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Nachhaltigkeit und Menschenrechte im Fokus

Interview zu Nachhaltigkeits- und Menschenrechtsfragen
Am Ende geht es um einen Interessenausgleich

Markus Löning war Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung und unterstützt Unternehmen beim Aufbau menschenrechtlicher Sorgfaltsprozesse. Das Lieferkettengesetz habe im Einkauf einen Schalter umgelegt, sagt er im Gespräch. Deutsche Firmen sieht er durch das frühe Gesetz im Vorteil.

Das Gespräch führte Annette Mühlberger, Journalistin, Stuttgart.

Beschaffung aktuell: Herr Löning, seit neun Jahren beraten Sie Unternehmen beim Aufbau menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten. Inwiefern hat sich der Blick auf die Lieferketten in dieser Zeit verändert?

Markus Löning: Die ersten, die sich der Einhaltung der Menschenrechte in den Lieferketten angenommen haben, waren jene Unternehmen, die aufgrund schlechter Arbeitsbedingungen bei Lieferanten oder Vorlieferanten in der Presse standen. Das waren Markenunternehmen, die daraus ihre Lehren gezogen haben. Sie waren die ersten Treiber. Mit dem Beginn der Diskussion um das Lieferkettengesetz haben weitere Firmen begonnen sich mit Menschrechtsthemen zu beschäftigen. Die, die vorher schon etwas gemacht hatten, systematisierten ihre Maßnahmen. Anderen wurde bewusst, dass sie eine Steuerung, einen Verantwortlichen und Ressourcen brauchen.

Mittlerweile steigt auch der Druck aus dem Finanzbereich.

Löning: Exakt, aber das wird in der öffentlichen Wahrnehmung gar nicht im gleichen Umfang diskutiert. Seit zwei, drei Jahren kommen Nachfragen von Banken, von Anteilseignern, von Familienstiftungen. Das gibt dem Ganzen nochmal eine andere Dynamik, weil die Geschäftsführung, CEO und CFO involviert sind. Es geht um Geld, um Kreditkonditionen im Zusammenhang mit ESG.

Spielt dem Einkauf die Aufmerksamkeit in die Hände?

Löning: Der Einkauf wusste zunächst nicht, wie er das Thema umsetzen sollte. Es gab viele Bedenken, dass das Lieferkettengesetz die Arbeit im Einkauf schwieriger macht. Das ist auch zunächst einmal richtig. Denn es kommt eine weitere Schicht an Bedingungen im Verhältnis zu den Lieferanten dazu. Inzwischen ist der Einkauf ein gutes Stück weiter. Es hat viele Schulungen gegeben. Allen ist klar: Nachhaltigkeit ist für das Kerngeschäft, für die Geschäftsstrategie mitentscheidend.

Der Einkauf betrachtete die Lieferketten stets von innen nach außen. Gab es ein Perspektivwechsel?

Löning: Es gab einen Perspektiv- und einen Strategiewechsel. Der Perspektivwechsel ist, dass man nicht mehr an das Risiko für das Unternehmen, sondern an das Risiko für den Menschen in der Lieferkette denkt. Das ist für manchen herausfordernd. Letzten Endes ist es aber so, dass wenn es ein Risiko für die Menschen auf dem Schiff, die Fahrer in den Lkws oder die Arbeiter in den Fabriken gibt, dies auch ein Risiko fürs Geschäft ist. Diese Verknüpfung findet inzwischen statt. Was sich außerdem verändert, ist die Perspektive der Zusammenarbeit. Es geht ja nicht nur um Kontrolle, sondern auch darum, wie wir die Risiken verteilen. Wer hat welche Verantwortung? Wie bekomme ich den Lieferanten dazu, dass es für ihn attraktiv ist Nachhaltigkeitsstandards einzuhalten? Wie muss die Beziehung, müssen die Verträge aussehen?

Wie wird das Einhalten sozialer Standards für die Vorstufen attraktiver?

Löning: Durch verlässliche Beziehungen. Bei Einmalgeschäften ist der ökonomische Anreiz etwas zu verändern gering und der Anreiz sich irgendwo ein Zertifikat zu besorgen hoch. Habe ich eine feste, lukrative Beziehung, ist das anders. Genau an diesem Punkt werden gerade sehr viele Modelle ausprobiert. Es gibt noch keinen goldenen Weg. Aber das Denken verändert sich und die Frage, wie wir unsere Lieferbeziehungen künftig gestalten, damit sie erfolgreich sind.

