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Noch mehr Lieferkettensorgfalt

Europäische Regelung kommt
Noch mehr Lieferkettensorgfalt

Noch mehr Lieferkettensorgfalt
Rechtsanwalt Florian Hoffmann, Partner bei Bird&Bird, Hamburg Bild: Bird&Bird
Nach zähem Ringen hat man sich auf eine europäische Lieferkettenrichtlinie geeinigt, die zu einer Verschärfung des deutschen Gesetzes führen wird. Insbesondere die neuen Haftungsregeln sind auch für die Beschaffungsseite von Bedeutung.

Just am 11. Jahrestag des Einsturzes des Rana-Plaza-Gebäudes in Bangladesch, bei dem 2013 mehr als 1.100 Arbeiterinnen und Arbeiter starben, stimmte das Parlament der Europäischen Union (EU) nach langen Diskussionen einer Richtlinie zu, die zur Einhaltung von Sozial-, Arbeits- und Umweltstandards über die gesamte Lieferkette verpflichtet. Am 24.4.2024 wurde die „Corporate Sustainability Due Diligence Directive“, kurz CSDDD, genannte Regelung verabschiedet. Sie muss von den Mitgliedstaaten innerhalb von zwei Jahren in nationales Recht umgesetzt sein, in Deutschland durch entsprechende Anpassung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG). Wirkung entfaltet die neue Richtlinie erstmalig im Jahr 2027.

Finale Version entschärft

Der Entwurf, der jetzt beschlossen wurde, ist gegenüber früheren Fassungen in zwei wesentlichen Punkten deutlich entschärft worden, um ihn kompromissfähig zu machen. Zunächst wurde der Anwendungsbereich eingeschränkt, nunmehr sind ab 2027 Unternehmen ab 5.000 Mitarbeitenden und mehr als 1,5 Milliarden Euro Jahresumsatz adressiert. Ein Jahr später, ab 2028, kommen Betriebe mit mehr als 3.000 Beschäftigten/900 Millionen Euro Umsatz dazu. 2029 schließlich gelten die Schwellenwerte 1.000 Beschäftigte/450 Millionen Euro Umsatz; ab dieser Umsatzschwelle sind auch Unternehmen aus Drittstaaten einbezogen.

Abstand genommen hat man von dem Ansatz, bestimmte Hochrisikobranchen zu definieren, deren Unternehmen auch dann in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen sollten, wenn sie die oben genannten Schwellenwerte nicht erreichen. So haben sich etwa Textilindustrie, Landwirtschaft und Baubranche in letzter Sekunde vor besonderen Verschärfungen gerettet.

Im Vergleich mit dem bereits seit 2023 geltenden deutschen LkSG weist die europäische Variante dennoch einige deutlich strengere Regelungen auf. „Lieferkettenrechtliche Sorgfaltspflichten gelten nicht mehr nur für Tätigkeiten der vorgelagerten Geschäftspartner, also in der klassischen Lieferkette, sondern im Grundsatz auch für Tätigkeiten nachgelagerter Geschäftspartner in den Bereichen Vertrieb, Transport und Lagerung“, sagt Rechtsanwalt Florian Hoffmann aus Hamburg. Der Partner der Kanzlei Bird&Bird empfiehlt Unternehmen, ihre Betrachtungsweise zu erweitern und statt der Lieferkette künftig ihre gesamte „Aktivitätskette“ in den Blick zu nehmen.

Deutsches LkSG weniger streng

Und man muss in Zukunft die zweite und dritte Reihe betrachten. Denn auch die mittelbaren Geschäftspartner – also solche, mit denen man nicht in einer direkten Geschäftsbeziehung steht, etwa das vom Lieferanten beauftragte Logistikunternehmen – müssen nun CSDDD-konform agieren; bisher waren es nur die unmittelbaren Partner. Nach deutschem Recht musste erst reagiert werden, wenn man als Unternehmen „substantiierte Kenntnis“, also deutliche Anzeichen, von möglichen Verstößen beim Sub-Sub-Unternehmer hatte – was aufgrund der Distanz zum mittelbaren Geschäftspartner quasi nie vorkam. „Eine solche Einschränkung der Sorgfaltspflichten in Bezug auf indirekte Geschäftspartner sieht die CSDDD nicht vor“, warnt Handelsrechtsexperte Hoffmann. Die Pflicht zu Handeln setzt somit viel früher ein.

