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Strategische Steuerung dezentralisierter Einkaufsaktivitäten

Prozess-Framework als hilfreiches Tool
Strategische Steuerung dezentralisierter Einkaufsaktivitäten

In nahezu allen Branchen und bei größeren Unternehmen ist derzeit der gleiche organisatorische Trend zu beobachten: Auf den steigenden Wettbewerbsdruck wird mit einer absatzmarktorientierten Divisionalisierung mit jeweils eigener Ergebnisverantwortung reagiert.

Thomas Drebinger

Diese im Hinblick auf bessere Kundenorientierung zu begrüßende Dezentralisierung bringt für den Einkauf die Verschärfung einer altbekannten Herausforderung: Wie können in einer zunehmend dezentral handelnden Einkaufsorganisation die dringender denn je notwendigen Einkaufssynergien effektiv und effizient realisiert werden? Mit dem Prozess-Framework wird ein Tool vorgestellt, dessen Anwendungen bei der strategischen Entwicklung und Steuerung dezentralisierter Einkaufsaktivitäten wichtige Hilfestellungen bieten könnte.
Das Prozess-Framework
In einer großen, globalen Einkaufsorganisation existiert auf geographischer, organisatorischer Ebene eine Vielzahl unterschiedlicher Konzepte und Bezeichnungen für den Bereich des Einkaufs. In einer solchen Situation bietet ein gemeinsames Prozess-Framework durch die systematische Darstellung aller einkaufsrelevanten Prozesse eine gemeinsame Grundlage. Bei dem vorgestellten Prozess Framework werden drei Arten von Prozessen unterschieden:
Die Kernprozesse (Core Process) dienen der unmittelbaren Aufgabenerfüllung des Einkaufs. Sie umfassen die operativen Einkaufskernprozesse (Fulfillment), beispielsweise die Bestellauslösung und -verfolgung, aber auch die strategischen Kernprozesse (Sourcing), d.h. die Fragen „was kaufen wir ein, von wem und zu welchen Konditionen.“ Zu den Kernprozessen gehört auch das Lieferantenmanagement (Supplier Management).
Zu einer professionellen Erfüllung der Kernprozesse sind unterstützende Prozesse notwendig (Support Process). Hierzu gehört das zielgerichtete Controlling der Einkaufsleistung (Performance Management), wie das Rekrutieren und Entwickeln der Einkaufsmitarbeiter (Human Resources Management). Schließlich zählt hierzu das Bereitstellen der notwendigen Infrastruktur (Infrastructure Management), beispielsweise in Form von IT-Systemen.
Je größer und komplexer die Einkaufsorganisation, um so wichtiger ist die strategische Ausrichtung und Abstimmung (Direction Setting). Dies betrifft sowohl Organisation und Prozesse als auch aufeinander abgestimmte Tools und gemeinsame Methoden, z.B. bei der Lieferantenbeurteilung. Diese koordinierenden Prozesse stellen sicher, dass die oben angesprochene Realisierung von Einkaufssynergien gelingt, trotz organisatorischer Dezentralisierung insbesondere der Kernprozesse.
Wie aus Abbildung 1 hervorgeht, wird jeder der sieben Hauptprozesse noch einmal detailliert, so dass das Prozess-Framework insgesamt 21 Teilprozesse umfasst. So besteht z.B. der Hauptprozess „Supplier Management“ aus den Teilprozessen „Lieferantenqualifikation“, „Lieferantenbewertung“ sowie „Lieferantenentwicklung“. Wie das Beispiel Supplier Management zeigt, sind andere Zerlegungen in Teilprozesse denkbar. Solange jedoch die Teilprozesse inhaltlich überschneidungsfrei und vollständig sind, ist eine gröbere oder feinere Zerlegung für die Arbeit mit dem Framework nicht erfolgskritisch.