Werden die Lieferketten kürzer?

Löning: Es wird der ein oder andere Agent wegfallen, wenn Unternehmen eine direkte Beziehung zur letzten Fertigungsstufe wollen. Auf jeden Fall wird es aufgrund der vielen Daten, die jetzt aggregiert werden, deutlich mehr Transparenz geben. Und eine Tendenz sich auf weniger Lieferanten zu konzentrieren und die Beziehung für beide Seiten verlässlicher zu machen.

Der Einkauf versucht Lieferbeziehungen durch Selbstauskünfte und Audits fairer und umweltfreundlicher zu gestalten. Funktioniert das?

Löning: Es ist ein wichtiger erster Schritt. Der Einkauf weiß, wie diese Instrumentarien funktionieren, deshalb sollte man sie nutzen. Kontrolle alleine reicht aber nicht aus. Es muss immer auch ein Interessenausgleich stattfinden. Wenn das Grundgerüst der Sorgfaltsprozesse steht, kommt die Frage, was das für die Einkaufsstrategie bedeutet. Die Einkaufspraktiken in verschiedenen Industrien sind sehr unterschiedlich. Am Ende des Tages muss der Lieferant einen Vorteil davon haben, dass er soziale Arbeitsstandards verlässlich einhält. Er braucht eine intrinsische Motivation, weil er mein Lieferant bleiben will und weiß, dass dies eine der Bedingungen ist.

Dann geht es also doch um höhere Einkaufspreise?

Löning: Man muss von der reinen Preisdiskussion weg. Es gibt viele andere ökonomische Faktoren wie die Garantie einer Grundauslastung. Oder Zahlungsziele. Oder eine Anzahlung. Wenn ich einer Kooperative oder einem Zwischenhändler einfach nur höhere Preise zahle, weiß ich ja nicht, wo das Geld ankommt. Man muss andere Hebel in Bewegung setzen. Natürlich kann auch der Rohstoffpreis eine Rolle spielen. Etwa in Westafrika, wo Ghana und die Elfenbeinküste für Kakao Mindestpreise festsetzen wollen, um eine faire Bezahlung für die Bauern zu gewährleisten. Am Ende kommt es auf das Zusammenspiel an, auch mit staatlichen Stellen, damit nicht alleine Sie höhere Preise zahlen, Ihre Wettbewerber die Preise aber wieder drücken und sich am Ende nichts verändert.

Der Mittelstand empfindet seinen Einfluss auf die Lieferketten als gering. Welche Möglichkeiten sehen Sie?

Löning: Im globalen Kontext kauft auch ein DAX-Unternehmen manchmal nur geringe Mengen. Da ist das Lieferkettengesetze ganz klar: Es ist eine Frage der Verhältnismäßigkeit. Man sollte sich also von der Diskussion nicht verrückt machen lassen. Schauen Sie, wo Sie einen Unterschied machen können. Der andere Punkt ist: Es ist erstaunlich, wie Firmen plötzlich merken, wie Zusammenarbeit hilft. Hier passiert ganz viel. Auch die überarbeiteten Leitlinien der EU für Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, die die Europäische Kommission im Juni herausgegeben hat, beschreiben, wie Firmen ohne Verstoß gegen das Kartellrecht im Nachhaltigkeitsbereich zusammenarbeiten können.

Das erste Berichtsjahr des LkSG endet im Dezember. Wie weit ist der Einkauf in der Umsetzung?

Löning: Diejenigen, die zuvor schon was getan haben, sind unserer Beobachtung nach gut aufgestellt. Jene, die spät angefangen haben, tun sich viel schwerer. Viele haben sich lange mit teilweise überflüssigen Fragen aufgehalten: Wen müssen wir einbeziehen, wer hat den Hut auf? Der Vorstand hatte Fragen. Die Rechtsabteilung hatte ganz schwierige Fragen. Da hat sich viel verzögert, weil die interne Abstimmung nicht funktionierte. Mein Rat: Es ist noch ein halbes Jahr Zeit. Am Ende wird die BAFA bewerten, ob Ihr Unternehmen angemessen im Rahmen seiner Größe und Möglichkeiten etwas auf die Beine gestellt hat und ob Sie einen Plan für 2024 und 2025 haben. Aktionismus ist zu wenig. Die Umsetzung muss einer Strategie folgen. Es geht um eine angemessene Anstrengung.

