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Pacta sunt servanda

Recht
Pacta sunt servanda

Der römische Rechtsgrundsatz bedeutet: Wer einen Vertrag abgeschlossen hat, kommt so schnell nicht wieder von ihm los. Unser Autor, Professor Dr. Karlheinz Schmid, erläutert die Regel und die seltenen Ausnahmen.

Schon die alten Römer kannten einen ehernen Rechtsgrundsatz „pacta sunt servanda“: Verträge müssen eingehalten werden. Wer also einen Vertrag abgeschlossen hat, kommt so schnell nicht wieder von ihm los. Deshalb sollte man sich vor Vertragsabschluss die größte Mühe geben und darauf achten, dass man alle, auch zukünftige Aspekte bedenkt, die den Vertrag beeinflussen können. Doch keine Regel ohne Ausnahme. Es gibt also Situationen, die einen Vertragspartner dazu berechtigen, einen abgeschlossenen Vertrag wieder aufzulösen oder abzuändern. Dies sind sicher seltene Ausnahmen. Immerhin gehören zu diesen Ausnahmen: Rücktritt, Störung der Geschäftsgrundlage, Kündigung, Anfechtung und dann auch die Aufhebung des Vertrags in beiderseitigem Einverständnis.

So einfach, wie sich das manche vorstellen, ist es sicherlich nicht, von einem bereits abgeschlossenen Vertrag zurückzutreten. Dies ist nur dann möglich, wenn man die Rücktrittsmöglichkeit im Vertrag gesondert verankert hat oder wenn ein gesetzliches Rücktrittsrecht gegeben ist.
Der Rücktritt ist eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung. Mit ihm erklärt ein Vertragspartner, dass er den mit dem anderen Vertragspartner abgeschlossenen Vertrag hiermit rückgängig macht (§ 349 BGB). Die Rücktrittserklärung bedarf keiner bestimmten Form und kann daher auch durch schlüssiges Verhalten erfolgen. So kann zum Beispiel die Rücknahme der gelieferten Sache eine Rücktrittserklärung darstellen. Die Schriftform ist jedoch üblich. Das Rücktrittsrecht ist ein Gestaltungsrecht, dessen Ausübung regelmäßig unwiderruflich ist.
Durch die Rücktrittserklärung wird der Vertrag in ein Abwicklungsverhältnis umgestaltet. Nach Ausspruch des Rücktritts erlöschen deshalb die bislang noch nicht erfüllten Vertragspflichten. Durch den Ausspruch des Rücktritts haben sich die Eigentumsverhältnisse nicht geändert; doch sind jetzt die bisherigen Vertragspartner verpflichtet, empfangenes Eigentum an den anderen zurückzuübertragen.
Ein vertragliches Rücktrittsrecht liegt vor, wenn bei Vertragsabschluss der Rücktritt ausdrücklich vorbehalten wurde. Dabei werden die Rücktrittsgründe regelmäßig festgelegt.
„Der Auftraggeber ist berechtigt, mit sofortiger Wirkung vom Vertrag zurückzutreten, wenn der Auftragnehmer Beschäftigten des Auftraggebers Geschenke oder andere Vorteile im Sinne der §§ 331ff. StGB und § 12 UWG verspricht, anbietet oder gewährt oder wenn der Vertrag unter Verletzung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen zustande gekommen ist…“
„Wir sind von der Verpflichtung zur Abnahme der bestellten Lieferung/Leistung ganz oder teilweise befreit und insoweit zum Rücktritt vom Vertrag berechtigt, wenn die Lieferung/Leistung wegen der durch die höhere Gewalt bzw. den Arbeitskampf verursachten Verzögerung bei uns – unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Gesichtspunkte – nicht mehr verwertbar ist.“
Rücktrittsrecht und Zahlung des „Reuegeldes“
In Verträgen aller Art, besonders jedoch in Kaufverträgen, trifft man gelegentlich auf einen Rücktrittsvorbehalt. Ein solches Rücktrittsrecht wird immer dann vereinbart, wenn ein bei Vertragsabschluss noch ungewisses oder unbekanntes Ereignis den Vertragszweck beeinflussen oder vereiteln kann, die Vertragspartner aber deshalb keine automatisch wirkende, auflösende Bedingung vereinbaren, sondern lediglich einer Vertragspartei ein Rücktrittsrecht einräumen wollen. Dann kann mit einem solchen einseitigen Rücktrittsrecht die Verpflichtung zur Zahlung eines so genannten Reuegeldes (§ 353 BGB) verbunden sein, wenn von dem Rücktrittsrecht Gebrauch gemacht wird. Die Reuegeldvereinbarung gibt somit dem Begünstigten das Recht, sich gegen Zahlung einer Abfindung vom Vertrag zu lösen.
