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Schlüsselkompetenzen von Automobilzulieferern

Empirische Untersuchung
Schlüsselkompetenzen von Automobilzulieferern

Nicht nur in der Automobilindustrie hat die Gestaltung der Zulieferbeziehungen eine herausragende Bedeutung in der Erhöhung der Wertschöpfung erlangt. Durch die Konzentration der Automobilhersteller auf ihr Kerngeschäft werden die Zulieferleistungen für eine dauerhafte Erzielung von Wettbewerbsvorteilen immer wichtiger. Die Zulieferindustrie durchlebt deswegen seit mehreren Jahren einen Strukturwandel, der bis heute nicht abgeschlossen ist.

Mit der Erschließung neuer Marktsegmente versuchen die Automobilhersteller ihre Marktstellung weltweit weiter auszubauen. Sie entwickeln sich dabei zu Global Playern in einem globalen Automobilmarkt. Die zunehmende Variantenvielfalt und Technisierung der Fahrzeuge bringt die OEM zudem an die Grenze ihres Koordinationsvermögens. Sie konzentrieren sich daher auf ihr Kerngeschäft und ihre Kernprozesse und erschließen sich weitere Produktivitätssteigerungen durch die Übertragung immer größerer Produktionsumfänge auf ihre Zulieferer. Damit verbunden ist eine Verringerung der Fertigungstiefe der OEM sowie die gleichzeitige Reduzierung der Zahl der direkten Zulieferer. Durch die konsequente Verfolgung von Global-, Modular- und Single Sourcing-Strategien kommt er zu einer Pyramidisierung der Zulieferkette.

Diese Veränderungen führten in den vergangenen Jahren zu einer weltweit wachsenden Konzentration in der Automobilzulieferindustrie, die in den kommenden Jahren voraussichtlich noch zunehmen wird. Als Hauptgründe dafür gelten die Globalisierung, die Modularisierung der Automobilproduktion sowie die insgesamt höheren Anforderungen der Automobilhersteller an ihre Zulieferer. Eine weitere Ursache sind die begrenzten finanziellen Ressourcen der Automobilzulieferer, die aus dem anhaltenden Preisdruck der OEM resultieren.
Um auf Veränderungen bei ihren Abnehmern reagieren zu können, stehen Zulieferern grundsätzlich verschiedene Entwicklungsstrategien zur Wahl. Sie können sich von einem Teilefertiger zu einem Produktionsspezialisten, Entwicklungs- oder Wertschöpfungspartner weiterentwickeln. Der Entwicklungsschritt vom Teilefertiger zum Wertschöpfungspartner kann dabei über die Zwischenstufen Produktionsspezialist oder Entwicklungspartner erfolgen.
Um in diesem veränderten Umfeld bestehen zu können, müssen Automobilzulieferer ihre spezifischen Schlüsselkompetenzen erkennen und weiter ausbauen. Durch eine schriftliche Befragung von Meinungsbildnern in Europa, Asien und Nordamerika konnten verschiedene Schlüsselkompetenzen identifiziert werden, über die ein Automobilzulieferer im 21. Jahrhundert verfügen muß. Pauschale Empfehlungen sind jedoch schwierig, da die jeweiligen Schlüsselkompetenzen eines Automobilzulieferers von verschiedenen Faktoren abhängig sind. So spielen beispielsweise seine Entwicklungsstufe und Stellung in der Zulieferpyramide (Erst-/Zweitlieferant etc.), seine Module oder Systeme sowie seine finanzielle und technologische Situation eine wichtige Rolle. Dennoch lassen sich prinzipiell verschiedene Schlüsselkompetenzen von Automobilzulieferern erkennen.
Entwicklungskompetenz
Herausragende Bedeutung für einen Automobilzulieferer hat seine Entwicklungskompetenz. Sehr wichtig ist in diesem Zusammenhang die Fähigkeit zu einem Simultaneous Engineering, bei dem die einzelnen Entwicklungsschritte parallel abgewickelt werden. In interdisziplinären Entwicklungsteams kann dabei simultan an Produkten und Produktionsprozessen gearbeitet werden. Ebenfalls große Bedeutung für einen Zulieferer hat seine Produkt- und Prozeßkompetenz. Die Produktkompetenz eines Zulieferers ist an seiner Fähigkeit zur Entwicklung und Produktion bedarfsgerechter Produkte unter Berücksichtigung der drei zentralen Wettbewerbsparameter (Kosten, Zeit, Qualität) zu erkennen. Ständige Produktverbesserungen unterstreichen dabei seine Produktkompetenz. Prozeßkompetenz zeigt sich in der sicheren Beherrschung der Prozeßtechnologien und der gezielten Ausrichtung dieser Technologien auf die Anforderungen der Abnehmer. Zur Prozeßkompetenz zählt auch die Optimierung kritischer Abläufe und die Sicherung der Prozeßqualität, der insbesondere von den Automobilherstellern eine hohe Bedeutung beigemessen wird.
