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Gesetz acht Monate in Kraft

Update: Mindestlohn
Gesetz acht Monate in Kraft

Das Mindestlohngesetz sollte acht Monate nach dem Start in den Transport- und Logistikunternehmen umgesetzt sein, doch noch immer ist vieles unklar und umständlich. Immerhin gibt es mittlerweile einige Lockerungen.

Deutsche Firmenchefs stellen der Bundesregierung ein schlechtes Zeugnis aus: Laut einer aktuellen Studie im Auftrag des Softwarehauses Sage beurteilen 92 Prozent der befragten Geschäftsführer mittelständischer Unternehmen die gegenwärtige bürokratische Belastung als „hoch“ bis „sehr hoch“. Eine Ohrfeige für die Bundesregierung, die sich den Bürokratieabbau ausdrücklich auf die Fahnen geschrieben hat. Doch eine der Ursachen für dieses schlechte Zeugnis hat sie selbst gesetzt: das Mindestlohngesetz (MiLoG).

Nach wie vor erhitzen sich die Gemüter angesichts der Dokumentationspflicht, der Auftraggeberhaftung und der Geltung des Gesetzes für ausländische Marktteilnehmer. Logistik- und Transportunternehmen hat es besonders hart getroffen, denn sie gehören zu denjenigen Wirtschaftszweigen, denen man – in Anlehnung an die Schwarzarbeitsbekämpfung – besondere Auflagen gemacht hat. „Sippenhaft“ nennt Arno Brucker, Geschäftsführer der gleichnamigen mittelständischen Spedition in Aalen, das. Dabei sind Niedriglöhne nun wirklich nicht das Problem dieses Wirtschaftszweigs, der extrem unter dem Fachkräftemangel leidet und schon deshalb ordentliche Löhne zahlen muss.
Einzig die KEP-Branche hatte hier Nachholbedarf. „In einigen Regionen mit branchenübergreifend unterdurchschnittlichem Lohnniveau waren Anpassungen notwendig“, erklärt Peter Rey, Unternehmenssprecher des Paketzustellers DPD. Im Übrigen habe die Vergütung sowohl der eigenen als auch der Mitarbeiter bei den Systempartnern oberhalb des nun geltenden Mindestlohnniveaus gelegen. „Wir begrüßen den Mindestlohn, da er branchenweit einen verbindlichen Mindeststandard setzt“, sagt Rey – was auf gewisse Missstände schließen lässt.
Für flächendeckende Empörung sorgte monatelang die Pflicht, die Arbeitszeit von Mitarbeitern, die weniger als 2958 Euro im Monat verdienen, schriftlich aufzuzeichnen. Bei einem Achtstundentag und durchschnittlich 23 Arbeitstagen käme ein entsprechend bezahlter Arbeitnehmer auf einen Stundenlohn von rund 16 Euro, läge also deutlich über dem gesetzlichen Mindestlohn. „Was soll so eine Grenze, die in keiner Art und Weise den normalen Verhältnissen in Deutschland entspricht“, fragt sich Spediteur Brucker. „Wir beschäftigen uns immer mehr mit bürokratischen Dingen, die keinerlei Wertschöpfung bringen, und uns fehlt dann die Zeit, um uns mit neuen Märkten und mit innovativen Produkten zu beschäftigen.“ Und auch die Großkonzerne klagen. „Wir sehen noch Handlungsbedarf bei der Frage, wie die Unternehmen durch die deutliche Absenkung der Betragsgrenze bei Dokumentationspflichten entlastet und Aufzeichnungen vereinfacht werden können“, sagt Anne Motz, Sprecherin der Deutschen Post AG. Nachdem auch die Verbände Druck gemacht haben, hatte man in Berlin ein Einsehen: Arbeitsministerin Andrea Nahles will nun die entsprechenden Verordnungen abändern lassen. Künftig muss die Arbeitszeit nicht mehr aufgezeichnet werden, wenn das monatliche Arbeitsentgelt mindestens 2000 Euro brutto beträgt und in den vergangenen zwölf Monaten regelmäßig gezahlt wurde. Bei der Beschäftigung von Ehepartnern, Kindern und Eltern des Arbeitgebers entfällt die Pflicht, die Arbeitszeiten zu dokumentieren. Nur Saisonarbeiter und Beschäftigte mit stark schwankenden Arbeitszeiten müssen weiterhin bis zur 2958-Euro-Grenze Stundenzettel führen.