Ein Rücktrittsrecht kann sich auch unmittelbar aus dem Gesetz ergeben. Ein solches gesetzliches Rücktrittsrecht steht z. B. dem Käufer wegen eines Sach- oder Rechtsmangels zu, wenn die Nacherfüllung gescheitert ist (§§ 437 Nr. 2, 440, 323 BGB).
Die Neuregelung des Schuldrechts kennt kein eigenständiges Rücktrittsrecht mehr für den Kaufvertrag. Das Gesetz verweist auf das Rücktrittsrecht, das für das allgemeine Leistungsstörungsrecht gilt (§ 437 Nr. 2 BGB). Zunächst wird deshalb § 323 BGB für anwendbar erklärt. Demnach setzt das Recht des Käufers zum Rücktritt voraus, dass er dem Verkäufer eine angemessene Frist zur Nachbesserung oder Neulieferung gesetzt hat und diese erfolglos abgelaufen ist. Nur in Ausnahmefällen steht dem Käufer ein sofortiges Rücktrittsrecht zu, etwa wenn der Verkäufer beide Arten der Nacherfüllung verweigert oder wenn die dem Käufer zustehende Art der Nacherfüllung fehlgeschlagen oder ihm unzumutbar ist.
Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann nach dem neu geschaffenen § 313 BGB (Störung der Geschäftsgrundlage) Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Ist eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar, so kann der benachteiligte Teil vom Vertrag zurücktreten. An die Stelle des Rücktrittsrechts tritt für Dauerschuldverhältnisse das Recht zur Kündigung.
Gelegentlich wird ein Rücktritts- und Kündigungsrecht zur Auswahl angeboten, ohne dass im Einzelfall gesagt wird, wann welches Recht zur Anwendung gelangen soll. So heißt es z. B. in § 8 VOL/B (Lösung des Vertrages durch den Auftraggeber):
„Der Auftraggeber kann vom Vertrag zurücktreten oder den Vertrag mit sofortiger Wirkung kündigen, wenn über das Vermögen des Auftragnehmers das Insolvenzverfahren oder ein vergleichbares gesetzliches Verfahren eröffnet oder die Eröffnung beantragt oder dieser Antrag mangels Masse abgelehnt worden ist oder die ordnungsgemäße Abwicklung des Vertrags dadurch in Frage gestellt ist oder dass er seine Zahlungen nicht nur vorübergehend einstellt.“
Die Kündigung ist eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung, die ein Schuldverhältnis für die Zukunft auflöst. Die bereits erbrachten Leistungen sind nicht zurückzugewähren. Im Unterschied zum Rücktritt erfolgt also hier keine Rückabwicklung. Bei Dauerschuldverhältnissen, etwa beim Dienst-, Arbeits- oder Mietvertrag, ersetzt die Kündigung das gesetzliche Rücktrittsrecht.
Eine Rücknahme der Kündigung ist nach Zugang der Kündigungserklärung nur durch Vertrag mit dem Kündigungsempfänger möglich. Bei Aufhebung der Kündigung vor Fristablauf handelt es sich nicht um einen neuen Vertrag, sondern um die Fortsetzung des bisherigen Vertrages.