In Zukunft wird die Nachfrage der OEM nach komplett integrierten Modulen weiter zunehmen. Die wachsende Systemintegration wird für viele Zulieferer die Herausforderung der Zukunft sein, da sie selbst für bisherige Modul- oder Systemlieferanten häufig einen großen Kraftakt bedeutet. Der Integrationskompetenz eines Zulieferers wird daher zukünftig eine große Bedeutung zukommen. Managementkompetenz, die die globale Verantwortung für die Entwicklung, Produktion und Anlieferung der Module oder Systeme sowie die Koordination der Sublieferanten umfaßt, ist eine weitere Schlüsselqualifikation. Zudem wird gerade von den Automobilherstellern eine hohe Projektmanagementkompetenz des Zulieferers gefordert. Die OEM erwarten zunehmend, daß kompetente und engagierte Mitarbeiter der Zulieferer bei ihnen vor Ort mitentwickeln.
Erfolgreiche Zulieferer müssen zudem ihre Qualitätsmanagementkompetenz ständig neu unter Beweis stellen. Qualitätsmanagementkompetenz zeichnet sich durch ein qualifiziertes Total Quality Management und eine frühzeitige Qualitätssicherung bereits in der Konstruktionsphase aus. Dabei kommt der frühen Anwendung entsprechender Verfahren und Techniken hohe Bedeutung zu. Zu diesen Techniken zählen Quality Function Deployment, Rapid Prototyping, verschiedene CA-Anwendungen und Erfahrungen im Umgang mit Virtual Reality, die alle großen Einfluß auf ein Simultaneous Engineering haben.
Lernfähigkeit und Internationalität
Lernfähigkeit wird ein weiteres wichtiges Merkmal wettbewerbsfähiger Automobilzulieferer sein. Unternehmen, die schneller lernen als ihre Wettbewerber, haben beste Chancen, den Konkurrenzkampf zu überleben. Es muß daher Aufgabe des Top-Managements sein, durch die Schaffung entsprechender Rahmenbedingungen Lernprozesse auf allen Unternehmensebenen zu ermöglichen und effektiv zu lenken.
Eine weitere empirisch analysierte Schlüsselkompetenz von Autombilzulieferern ist ihre Internationalität. Der Automobilmarkt wird von den großen Automobilherstellern heute global gesehen. Der Fahrzeugbestand in den Triadenmärkten (Westeuropa, Nordamerika, Japan) wird in den nächsten Jahren – von einem hohen Basisvolumen aus – nur geringfügig wachsen. Größere Wachstumsraten versprechen jedoch die Zukunftsmärkte Asien, Südamerika und Osteuropa. Auch Automobilzulieferer müssen sich daher wie ihre Abnehmer zu Global Playern mit einem weltweiten Produktionsnetzwerk entwickeln. Es wird in Zukunft nicht mehr ausreichen, nur den OEM in internationale Märkte zu folgen. Zulieferer müssen selbst ein globales Produktionsnetzwerk mit Standorten in wichtigen Schlüsselländern aufbauen, um am weltweiten Wirtschaftswachstum und den Kostenvorteilen zu paritizipieren.
Flexibilität und Kooperationsfähigkeit
Die Logistik gehört ebenfalls zu den Schlüsselkompetenzen des 21. Jahrhunderts. Logistik ist eine Querschnittsfunktion mit spezifischen Aufgaben, die von der Produktionsplanung und -steuerung über die Materialwirtschaft bis zur Vertriebsfunktion reichen. Die Logistikkompetenz eines Zulieferers umfaßt auch die Fähigkeit zur sequenzgenauen Anlieferung seiner Module oder Systeme an das Montageband sowie die Koordination der Ansiedlung in einem Zulieferpark oder einer fraktalen Fabrik. Das Konzept der fraktalen Fabrik stellt in der Automobilindustrie die radikale Vollendung der Just-in-time-Philosophie dar. Es erfolgt dabei eine Integration der Produktionsanlagen des Zulieferers in die Fertigung des Automobilherstellers. Zudem muß ein Wertschöpfungspartner der OEM auch die Logistikintegration der Sublieferanten übernehmen können.