Einen unglücklichen Start erwischte auch die Mindestlohnkommission. Diese soll eigentlich regelmäßig prüfen, ob das Gesetz und die Mindestlohnhöhe angepasst werden müssen. Doch sie konnte lange Zeit ihre Arbeit gar nicht aufnehmen, da der Vorsitzende Henning Voscherau bereits nach wenigen Monaten sein Amt aus gesundheitlichen Gründen niederlegen musste. Erst kürzlich konnte in Person des ehemaligen RWE-Arbeitsdirektors Jan Zilius ein Nachfolger gefunden werden.
Bei der umstrittenen Auftraggeberhaftung bleibt vorerst alles, wie es ist. Zwar war im ersten Gesetzentwurf noch ein Haftungsausschluss vorgesehen; dieser wurde aber vom Bundesrat gestrichen. Um sich rechtlich abzusichern, sind die Spediteure und Logistiker seit Jahresbeginn gezwungen, reihenweise Verpflichtungs-, Freistellungs- und Nachweiserklärungen von ihren Auftragnehmern einzuholen und auch selbst abzugeben. „Durch die Haftung des Auftraggebers bemerken wir einen höheren Aufwand durch Kundenanfragen, die Bestätigungen zur Einhaltung des Mindestlohngesetzes fordern“, sagt Post-Sprecherin Motz. Es kommt derzeit also zu einem munteren Austausch von Papieren, von denen keiner weiß, ob sie im Ernstfall „halten“. Um diese kuriose Situation zu entschärfen, hat Ministerin Nahles hier immerhin „Klarstellungen“ bei der Zollverwaltung angekündigt, die aber noch auf sich warten lassen.
Bereits Ende Januar hatte die Ministerin die Anwendung des Gesetzes für ausländische Lkw-Fahrer im Transitverkehr durch Deutschland auf Druck aus Polen ausgesetzt. Es folgte eine Sammelklage in- und ausländischer Transportunternehmen vor dem Bundesverfassungsgericht. Zwar ist diese mittlerweile abgewiesen, aber die Kläger können immer noch den Rechtsweg durch die einzelnen Instanzen beschreiten.
Die Herausnahme internationaler Verkehre aus dem Anwendungsbereich des MiLoG würde zwar einerseits die Auftraggeberhaftung entschärfen, andererseits aber zu enormer Billigkonkurrenz aus dem Ausland führen. Entsprechend uneinig sind sich die Branchenverbände in diesem Punkt. Den Mittelstand würde ein solcher Wettbewerbsdruck besonders stark treffen, deshalb mahnt Stephan Opel, Geschäftsführer von Gruber Logistics in Kreuztal, die „große Unsicherheit bezüglich der rechtlichen Situation“ an. Denn offen ist auch der Ausgang des Vertragsverletzungsverfahrens, das die Europäische Union gegen Deutschland eingeleitet hat. Sie sieht das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts durch das Gesetz in Gefahr. Die deutschen Behörden mussten bis Ende Juli auf das Schreiben der Kommission antworten.
Aufrüstung beim deutschen Zoll. Der deutsche Zoll hat jedenfalls inzwischen aufgerüstet – oder mit den Worten der Bundesregierung in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Opposition: „Die Zuführung der Personalverstärkung befindet sich zurzeit in der Umsetzung.“ Ob die 1600 zusätzlichen Stellen bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit ausreichen werden, wird schon jetzt mancherorts bezweifelt.
Spannend ist nach wie vor, welche Lohnbestandteile neben dem Festgehalt auf den gesetzlichen Mindestlohn anrechenbar sind. Zwar sind erste Urteile hierzu ergangen, aber noch ist die für die Transportbranche wichtige Frage der Vergütung von Bereitschaftszeiten nicht ausgeurteilt. Derzeit gilt die Faustformel: Bereitschaftszeit kann geringer vergütet werden als Arbeitszeit, aber eben nicht geringer als 8,50 Euro pro Stunde. Dem muss aber eine eindeutige Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer zugrunde liegen und Arbeits- und Bereitschaftszeit müssen getrennt erfasst und dokumentiert werden. Da ist sie wieder, die liebe Bürokratie. Kein Wunder, dass die Bundesregierung gerade an einem „Bürokratieentlastungsgesetz“ bastelt, das schnell verabschiedet werden soll – womöglich aus schlechtem Gewissen.
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