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Lieferterminbestimmung und Termintreue verbessern

Versorgungsterminplanung im Supply Chain Management
Lieferterminbestimmung und Termintreue verbessern

Prof. Dr. Ruth Melzer-Ridinger lehrt seit 1988 an der Berufsakademie Mannheim in den Fachbereichen Industrie, Handel und Wirtschaftsinformatik mit den Schwerpunkten Supply Chain Management, Materialwirtschaft und Logistik; E-Mail: melzer-ridimger@ba-mannheim.de

In gewinnorientierten Unternehmen sollte nur das Maß an Kundenorientierung angestrebt werden, das eine maximale Gewinnerzielung ermöglicht. Das bedeutet konkret, dass im Detail zu prüfen ist, welche Wertschätzung der Kunde dieser Leistung entgegenbringt.
Festlegung differenzierter Liefertreue-Ziele
Bei der Festlegung differenzierter Liefertreue-Ziele sind die Kunden nach ihrer Profitabilität zu klassifizieren. Die Wertschätzung der Termintreue wird von der Bestandspolitik des Kunden und den ihm entstehenden Fehlmengenkosten bestimmt. Eine Verbesserung der Termintreue sollte insbesondere für Kunden erreicht werden, die die logistische Leistungsfähigkeit sensibel wahrnehmen und hoch gewichten und als attraktive Kunden eingestuft werden. Der Schaden einer Teillieferung oder einer Lieferverzögerung ist abhängig von vertraglichen Vereinbarungen (Pönalien), von der Höhe der direkten Fehlmengenkosten (Kosten einer Eilzustellung, einer zusätzlichen Lieferung) und von der Höhe der indirekten Fehlmengenkosten (Umsatzverluste durch Fehlmenge beim Kunden, Imageverluste und Kundenverluste).
Eine Differenzierung der Zielvorgaben ist nicht nur hinsichtlich der Kunden sinnvoll. Produkte weisen ebenfalls eine unterschiedliche Profitabilität auf, die durch ihren Deckungsbeitrag und ihre Stellung im Lebenszyklus bestimmt wird. Viele Unternehmen sind mit ihrer Termintreue im Ergebnis durchaus zufrieden. Jedoch wird diese Leistung mit einem übermäßigen Aufwand sichergestellt, für den das Supply Chain Management nicht zur Rechenschaft gezogen wird, weil die Kosten nicht ausdrücklich ausgewiesen werden. Die zugesagten Termine sind in Fällen kurzfristig erkannter Versorgungs- und Kapazitätsengpässe und beim Auftreten von Störungen nur mit Engpass- und Störungsmanagement einzuhalten. Dieses Engpass- und Störungsmanagement erfordert hohen Personalaufwand für persönliche interne Abstimmung und kurzfristige Umplanung und verursacht hohe Kosten für ungünstige Produktionsmengen und -reihenfolgen und Eil-Auslieferungen.
Aus den vorangegangenen Argumenten lassen sich Verbesserungsziele für die Termintreue ableiten.
Lieferterminbestimmung als Erfolgsfaktor
Einen erheblichen Einfluss auf die Liefertreue hat die Lieferterminbestimmung, die im Rahmen der Angebotsbearbeitung und vor der Auftragsbestätigung realistische Liefertermine angeben bzw. bestätigen soll. Verbesserungspotenzial liegt zum einen in einer Reduzierung des erforderlichen Aufwands für die Lieferterminbestimmung, zum anderen in einer differenzierten Lieferterminbestimmung, die aktuelle Gegebenheiten und produkt- und kundenspezifische Aspekte berücksichtigt.
Ursachen für mangelnde Termintreue
Bei lagerhaltigen Erzeugnissen ist die angestrebte Lieferzeit für den Kunden kürzer als die gesamte Durchlaufzeit (Wiederbeschaffungszeit) über alle Fertigungsstufen und die Beschaffungszeit für fremdbezogene Komponenten. Die Fertigung wird durch Absatzprognosen angestoßen. Aufträge werden aus den verfügbaren Beständen bedient. Die Termintreue ist in diesem Falle unmittelbar abhängig von der Lieferbereitschaft des Enderzeugnislagers. Die Disposition bemüht sich, Fertigungsmengen und -termine festzulegen, die eine hohe und gleichmäßige Kapazitätsauslastung versprechen – Schwankungen des Absatzmarktbedarfs können durch geeignete Belastungsanpassungen (Variation der Losmengen, Vorausproduktion) in einem gewissen Umfange von der Fertigung ferngehalten werden.
