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Strom aus den Alpen

Regenerative Energie
Strom aus den Alpen

Regenerative Energien gewinnen gerade in Deutschland an Bedeutung. Meist denkt man dabei an Windkrafträder und Photovoltaikanlagen. Doch eine Art der Stromgewinnung spielt bereits seit etlichen Jahrzehnten weltweit eine große Rolle: Die Wasserkraft. Das 1924 in Betrieb genommene Walchenseekraftwerk ist mit einer Ausbauleistung von 124 Megawatt auch heute noch eines der größten Speicherkraftwerke in Deutschland.

Eine Schaltanlage mit zwei großen Strommasten steht vor der Motorenhalle des Kraftwerks. Es ist ein Gemisch aus brummenden Motorgeräuschen und in der Ferne rauschendem Wasser zu hören. Je mehr man sich der über 100 m langen Maschinenhalle nähert, desto stärker nimmt man das Brummen der Turbinen und Generatoren wahr. Befindet man sich dann in der Halle, steigt der Lärmpegel rapide an. Hier laufen unüberhörbar acht Turbinen, die jeweils mit Generatoren gekoppelt sind. Die Turbinen haben eine Gesamtleistung von 31 MW. Diese erzeugen u. a. Strom für den Zugbetrieb der Deutschen Bahn. Fährt im Hauptbahnhof München ein Zug an, kommt der Strom hierfür meist aus dem Walchenseekraftwerk.

