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Mehrwert durch die intelligente Vernetzung von Daten

Sven-Uwe Erber, Leiter Einkauf und Lieferantenqualität Brose Gruppe
Mehrwert durch die intelligente Vernetzung von Daten

Mehrwert durch die intelligente Vernetzung von Daten
Bei Sven-Uwe Erber, Leiter Einkauf und Lieferantenqualität Brose Gruppe, stehen innovative Ideen ganz oben auf der Agenda. 2023 wurden er und sein Team mit dem ISM-Award ausgezeichnet. Bild: Beschaffung aktuell
Gesamtsieger des ISM Award 2023 für die innovativste digitale Lösung im Bereich Procurement ist der Automobilzulieferer Brose. Sven-Uwe Erber, Leiter Einkauf und Lieferantenqualität, und sein Team haben die Jury mit dem unternehmensweiten Digitalisierungsprojekt „Integrated End to End Spend & Revenue Management“ überzeugt. Im Gespräch verrät er, wie es der Brose-Einkauf geschafft hat, einen Mehrwert für das gesamte Unternehmen zu generieren.

Das Gespräch führte Sabine Schulz-Rohde, Beschaffung aktuell

Beschaffung aktuell: Herr Erber, Ihnen und Ihrem Team, herzlichen Glückwunsch, zum Gesamtsieg beim ISM-Award. Welche Überlegungen lagen ursprünglich dem Projekt zugrunde?

Sven-Uwe Erber: Die Rohstoffkrise stellt Industrieunternehmen vor Herausforderungen aufgrund von hohen Rohstoffpreisen, niedrigen Margen und sinkenden Verkaufszahlen. Eine Möglichkeit, um diesen Herausforderungen zu begegnen, ist die Kostenoptimierung durch klassische Einkaufsaufgaben wie Kosten-Engineering, Verhandlungen und Schaffung von Wettbewerb. Unser Projekt begann mit dem Stammdaten- und Rohstoffmanagement im Einkauf. Dabei haben wir festgestellt, dass viele Firmen keine Lösung haben, um die Auswirkungen steigender Rohstoffpreise auf das Unternehmen vorherzusehen. Unser Fokus im Einkauf liegt darauf, datenbasierte Entscheidungen zu treffen und diese mit automatisierten KPIs zu steuern.

Beschaffung aktuell: Was waren die ersten Maßnahmen?

Erber: Wir begannen mit dem Aufbau einer Rohstoffdatenbank, die es ermöglichte, detaillierte Informationen zu jedem Rohstoff, wie Einsatzgewicht, Schrottgewicht, alte und neue Preise, zu erfassen. Besonders ins Gewicht fiel die klare Offenlegung von Preisanpassungen aufgrund von Rohstoffpreisschwankungen und anderen Einflussfaktoren wie Energiekosten. Diese transparente Darstellung der Preisanpassungen, die so dem Unternehmen vorher nicht zur Verfügung stand, half die Auswirkungen von Preisschwankungen besser zu verstehen und fundierte Beschaffungsentscheidungen zu treffen.

Mit Hilfe der Rohstoffdatenbank konnten wir einen echten Mehrwertbeitrag generieren und zugleich die Vernetzung zwischen Einkauf und Vertrieb verbessern. Anstelle von Excel-Tabellen setzten wir auf eine innovative Herangehensweise: Wir initiierten ein Projekt, das es uns ermöglichte, die Preishistorie für jede Identnummer zusammen mit den Rohstoffinformationen zu nutzen und diese Erkenntnisse direkt an den Vertrieb weiterzugeben.

Beschaffung aktuell: Die Lösung wird von mehr als 700 Mitarbeitenden im Einkauf, Vertrieb und Controlling genutzt. Der Anfang ist immer am schwersten: Wie haben Sie die anderen Bereiche an einen Tisch bekommen? Wie haben sie reagiert, als Sie auf sie zugekommen sind?