Bei teilweise auftragsorientiert hergestellten Produkten ist die angestrebte Lieferzeit gegenüber dem Kunden ebenfalls kürzer als die gesamte Durchlaufzeit. Die Endmontage greift auf vorgefertigte Komponenten zu, die letzte Fertigungsstufe wird auftragsorientiert durchlaufen. Die Absatzprognose wird in diesem Falle benutzt, um die Komponenten der Enderzeugnisse zu disponieren. Um für diese Erzeugnisse eine Lieferterminbestimmung vornehmen zu können, muss neben der Lieferbereitschaft der Komponenten die Verfügbarkeit von Fertigungskapazitäten geprüft werden. Da die Schwankungen und die Unsicherheit des Absatzmarktbedarfs für diese Erzeugnisse nicht durch Bestandspuffer ferngehalten werden können, ist die Termintreue für Make-to-order-Erzeugnisse stärker von der Fähigkeit der Fertigung abhängig, Kapazitäten kurzfristig anzupassen oder die Unsicherheit und Schwankung der Absatzmarktnachfrage zu reduzieren.
Ein wichtiges Hindernis auf dem Weg zur besseren Termintreue ist die häufig vorherrschende Grundeinstellung, dass die mangelnde Termintreue auf unbeeinflussbare Störungen aus dem Absatzmarkt, der Fertigung und dem Beschaffungsmarkt zurückzuführen ist, denen man sich durch Puffer in den Beständen, Kapazitäten und Durchlaufzeiten anpassen muss.
Die Unfähigkeit, ursprünglich zugesagte oder vom Kunden geforderte Liefertermine einzuhalten, ist auf eine Vielzahl von Ursachen zurückzuführen, die den Problembereichen
– organisatorische Missstände, insbesondere Informationsdefizite und mangelnde Abstimmung zwischen den Funktionsträgern in Vertrieb, Produktionsplanung und Einkauf, Fehler in der Bestandsführung,
– mangelnde Flexibilität der Fertigung, des Beschaffungsmarktes und der Disposition bei wachsendem, stark schwankendem oder saisonalem Bedarf,
– Bedarfsunsicherheit und -schwankungen,
– Störungen
zugeordnet werden können.
Die Mitarbeiter im Supply Chain Management müssen sich jedoch auch der Erkenntnis stellen, dass auch innerhalb der Disposition erhebliches Verbesserungspotenzial schlummert. Mangelnde Liefertermintreue wird auch durch ungeeignete Dispositionsparameter, zu spät erkannte Engpässe und kurzfristig eingeleitete Belastungsanpassungsmaßnahmen sowie durch die Streuung der Durchlaufzeiten in der Fertigung verursacht.
Lieferterminbestimmung und Verfügbarkeitsprüfung
Automatische Aussagen über Liefertermine sind in ERP-Systemen nur für Produkte möglich, die lagerhaltig geführt werden (make-to-stock). Die Angaben über Liefertermine basieren auf einer Verfügbarkeitsprüfung (available-to-promise) im Vertriebsmodul. Die Verfügbarkeitsprüfung nach ATP-Logik lässt eine dynamische Bestandsprüfung zu, die künftige Lagerabgänge und -zugänge berücksichtigt.
Die automatische Bestimmung von Lieferterminen wird in der Praxis ungern genutzt, obwohl die manuelle Prüfung von Kundenanfragen und -aufträgen sehr aufwändig ist. Die Unzufriedenheit mit der softwaregestützten Verfügbarkeitsprüfung und Lieferterminbestimmung ist darauf zurückzuführen, dass die Angaben zum einen sehr unzuverlässig sind, zum anderen selbst Ursache für mangelnde Termintreue sein können.
Der Anwender legt durch die Prüfregel und die Reservierungspolitik die Vorgehensweise der Errechnung der ATP-Menge und damit der Lieferterminbestimmung fest. Er kann wählen zwischen:
– Prüfung gegen Bestand mit oder ohne Einbeziehung einer Wiederbeschaffungszeit,
– Prüfung gegen Bestand und so genannte Zugangselemente, das sind freigegebene (fixierte), offene Bestell- und Fertigungsaufträge mit oder ohne Einbeziehung einer Wiederbeschaffungszeit,
– Prüfung gegen Kontingente.
Über die Prüfregel legt der Anwender zunächst fest, welche Elemente bei der Verfügbarkeitsprüfung berücksichtigt werden sollen. Grundsätzlich ist es möglich festzulegen, dass auch der Sicherheitsbestand, der Qualitätsprüfbestand und der Sperrbestand bei der Verfügbarkeitsprüfung als frei verfügbar angesehen werden. In der Regel wird man nur den aus großen Fertigungs- oder Bestellaufträgen resultierenden Ausgleichsbestand als reservierbar definieren.
