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Die Energiewende meistern

Olaf Komitsch, CPO der EnBW AG
Die Energiewende meistern

Olaf Komitsch managt die Beschaffung für die EnBW Energie Baden-Württemberg AG. Mit der Energiewende hat sich das Geschäftsmodell des Energieversorgers stark verändert. Zudem hat der Infrastrukturausbau das Einkaufsvolumen vervielfacht. Was das für den Einkauf bedeutet, erzählt CPO Komitsch im Interview.

Für Beschaffung aktuell stellte
Annette Mühlberger die Fragen.

Beschaffung aktuell: Herr Komitsch, Sie leiten seit 2018 den Einkauf für den Energieversorger EnBW. Inwiefern hat sich die Beschaffung seitdem verändert?

Olaf Komitsch: In zwei wesentlichen Punkten: Zum einen hat die EnBW ihre Strategie als Energieversorger völlig neu ausgerichtet und einen Wandel zur „grünen“ Energie vollzogen. Das hat unsere Lieferantenbasis komplett verändert. Zum anderen hat sich durch den Infrastrukturausbau unser Einkaufsvolumen auf aktuelle sechs Milliarden Euro jährlich vervielfacht. Parallel haben wir unsere Organisation an die neuen Anforderungen angepasst mit dem Ergebnis, dass mittlerweile ein Drittel unserer Einkäuferinnen und Einkäufer veränderte Aufgaben haben. Kommerziell muss man einem Einkäufer prinzipiell nicht viel beibringen. Es geht für mich heute, zumal als Quereinsteiger aus Finance und Vertrieb, eher um die Themen Risikomanagement und Digitalisierung. Deshalb haben wir ein konsequentes Transformationsprogramm für die nächsten zwei Jahre aufgesetzt. Hier verändern wir insbesondere Ways of Working, investieren konsequent in Digitalisierung sowie Automatisierung und integrieren unsere Lieferanten in unsere Wertschöpfung.

Sie kaufen heute keine schlüsselfertigen Großkraftwerke mehr, sondern Solarpanel, Windräder, Ladesäulen.

Komitsch: In der Tat kaufen wir sehr viele neue Materialien und Komponenten und das hat einen großen Einfluss auf unsere Arbeit. Wir haben neben der reinen Warengruppenlogik nun verstärkt komplexe Produkte und kleinteilige Projekte im Einkauf zu managen. Unsere Lieferantenbasis hat sich internationalisiert, in dieser Dimension ist dies neu für die EnBW.

Was bedeutet das für den Einkauf?

Komitsch: Die Herausforderung liegt darin, mit der Vielfalt umzugehen und die Komplexität zu reduzieren. Im Projekteinkauf setzen wir auf die Kompetenz der einzelnen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen und auf die Selbstverantwortung. Über die Projektkennzahlen hinaus wenden wir keine einkaufspezifische KPI an und garantieren so eine einheitliche Ausrichtung auf den Gesamterfolg der Projekte. Hier braucht der Einkäufer über seine einkäuferischen Fähigkeiten hinaus einen Sinn für Unternehmertum. Unser Commodity-Einkauf, der eine große Breite an Materialien und Dienstleistungen beinhaltet, muss in schnellen, effizienten Prozessen bestmögliche Einsparungen generieren. Komponenten wie Trafos, Wechselrichter und Instandhaltungsleistungen kaufen wir zentral, da geht es um Economies of Scale und Standardisierung mit der Frage, was lässt sich ohne Qualitätsverlust vereinheitlichen? Hinzu kommt die Interaktion mit unseren Bedarfsträgern und Lieferanten. Im Fokus steht das digitale Arbeiten und die durchgängige Automatisierung von Massenprozessen. Digitales Arbeiten macht nur Spaß, wenn sich Systeme intuitiv nutzen lassen. Dazu setzen wir auf Katalogsysteme und verbessern Prozesse und Systeme mit User Experience (UX).