Wichtig ist: Das Prozess-Framework stellt einen gemeinsamen Bezugsrahmen dar. Indem es auf eine relativ unkritische Frage fokussiert „Was ist zu tun?“, ist eine gruppen-, standort- oder divisionsübergreifende Verständigung auf ein einheitliches Framework und seine Teilprozesse erfahrungsgemäss relativ unproblematisch. Einmal von allen beschlossen, ist das Framework ein sehr hilfreiches Tool. Auf dieser gemeinsamen Grundlage können weitergehende Einkaufsfragen „Von wem?“ im Sinne von Organisation und Personen und „Wie?“ in Sinne von Prozessen und Methoden systematisch adressiert werden.
Programm Management: Operative Steuerung divisionsübergreifender Aktivitäten
Je größer und verteilter die Einkaufsorganisation, desto größer ist die Gefahr, dass in unterschiedlichen Organisationseinheiten nebeneinander an Projekten mit den gleichen oder angrenzenden Themenstellungen gearbeitet wird. Im günstigsten Fall sind diese Aktivitäten lediglich redundant, d.h. es werden Personal- und Finanzressourcen verschwendet. Im ungünstigeren, leider häufigeren Fall verfolgen die verschiedenen Projekte unterschiedliche Ansätze und Zielstellungen. Oft führt dies zu Lösungen, die sich widersprechen oder nur schwer zu harmonisieren sind.
Beispiel: In einem global agierenden Unternehmen gibt es noch keine einheitliche Lieferantenbeurteilung. Das Problem ist an verschiedenen Stellen des Einkaufs erkannt und wird nun unabhängig voneinander an verschiedenen Stellen des weit verzweigten Konzerns angegangen. Verkompliziert wird die fehlende Transparenz dieser, alle den gleichen Teilprozess „Lieferantenbeurteilung“ adressierenden Projekte dadurch, dass sie unterschiedliche Ansätze verfolgen und keine unmittelbar einander zuzuordnende Projektbezeichnung haben:
Während in diesem Beispiel zwei Projekte stärker IT-getrieben sind (z.B. „Einführung eines Supplier Relationship Managements von IT-Anbieter X bei Organisationseinheit A“ und „Implementierung Sourcing Intelligence von IT-Anbieter Y im Land B“), bearbeiten zwei andere Projekte das Thema unter stärker prozessbezogenen Sichtweisen (z.B. als Gesamtpaket „Supplier Management in Division C“ und mit engerem Fokus in einer anderen Division „Pilot Lieferantenbeurteilung am Standort D“). So ist zu erwarten, dass in den verschiedenen Organisationsbereichen unterschiedliche Lieferantenbeurteilungsprozesse entwickelt werden, die wiederum von nicht miteinander kompatiblen IT-Systemen unterstützt werden. Trotz großer Anstrengungen und Investitionen kommt der Gesamtkonzern einer gemeinsamen Lieferantenbeurteilung kein Stück näher.
Grund für fehlende Synchronisierung ist die fehlende Transparenz aller Projekte des Gesamtunternehmens: „Wo läuft welches Projekt und welche einkaufsrelevanten Prozesse werden dabei adressiert?“ Um solche Fehlentwicklungen zu verhindern, gibt es in großen Unternehmen eine zentrale Einkaufsfunktion zur Steuerung und Koordination der dezentralen Einkaufsaktivitäten (z.B. „Zentraleinkauf“, „Einkaufskoordination“ usw.). Hierzu kann das Prozess-Framework eine große Hilfe sein: Sämtliche Projekte und Aktivitäten mit divisionsübergreifender Bedeutung werden gesammelt und innerhalb des Prozess-Frameworks eingeordnet. Je nach Umfang kann ein Projekt einen oder mehrere Teilprozesse, in manchen Fällen sogar ganze Hauptprozesse adressieren. Sehr schnell und optisch einprägsam können mit dieser Darstellung bisherige inhaltliche Aktivitätsschwerpunkte und -defizite identifiziert werden.