Von besonderer Bedeutung ist die Festlegung, welche Lagerzugangs- und -abgangselemente bei der Errechnung der ATP-Menge berücksichtigt werden sollen:
– In der dynamischen Bestandsprüfung können zukünftige Lagerbewegungen als sichere Ereignisse behandelt werden. Das bedeutet, dass die Verfügbarkeitsprüfung unterstellt, dass offene Bestellaufträge zu ihrem geplanten Anlieferungstermin und Fertigungsaufträge zu ihrem spätesten Endtermin als sicherer Lagerzugang (und damit available-to-promise) betrachtet werden.
– Hinsichtlich der Lagerzugangselemente legt der Anwender fest, ob die ATP-Menge nur auf aktuell frei verfügbare Bestände zugreifen soll, ob feste Bestellungen oder auch Bestellanforderungen (die im Rahmen der rollierenden Planung nochmals geändert werden können) und ob freigegebene Fertigungsaufträge oder auch Planaufträge (die ebenfalls einer rollierenden Planung unterliegen) einbezogen werden sollen.
– Eine wesentliche Festlegung ist auch die Frage, ob bereits vorliegende Reservierungen als feste Lagerabgänge betrachtet, oder ob sie überschrieben (gelöscht) werden sollen, wenn ein Abgangselement mit früherem Termin hinzukommt.
– Festzulegen ist darüber hinaus, welche Vertriebsbedarfe einen vorhanden Bestand oder Zugang reduzieren sollen; insbesondere besteht die Möglichkeit, für Angebote eine Reservierung vorzunehmen.
Wenn sich die dynamische Bestandsprüfung nicht nur auf bereits im Lager vorrätige Waren bezieht, sondern auch Güter berücksichtigt, die sich noch im Produktionsplanungsprozess oder Bestellabwicklungsprozess befinden, besteht ein Unsicherheitsfaktor, ob ein geplanter Lagerzugang auch zur vereinbarten Zeit erfolgt und der Kunde termingerecht beliefert werden kann. Dadurch ist bei Lieferterminangaben auf der Grundlage geplanter Zugangselemente eine Optimierung entlang des gesamten Geschäftsprozesses, von der Auftragsannahme bis zur Übergabe an den Kunden, grundlegend.
Mit der Prüfregel „Prüfung gegen Vorplanung” werden als Zugangselemente anonyme Planprimärbedarfe aus der Produktionsprogrammplanung einbezogen. Nach dem MRPII-Konzept geplante Primärbedarfe sind noch nicht auf Realisierbarkeit und Vorteilhaftigkeit geprüft. Diese Prüfung findet häufig erst kurz vor dem Starttermin statt. Die Planprimärbedarfe sind daher einem großen Änderungsrisiko unterworfen und deshalb für die Ermittlung zuverlässiger Liefertermine eher ungeeignet.
Ergibt die Verfügbarkeitsprüfung, dass der Kundenauftrag durch frei verfügbare Bestände oder Zugänge gedeckt ist, nimmt sie eine Reservierung für den Kundenauftrag vor. Dabei wird nach dem Prinzip „first come, first served” verfahren. Terminlich weit entfernte Kundenaufträge können damit bereits frühzeitig auf Bestände und Zugangselemente zugreifen. Feste Reservierungen für weit entfernte Kundenaufträge steigern die Liefertermintreue für den betrachteten Auftrag. Allerdings gefährden sie die Wunschtreue für Kundenaufträge, die später eingehen, aber einen früheren Wunsch-Liefertermin aufweisen.
Literatur
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– Kilger, C., Schneeweis, L.: Demand Fulfilment and ATP. In: Stadtler, H., Kilger, C. (Eds.): Supply Chain Management and Advanced Planning. Concepts, Models, Software and Case Studies. Berlin Heidelberg 2000 S. 135 – 148
– Knolmayer, G., Mertens, P., Zeier, A.: Supply Chain Management auf Basis von Sap-Systemen. Perspektiven der Auftragsabwicklung für Industriebetriebe. Berlin Heidelberg 2000
– Lawrenz, O., Hildebrand, K., Nenninger, M., Hillek, T.: Supply Chain Management. Konzepte, Erfahrungsberichte und Strategien auf dem Weg zu digitalen Wertschöpfungsnetzen. 2. Auflage Braunschweig, Wiesbaden 2001
– Stadtler, H., Kilger, C.: Supply Chain Management and Advanced Planning. Concepts, Models, Software and Case Studies. Berlin, Heidelberg 2000
Thome, R., Böhnlein, C.: Fünf Stufen zum Supply Net Management. WISU 11/01 S. 1521 – 1527
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