Die Wälder spielen eine wichtige Rolle für den Luft- und Wasserkreislauf und tragen zur Stabilisierung des Klimas bei. Doch nicht überall geht es ihnen gut, wie eine Bestandsaufnahme zeigt: Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) schätzt, dass zwischen 1990 und 2020 weltweit 420 Millionen Hektar Wald verloren gegangen sind – eine Fläche größer als die Europäische Union. Zehn Millionen Hektar der globalen Waldfläche werden jedes weitere Jahr vernichtet, wovon allein 90 Prozent auf die Ausweitung der Landwirtschaft zurückzuführen sind. Viele landwirtschaftliche Erzeugnisse, die mit der Entwaldung in Verbindung stehen, wurden in den letzten Jahren auch in die EU eingeführt und dort verbraucht. So landete zwischen 1990 und 2008 ein Drittel aller Agrarprodukte, die mit der Entwaldung in Verbindung stehen, in der EU. Dazu zählen neben Holz insbesondere Kaffee, Kakao oder Palmöl. Unter anderem aus diesem Grund hat die EU die European Deforestation Regulation (EUDR) auf den Weg gebracht. Die EU-Verordnung ist bereits im Juni 2023 in Kraft getreten und verpflichtet Unternehmen dazu, ihren Anteil an der globalen Entwaldung zu eliminieren. Demnach dürfen nur Rohstoffe und Produkte in die EU ein- und ausgeführt oder auf dem EU-Markt bereitgestellt werden, wenn diese weder mit Entwaldung noch Waldschädigung in Verbindung stehen.
Doch welche Regelungen beinhaltet die EUDR im Detail? Welche Unternehmen und Produktgruppen sind davon betroffen? Welche Folgen haben Verstöße gegen die Entwaldungsverordnung? Und nicht zuletzt: Was bedeutet dies alles für die Beschaffungs- und Einkaufsorganisation von Unternehmen?
Globale Waldflächen besser schützen
Die EU-Verordnung zu entwaldungsfreien Lieferketten sieht verschiedene Sorgfaltspflichten für Unternehmen vor. Dazu gehören etwa die Einhaltung lokaler Gesetze, der Nachweis von Herkunftsflächen – Stichwort Geolokalisierung – oder die Sicherstellung der Entwaldungsfreiheit. Das Ziel: Die globale Entwaldung einzudämmen und die „grünen Lungen“ der Erde besser zu schützen.
Ausschlaggebend für die EUDR-Konformität ist dabei der sogenannte „Bewaldungs-Status“ von Erzeugungsflächen zum Stichtag 31. Dezember 2020. Das heißt: Unternehmen müssen entlang ihrer Lieferkette sicherstellen und nachweisen, dass die von ihnen bezogenen Produkte oder Rohstoffe nicht von Flächen stammen, die nach dem 31. Dezember 2020 abgeholzt oder abgebaut worden sind.
Ist der Kaffee am Morgen entwaldungsfrei?
Um den geforderten Sorgfaltspflichten nachzukommen, ist Transparenz und Nachvollziehbarkeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette entscheidend. Für Beschaffung und Einkauf gilt es, umfassende Informationen zu sammeln und Rohstoffe oder Produkte bis zu ihrem Ursprungsort zurückzuverfolgen. Durch die Analyse dieser Daten lassen sich Risiken identifizieren und bewerten. Dabei müssen neben illegaler Entwaldung und Waldschädigung auch Aspekte wie die Wahrung der Menschenrechte, sowie der Lebensgrundlage und Rechte von indigenen Völkern berücksichtigt werden. Zudem muss gewährleistet sein, dass es im eigenen Portfolio nicht zu einer Vermischung mit Erzeugnissen kommt, die nicht EUDR-konform sind. Auf Basis der ermittelten Ergebnisse und Risikobewertungen müssen Unternehmen – bevor sie Rohstoffe oder Produkte in den Verkehr bringen – eine Sorgfaltserklärung abgeben und Verantwortung für die EUDR-Konformität übernehmen.
