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Digitales Category Management – Tempo, Teams & Tools

Was die Industrie aus dem Handel lernen kann
Digitales Category Management – Tempo, Teams & Tools

Digitales Category Management – Tempo, Teams & Tools
Beim Thema Category Management kann die Industrie eine Menge vom Handel lernen. Bild: sdecorem/stock.adobe.com
Im Handel gilt Category Management (CM) schon lange als zentraler Erfolgsfaktor. Je komplexer sich die Weltwirtschaft gestaltet, desto wesentlicher werden viele Prinzipien des CM-Prozesses auch für den Einkauf in Industrieunternehmen. Sie nehmen Einfluss auf Marge, Kundenzufriedenheit und Wachstum. Um Category Management effizient und abteilungsübergreifend in Industrieunternehmen zu verankern, müssen die Prozesse zunächst eines sein: digitalisiert.

Im Category Management, kurz CM, geht es darum, durch eine kundenfokussierte, ganzheitliche Sortimentsstrategie Margen zu verbessern, Kundenloyalität zu erhöhen und neue Wachstumsimpulse zu generieren. Category Excellence, also der orchestrierte Prozess von der Sortimentsauswahl über den Einkauf bis an die Theke, gilt in modernem Verständnis als einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren für das Schaffen von nachhaltigen Wettbewerbsvorteilen im Handel. Die Vorteile smarter CM-Prozesse liegen vor allem in der klugen Verknüpfung von Kunden- und Produktdaten.

So steigerte Walmart, vielleicht immer noch „King of CM“, seinen Umsatz von Windeln deutlich, indem die Handelskette an Samstagen eine Zweitplatzierung von Windeln neben Bierkästen testete. Wie kam es dazu? In der Warenkorbanalyse fiel auf, dass Bier und Windeln samstags häufig zusammen gekauft wurden, weil dann viele Väter unterwegs sind. Das Beispiel zeigt: Erfolg braucht Datenerhebung, kluge Datenanalyse und Verständnis für Kundenverhalten. Wenn das gegeben ist, kann Category Management seine gesamte Wirkkraft zur Geltung bringen.

Ein weiteres Beispiel aus dem Großhandel zeigt, wie detailliert Kunden- und Produktverständnis im Idealfall kombiniert sind: In der Versorgung mit Ersatzteilen ist manchmal Zeit der entscheidende Faktor, weil sonst Maschinen stillstehen oder Lkws nicht fahren. Anders als vermutet, scheitert die Teileversorgung fast nie bei den Fast Movern. Häufig hapert es an der Beschaffung von Ersatzteilen, die Kunden selten, dann aber ganz eilig, nachfragen. Für den Großhandel lohnt sich die Bevorratung solcher Teile nur, wenn Mitarbeitende die Rolle des Produktes sehr genau als „Notfall“ im ERP kennzeichnen und sie dann mit entsprechenden Preisaufschlägen verkaufen. Ganz gleich wie hoch der Preisaufschlag ist, der Kunde wird fast immer glücklich sein, dass das Unternehmen sofort liefern kann.

Die Learnings? Produktkenntnis und Kundenverständnis müssen verschmelzen. Zudem sollten Produktdaten akkurat mit wichtigen Details im ERP-System angereichert liegen – andernfalls kann das Know-how operativ nicht umgesetzt werden. Voraussetzung für diese Art von Category Excellence ist, dass die Rollen der Sortimentskategorien und auch der einzelnen Artikel eindeutig definiert sind.

Category Management im Einkauf

Diese, aus dem Retail stammenden Prinzipien wendet inzwischen auch die Industrie erfolgreich für klassische Einkaufsprozesse an, und zwar mit diesen Zielen:

1. Generieren von Einkaufs-Savings jenseits klassischer Verhandlungsführung

2. Beteiligung an wertschöpfender Produktentwicklung und Innovationen

3. In Krisenzeiten: Absicherung der Supply Chain

4. Immer wichtiger: Reduktion von CO2 im Produkt- und Beschaffungsprozess sowie Einhaltung von ESG-Standards

Viele Einkaufsorganisationen sind nach wie vor auf den ersten Punkt fokussiert, also auf die Kostenreduktion. Seit Corona definieren sie zudem einen resilienten Supply-Chain-Prozess als Nebenbedingung. CM im Einkauf geht jedoch deutlich weiter, was sich anschaulich anhand der Zielsetzungen von Punkt zwei erklären lässt: Wertschöpfungs- und Innovationsprozesse, an denen der Einkauf beteiligt ist, führen nicht selten zum Einsatz neuer Materialien oder zum Lieferanten-Wechsel.