Erber: Die Einführung einer neuen Lösung zur Kostenoptimierung im Einkauf hat in einigen Abteilungen Zweifel aufgeworfen. Doch es konnten zwei entscheidende Vorteile aufgezeigt werden: Erstens, ein starkes “Sense of Urgency” aufgrund der Dringlichkeit in Bezug auf die Materialkosten hat geholfen, Unterstützung zu gewinnen. Zweitens wurde klargemacht, wie die Lösung dazu beiträgt, schneller und effizienter in einem hochdynamischen Umfeld zu agieren und Mehrwert für die Vertriebsseite zu schaffen. Dadurch konnte die Akzeptanz erhöht und internen Einkäufern vermittelt werden, wie sie die Daten nutzen können, um Mehrwert zu generieren. Es ist nun wichtig, dass das System weiterläuft und kontinuierlich genutzt wird, um langfristigen Nutzen zu erzielen.

Das Brose-Gewinnerkonzept:

Unternehmensweite Digitalisierung aus dem Einkauf

Beschaffung aktuell: Hat sich dadurch das Ansehen des Einkaufs im Unternehmen verändert?

Erber: Ja, das Ansehen des Einkaufs im Unternehmen hat sich verbessert. Es gibt eine bessere Wertschätzung zwischen den Abteilungen, ohne in eine Hierarchie der Besten oder Schlechtesten zu verfallen. Jeder schätzt die erarbeitete Lösung und den Mehrwert. Diese Leistung stammt nicht allein vom Einkauf, sondern von verschiedenen Funktionen und Teams, einschließlich der Geschäftsbereiche und des Vertriebs. Dies beweist den Erfolg der cross-funktionalen Zusammenarbeit und das Aufbrechen von Silos für das gesamte Unternehmen. Es zeigt, wie wir gemeinsam erfolgreich sein können, indem wir zusammenarbeiten und den Mehrwert für das Unternehmen vorantreiben.

Beschaffung aktuell: Was war die größte Herausforderung in dem Projekt?

Erber: Die größte Herausforderung bestand darin, die erforderlichen Kapazitäten zu erhalten. Ansonsten arbeitete das engagierte cross-funktionale Team erfolgreich zusammen.

Beschaffung aktuell: Wie lang dauerte die Entwicklung des Projekts?

Erber: Die Einführungs- und Entwicklungszeit betrug knapp 1400 Stunden. Darin waren auch die Aufwendungen für die Datenpflege enthalten. Unser IT-Leiter Christian Ley unterstützte das Projekt maßgeblich. Wir hatten einen offenen Dialog und konnten gemeinsam die Priorisierung und Zuweisung der Ressourcen klären. Ich bin stolz darauf, wie gut unser Team zusammengearbeitet hat.

Beschaffung aktuell: Gehen wir zurück zu den Anfängen: 2016 hat Brose einen Award für die innovativste Anwendung in SAP erhalten. Nun sagen Sie, dass wichtige Rohstoffdaten in Excel vorgehalten wurden?

Erber: In der SAP-Datenbank sind viele Informationen gespeichert, aber oft werden sie isoliert betrachtet. Unser Ansatz ist, auf Krisen schnell zu reagieren. Früher war unser Prozess Excel-gestützt und zog sich über Wochen hin, bis wir Auswertungen und Informationen zu Preisen hatten. Jetzt haben wir alles auf Knopfdruck aus der Datenbank und können es sofort auswerten. Mit diesem neuen System können wir präzise Informationen darüber erhalten, welche Materialien wo auf der Welt benötigt werden, inklusive Preisfindung und Historie.

Beschaffung aktuell: Wie kann der Vertrieb davon profitieren?

Erber: Um im Einkauf unternehmensweiten Mehrwert zu generieren, definieren, sammeln und pflegen wir zu 100 Prozent korrekt die wichtigen Daten. Diese Daten stellen wir dann an den relevanten Stellen zur Verfügung. Dadurch können Preiserhöhungen in der Beschaffung direkt im Vertrieb berücksichtigt werden. Obwohl noch einige Cockpits gebaut werden müssen, können wir bereits feststellen, wie viel mehr wir für Rohstoffe, wie Stahl im Einkauf gezahlt haben und wie viel wir auf der Vertriebsseite eingenommen haben. Dieses System braucht zwar eine gewisse Anlaufzeit, am Ende ermöglicht es uns, einen umfassenden Überblick über die Auswirkungen zu erhalten und den Nutzen sowohl auf der Einkaufs- als auch auf der Vertriebsseite zu optimieren.

