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Vertrag kommt von vertragen

Einkaufsrecht
Vertrag kommt von vertragen

Oft enden Beziehungen im Streit. Auch Lieferantenbeziehungen. Verträge sollen das Schlimmste verhindern. Unser Autor Ralph Schuhmann erläutert in diesem Beitrag, was Verträge eigentlich bewirken und wie sie funktionieren. So könnten Einkäufer den Nutzen eines Vertrages optimieren.

Wozu Verträge? Zwei Sprichworte kennzeichnen die Einstellung der Wirtschaft zum Vertrag: „Vertrag kommt von vertragen“ und „Ein guter Vertrag kann in der Schublade verschwinden“. Sie bringen zum Ausdruck, dass für den Erfolg einer Transaktion das Verhältnis der Vertragspartner wichtig ist, und dass, wenn dieses gestört ist, der Vertrag auch nicht hilft. Tatsächlich zeigen empirische Untersuchungen, dass Manager den Verträgen nur eine geringe praktische Bedeutung beimessen. Ursächlich hierfür ist ein traditionelles Verständnis, das den Vertrag als Instrument zur Durchsetzung von Ansprüchen mittels staatlichen Zwangs, also insbesondere unter Zuhilfenahme der Gerichte sieht.

Da Unternehmen untereinander von dieser Möglichkeit nur selten Gebrauch machen, kann es nicht verwundern, dass der Vertrag ein Schattendasein als Ultima Ratio führt. Die Funktionen eines Vertrages
  • (1) Klärung
  • (2) Risikoallokation
  • (3) Erzwingbarkeit
  • (4) Kontrolle
  • (5) Kommunikation
  • (6) Kooperation
entsprechen einem solch traditionellen Bild des Vertrages, der auf die Beurteilung durch eine externe Institution (Richter, Schiedsrichter) angelegt ist.
Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sehen den Vertrag hingegen als entscheidend für den Erfolg einer Transaktion. Sie stellen die Funktionen 4 bis 6 in den Vordergrund, die auf das Binnenverhältnis der Vertragsparteien abzielen: So transportiert ein interner Mustervertrag die Unternehmenskultur des Erstellers; der Vertragsentwurf gibt Auskunft über das vorhandene Vertrauen in den Vertragspartner, die Kooperationsbereitschaft und den Willen zu einer sachgerechten Risikoverteilung, zudem katalysiert und lenkt er die Kommunikation im Rahmen der Verhandlungen; der abgeschlossene Vertrag schließlich entscheidet über eine funktionierende Kommunikation und Kooperation und somit für die Steuerungsfähigkeit der Transaktion.
Die Regelungskapazität von Verträgen: In welchem Umfang der Vertrag als Steuerungsinstrument wirken kann, hängt unter anderem von der Art der Transaktion ab. Ist sie, wie bei einfachen Beschaffungsmaßnahmen, kurzfristig angelegt, das Produkt bekannt und die Umweltbedingungen überschaubar, lässt sich das Pflichtenprogramm im Vertrag abschließend beschreiben; die Praxis spricht von einem „wasserdichten“, die Wissenschaft von einem „vollständigen“ Vertrag. Je komplexer die Transaktion, je weiter sie sich in die Zukunft erstreckt, desto weniger sind alle Eventualitäten voraussehbar und fixierbar, wodurch der Vertrag zwangsläufig unvollständig wird. Zum Beispiel weisen beim Kauf von Sondermaschinen und Anlagen die Verträge bewusst Regelungslücken oder sehr allgemein gehaltene Pflichten auf, um die erforderliche vertragliche Flexibilität zu gewährleisten.
Erzwingbar ist die Kooperation des Vertragspartners hier nur noch unter erheblichen juristischen Risiken. Strategische Beziehungen schließlich, wie sie FuE- oder Zusammenarbeitsvereinbarungen abbilden, lassen sich kaum noch auf eine externe Durchsetzbarkeit anlegen. Die Verträge geben hier nur einen allgemeinen Regelungsrahmen und eine Steuerung ist allenfalls durch außerrechtliche Instrumente möglich; man spricht von relationalen Verträgen. Gleichwohl besteht in der Praxis die irrige Vorstellung, „wasserdichte“ Verträge ließen sich für alle Transaktionsarten schaffen.
Vertragslücken. Je unsicherer das Kommende, desto unvollständiger ist der Vertrag und desto mehr spielt sich das Parteiverhalten außerhalb des Vertrages ab. Damit entsteht Raum für opportunistisches Verhalten, das die Interessen des Vertragspartners gefährdet. Dies heißt nun nicht, dass die Vorgänge in einem Regelungsvakuum stattfinden. Zum einen existieren neben den rechtlich erzwingbaren Bestimmungen informelle Normen, die eine gewisse Bindungswirkung entfalten: Loyalität, Branchengepflogenheiten, Image etc. Allerdings ist eine Steuerung in diesem Bereich, wenn überhaupt, nur sehr begrenzt möglich und empirisch kaum erforscht. Zum anderen haben zwei Ansätze Eingang in die Praxis gefunden, um opportunistisches Verhalten zu reduzieren: durch verstärkte Reglementierung und Kontrolle, wie es die Principal-Agent-Theorie propagiert, oder durch Vertrauen.