Was passiert, wenn Unternehmen von Menschenrechtsverletzungen Kenntnis bekommen, ist der Einkauf darauf vorbereitet?

Löning: Man braucht einen menschenrechtlichen Sorgfaltsprozess, der das regelt: Was passiert bei einer Beschwerde? Wer ist zuständig? Was muss getan werden? Was ist die Antwort? Was passiert bei einem schlechten Audit? Sich nur auf ein Tool zu verlassen reicht nicht. Ohne Gesamtprozess und Gesamtstrategie und die Schulung von Mitarbeitern funktioniert es nicht. Es muss nicht alles perfekt sein, aber in den groben Strukturen, um diese nach und nach zu verbessern und auszuarbeiten.

Vor Ort empfehlen Sie die Zusammenarbeit mit lokalen Behörden. Warum?

Löning: Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte sagen sehr klar, dass der Staat die Hauptverantwortung für die Einhaltung der Menschenrechte trägt. Es ist also mehr als legitim, wenn Firmen an eine Gesundheitsverwaltung herantreten, über Probleme bei einem Lieferanten mit dem Arbeitsschutz berichten und um Unterstützung bitten. Ich persönlich finde es schade, dass viele sich scheuen dies zu tun. Gerade innerhalb der Europäischen Union oder in Ländern in Asien mit funktionierenden Verwaltungen, auch in Afrika natürlich. Es ist ja nicht so, dass überall die Verwaltungen überhaupt nicht funktionieren. Man muss herausfinden, was funktioniert und was nicht.

Unterstützen die deutschen Auslandsvertretungen ausreichend?

Löning: Viele Außenhandelskammern sind sehr aktiv, schulen Zulieferer, erklären das deutsche Lieferkettengesetz und im europäischen Kontext. Die Kammern kennen die Märkte, haben viele Kontakte. Auch die Wirtschafts- und Politikreferenten in den Botschaften sind für diese Fragen da.

Wie schauen die Firmen im Ausland auf das Lieferkettengesetz? Kommt etwas in Bewegung?

Löning: Absolut. Das deutsche Lieferkettengesetz ist es nicht, aber 450 Millionen Europäer machen einen Unterschied. Das strahlt schon jetzt auf die Zuliefermärkte aus und viele Firmen richten sich danach aus.

Sie begrüßen die kommende EU-Regulatorik?

Löning: Das EU-Gesetz wird schwieriger zu erfüllen sein, aber der positive Effekt durch die standardisierte Berichterstattung und die Wirkung in die Liefermärkte ist deutlich hilfreicher. Durch einen standardisierten europäischen Bericht, der maschinell verarbeitet werden kann, wird die Bewertung von Lieferpartnern leichter fallen.

Die EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) ist ein aufwändiger Berichtsstandard. Ist es realistisch, dass auch kleinere Zulieferer nach CSRD berichten werden?

Löning: Das ist eine strategische Entscheidung der Firmen: Was ist für mein Unternehmen wichtig? Was erwarten meine Kunden? Macht es geschäftlich Sinn, mir hier ein gutes System aufzubauen? Ja, das ist aufwändig. Man kann es aber auch umdrehen und die CSRD als Anleitung für das eigene Unternehmen sehen, was zu tun ist, um die vielen nachhaltigen Kritieren zu erfüllen, die künftig sehr viele Kunden von mir erwarten.

Und wenn eine Trennung von Lieferpartnern notwendig erscheint?

Löning: Auch für diesen Fall braucht man einen strukturierten Prozess. Welche Fragen muss ich stellen? Was gibt es für mögliche Stufen? Selbstauskunft, Vor-Ort-Audits, korrektive Aktionspläne. Wenn diese nicht umgesetzt werden, was passiert dann? Die Abläufe muss sich der Einkauf gut überlegen. Am Ende ist es eine politische und wirtschaftliche Entscheidung des Unternehmens, wann es aus einer Beziehung rausgeht. Ich plädiere immer dafür, zunächst dem Lieferanten die Chance zu geben, besser zu werden. Das ist auch der Sinn des Gesetzes, dass die Situation sich verbessert. Das hängt natürlich auch von der Art des Verstoßes ab. Zu viele Überstunden kann man kompensieren, das kann man besser machen. Bei Kinder- oder Zwangsarbeit muss man relativ schnell die Reißleine ziehen oder die Beziehung so lange suspendieren, bis die Frage geklärt ist. Je nach Schwere des Vorfalls und Bedeutung des Lieferanten muss der Einkauf schwierige Entscheidungen treffen. Generell gilt, immer zunächst die Chance auf Verbesserung geben.

