von 6 Arbeitstagen Ersatz zu beschaffen. A, C und E bekommen die Ware eben etwas später, die Versorgungslücke wurde irgendwie überbrückt und das Problem wurde gemeinsam gelöst.
Die durch die Versorgungslücke entstandenen Mehrkosten in den Unternehmen des A,C und E mindern den Unternehmensgewinn und cash flow, während B und D für Ihr Unternehmen erfolgreich eingekauft haben.
Zugegeben, es könnte auch anders aussehen, aber bitte versetzen Sie sich in die Lage des Verkäufers. Würden Sie wesentlich anders handeln?
Unabhängig von der Akzeptanz des Lesers zu obigem Fallbeispiel sei grundsätzlich festgestellt, dass die Formel: „Je besser die Kontakte zum Lieferanten sind, desto besser (preislich und terminlich) werden wir beliefert“ nicht stimmt. Leider gibt es viele Beispiele, bei denen Einkaufsverantwortliche im guten Glauben waren, die „Meistbegünstigten“ zu sein. Zu einem späteren Zeitpunkt stellte sich heraus, dass der Wettbewerb günstiger einkaufte!
Eine langfristige gute Einkäufer-/Verkäuferbeziehung lebt von der Unabhängigkeit und der Sachlichkeit. Dies bitte nicht verwechseln mit Unfreundlichkeit. Selbstverständlich gehört es auch zur Einkäufer-/ Verkäuferbeziehung, dass vereinbarte Termine eingehalten werden, dass Kaffee gereicht und auch über die Bundesliga diskutiert wird. Aber eins sollte klar sein: Der Verkäufer sollte sich anstrengen müssen, um den Kunden zu halten und den nächsten Auftrag zu bekommen.
Auch bei guten Einkäufer-/Lieferantenbeziehungen gilt: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“. Beobachten Sie den Markt, geben Sie neuen Anbietern die Möglichkeit, ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis zu stellen, auch wenn das trotz des überfüllten Terminkalenders mit Mehrarbeit verbunden ist, und motivieren Sie langjährige Geschäftspartner zu Leistung und Innovation.
Ziel des Einkäufers/der Einkäuferin ist es, A-Kunde zu sein; das heißt, auch bei Engpässen vorrangig beliefert zu werden. Sicherlich ist dabei der gute Kontakt zu allen Zulieferern, gepaart mit der persönlichen Unabhängigkeit, ein Baustein im Gefüge einer erfolgreichen Einkaufstätigkeit.
Für Lieferantenkontakte muss immer gelten: „Unabhängigkeit bewahren“.
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