Eine Modernisierung der Maschinen sei kein Thema meint Heiko Storz, Infobetreuer am Kraftwerk. Die Francis- und Peltonturbinen werden kontinuierlich gewartet. Sie haben einen Wirkungsgrad von etwa 85 bis 87 Prozent. So werden lediglich Schäden repariert, wie Ende der 1980er Jahre, als feine Haarrisse an einigen Rädern der Francis-Turbinen festgestellt wurden.
Im Jahre 1924 setzte der Ingenieur und Mitglied des Reichsrats der Krone Oskar von Miller nach knapp fünfjähriger Bauzeit des Walchenseekraftwerks seine Vision, Bayern und die bayrischen Bahnen zu elektrifizieren, um. Das seit 1983 geschützte Industriedenkmal und ehemals größte Wasserkraftwerk der Welt erzeugt jährlich ca. 300 Millionen Kilowattstunden umweltfreundlichen Strom, davon gehen etwa zwei Drittel als Drehstrom in das 110-Kilovolt-Stromnetz und ein Drittel als Einphasenstrom an die Deutsche Bahn.
Der Strom nimmt seinen Weg von den Generatoren zu den Transformatoren. Hier wird die Spannung – von der Generatorspannung, die 6,6 Kilovolt beträgt, auf die Netzspannung von 110 Kilovolt – transformiert. Über die Sammelschienen in der Schaltanlage wird der Strom dann in die Freileitungen des Netzes eingespeist. Mit Leistungsschaltern kann hier der Energiefluss ein-, aus- oder umgeschaltet werden.
Verlässt man die Maschinenhalle und geht ein paar Meter weiter, ragen die markanten Druckrohre des Kraftwerks den nebelverhangenen Kesselberg hinauf. Bei klarer Witterung wären von den insgesamt 400 Metern Rohrlänge 175 Meter sichtbar. In sechs gewaltigen Rohrbahnen strömt das Wasser aus dem Ausgleichsbecken des Wasserschlosses – einem riesigen Wasserbecken, das Druckschwankungen ausgleicht, die entstehen, wenn die Turbinen angefahren, geregelt oder plötzlich abgestellt werden – ins sogenannte Krafthaus. Bei dem Vorgang des Druckausgleichs hebt oder senkt sich der Wasserspiegel in dem 10 000 Kubikmeter fassenden Becken des Wasserschlosses. Die Rohre sind für einen Druck von 28 bar ausgelegt. Das entspricht etwa dem zehnfachen Reifendruck eines Pkw. Sie haben oben eine lichte Weite von 2,25 Metern und unten einen Durchmesser von 1,85 Metern. Das Innere der festgemauerten Rohre ist rostfrei. Die Wandstärke der Rohre beträgt am Wasserschloss zehn Millimeter und am Kraftwerkseinlauf 27 Millimeter.
Um Strom zu gewinnen werden die 200 Meter Höhenunterschied zwischen Walchensee und Kochelsee genutzt. Um den Walchensee dauerhaft als Energiespeicher zu nutzen, muss ihm Wasser zugeführt werden. Das Kraftwerk nutzt aber nicht einfach ein Geschenk der Natur, da die Zuflüsse des Gebirgssees nie ausreichten, um das Kraftwerk zu betreiben. Das Walchenseekraftwerk ist eher der Knotenpunkt eines weiträumigen Systems von Um- und Überleitungen, Wehren, Kanälen, Stollen und Laufkraftwerken. Diesem System wurde unter anderem der Rißbach als frei fließender Gebigsbach geopfert. Die 1924 in Betrieb gegangene Isarüberleitung und die 1950 hinzugebaute Überleitung des Rißbachs schaffen die nötigen Wassermengen in den See. Das Wasser wird zunächst am Isarwehr bei Krün aufgestaut. Dort fließt ein Teil des Isarwassers über ein Kanal- und Stollensystem in den Walchensee. Dabei werden die übergeleiteten Wassermengen von Isar und Rißbach bereits vor dem Walchensee in den Kraftwerken Niedernach und Obernach zur regenerativen Stromerzeugung genutzt. Im Mittelpunkt des Kraftwerksystems stehen das Einlaufbauwerk bei Urfeld, der Stollen zum Wasserschloss, die weithin sichtbaren Rohrbahnen am Kesselberg sowie das Walchenseekraftwerk am Kochelsee mit seinen acht Turbinen.
Über das Einlaufbauwerk Urfeld strömt das Wasser in einen 1200 m langen Stollen, dessen Sohle zehn Meter unter dem normalen Seespiegel liegt und der im Wasserschloss mündet. Von dort strömt das Wasser schließlich durch die Druckrohre zu den Turbinen im Krafthaus. Sie treiben die Generatoren zur Stromerzeugung an. Nachdem das Wasser über die Laufräder der Turbinen geführt und die potenzielle Energie des Wassers in die Drehbewegung der Turbinen umgesetzt wurde, fließt das Wasser durch einen kurzen Kanal in den Kochelsee. Hier ist es wieder zu hören, das Rauschen, das anfänglich aus der Ferne kam. Nun ist es ganz nah und dementsprechend laut. Und plötzlich ist auch das laute Brummen der Turbinen wieder zu hören. „Die gehen immer an, wenn Wasser nachgepumpt werden muss, damit die beiden Seen einen gleich hohen Wasserspiegel haben“, sagt Storz.
Der Walchensee ist mit 190 Metern einer der tiefsten und mit 16,4 km2 einer der größten Alpenseen Deutschlands. Der Wasserspiegel des Kochelsees wird durch zwei Schleusen reguliert. Ohne diese würde das tiefer gelegene Gewässer aufgrund seiner mit 5,95 km2 eher geringen Fläche bei Hochwasser schnell überlaufen. Das Problem der Versandung bei Wasserkraftwerken existiert beim Walchenseekraftwerk nicht. Dabei setzt sich im ruhigen Wasser der Stauseen das Sediment ab, das jeder Fluss mit sich führt. Dieses reduziert das Stauvolumen – bis der Damm das Hochwasser nicht mehr bändigen kann und seinen Sinn verliert. Da beim Walchenseekraftwerk bei Hochwasser eine Schleuse geöffnet wird, bleibt das Sediment hier nicht im See, sondern fließt weiter in den Fluss.
Gemessen an der Leistung von Wärmekraftwerken ist die Stromerzeugung des Walchenseekraftwerks zwar eher bescheiden. Dennoch hat es eine ganz erhebliche Bedeutung als Erzeuger wertvollen Spitzenstroms. Der Strombedarf schwankt im Laufe des Tages sehr stark. Weil sich elektrische Energie nicht speichern lässt, sondern immer in dem Augenblick erzeugt werden muss, in dem sie gebraucht wird, gleicht man wechselnden Bedarf durch Zu- oder Abschalten von Kraftwerken aus. Dies ist u.a. Aufgabe der zentralen Lastverteilung des Bayernwerkes in Karlsfeld bei München.
„Ein Spitzenlastkraftwerk wie dieses am Walchensee eignet sich auch hervorragend, um kurzfristige Bedarfe wie etwa zur Halbzeit eines Deutschland-Spiels zur Fußball-WM zu decken“, erklärt Storz. Das Kraftwerk deckt insgesamt 16 Prozent des bayrischen Strombedarfs.
Regenerative Energie steht derzeit auch im Südschwarzwald thematisch im Mittelpunkt. Im Hotzenwald soll ein Speicherkraftwerk für Windenergie entstehen. In zehn Jahren soll das oberhalb von Bad Säckingen zwischen Basel und Konstanz gelegene Haselbachtal komplett geflutet sein. Gut zehn Kilometer entfernt, hoch im Bergmassiv, wird ein zweiter Kunstsee entstehen. Die Spitze des 1020 Meter hohen Abhaus muss dafür gesprengt, das Geröll zu einem Ringdamm aufgeschichtet und betoniert werden. Die Sprengungen und Lkw-Kolonnen gefährden die Ökologie und den Tourismus argumentieren Projektgegner und Umweltschützer. Sie würden das Speicherkraftwerk gern nach Norwegen verlagern, obwohl dort ebenfalls gegen die Naturzerstörung durch Energietechnik protestiert wird. Die Gegner befürchten, dass die Gegend gleich hinter der Schweizer Grenze zur „Energielandschaft“ verkommt. Doch einen besseren Standort kennen auch sie nicht. Derzeit sorgt ein System aus 14 Staubecken und fünf Kraftwerken für ein Viertel der deutschen Pumpspeicherwerksleistung. Der geplante Neubau würde diese Kapazität fast verdoppeln. Für die sichere Stromversorgung sind solche Pumpspeicherkraftwerke unverzichtbar.
Somit findet ein Konflikt „Öko gegen Öko“ statt. 1997 hatte sich der Thüringer BUND mit 3,5 Millionen Euro für eine Umweltstiftung zur Rücknahme seiner bereits eingereichten Klage gegen den Bau von Deutschlands derzeit größtem und in den letzten dreißig Jahren auch einzigem neu gebauten Pumpspeicherwerk Goldisthal bewegen lassen. Das geplante Schluchseewerk im Hotzenwald dürfte für den Betreiber, die Schluchseewerk AG – Anteilseigner RWE (50 Prozent), EnBW (37,5 Prozent) sowie den EnBW-Töchtern Energiedienst AG (7,5 Prozent) und der Energiedienst Holding (5 Prozent) – deutlich teurer werden. Allerdings werden es die Gegner des Pumpspeicherwerks schwer haben dessen Bau zu verhindern. Regenerative Energie hat nach wie vor eine bedeutende Rolle im Energiemix Deutschlands.
Quellen: E.ON, Zeit.de, Wikipedia, Fes-muenchen.de, Sueddeutsche.de
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