Es gibt Märkte, die grundsätzlich kritisch sind. Wie sollte der Einkauf damit umgehen?

Löning: Es gibt Firmen, die bauen sich in diesen Märkten eigene Lieferketten auf oder eine eigene Produktion, etwa Ritter Sport beim Kakao. So etwas hat Modellcharakter, wird aber das grundsätzliche Problem nicht lösen. Eine andere Möglichkeit ist die Sektorkooperation, die Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen und Wissenschaftlern, um in Projekten Fragen des Rechts zu klären, ob Kooperativen etwas verändern oder eine Landreform notwendig ist und wie der Sektor produktiver werden kann, sodass die einzelne Familie davon leben kann und nicht mehr auf Kinderarbeit angewiesen ist. Das sind sehr tiefe strukturelle Fragen, die Unternehmen kaum alleine lösen können. Zusammenarbeit ist das Stichwort.

Sind Zertifikate ein Weg?

Löning: Das kann eine gute Lösung sein. Man muss sich aber immer anschauen, was es für ein Zertifikat ist. Sind soziale Kriterien abgedeckt oder ist es ein reines Umweltzertifikat? Nicht immer bekomme ich ausreichend zertifizierte Ware. Zertifikate können Teil einer Lösung sein, nehmen dem Einkauf aber nicht die Verantwortung, sich die Dinge genau anzuschauen.

Wie wichtig sind Schulungen?

Löning: Zuerst einmal ist wichtig, die eigenen Leute im Einkauf zu schulen, damit sie verstehen, worauf es ankommt. Bei Lieferantenschulungen sollte es eine Verknüpfung zwischen der Schulung und der Bedeutung fürs Geschäft geben. Wichtig ist klarzumachen, dass es um ein strategisches Thema geht, dass aus Europa im Bereich Nachhaltigkeit hohe Anforderungen kommen und dass Unternehmen, die weiterhin Zugang zum Markt haben wollen, diese erfüllen müssen. Wenn das geklärt ist, haben diese Schulungen einen guten Effekt.

Welches künftige ESG-Gesetz wird den Einkauf am meisten verändern?

Löning: In vielen deutschen Firmen ist die Veränderung mit dem Lieferkettengesetz bereits angestoßen. Es kommen weitere Anforderungen durch die EU-Regulatorik hinzu aber im Wesentlichen ist der Klick im Kopf durch das LkSG schon passiert. Da haben die deutschen Firmen jetzt durchaus einen Vorsprung. Die Governance und die Strukturen sind da, die Stellen sind geschaffen. Darauf kann man sich nicht ausruhen, aber ich sehe das durchaus als einen Vorteil.

Der Aufschrei um das LkSG war also umsonst?

Löning: Das Meckern hat nicht geholfen. Jetzt geht es um die Frage, wie richte ich mein Unternehmen so aus, dass das Gesetz dem Unternehmen hilft. Nur Compliance, die reine Mindesterfüllung, ist verschenkte Energie, anstatt zu sehen, welche Möglichkeiten eröffnet das Gesetz für das Unternehmen: Wie gewinne ich damit junge Fachkräfte, die nur dort arbeiten wollen, wo Nachhaltigkeit umgesetzt wird? Was bedeutet das für meine großen Geschäftskunden? Was heißt das für meine Marke, für die Resilienz meiner Lieferketten. Es gibt viele positive Seiten der Regulatorik und die muss man sich anschauen.


Markus Löning

Markus Löning saß für die FDP von 2002 bis 2009 im Bundestag und war von 2010 bis 2013 Menschenrechtsbeauftragter der Bundesrepublik Deutschland. Diese Mission verfolgt er seitdem in seiner eigenen Firma weiter. Löning ist Gründer und Geschäftsführer von Löning – Human Rights & Responsible Business. Das Unternehmen berät Firmen in Nachhaltigkeits- und Menschenrechtsfragen. Im Verlauf seiner politischen und unternehmerischen Karriere hat Löning mit Unternehmen, Regierungen und Organisationen in über 70 Ländern zusammenarbeitet.

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