Wenn verschiedene Projekte den gleichen (Teil-)Prozess adressieren und sie deshalb im Prozess-Framework bei diesem (Teil-) Prozess eingeordnet werden, können vorhandene Redundanzen im Projektumfang bereinigt und unterschiedliche Lösungsansätze ggf. harmonisiert werden (s. Abbildung 2). Aus der graphischen Darstellung werden Projektzusammenhänge erkannt, so dass es möglich ist, Querverbindungen und Konsequenzen auf andere Projekte zu prüfen. Bevor an verschiedenen Stellen immer neue Projekte aufgesetzt werden, findet zunächst eine Überprüfung statt: Inwieweit decken die zu diesen Prozessen bereits laufenden Projekte den potenziellen Projektauftrag bereits ab, bzw. können sie diesen zusätzlich mit aufnehmen? So sind durch das Prozess-Framework in Verbindung mit dem Programmanagements enorme Synergie- bzw. Effizienzpotenziale zu realisieren.
In einer dezentralisierten Einkaufsorganisation sind mit einem Bonussystem gekoppelte Zielvereinbarungen für die Mitarbeiter wichtige Instrumente zur Steuerung der Einkaufsaktivitäten. Eine zentrale Einkaufskoordination kann damit indirekt auch diejenigen Einkaufsaktivitäten steuern, die von den Divisionen selbstständig durchgeführt werden. Bei der Anzahl der zu vereinbarenden Zielgrößen wird das Wirtschaftlichkeitsprinzip verfolgt: So viele wie nötig, so wenige wie möglich. Auch hier kann das Prozess-Framework wichtige Hilfestellungen liefern: Analog zu den Projekten kann jede Zielgröße einem bestimmten Haupt- oder Teilprozess zugeordnet werden. Redundante, d.h. den gleichen Prozess adressierende Zielgrößen können so vermieden werden.
Zielmanagement: Strategische Steuerung aller Einkaufsaktivitäten
Bei der Einführung eines Zielmanagements im Einkauf ist ein denkbares Szenario, zunächst mit einigen wenigen Schwerpunkten, z.B. auf Hauptprozessebene zu beginnen. Dieses Zielsystem kann in der Folgezeit sukzessive ausgebaut und ggf. bis auf Teilprozessebene verfeinert werden. Selbstverständlich ist dafür die inhaltliche Diskussion der Ziele mit Hilfe des Frameworks allein nicht ausreichend. Gleichzeitig ist für jede Zielgröße zu klären, inwieweit der momentane Status und der Zielerreichungsgrad mit vorhandenen oder zu schaffenden IT-Lösungen transparent gemacht werden kann.
Performance Management
Während die Einkaufsziele auf einige wenige Schwerpunkte fokussieren, hat das Performance Management die Aufgabe, den Leistungsstand und -verlauf des Einkaufs möglichst umfassend abzubilden. Das Prozess-Framework mit seiner umfassenden Darstellung aller einkaufsrelevanten Prozesse ist hier eine ideale Orientierungshilfe. Statt dem Top-down-Ansatz vieler erfolgloser Balanced-Scorecard-Projekte zu folgen, kann mit dem Framework „Bottom up“ ein aussagefähiges Kennzahlensystem zusammengestellt werden: Für jeden einzelnen Haupt- oder Teilprozess können unternehmensspezifische Key Performance Indicators (KPIs) definiert werden, die den Leistungsstand des jeweiligen Prozesses beschreiben.
Auch hier hat sich bewährt: Zunächst mit dem Controlling der KPIs einiger wichtiger Kernprozesse beginnen, um dann sukzessive noch vorhandene Lücken mit weiteren Prozessen und deren KPIs zu schließen. Ein weiterer interessanter Anwendungsfall des Frameworks besteht darin, systematisch für jeden (Teil-)Prozess interne und externe Best-Practice-Erfahrungen zu sammeln und zu dokumentieren, um diese dann intern kommunizieren, austauschen und etablieren zu können.
Zielkongruenz: Haben wir die richtigen Projekte, um unsere Ziele zu erreichen?