Letzteres kann freilich nicht als gegeben vorausgesetzt, sondern muss aktiv und systematisch verstärkt und gepflegt werden. Die Relational-Contract-Theorie hat mit dem Partnering und dem Alliancing zwei Modelle für ein derartiges vertrauenszentriertes Beziehungsmanagement entwickelt (vgl. Grafik 1, Quelle: R. Schuhmann, 2012).
In der deutschen Wirtschaft basieren die Parteibeziehungen meist auf einer misstrau-ischen, mitunter sogar auf einer gegnerschaftlichen Einstellung, was sich zwangsläufig in den Verträgen niederschlägt. Ist eine Parteibeziehung partnerschaftlich angelegt, kann folglich nicht mit einem traditionellen Vertragsdesign gearbeitet werden.
Kooperationserwartung und Vertragsdesign: Relationale Normen wirken nicht nur in den Regelungsfreiräumen, sondern auch parallel zu den formalen Vertragsbestimmungen. Welche Effekte dies hat, ist nach wie vor ungeklärt. Einerseits gibt es Hinweise, dass formale und relationale Regelungen nebeneinander funktionieren können, andererseits zeigen Studien, dass sie sich in ihrer Wirkung mitunter überlagern. So kann der Wunsch nach einem sehr umfassenden Vertrag leicht als Zeichen von Misstrauen gewertet werden. Ungeklärt ist auch, welche Wechselwirkungen zwischen vertrauens- und kontrollzentrierten Vertragsbestimmungen bestehen. Eine Studie zu FuE-Kooperationen zeigt, dass innerhalb desselben Vertrages die bestandssichernden, auf Kontrolle basierenden Bestimmungen die kooperationsbezogenen nicht beeinflussen. Gleichwohl können stark hierarchisch angelegte Verträge mit einer Vielzahl einseitiger Eingriffsrechte negativ auf die Vertrauensbasis einwirken und eine partnerschaftliche Lieferbeziehung konterkarieren. Es dürfte eine der wesentlichen Aufgaben des Einkäufers sein, abzuschätzen, ob sich eine Vertragsbestimmung jenseits ihres sachlichen Regelungsgehalts negativ auf die Parteibeziehungen auswirken kann.
Verträge wirken nicht immer gleich: Es ist wissenschaftlich gesichert, dass eine auf Vertrauen basierende Zusammenarbeit effektiver ist als eine, die durch Misstrauen und Kontrolle geprägt ist. Freilich spricht dies nicht generell für ein partnerschaftliches Vertragskonzept. Da Verträge unter unterschiedlichen Bedingungen unterschiedliche Wirkungen entfalten, muss die Art des Vertrages zu der konkret betrachteten Parteibeziehung passen. So wird die traditionell misstrauische, oft sogar gegnerschaftliche Einstellung in der deutschen Bauindustrie als Grund dafür gesehen, warum die auf Vertrauen basierenden GMP-Verträge eher schlechte Ergebnisse gebracht haben.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Relevanz des Vertrages für die Parteibeziehung nicht konstant ist. Vieles deutet darauf hin, dass sie sich im Verlauf von komplexeren Transaktionen ändert: Während der formale Vertrag zu Beginn eine stärkere Bindungswirkung erzeugt, tritt diese im Verlauf der Abwicklung immer mehr hinter informelle Kooperationsmechanismen zurück. Für länger bestehende Parteibeziehungen gilt wiederum, dass Verträge mit generischen Regelungen zunehmend durch solche mit konkreten Bestimmungen ersetzt werden.
Gestaltungsbedarf versus Musterzwang: Bei der Beschaffung bedeutsamer oder komplexer Leistungen wird der Vertrag keineswegs nur für die Schublade gemacht. Die Wahrscheinlichkeit, dass er in Situationen unvorhergesehenen Handlungsbedarfs benötigt wird, um in die Interessen des Vertragspartners einzugreifen, ist hoch. Von Nutzen kann er dann nur sein, wenn sein Design der spezifischen Art der Parteibeziehung entspricht. Dies führt den Einkäufer in ein Dilemma, denn Standardverträge lassen sich zwar im Detail, nicht jedoch in ihrer Grundaussage zur Zusammenarbeit umrüsten. Hier muss also gegebenenfalls auf einen anderen Mustervertrag ausgewichen werden. Wenn dies nicht möglich ist, bleibt nur, die widersprechenden Signale des Vertrages durch ein intensives Beziehungsmanagement zu korrigieren – und ihn in der Tat in der Schublade zu lassen (vgl. Grafik 2, Quelle: R. Schuhmann, 2012).
Je geringer die Regelungskapazität des Vertrages und je höher die Konfliktträchtigkeit der Transaktion ist, umso wichtiger wird somit das Beziehungsmanagement. Denn auch wenn vertragen nicht von Vertrag kommt, von alleine kommt es jedenfalls auch nicht.
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