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Resilienz: Zwischen Hype und Horror

Resilienz: Zwischen Hype und Horror
Das Geheimnis hinter der Superkraft Resilienz

Das Geheimnis hinter der Superkraft Resilienz
Resilienz ist eine der Top-Fähigkeiten, die Einkäuferinnen und Einkäufer aufweisen müssen. Bild: lassedesignen/stock.adobe.com
Es besteht Einigkeit darüber, dass Resilienz eine entscheidende Fähigkeit im Einkauf ist. Allerdings konzentriert sich die Fachwelt hauptsächlich auf strukturelle Aspekte wie Organisation, Ziele, Anforderungen und Technologien. Christine Freye und Prof. Dr. Mahmut Arica haben in der Praxis untersucht, wie ein Einkauf, der über die Mitarbeitenden selbst resilienter ist, aufgebaut und etabliert werden kann.

Deloitte und McKinsey sehen Resilienz als Top-Fähigkeit für Einkäuferinnen und Einkäufer. Die Hochschule München, unter Leitung von Prof. Dr. Kleemann, bestätigt die Bedeutung der Resilienz im Einkauf der Zukunft. Trotz des Konsenses über ihre Wichtigkeit werden die Gestaltungsansätze und -prinzipien der Resilienz kritisch diskutiert. Meistens konzentriert sich die Diskussion auf strukturelle Themen wie Organisation, Ziele, Anforderungen und Technologien. Eine Betrachtung der Mitarbeitenden im Einkauf fehlt jedoch. Dies wirft die Frage auf, wie die Resilienz erlernt werden kann, wenn die Diskussion ausschließlich auf die Struktur des Einkaufs fokussiert ist.

Ausgehend von praktischen Untersuchungen, möchte dieser Beitrag einen alternativen Weg aufzeigen, wie ein resilienterer Einkauf auch über die Mitarbeitenden selbst aufgebaut und etabliert werden kann.

Basics: Was meint Resilienz?

Jeder verbindet und versteht den Begriff der Resilienz anders: Während die einen die Resilienz mit Widerstandsfähigkeit gleichsetzen, verstehen andere die Resilienz als eine Fähigkeit, um Krisen zu bewältigen, wieder andere verbinden mit der Resilienz eine nachhaltige Leistungssteigerung. Zusätzlich existieren verschiedene Metaphern, die genutzt werden, um den Begriff der Resilienz zu veranschaulichen. So wird die Resilienz als eine Art Teflon-Beschichtung gesehen, an der jede Krise abperlt. Auch wird die Resilienz mit einem Bambusrohr verglichen, dass flexibel die Form halten kann.

Deswegen ist es erforderlich, im Voraus festzulegen, was im Rahmen dieses Beitrags unter Resilienz zu verstehen ist. Hierbei handelt es sich um die Fähigkeit, trotz widriger Umstände oder Krisen kontinuierlich an Zielen festzuhalten. Somit wird deutlich, dass Resilienz nicht ausschließlich in Krisensituationen entsteht und von Bedeutung ist. Die Steigerung der Leistungsfähigkeit kann zwar durch Resilienz erfolgen, jedoch wird diese von diversen Faktoren, wie Wissen, Erfahrung und Motivation, zusätzlich beeinflusst.

Um dieses Verständnis zu verdeutlichen, bietet sich ein Vergleich zur japanischen Technik des „Kintsugi“ an: Beim Kintsugi werden zuvor gebrochene Porzellanscherben mit Silber, Gold oder Platin verbunden, wodurch die Risse bewusst betont werden. Diese Risse stehen sinnbildlich für die Mühen, das Überwinden und das Heilen. Ähnlich lassen sich diese Eigenschaften auch auf das hier verwendete Verständnis von Resilienz übertragen. Statt die Leistung übermäßig zu betonen, konzentriert sich dieser Beitrag auf das Lernen und die gewonnenen Erkenntnisse, die sich in den einzelnen Rissen widerspiegeln.

Obwohl das Verständnis der Resilienz als eine Fähigkeit vorliegt, ist wichtig sie nicht als eine Persönlichkeitseigenschaft anzusehen, die jemand besitzt oder nicht. Es ist bekannt, dass Menschen unterschiedlich gut mit herausfordernden Situationen umgehen können. Dennoch unterstellt dieses Verständnis, dass es in der Verantwortung des Einzelnen liegt. Dabei wird die Rolle der Organisation und der Führung vollständig ignoriert. Deshalb wird die Resilienz als eine erlernbare Fähigkeit betrachtet, die vom Einzelnen erworben und trainiert werden kann.