Bei den bisher besprochenen Anwendungen hat man nur mit einem Framework-Dokument und den dort eingeordneten Projekten, Zielen oder KPIs gearbeitet. Daneben kann auch die Verknüpfung der einzelnen Fragestellungen interessant sein. So ist für jeden Manager die Frage wichtig: Haben wir die richtigen Projekte, um unsere eigenen Ziele zu erreichen, bzw. welche Projekte wären dazu besonders geeignet? Hier hilft das Framework durch einen einfachen Vergleich: Sowohl die eigenen Ziele als auch die laufenden Projekte bzw. Aktivitäten werden jeweils getrennt in das Prozess-Framework eingeordnet.
Durch Vergleich der beiden Dokumente „Ziele im Framework“ vs. „Projekte im Framework“ erhält man eine optisch klare Darstellung, inwieweit die eigenen Ziele von den momentanen Projekten adressiert werden. Wenn sich beispielsweise die Projekte und Aktivitäten im Framework schwerpunktmäßig in anderen Bereichen befinden als die eigenen Ziele, sollte diskutiert werden, wie man die Projekte besser mit den eigenen Zielen zur Deckung bringt. Dies kann geschehen, indem die Ziele neu festgelegt und angepasst und/oder neue Aktivitäten zu den (Teil-)Prozessen angestoßen werden, wo den eigenen Zielen laut Framework heute noch keine Projekte gegenüber stehen.
Projekt Controlling: Haben unsere Projekte messbaren Einfluss auf unsere Performance?
Eine weitere wichtige Frage, zu deren Beantwortung das Prozess-Framework Orientierung bieten kann, ist die zentrale Frage eines jeden Projekts nach dem Erfolg. Indem Projekte und Aktivitäten bestimmte Einkaufsprozesse adressieren, sollten sie einen positiven Einfluss auf die KPIs genau dieser Prozesse haben. Idealerweise wird diese Auswirkung bereits in der Projektdefinition untersucht und als Projektziel dokumentiert: Das Projekt wird wie beim Programm Management im Framework bei dem von ihm adressierten Prozess eingeordnet. Die diesem Prozess zugeordneten KPIs sind dann die natürlichen Kandidaten für diejenigen Kenngrößen, mit denen von der Projektdefinition über die Projektdurchführung bis zur abschließenden Erfolgsanalyse im Sinne eines Projekt Controllings gearbeitet wird. So können anhand dieser von Anfang an geplanten KPI-Entwicklung im Projektverlauf bereits während der Projektdurchführung Planabweichungen erkannt und korrigierende Maßnahmen frühzeitig eingeleitet werden.
Fazit
Wie in jeder Managementfunktion, so sind auch im Einkauf eigene Ziele durch geeignete Aktivitäten zu erfüllen (s. Zielkongruenz) sowie Ziele für andere Organisationseinheiten zu formulieren (s. Zielmanagement). Alle Einkaufsprojekte sollten in ihrer Gesamtheit optimal aufeinander abgestimmt sein (s. Programmmanagement) und ihre Durchführung jeweils professionell gesteuert werden (s. Projekt Controlling). Die dabei erzielten Ergebnisse und Erfahrungen sollten systematisch ausgewertet, geordnet und miteinander verknüpft werden (s. Performance Management). Was sich hier wie eine einzige, aufeinander aufbauende und miteinander verzahnte Prozesskette liest, sind in der Einkaufspraxis vieler Unternehmen isolierte, nicht aufeinander abgestimmte Einzelprozesse.
Dass diese Prozesse in großen Unternehmen organisationsübergreifend und vielfältig sind, macht eine abgestimmte Steuerung nicht einfacher. Die in den einzelnen Organisationseinheiten im Detail spezifisch ausgeprägten Einkaufsprozesse und -methoden in langwierigen Projekten zu harmonisieren, ist wenig erfolgversprechend. Demgegenüber bietet das Prozess-Framework für die Steuerung dezentraler Einkaufsorganisationen als gemeinsamer Überbau ein pragmatisches und transparentes Werkzeug, mit dem sich alle Einkaufsaktivitäten steuern und aufeinander abstimmen lassen. Ein ähnliches Framework wird für das Programmmanagement im Einkauf eines internationalen Großunternehmens bereits erfolgreich angewendet. Die Verwendung des Frameworks in weiteren Anwendungen wird dort diskutiert und geprüft.
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