Das alles verändert die Organisation des Einkaufs und die Arbeitsweise entlang der Wertschöpfung. Das ist nicht trivial, lässt sich über eine KPI kaum abbilden, ist aber entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg. Es geht nicht mehr allein um Verhandlungskompetenz. Wir brauchen Verhandlerinnen und Changemanager im Einkauf.

Inwiefern spüren Sie den Materialmangel?

Komitsch: Es ist anspruchsvoll, gleichzeitig hilft der Mangel die Standardisierung zu treiben, weil er einen Veränderungswillen erzeugt. Differenzieren wird zur Option, wenn der Top-Lieferant nicht mehr die vollen Mengen liefern kann. Wir fragen uns gemeinsam mit den Netzgesellschaften: Was ist das technisch Notwendige, wo entsteht ein Mehrwert und auf welche Spezifikationen können wir verzichten? Aufgrund der disruptiven Lieferketten sind wir gezwungen sehr vieles zu hinterfragen.

Wie herausfordernd ist der aktuellen Lieferantenmarkt?

Komitsch: Die EnBW hat trotz schwieriger gesamtwirtschaftlicher Lage hohe ambitionierte Ziele im Ausbau der Infrastruktur, z. B. bei Breitband, smarte Netze und natürlich erneuerbare Energien. Wir agieren in einem absoluten Wachstumsfeld. Politik und Gesellschaft erwarten von uns eine schnelle Energiewende. Fachkräftemangel, disruptive Lieferketten fordern Lieferanten wie auch uns. Wir sehen die Sorgen unserer Lieferanten, und machen uns bereit, viel stärker gemeinsame Lösungen zu finden. Geopolitische Krisen und Pandemien benötigen trotz allem viel Aufmerksamkeit und Kreativität. Entsprechend hoch ist die Verantwortung, die der Einkauf für diese Aufgabe hat. Unser Augenmerk muss daher auch auf den Mitarbeitenden liegen. Wir müssen sie resilienter machen, um ihnen eine gesunde Selbststeuerung zu ermöglichen.

In der Finanzkrise 2008 haben Konzerne ihre mittelständischen Lieferanten finanziell unterstützt. Gehen Sie mit Blick auf Material oder Fachkräfte ähnlich vor, um Ihre Lieferkette zu stabilisieren?

Komitsch: In den Netzbereichen gibt es tatsächlich eine Taskforce, in der wir situativ entscheiden, inwiefern wir z. B. Lieferanten beim Materialtransport, mit Fahrzeugen, Transportmitarbeitern unterstützen können. Wir überprüfen die Baustellenlogistik und schauen, wo wir unsere Eigenleistung hochfahren. Das ist ein sehr operativer Prozess und entlastet Lieferanten. Außerdem sind wir ein verlässlicher Auftraggeber mit einer hohen Zahlungsmoral und Vorreiter für „grüne“ Infrastruktur. Aber wir sind auch in Förderungsmärkten unterwegs, in denen plötzlich neue Technologien und Infrastrukturen gefördert werden mit einer entsprechenden Auswirkung auf die Nachfrage. Und in diesem Umfeld, da helfen dann vor allem gute Lieferantenbeziehungen.

Die Lieferanten warten selbst auf Materialien. Wie tief ist Ihr Einblick in die Lieferkette?

Komitsch: Um es in einem Satz zusammenzufassen: Es gibt in den Lieferketten unendlich viele Daten bei gleichzeitiger Unterinformation aller Beteiligten. Die klare Sicht auf alle Stufen der Lieferkette, aus der Datenmenge die relevanten Informationen zu erhalten, ist eine echte Sisyphusaufgabe. Wir gehen diesen Weg in kleinen Schritten. Digitalisierung ist das eine, aber man braucht auch Menschen, die vor diesem Elefanten keinen Respekt haben und ihn beherzt in Scheiben schneiden.

Neue Tools helfen nicht immer. Was ist für die Digitalisierung des Einkaufs wichtig?