Die Zeit wird knapp: Umsetzung bis Ende 2024
Für Beschaffung und Einkauf muss einerseits klar sein, inwieweit bezogene Rohstoffe oder Produkte von der EUDR betroffen sind. Andererseits müssen sie auch die Rolle ihres Unternehmens kennen und wissen, ob es als Inverkehrbringer oder Händler von relevanten Rohstoffen – darunter Kaffee, Kakao, Rinder, Palmöl, Soja, Kautschuk und Holz – und den daraus hergestellten Erzeugnissen in der Europäischen Union agiert. Zu letzteren zählen mehr als 800 Produktgruppen, die in der EU in Umlauf gebracht werden. Unter die Anforderungen fallen beispielsweise Folgeprodukte wie Lederwaren, Reifen, Dichtungen, Schokolade, Röstkaffee, Glycerin, Sojaöl, Sperrholz, Möbel und diverse Papier- und Printprodukte.
Der Zeitrahmen für die Umsetzung des EUDR ist sportlich. Größere Unternehmen in der EU müssen die Verordnung ab dem 30. Dezember 2024 anwenden. Nach dem 30. Juni 2025 ist die Anwendung dann auch für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) verpflichtend. Hinzu kommt: Die betroffenen Unternehmen müssen ihre zur Erfüllung der Sorgfaltspflicht eingeführten Maßnahmen oder Verfahren mindestens jährlich überprüfen und öffentlich berichten. Außerdem plant die EU, künftig eine Folgenabschätzung sowie einen Erweiterungsvorschlag vorzulegen.
Bis Ende des Jahres haben größere Unternehmen noch Zeit, die eigene Wertschöpfungskette zu überprüfen und die von der EUDR geforderten Pflichten umzusetzen. Beschaffung und Einkauf sollten die nächsten Monate zur intensiven Vorbereitung nutzen, denn Verstöße gegen die EUDR können drastische Folgen nach sich ziehen. Neben Imageschäden drohen Bußgelder von über vier Prozent des Jahresumsatzes. Darüber hinaus dürfen Rohstoffe und Erzeugnisse, die gegen die Verordnung verstoßen, nicht in Verkehr gebracht werden, Handel oder Ausfuhr sind untersagt. Auch ein vorübergehender Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen und die Erstattung des finanziellen Aufwands der Behörden sind möglich.
Entwaldungsverordnung als Chance nutzen
Die gute Nachricht: Unternehmen, die das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) erfüllen oder sich bereits mit der geplanten Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) der EU beschäftigt haben, sind klar im Vorteil. Sie können das eigene Beschaffungs- und Produktportfolio jetzt weitergehend analysieren und etwaige Lücken in der Datenlage identifizieren. So erhöhen sie die Transparenz und Datenverfügbarkeit in ihrer Lieferkette und können die neuen Anforderungen der EUDR effizienter umsetzen. Dies macht es ihnen zugleich auch einfacher, Risiken und Chancen in der eigenen Wertschöpfungskette zu erkennen und diesen proaktiv zu begegnen.
Florian Pütz
Senior Manager, Experte für entwaldungsfreie Lieferketten im Bereich Nachhaltigkeitsberatung, PwC Deutschland
Andreas Feiner
Partner und Experte für entwaldungsfreie Lieferketten im Bereich Nachhaltigkeitsberatung, PwC Deutschland
EU-Entwaldungsverordnung: Checkliste
- Gibt es Produktgruppen oder Rohstoffe in der Wertschöpfungskette, die von der EUDR betroffen sind?
- Lassen sich die beschafften Rohstoffe bis zum Erzeugungspunkt zurückverfolgen?
- Ist klar, dass bei der Erzeugung alle lokalen Gesetze berücksichtigt wurden?
- Kann der Einkauf bei bestimmten Rohstoffen oder Erzeugnissen stichhaltig nachvollziehen, dass deren Erzeugung nicht zu Entwaldung oder Waldschädigung beigetragen hat?
Mögliche Sanktionen für Unternehmen
Bei Verstößen gegen das EUDR drohen für Unternehmen nicht nur Reputationsverlust, sondern auch finanzielle Risiken beispielsweise durch
- Zwangs- und Bußgelder
- Vorübergehendes Verbot des Inverkehrbringens, von Handel oder Ausfuhr betroffener Rohstoffe oder Erzeugnisse
- Vorübergehender Ausschluss von öffentlichen Vergabeverfahren
- Erstattung der bei Behörden durch einen Verstoß angefallenen Kosten