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Flexibilität: Projekte, Netzwerke & SWAT

Organisationstrends für den Einkauf, Teil 2
Flexibilität: Projekte, Netzwerke & SWAT

Agilität und Resilienz werden in dynamischen Zeiten gerne bemüht, um die Krisenfestigkeit von Unternehmen herauszustellen. Schneller, flexibler, dennoch stabiler und effizienter sollen Einkaufsabteilungen sein. Als Maßnahmen werden dabei regionalere Lieferantenstrukturen oder höhere Sicherheitsbestände empfohlen. Wie man Organisationen resilienter gestaltet, bleibt dagegen oft außen vor – obwohl gerade hierin großes Potential liegt. Dieser Beitrag behandelt erfolgreiche Organisationskonzepte und deren Anwendungspotentiale.

Resilienz ist in den letzten Jahren fast schon zu einem überstrapazierten Begriff geworden. Bezeichnet wird damit die Fähigkeit eines Systems, Störeinflüsse von außen auszuhalten (Stabilität/Robustheit)) und flexibel damit umzugehen (Agilität).

Globale Entwicklungen der letzten Jahre werden gerne als „Krisen“ bezeichnet. Damit wird suggeriert, sie seien kurzfristig bzw. vorübergehend. Doch was, wenn nicht? Was, wenn sie beständiger, quasi dauerhaft, auftreten? Wäre es dann nicht sinnvoll, im Einkauf darauf zu reagieren, den diese Entwicklungen als zentrale externe Schnittstelle früher und heftiger treffen als andere Unternehmensbereiche? Der Weg muss vom permanenten Krisenmodus eilig einberufener Task-Forces wegführen, hin zu Organisationskonzepten, die Wandel und Dynamik als das annehmen, was sie sind: Konstanten in einer komplexeren, volatilen Welt.

Crossfunktionale Zusammenhänge

Für mehr Agilität wurden in den letzten Jahren verstärkt „Netzwerkorganisationen“ gefordert. Ihr Kerncharakteristikum war die Abkehr von klassischen Organisationsstrukturen in Hierarchien und funktionalen „Silos“. Sie sollen schneller, innovativer und eigenständiger Entscheidungen treffen, indem sie in sich funktionsübergreifend organisiert sind. In vielen Unternehmen ist dabei die Zusammenarbeit außerhalb des eigenen Fachbereichs eher konfliktbehaftet und wenig von den übergeordneten, gemeinsamen Zielen – dem Unternehmenserfolg – getragen. Genau hier setzen Netzwerkorganisationen an: Sie stellen die crossfunktionalen Zusammenhänge in den Mittelpunkt, reduzieren die Starrheit hierarchischer Systeme und legen Entscheidungsverantwortung stärker in dezentrale Einheiten, z. B. Projektteams. Auf diese Weise soll schneller, effizienter und unternehmerischer agiert werden können – Kernprinzipien der Agilität.

Beispiel für den Einkauf sind funktionsübergreifende Warengruppenteams mit Vertretern aus Technik, Vertrieb, Finanzen, Produktion etc., in denen die Warengruppen-Manager aus dem Einkauf die Verantwortung für die Steuerung und die Beschaffungsleistung tragen. Demnach sind die „Category Manager“, analog zu Geschäftsführern, verantwortlich für den Gesamterfolg ihrer Warengruppe, also die Erfüllung der Bedürfnisse aller internen Stakeholder unter Berücksichtigung von Versorgungssicherheit und Einsparzielen. Hierfür muss ihnen eine weitreichende Entscheidungsfreiheit zugesprochen werden, um beispielsweise Teamzusammensetzung und Aufgabenzuweisung innerhalb der Warengruppenarbeit festzulegen. Das ergibt zwar möglicherweise neue organisatorisch-kulturelle Herausforderungen, z. B. Widerstände oder Unsicherheit bei den Mitarbeitenden. Gleichzeitig aber nimmt unternehmerisches Denken und Handeln zu – typischerweise ein Vorteil – für den Einkauf sowie für das Gesamtunternehmen.

SWAT-Teams im Einsatz

Während bei der Netzwerkorganisation primär die Flexibilität im Vordergrund steht, erfordert eine höhere Resilienz die zusätzliche Abwägung von Robustheit und Handlungsschnelligkeit. Kurzfristige Lieferkettenprobleme können und sollten in funktionsübergreifenden, temporären Krisenstäben gelöst werden. Wo aber Krisen immer häufiger auftreten, sollte man prüfen, ob nicht eine Verstetigung dieser kurzfristigen Organisationsformen Sinn ergibt: die Bündelung von Wissen und Erfahrung für spezielle Situationen, unter Beibehaltung oder besser Institutionalisierung der kurzfristigen Verfügbarkeit der jeweiligen Kompetenz und Kapazität.