Komitsch: Sehr oft werden die falschen Fragen gestellt. Die Frage „Sag mir bitte, wie die Liefersicherheit auf dem Transportweg von Asien ist“, ist nicht die richtige. Ich muss mir zunächst meine Schwachstellen anschauen. Oftmals ergeben sich aus digitalen Abläufen außerdem völlig andere Lösungen als beabsichtigt. Ein Beispiel: Wir wollten die präqualifizierten Lieferanten rund um unsere regional verteilten Baustellen gezielter adressieren, um in der Ausschreibung schneller zu werden. Hierfür haben wir eine digitale Lösung entwickelt. Jetzt haben wir über diesen Prozess aber vor allem erreicht, dass wir sehr viel mehr Angebote erhalten und bessere Preise erzielen. Der eigentliche Hebel saß für uns also an einer anderen Stelle.

Wie erkenne ich solche Potenziale, bevor die Data Analysten aktiv werden?

Komitsch: Um das zu erkennen, braucht man sehr viele Freiheitsgrade in der Führung und für die Teams, die solche Lösungen entwickeln. Das Erfahrungswissen, das wir uns im Management über Jahre erarbeitet haben, hilft bei der Beantwortung digitaler Fragestellen oft nicht weiter. Es steht uns sogar im Weg. Das muss man erkennen und akzeptieren. Selbstentwickelte Lösungen haben in der Praxis, bei unseren Mitarbeitern, eine deutlich bessere Akzeptanz, als wenn die Tools von außen kommen, weil die Teams an der Gestaltung teilgenommen haben. Für mich entsteht erfolgreiche Digitalisierung aus dem digitalen Denken und nicht aus der Einführung von Tools.

Das müssen Sie näher erklären …

Komitsch: Ein Beispiel: die Rechnungsfreigabe soll um eine automatische Lieferantenbewertung erweitert werden. Dazu bedarf es, aus der Perspektive des Bedarfsträgers zu denken und zu handeln. Die klassische Führungskraft hingegen denkt in Systemen, Abteilungen und an die mögliche Komplikation der Verknüpfung, weil wir wissen, wie lange solche Systemveränderungen gedauert haben. Wir sind uns häufig nicht bewusst, wie viele Daten verfügbar sind, wie einfach Daten zu Informationen zusammengeführt werden können und wie leicht wir Infos – auch vom Lieferanten oder zum Lieferanten – fließen lassen können. Daher gebe ich meinen Analysten klare Problemstellungen und dann viel Freiheit, damit nicht meine klassische Denke als Führungskraft die beste Lösung verstellt.

Wer Systemkomponenten kauft, braucht eine gute Abstimmung nach innen. Wie klappt der Austausch mit Ihren Geschäftsbereichen?

Komitsch: Ich würde mir wünschen, dass wir in Wertschöpfungsketten und nicht mehr in Funktionen denken: Lieferant, Einkauf, Geschäftsbereich. Die Lieferanten sind ein großer Teil unserer Wertschöpfung. Die Zeit der Datensilos und Kopfmonopole ist vorbei. Wir müssen integriert denken, welche Fähigkeiten, wir wo benötigen. Was bietet der Nachbarbereich und der Lieferantenmarkt an dieser Stelle? Unsere Arbeit fängt ganz vorne bei der Spezifikation an, in der Zusammenarbeit mit den Geschäftsbereichen, ausgehend vom Bedarf der Kunden. Der Lieferant muss viel früher in die Produktentwicklung eingebunden werden. Das ist in gewisser Weise Neuland für uns. Wir tun das daher in kleinen Schritten, als EnBW investieren wir zum Beispiel auch in Start-ups.

Was folgt daraus für die Zusammenarbeit?

Komitsch: Wenn ich diese integrierte Sicht habe, muss ich überlegen, was ich tun kann, damit keiner in der Kette zum Bottleneck wird. Deshalb sitzen wir immer häufiger in interdisziplinären Teams an einem Tisch. Und wenn ich auf die Risiken in der Wertschöpfungskette schaue und wie ich diese vernünftig absichern kann, muss ich ehrlicherweise auch über die Margenverteilung anders nachdenken. Über immer höhere Versicherungsprämien lässt sich aus meiner Sicht nicht alles lösen. Wir müssen uns mit unseren Partnern darauf verständigen, wie wir miteinander umgehen, wenn es unerwartet nicht läuft. Das halte ich für ganz entscheidend, weil wir uns sonst mit Versicherungsprämien überbieten. Über Verträge allein lassen sich nicht alle unerwarteten Eventualitäten einer Lieferkette abdecken. Wir brauchen eine neue Form von Agreement für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit.