Beschaffung aktuell: Gibt es weitere Bereiche, wo Sie die Daten nutzen?

Erber: Die Bereitstellung dieser Daten ermöglicht es, den Einkauf völlig neu zu denken und Verbindungen zwischen verschiedenen Themen herzustellen. In Zukunft werden erfolgreiche Einkaufsorganisationen genau das tun – nicht nur klassische Aufgaben verwalten, sondern auch Themen verknüpfen und Mehrwert für das Gesamtunternehmen schaffen.

So ermöglichen diese Daten Nachhaltigkeit voranzutreiben, etwa durch eine CO2-Bilanz. Damit bin ich beim Punkt: intelligente Vernetzung von Daten. Wir erzeugen eine Datentransparenz, mit der wir gezielt und effizient Nachhaltigkeitsziele erreichen, anstatt jedes einzelne Teil separat anzupassen. Außerdem widmen wir uns bereits den Themen Lohn- und Energiekosten.

Beschaffung aktuell: Bleiben wir bei der CO2-Bilanz. Wie gehen Sie da vor?

Erber: Im CO2-Modell von Produkten erstellen wir derzeit pro Commodity ein digitales CO2-Modell. Es ist zwar noch nicht zu 100 Prozent genau, aber wir arbeiten hierzu mit einer Firma zusammen, um Kosten und CO2 miteinander zu verbinden. Wenn wir diese Daten mit unserer Rohstoffdatenbank kombinieren – Einsatzgewicht, Schrottgewicht usw. – können wir den CO2-Footprint abschätzen. Indem wir den Produktionsstandort und das Ablieferwerk einbeziehen, können wir auch die Logistik berücksichtigen. Dieses Modell ermöglicht es uns, auf Knopfdruck den CO2-Wert für Tausende von Identnummern zu berechnen. In ersten Tests lieferte es bereits eine recht hohe Genauigkeit.

Beschaffung aktuell: Womit haben Sie die Werte verglichen?

Erber: Wir haben die generische CO2-Berechnung pro Warengruppe mit einer detaillierten Einzelberechnung für bestimmte Teile verglichen und festgestellt, dass das generische Modell überraschend nah an den tatsächlichen Werten liegt, besonders bei einfachen Teilen. Bei komplexeren Teilen müssen wir das Modell noch nachjustieren.

Beschaffung aktuell: Wie gehen Sie bei Produktänderungen vor?

Erber: In unserem Prozess gibt es Punkte, an denen Produkte durch kleine Innovationen oder Konstruktionsänderungen verbessert werden, um beispielsweise Gewicht einzusparen. Diese Veränderungen werden über einen Index gesteuert. Wenn am Produkt etwas geändert wird, erhöht sich in der Regel der Index, und das wirkt sich auf andere Daten aus. Wenn sich beispielsweise der Preis ändert, weil das Produkt technisch einfacher wurde, beeinflusst dies den Index und löst den Prozess erneut aus, um die anderen Daten zu überprüfen.

Unsere Vision ist es, dass der Lieferant auch diese Daten selbst verwalten kann. Der Lieferant hat ein Portal, auf dem er alle Identnummern sehen kann, die mit seinen Rohstoffdaten und anderen Informationen verknüpft sind. Er wird selbst dafür verantwortlich sein, diese Daten zu pflegen und aktuell zu halten. Dies würde den Prozess effizienter gestalten und sicherstellen, dass die Daten genau und aktuell sind.

Beschaffung aktuell: Wie messen Sie den Mehrwert der Innovationen, den der Einkauf ins Unternehmen holt?

Erber: Im Einkauf haben wir ein eigenes Team für Innovation und Nachhaltigkeit. Dieses Team misst und bewertet Ideen, die von Lieferanten vorgeschlagen werden, insbesondere im Bereich Innovation. Nachhaltigkeit hat für uns einen hohen Stellenwert und wird als eine Art Innovation betrachtet, da wir uns bemühen, Dinge anders und nachhaltiger zu gestalten. Die KPI, die wir im Einkauf messen, umfasst beispielsweise die Anzahl der Produktideen, die wir von Lieferanten erhalten, und wie viele davon umgesetzt wurden. Seit 2014 haben wir über 1400 Lieferantenideen gesammelt, von denen 200 erfolgreich umgesetzt wurden. Unser Engagement in diesem Bereich wurde übrigens auch mit einem Innovationspreis gewürdigt.