Die absoluten „Dont’s“

Trotz des bisherigen Eindrucks, dass Resilienz nur positive Auswirkungen hat, möchten wir betonen, dass dies nicht der Fall ist. Resilienz beinhaltet die Fähigkeit, schwierige Situationen zu bewältigen, die von jedem Einzelnen unterschiedlich wahrgenommen und erlebt werden. Dabei können sowohl positive als auch negative Erfahrungen entstehen, wie zum Beispiel Überforderung oder Frustration. Anstatt solche Erfahrungen als Zeichen von mangelnder Resilienz zu verurteilen, betrachten wir sie als Anregung, um die Mitarbeiter dabei zu unterstützen, Resilienz zu erlernen, zu fördern und zu stärken. Wir vermeiden bewusst eine optimistische Sichtweise und streben stattdessen einen realistischen und angemessenen Umgang mit dem Thema Resilienz an, der auch das Erleben von negativen Emotionen einschließt.

Tipps zur Stärkung der Resilienz.

Vorweg: Resilienz ist ein komplexes und umfangreiches Konstrukt, dass vom Einzelnen erlebt und gelebt wird. Daher sind die folgenden vier „Geheimnisse“ als Impulse, die beim Entwickeln der Fähigkeit der Resilienz helfen können.

1. Herausforderungen, Krisen & Co. akzeptieren: Resilienz ist eine Fähigkeit, die einerseits in, durch und mit herausfordernden Situationen gestärkt und andererseits zur Überwindung dieser benötigt wird. Daher ist es unerlässlich, die widrigen Umstände zu akzeptieren und als eine Chance anstatt als eine Last anzusehen.

2. Lernen fördern: Um die widrigen Situationen meistern zu können, gilt es neue Fähigkeiten zu erlernen, neues Wissen aufzubauen und neue Erkenntnisse zu gewinnen. Dabei geht es ausdrücklich nicht nur um das einfache Lernen, sondern alle Facetten des Lernens: vom Erlernen, über das Verlernen bis zum Neuerlenen.

3. Situation reflektieren: Jeder widrige Umstand und damit jede Situation, die es zu bewerkstelligen gilt, ist anders. Daher ist sich einzugestehen, dass bestehende Prinzipien, Mechanismen und Taktiken nicht 1:1 auf jede Situation übertragen werden können. Vielmehr sind die Besonderheiten der Situation zu erfassen und zu bewerten, sowohl davor, während als auch danach.

4. Beziehungen stärken: Vielleicht ist dieser Aspekt überraschend, aber um die Fähigkeit der Resilienz zu lernen, gilt es die eigene Wirksamkeit zu erfahren. Letztere schaffen wir einerseits durch die Situationen, denen wir uns stellen und andererseits durch unsere Interaktionen mit anderen. Daher können Beziehungen uns resilienter machen, und zwar durch Gespräche, die uns bestärken, ermutigen und aufbauen. Gerade wenn wir negative Gefühle verspüren, wie Frust oder Überforderung, helfen uns die Beziehungen unser Wohlbefinden wieder zu verbessern.

Natürlich sind diese Impulse nicht isoliert zu betrachten, sondern als ein Tandem zwischen dem Einzelnen und der Einkaufsorganisation. So sind geeignete Maßnahmen zu formulieren, welche die Realisierung der drei Impulse fördern, unterstützen und ermutigen.

Superkraft oder Kryptonit?

Resilienz bildet einer der zentralen Fähigkeiten, die Organisationen, Lieferketten und Mitarbeitende im Einkauf der Zukunft aufweisen müssen. Auch wenn die Forderung so einfach, so klar und so eindeutig formuliert werden kann, ist die Umsetzung und Realisierung alles andere als einfach. So ist die Resilienz nämlich eine Fähigkeit, die von jedem Einzelnen unterschiedlich erlebt, gespürt und erlernt wird. Damit einhergehend verfügt die Resilienz über eine Vielzahl an unterschiedlichen Facetten, Ausprägungen und Formen, weswegen ein eindeutiges und uniformes Erlernen unmöglich ist. Daher ist die Resilienz als eine Superkraft mit „kryptonischen“ Elementen anzusehen, wobei das kryptonische bzw. schwächende Element im Begriff der Resilienz selbst liegt.


Bild: Freye

Christine Freye

Senior Consultant Research & Analysis im Einkauf; Doktorandin im Bereich der industriellen Beschaffung


Bild: FOM

Prof. Dr. Mahmut Arica

Professor für allgemeine BWL an der FOM Hochschule für Ökonomie & Management, Standort Münster.

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