Die Fähigkeit zu einem kompetenten Kooperationsmanagement rundet die Schlüsselkompetenzen eines Zulieferers weiter ab. Kooperationen sind ein prägender Bestandteil der Automobilindustrie. Neben der Zusammenarbeit zwischen Zulieferer und OEM in einer vertikalen Kooperation, gewinnen horizontale Zulieferkooperationen zunehmend an Bedeutung. Die Anforderungen der Systemintegration können häufig nur von Megasuppliern oder horizontalen Zulieferkooperationen erfüllt werden. Megasupplier verfügen über eine hohe eigene Wertschöpfung und beherrschen viele Schlüsseltechnologien inhouse. Zulieferkooperationen können den OEM hingegen individuelle Problemlösungen anbieten. Megasupplier und horizontale Zulieferkooperationen kennzeichnen den Gegensatz zwischen globaler Massenfertigung und individueller Maßschneiderei. Die Untersuchungsergebnisse der empirischen Analyse zeigen dabei deutlich, daß die Automobilhersteller eine Zusammenarbeit mit einer horizontalen Zulieferkooperation der mit einem Megasupplier grundsätzlich vorziehen.
Eine moderne Kooperationsform ist das virtuelle Unternehmen. Unter einem virtuellen Unternehmen versteht man ein offenes Kooperationsnetzwerk unabhängiger Unternehmen, die sich kurzfristig und für begrenzte Zeit zusammenschließen, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Es ist somit ein Kreis unabhängiger Spezialisten, die zur Erfüllung eines Auftrags zusammenarbeiten und sich anschließend wieder trennen. Zu den Voraussetzungen für ein virtuelles Unternehmen zählen die Konzentration auf Kernkompetenzen sowie die entsprechende logistische und informationstechnische Infrastruktur. Die informationstechnische Infrastruktur ist dabei eine Grundvoraussetzung für das virtuelle Unternehmen, da nur so kurzfristig und flexibel mit weltweiten Kooperationspartnern zusammengearbeitet werden kann.
Durch die zunehmende Konzentration in der Automobilzulieferindustrie – und das damit verbundene Entstehen von Megasuppliern – können sich die Machtverhältnisse zwischen Automobilhersteller und Zulieferer verändern. Die bisher häufig einseitige Abhängigkeit der Automobilzulieferer von den OEM könnte sich zukünftig zu einer gleichberechtigten Partnerschaft beider Seiten oder sogar zu einer einseitigen Abhängigkeit der Automobilhersteller von den Automobilzulieferern entwickeln. Von der Mehrheit der Befragten wird dabei insgesamt eine gleichberechtigte Partnerschaft zwischen OEM und Zulieferer für die Zukunft erwartet. Die Machtverhältnisse zwischen Automobilzulieferer und Automobilhersteller werden sich somit zu Lasten der OEM verschieben; wie weit bleibt letztendlich abzuwarten.
Um von den Veränderungen in der Automobilindustrie profitieren zu können, müssen Automobilzulieferer ihre Schlüsselkompetenzen erkennen und konsequent ausbauen. Die Entwicklungsleistungen eines Zulieferers werden in Zukunft den größten Einfluß auf seinen Unternehmenserfolg haben. Weitere wichtige Qualifikationen sind Schnelligkeit und Flexibilität. Zudem sollte er bei seinen Tätigkeiten „Best in Class“ sein. Es liegt in der Hand der Zulieferer, die sich bietenden Chancen zu erkennen und zu nutzen.
Dipl.-Betriebswirt Christoph Maroscheck, Viersen; (Auszug aus einer Diplomarbeit im Rahmen eines Forschungsprojekts der Fachhochschule Niederrhein in Mönchengladbach)
Literatur:
Freudenberg, T.; Klenk, U.: Strategie-Check für Zulieferer. In: Automobil-Produktion Jubiläum, Dezember 1996, S. 52-58
Wildemann, H.: Entwicklungsstrategien für Zulieferunternehmungen, München 1996
Wildemann, H.: Das Management von Kernkompetenzen in Netzwerken. In: Blick durch die Wirtschaft, Nr. 191 vom 06.10.1997, S. 5
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