Beschaffung aktuell: Was haben Sie konkret umgesetzt?

Erber: Wir integrieren das Thema Nachhaltigkeit in unsere Innovationsstrategie, da wir unsere Lieferanten als wichtige Partner in diesem Prozess sehen. Wir verknüpfen unsere Digitalisierungsprojekte mit dem Nachhaltigkeitsansatz, um schnell und effizient reagieren zu können, wenn Kundenanfragen nach nachhaltigen Lösungen kommen. Diese Transparenz ermöglicht es uns, schnelle und smarte Entscheidungen zu treffen, sei es durch Änderungen an bestimmten Komponenten oder durch das Angebot alternativer Produktlösungen mit geringerem CO2-Fußabdruck.

In der Vergangenheit haben wir bereits erfolgreich Lösungen umgesetzt, die sowohl Kosten als auch CO2-Emissionen reduzieren, insbesondere im Bereich Leichtbau. Heutzutage ist das Gewicht nicht immer der entscheidende Faktor, sondern die CO2-Effizienz. Wir diskutieren mit unseren Kunden über Lösungen, die zwar nicht immer das geringste Gewicht haben, aber eine deutlich verbesserte CO2-Bilanz aufweisen. Damit streben wir sowohl Nachhaltigkeitsziele als auch wirtschaftliche Vorteile an.

Beschaffung aktuell: Was macht Sie als Führungspersönlichkeit aus?

Erber: Ein bekannter Spruch besagt: „Take care of your people and they will take care of business.“ Ich glaube daran, dass die Mitarbeiter das Herzstück eines jeden Unternehmens sind. Um das Beste für das Unternehmen zu erreichen, ist es wichtig, die Mitarbeiter zu befähigen und zu unterstützen. Indem man ihnen die notwendigen Ressourcen und Schulungen zur Verfügung stellt, können sie ihr volles Potenzial ausschöpfen und ihre Fähigkeiten verbessern. Dies führt nicht nur zu einer höheren Produktivität und Effizienz, sondern auch zu einer höheren Mitarbeiterzufriedenheit und -bindung.

In diesem Kontext lautet mein persönliches Motto: „Empower people to achieve more and grow professionally as well as personally“. Dies führt nicht nur zu einem höheren Engagement und einer höheren Motivation, sondern auch zu einer höheren Mitarbeiterbindung. Es ist wichtig, dass die Mitarbeiter sich wertgeschätzt fühlen und dass sie wissen, dass ihr Wachstum und ihre Entwicklung im Unternehmen gefördert werden.

Beschaffung aktuell: Vielen Dank für das Interview, Herr Erber.


Sven-Uwe Erber

Den Diplom Wirtschaftsingenieur haben immer beide Aspekte interessiert: Technik und Wirtschaft. Erber begann seine Karriere bei Brose in Coburg im Jahr 2003 mit einem dualen Studium, um eine praxisnahe Ausbildung zu erhalten. Von 2003 bis 2006 absolvierte er sein Studium und trat dann 2006 in den Einkaufsbereich ein. Dort war er zuerst im Commodity-Einkauf tätig und verantwortete elektrische Antriebe bzw. Elektromotoren für Fensterheber und Sitzverstellungen. Seit 2021 hat er die Leitung Einkauf und Lieferantenqualität der Brose Gruppe inne.


Brose

Die Brose-Unternehmensgruppe entwickelt und produziert an weltweit 68 Standorten in 24 Ländern mechatronische Komponenten und Systeme für Fahrzeugtüren und Sitze sowie elektrische Antriebe. Zu den Kunden zählen rund 80 Automobilhersteller sowie rund 40 Automobilzulieferer und 50 E-Bike-Hersteller. Inklusive des Joint Ventures Brose Sitech beschäftigt das Familienunternehmen weltweit mehr als 32.000 Mitarbeiter. Im Geschäftsjahr 2022 erwirtschaftete die Gruppe einen Umsatz in Höhe von 7,5 Milliarden Euro.

Hier geht es zum Video über das Gewinner-Konzept von Brose:

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