Das Gesetz räumt – nur beim Werkvertrag – dem Auftraggeber (Besteller) bis zur Vollendung des Werks das Recht ein, jederzeit den zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer abgeschlossenen Vertrag – auch ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist, also fristlos, und ohne Angabe von Gründen – zu kündigen. Dieses Recht zur jederzeitigen, fristlosen Kündigung folgt aus dem Wesen des Werkvertrags, da an der Herstellung des Werks im Regelfall nur der Auftraggeber ein Interesse hat, während es dem Auftragnehmer grundsätzlich nur um die Vergütung geht.
Durch eine solche Kündigung kann der Auftraggeber allerdings dem vertragstreuen Auftragnehmer nicht den Anspruch auf den vereinbarten Werklohn nehmen. Der Auftragnehmer muss sich lediglich die im Regelfall unbedeutenden Einsparungen anrechnen lassen. Die Kündigung des Werkvertrags schädigt also den Auftragnehmer grundsätzlich nicht, weil ihm die Vergütung bzw. der Reinertrag bleibt. Weil also der Auftraggeber zur vollen Vergütung verpflichtet bleibt, spielt diese Kündigungsmöglichkeit des Werkvertrags in der Praxis keine große Rolle.
Eine Besonderheit gilt für Dauerschuldverhältnisse. Sie unterscheiden sich von den auf eine einmalige Leistung gerichteten Schuldverhältnissen dadurch, dass aus ihnen während ihrer Laufzeit ständig neue Leistungs-, Neben- und Schutzpflichten entstehen. Sie werden durch ihre zeitliche Dimension und das Merkmal ständiger Pflichtanspannung gekennzeichnet. Beispiele sind der Miet-, Pacht-, Leih-, Darlehens-, Verwahrungs- Gesellschafts- und Versicherungsvertrag. Hinzu kommen zahlreiche sog. verkehrstypische Verträge, die im Gesetz nicht geregelt sind, z.B. der Factoring- und Franchisingvertrag.
Bei solchen Dauerschuldverhältnissen kann jeder Vertragsteil aus wichtigem Grund gemäß § 314 Abs.1 BGB ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann (§ 314 Abs.1 Satz 2 BGB). Für alle Dienst- und Arbeitsverhältnisse enthält § 626 BGB eine entsprechende Regelung.
Anfechtung: Das Bürgerliche Gesetzbuch erlaubt nur in vier Fällen, eine Willenserklärung nachträglich durch Anfechtung wieder aufzuheben, wenn die Erklärung nicht mit dem wahren Willen des Erklärenden übereinstimmte. Dies sind der Erklärungs- und Inhaltsirrtum, der Irrtum über verkehrswesentliche Eigenschaften und der Übermittlungsirrtum. Alle anderen Fälle des einseitigen Irrtums, insbesondere der Motivirrtum sowie der Kalkulationsirrtum, berechtigen nicht zur Anfechtung (§§ 119ff. BGB).
Der Ersatz des Vertrauensschadens
Wird die Anfechtung erklärt, muss dem gutgläubigen Geschäftspartner nur der Vertrauensschaden ersetzt werden. Dies ist der Schaden, den der andere dadurch erleidet, dass er auf die Gültigkeit der Erklärung vertraute. Dagegen kann der Anfechtungsgegner nicht verlangen, dass ihn der Anfechtende so stellt, wie er stehen würde, wenn das angefochtene Geschäft gültig geblieben und zur Ausführung gelangt wäre. Der entgangene Gewinn kann also nicht verlangt werden. Hat der Geschäftspartner den Irrtum schuldhaft verursacht, steht dem Erklärenden neben dem Anfechtungsrecht ein Schadensersatzanspruch wegen Verschuldens beim Vertragsabschluss zu (§§ 311 Abs.2 Nr.1, 241 Abs.2, 280 BGB).