Nehmen wir den Ikea-Tisch „Lack“ – seit Jahren ein absoluter Top-Seller im Sortiment. Die maßgebliche Veränderung des Produktes erwirkte der Einkauf: Um die Anforderungen an Preis und Stärke der Tischplatte zu erfüllen, schlug dieser vor, auf einen Tür-Produzenten zu wechseln, der durch andere Materialzusammensetzung und einen anderen Produktionsprozess in der Lage war, die Vorgaben zu erfüllen.

Wie die genannten Beispiele zeigen, basieren viele Mehrwerte des CM-Prozesses aus der Bereitstellung, Verarbeitung und Verknüpfung von Daten. Genau hier aber liegt auch die große Digitalisierungsherausforderung. Vorab müssen Unternehmen grundlegende Fragen beantworten:

1. Welche Daten liegen vor und in welcher Form?

2. Welche Tools mit welchen Algorithmen, mit oder ohne KI-Support, können unseren Prozess am besten unterstützen?

3. Welche Organisation und Teamstrukturen sind notwendig, um das CM effektiv zu digitalisieren?

Jeder Datengruppe ihre Strategie

Welche Informationen benötigt das CM wirklich und vor allem in welcher Detailtiefe? Das Beispiel der Notfall-Belieferung im Teilehandel zeigt, wie wertvoll detaillierte Produktdaten sind. Es macht allerdings auch deutlich, wie aufwendig die Ermittlung und Pflege von Produktdaten-Bestände ist. Ein Zeit-Nutzen-Dilemma, das bei der Digitalisierung im CM Beachtung finden muss. Was bedeutet das für den Datenprozess? Umsetzende müssen anfangs für jede Produktgruppe eine eigene Datenstrategie festlegen, da Produktspezifika und Kaufverhalten stark differieren. Dafür benötigen sie Experten, die in gut organisierten CM-Teams zusammenarbeiten: Sortimentsexperten, die genau wissen, welche Produkt-Spezifika erfasst werden müssen und Datenexperten mit Kenntnis darüber, in welchen Formaten und mit welcher Detailtiefe Datenpunkte abgespeichert werden können. Nur wenn die richtigen Informationen in der passenden Form vorliegen, können Anwendende sie operativ nutzen. Das Beispiel der Notfall-Versorgung zeigt auch hier den konkreten Nutzen: Disponenten und Vertrieb können die Rolle des Artikels im ERP-System nachvollziehen und entsprechend handeln. Deswegen ist es auch im Einkaufsprozess unabdingbar, die Rollen jeder Kategorie und jedes Beschaffungsartikels eindeutig zu definieren. Typische Rollen für Beschaffungsartikel sind zum Beispiel: Qualitätsgarant, Preisführer, Innovator, Profilierungs- oder Ergänzungsartikel.

In den meisten Fällen, abhängig vom eingesetzten ERP-System, empfiehlt es sich für die Verarbeitung guter Produktdaten, ein performantes Content-Management-System vorzuschalten. Mit ihm lassen sich Produktdaten deutlich leichter bearbeiten, selektieren und verwalten.

KI oder nicht KI

Bei der Digitalisierung des Category Management steht eine Frage – durchaus zu Unrecht – oft im Vordergrund: „Welches CM-Tool sollen wir einsetzen?“

Frei nach dem Motto, wenn wir das richtige Tool einsetzen, dann funktioniert auch unser Category Management. Durch den aktuellen KI-Hype gewinnt diese Frage sogar noch an Bedeutung. Natürlich erfordert eine effektive Digitalisierung des CMs den Einsatz geeigneter IT-Tools. Aber vorab müssen Unternehmen, wie schon bei der Datenthematik, Zielsetzung und Strategie festlegen. Die Auswahl an sehr unterschiedlichen und durchaus geeigneten Tools ist inzwischen so groß, dass sich viele Unternehmen verzetteln und Monate bis Jahre mit der falschen Fragestellung verbringen. Nebenstehende Auflistung gibt einen Überblick zu den auf dem Markt befindlichen Tools. Dabei sind die wichtigsten Kriterien für die Auswahl der IT-Tools folgende:

  • Welche Datenstruktur steht zur Verfügung? Nicht alle Tools können alle Daten gleich gut verarbeiten.
  • Welche Kernaufgabe soll unterstützt werden? Reine Einkaufsysteme entscheiden sich deutlich von Tools für die Sortimentsoptimierung oder von Tools, die sogar Pricing und Platzierungsvorschläge machen können.
  • In welcher Form werden die Auswertungen genutzt? Geht es mehr um die Unterstützung des reinen CM-Bereiches oder sollen auch operative und kundennahe Bereiche damit im Tagesgeschäft arbeiten können?

Sobald diese Fragen präzise beantwortet sind, sollte die Auswahl eines geeigneten Tools unkompliziert sein. Dann bleibt noch die Frage, ob die Software mit oder ohne KI-Unterstützung arbeiten soll. Da der KI-Prozess sich noch in einem frühen Stadium befindet, kann an dieser Stelle nur ein sehr allgemeiner Rat gegeben werden: Die Entscheidung steht und fällt mit dem Reifegrad der Category Management Organisation. In einer gut strukturierten und weitgehend digitalisierten CM-Organisation ist der Einsatz von KI-Unterstützung durchaus überlegenswert, zum Beispiel bei der Optimierung von Preisstrategien, oder im Einkauf bei der Optimierung von Bestell- und Bestandsmengen in Abhängigkeit der Beschaffungsstrategie. Wer hingegen am Anfang der Digitalisierung von CM steht oder vielleicht sogar am Anfang eines effektiven CM-Prozesses, der sollte sich zunächst auf die Basics in den Produktdaten konzentrieren, mit standardisierten Einkaufs- und Sortimentsanalysen beginnen und vor allem den Category-Strategie-Prozess organisatorisch verankern.

Structure follows Strategy

Ähnlich wie zur Auswahl der Software-Tools stellen sich Unternehmen am Anfang von CM-Projekten die Frage nach der geeigneten Organisationsform. Sie ist bei der Digitalisierung von CM-Prozessen genauso wichtig wie die Auswahl der IT-Unterstützung. Noch eher als durch unpassende Software geraten viele Projekte an dieser Stelle ins Straucheln. Digitalisierung, also das Coding von Informationen in 0 oder 1, kennt keine Graustufen. Anders als Organisationsformen. Und genau hier lauert ein grundlegendes Problem: Viele Unternehmen tun sich schwer, Ihre Organisation an neue digitalisierte Prozesse anzupassen, weil dadurch Kompetenzen oftmals verschoben werden. Es geht aber nicht anders. Wer CM-Prozesse digitalisieren will, muss auch Organisationsformen entsprechend anpassen.

Eine weitere Herausforderung bei der Digitalisierung des Category Managements ist die Teamzusammensetzung. Klassischerweise finden sich in CM-Teams viele Einkäufer und Produktspezialisten wieder. Das ist richtig so. Allerdings reichen die Expertisen in der digitalisierten Welt nicht mehr aus. Wirkliche Break-Through-Effekte erzielen nur heterogen zusammengesetzte Teams mit zusätzlichen Kompetenzen. Unternehmen benötigen auf ihrer Digitalisierungsroute Datenspezialisten und insbesondere Datenanalysten. Parallel ergibt es Sinn, Einkäufer und Sortiments-Manager in grundlegender Datenanalyse kontinuierlich zu schulen. Denn wie das Eingangsbeispiel von Walmart zeigt, entstehen die besten Erkenntnisse aus tiefem Daten-, Produkt, und Kundenverständnis.


Bild: Wertify

Ralf Maurer

Wertify Consulting,
fokussiert auf Einkauf und Category Management Prozesse.


Category Management im Einkauf

Beispiele von Softwaretools für das Category Management:

  • Cirtuo: AI unterstützte Einkaufs- und Category Management Software
  • Jaggaer: Einkaufs-Tool mit vielen Category Management Anwendungen
  • SAP Ariba: Einkaufs- und Beschaffungs-Tool, das den Category Management Prozess unterstützt
  • GEP smart: Fokus für End-to End Beschaffung
  • Coupa Procurement: Fokus für End-toEnd Beschaffung
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