Welche Anforderungen stellen Sie in Bezug auf Nachhaltigkeit an Ihre Lieferanten?

Komitsch: Der Fokus auf soziale und gesellschaftliche Verantwortung ist natürlich wie bei allen Firmen wichtig für die ganzheitliche Nachhaltigkeit. Aufgrund unseres Produktes von Stromerzeugung und Gasvertrieb machen die CO2-Emissionen unserer vorgelagerten Wertschöpfung den geringsten Teil an unseren Gesamtemissionen aus. Andererseits sind unsere Lieferanten an unserem regenerativ erzeugten Strom stark interessiert, um selbst „grüner“ zu werden. Wir können im Einkauf somit aus Überzeugung handeln und mit gegenseitiger Aufmerksamkeit unserer Lieferanten rechnen. Uns kommt es auf jedes Gramm CO2-Reduktion an. Dies in einer nach wie vor kommerziell gesteuerten Welt zu vermitteln, ist jedoch ein Spagat.

Wie wollen Sie vorgehen?

Komitsch: Unter anderem haben wir ein Produkt entwickelt, über das wir aus öffentlich zugänglichen Quellen den CO2-Fußabdruck auf den detaillierten Warengruppenschlüssel eClass heruntergebrochen haben. Somit arbeiten wir zwar nicht auf Lieferantenebene, aber wir haben den Branchendurchschnitt aller Produktkategorien, haben eine Augenhöhe, einen Startpunkt, von dem aus wir mit den Lieferanten arbeiten. Hierfür brauchen wir im Einkauf kein riesiges Team, das aufwändige Nachhaltigkeitsberechnungen anstellt, wir machen das für die EnBW mit zwei Leuten. Die Daten kommen aus EU-Quellen. Wir arbeiten also mit der gleichen Datenbasis, auf der wahrscheinlich die EU-Gesetzgebung fußt. Und dann kann der Lieferant punkten und sagen, ok, ich habe hier aber eine Zertifizierung, die besagt, wir liegen deutlich drunter. Das akzeptieren wir im ersten Schritt und nähern uns nachhaltiger CO2-Einsparungen.

Das hört sich nach einem pragmatischen Ansatz an…

Komitsch: Ja und er wurde unter die besten Drei gewählt. Ende Oktober haben wir hierfür auf dem Sustainability Kongress in Berlin – neben der Deutschen Bahn und Miele – eine Ehrung in der Kategorie „Einkauf“ erhalten.


Olaf Komitsch

Olaf Komitsch ist seit über 20 Jahren für die EnBW tätig in den Bereichen Vertrieb, Performance Management, Controlling und Risikomanagement. Seit 2018 leitet er den Zentraleinkauf des Energieversorgers. Weitere berufliche Stationen des Diplom-Ingenieurs für Energietechnik war die EDF Energy in London und ein Praktikum im Silicon Valley. Olaf Komitsch ist systemischer Coach und hat eine Ausbildung im Digital Leadership.


EnBW Energie Baden-Württemberg AG

Die EnBW mit Sitz in Karlsruhe ist gemessen am Umsatz nach Uniper und E.ON der drittgrößte Energieversorger Deutschlands und versorgt rund 5,5 Millionen Kundinnen und Kunden. Dabei konzentriert sich die EnBW auf erneuerbare Energien, Elektromobilität, Strom- und Telekommunikationsnetze sowie smarte, nachhaltige Energielösungen. 2021 lag der Umsatz bei 32,1 Milliarden Euro. Mehr als 26.000 Menschen arbeiten für das Energieunternehmen

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