Ein Erklärungsirrtum liegt vor, wenn die Äußerung nicht mit dem Willen des Erklärenden übereinstimmt. Beispiele sind: Versprechen, Verschreiben, Zahlendreher. Entsprechend wird auch das falsche Ablesen eines Preisschildes als Erklärungsirrtum angesehen. Entnimmt der Verkäufer den Preis einer veralteten betriebsinternen Preisliste, besteht kein Anfechtungsrecht. Bei automatisierten Erklärungen liegt im Fall fehlerhafter Bedienung ein Irrtum in der Erklärungshandlung vor. Dagegen begründet die Verwendung falschen Datenmaterials kein Anfechtungsrecht. Hier liegt nämlich der Irrtum schon bei der Erklärungsvorbereitung.
Beim Inhaltsirrtum entspricht der äußere Tatbestand der Erklärung dem Willen des Erklärenden, dieser irrt aber über die Bedeutung der Erklärung. Der Erklärende weiß, was er sagt, er weiß aber nicht, was er damit sagt. In einem Fall wurden 25 Gros Papierrollen (3600) in der Annahme bestellt, es handle sich um 25 große Rollen, in einem anderen Fall wurde angenommen, ein Gros seien 12 und nicht 144.
Eine verkehrswesentliche Eigenschaft der Person kann zum Beispiel die Mitgliedschaft in der Scientology-Sekte beim Vertragsabschluss mit einem Personalberater sein (LG Darmstadt NJW 1999 S. 365). Entsprechend kann auch eine solche Eigenschaft das Alter, die Sachkunde, die Vertrauenswürdigkeit und Zuverlässigkeit bei Verträgen sein, die auf eine vertrauensvolle Zusammenarbeit angelegt sind. Verkehrswesentliche Eigenschaft der Sache kann die Echtheit eines Kunstwerks sein.
Eine Willenserklärung, welche durch die zur Übermittlung verwendete Person oder Einrichtung unrichtig übermittelt worden ist, kann nach § 120 BGB unter den gleichen Voraussetzungen angefochten werden wie eine nach § 119 BGB irrtümlich abgegebene Willenserklärung. §120 BGB stellt also die irrtümlich unrichtig übermittelte Erklärung dem Erklärungsirrtum gleich.
Ist eine falsche Preisauszeichnung im Internet auf einen im Bereich des Erklärenden aufgetretenen Fehler im Datentransfer (nicht bei der Programmierung) zurückzuführen, so liegt nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 26. Januar 2005 (Betriebs-Berater 2005 Seite 853) ein anfechtbarer Erklärungsirrtum vor: „Zwar ist ein Kaufvertrag zu dem auf der Internetseite der Klägerin angegebenen Preis von 245 Euro mit Versendung der automatisch verfassten E-Mail, in der die Bearbeitung des Auftrags bestätigt wurde, zustande gekommen, jedoch war die Klägerin zur Anfechtung des Vertrags wegen eines Erklärungsirrtums (§ 119 Abs.1, 2.Alt. BGB) berechtigt, da die Verfälschung des Verkaufspreises während des Datentransfers von der Software auf die Website der Klägerin als Irrtum in der Erklärungshandlung anzusehen ist, wie sich aus §120 BGB ergibt.“
Erwähnt werden soll noch §123 Abs.1 BGB: „Wer zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist, kann die Erklärung anfechten.“
Es hat sich gezeigt, dass es sehr schwer ist, einen bestehenden Vertrag einseitig wieder aufzulösen. Immerhin sieht das Gesetz Möglichkeiten vor, dass – wenn auch eher selten – ein solcher einseitiger „Ausstieg“ möglich ist. Wenn alle Stricke reißen, bleibt dann immer noch der Weg über eine Auflösung des Vertrags im beiderseitigen Einverständnis. Dies ist gar nicht so selten, etwa wenn beide Seiten einsehen müssen, dass die vorgesehene technische Lösung nach dem aktuellen Stand der Technik zurzeit noch nicht umgesetzt werden kann.
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