In Rückgriff auf US-amerikanische Polizeispezialeinheiten etablieren daher immer mehr Unternehmen hier vereinfacht genannte „SWAT“-Teams („Special Weapons And Tactics“). Diese haben weder eine feste funktionale noch eine warengruppenspezifische Zuordnung. Ihre Aufgabe ist vielmehr, in vorübergehenden Situationen spezieller Herausforderungen (z. B. Lieferengpässe, Lieferantenausfall) den bestehenden Einkaufsverantwortlichen mit Fokus auf die akute Problemlösung zur Verfügung zu stehen. So steigern sie die Stabilität in Krisenfällen, weil deren Folgen durch die spezielle Expertise abgemildert werden, sie entlasten die Linienfunktionen und erhöhen die Handlungsschnelligkeit, da Personen nicht aus bestehenden Aufgaben des „Tagesgeschäfts“ abgezogen werden müssen. Dabei sind die organisatorischen Überlegungen nicht auf „Krisen“ beschränkt – auch beispielsweise für komplexe Verhandlungen könnten Experten aus institutionalisierten „Expertenpools“ zur Verfügung gestellt werden. Gedanke ist auch hier, warengruppenspezifische Verantwortliche situativ, vorübergehend und bedarfsorientiert mit tiefer Kompetenz zu unterstützen.

Die vorgestellten Ansätze sollen dabei die Handlungsschnelligkeit im Einkauf steigern und im Idealfall helfen, die Folgen von akuten Problemen besser abzufedern. Deren Umsetzung ist jedoch keineswegs frei von eigenen Herausforderungen. Vielmehr bedarf es intensiver Überzeugungsarbeit innerhalb, insbesondere aber außerhalb des Einkaufs, gerade bei funktionsübergreifenden Organisationsansätzen. Dazu gehört auch die Etablierung einer neuen Denkweise, denn das Denken in funktionalen Silos ist oft jahrzehntelang gewohnte Praxis. Anpassungen in die beschriebene Richtung sind daher nicht zwingend als sofort zu erreichende „Zielzustände“ zu verstehen, sondern vielmehr als Impulse entlang einer längerfristigen Transformation.

Sinnvolle Institutionalisierung

Ein zudem bei Organisationsfragen elementarer Aspekt sind die zur Verfügung stehenden Ressourcen – auch für die im ersten Beitrag (Beschaffung aktuell Ausgabe 6/2024) genannten Konzepte. Eigene Querschnittsfunktionen oder SWAT-Teams vorzuhalten scheint insbesondere für kleinere Einkaufsabteilungen schwierig. Hier kann man kurzfristig externe Unterstützung nutzen (wie z. B. Interim Manager oder Experts-on-demand). Mittelfristig ist jedoch auch hier zumeist eine Verstetigung bzw. Institutionalisierung als eigene Stelle sinnvoll. Selbst bei einem fünfköpfigen kann man einen eigenen Digitalisierungsexperten benennen. Bei angenommenen Prozesseffizienzen von 20 Prozent und mehr lohnt sich das schnell. Zudem ist es meist effizienter, übergreifende Themen bei einer Person (oder Organisation) zu bündeln, und nicht alle Mitarbeitenden „ein bisschen“ selbst recherchieren und agieren zu lassen.

Als Vorgehen ist dabei zunächst von der Zielsetzung der angestrebten Organisationsanpassung auszugehen. Kernfrage ist, was soll die Umorganisation bezwecken soll. Dabei ist es wichtig, die Rahmenbedingungen des Unternehmens bzw. des Einkaufs zu berücksichtigen, z. B. Ressourcen, Kompetenzen und – besonders wichtig – die Kultur. Dem folgt die Umsetzungsplanung und der tatsächliche „go live“.

Essenziell hier: Kommunikation, Schulungen und ggf. neue Austauschformate mit den verantwortlichen Führungskräften wie „Coffee Talks“. Denn: Die Vorbehalte, sogar Widerstände, die Mitarbeitende bei Veränderungen zeigen können, machen jede noch so gut geplante Organisationsanpassung schnell zunichte. Auch ist zu beachten, dass nach Umorganisationen die Struktur zwar für eine gewisse Zeit stabil gehalten werden sollte. Doch eine wirklich langfristig konstante Lösung ist dabei weder realistisch noch erstrebenswert. Zu dynamisch sind Umfeld und auch unternehmensinterne Veränderungen. Eher ist die Organisationsentwicklung ein permanentes „Austarieren“ einer Waage, bei der von außen immer wieder Gewicht weg- und hinzugenommen wird.

Es bleibt festzustellen: Strategische Wertbeiträge zu leisten – seien es Versorgung in Krisen oder verstärkte Innovationsimpulse – wird ohne Weiterentwicklung der darunter liegenden Organisation schwierig. Unabhängig von den Kernzielen Differenzierung, Spezialisierung, Agilität oder Resilienz – der Einkauf muss sich und seine Strukturen weiterentwickeln. Einige dafür in Frage kommende Ansätze haben wir Ihnen nun in zwei Artikeln vorgestellt. Den jeweils passenden auszuwählen und für das eigene Unternehmen umzusetzen, ist eine Herausforderung, an der für moderne Einkaufsverantwortliche kaum ein Weg vorbeiführt.


Bild: HS München

Prof. Dr. Florian C. Kleemann

HS München


Bild: privat

Jan Schieder

Masterand im DSPSM-Programm


Bild: HS München

Rebecca Fernandez

Masterandin im DSPSM-Programm

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