Als Folge dieser Verschärfung werden betroffene Unternehmen insbesondere ihre Risikoanalyse und operativen Prozesse anpassen müssen. Für den Einkauf bedeutet das, dass man auch die Lieferketten hinter den direkten Lieferanten kennen muss, um die dortigen mannigfaltigen Risiken – sei es Kinderarbeit, seien es Umweltschutzverstöße oder Dumpinglöhne – identifizieren zu können.

Regelung geht an die Substanz

Hier zeigt sich ein weiterer Unterschied zwischen EU-Regelwerk und deutscher Version: Falls erforderlich, wird ein Unternehmen nach der CSDDD zu umfassenden Präventionsmaßnahmen verpflichtet, die Kernbereiche des unternehmerischen Handelns betreffen können – „etwa Investitionen in Produktionsprozesse oder Infrastruktur sowie Änderungen der Geschäftsmodelle und -strategien“, nennt Anwalt Hoffmann Beispiele. Änderungen der Beschaffungsstrategien etwa oder des Lieferantenmanagements könnten demnach unter Umständen zu einer gesetzlichen Pflicht werden. „In dieser Deutlichkeit waren derartige gesetzgeberische Wertungen dem LkSG bisher nicht zu entnehmen“, stellt Hoffmann fest.

Zivilrechtliche Haftung kommt

In Deutschland von den einen vehement gefordert, von den anderen rigoros abgelehnt, schließlich nicht Gesetz geworden: die zivilrechtliche Haftung bei Verletzung der Sorgfaltspflichten. Sie kehrt jetzt via EU-Richtlinie auch ins deutsche LkSG zurück. „Einen Paradigmenwechsel“ nennt Handelsrechtler Hoffmann das. Er weist darauf hin, dass die CSDDD sogar ausdrücklich klarstelle, dass weder die Überwälzung auf Vertragspartner noch eine Zertifizierung durch Dritte die Haftung ausschließe. Damit soll einer Praxis der Riegel vorgeschoben werden, mit der kleinere Zulieferer von den großen Auftraggebern per schlichter Vertragsklausel dazu verpflichtet wurden, die Anforderungen zu erfüllen, Sanktionen eingeschlossen.

„Einen ‚einfachen‘ Weg aus dem Haftungsrisiko gibt es nicht mehr“, ist sich Hoffmann sicher. „Das A und O für einen wirksamen Schutz vor Haftung sind die Aktualisierung des Risikomanagementsystems für Lieferketten und eine minutiöse und fortgeschriebene Dokumentation der Prozesse.“


Die Autorin: Anja Falkenstein,

Rechtsanwältin, Karlsruhe


„Moratorium“ für das deutsche Lieferkettengesetz?

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck überraschte jüngst mit dem Vorschlag, mit dem deutschen Lieferkettengesetz so lange „zu pausieren“, bis die europäische Regelung in Kraft trete. „Das wäre ein richtiger Befreiungsschlag“, so der Minister. Eine solche gesetzgeberisch eher unübliche Vorgehensweise fällt in die Zuständigkeit des Arbeits- und Sozialministerium von Hubertus Heil. Ob der SPD-Mann das umsetzen will, wird sich zeigen.


Die Voraussetzungen für die zivilrechtliche Haftung nach der EU-Lieferketten-Richtlinie

Rechtsanwalt Florian Hoffmann von Bird&Bird erläutert:

„Für die Haftung nach der neuen CSDDD müssen vier Voraussetzungen erfüllt sein:

1. Eine Verletzung der in der CSDDD definierten Sorgfaltspflichten zur Prävention und Behebung negativer Menschenrechts- oder Umweltauswirkungen, die gerade dem Schutz des Geschädigten zu dienen bestimmt ist.

2. Die Verletzung eines nach nationalem Deliktsrecht geschützten Rechtsguts des Geschädigten. Dies sind nach deutschem Recht insbesondere das Leben, der Körper, die Gesundheit, die Freiheit und das Eigentum, aber beispielsweise nicht das Vermögen als solches, weshalb bei ‚reinen‘ Vermögensschäden mangels Verletzung eines geschützten Rechtsguts keine lieferkettenrechtliche Haftung droht.

3. Der kausale Zusammenhang zwischen der Sorgfaltspflichtverletzung und der Rechtsgutsverletzung beim Geschädigten. Unter diesem Gesichtspunkt dürfte eine Haftung nur ausscheiden, wenn die Rechtsgutsverletzung auch bei Einhaltung der haftungsbewehrten Sorgfaltsanforderungen eingetreten wäre oder wenn der Schaden ausschließlich durch einen Geschäftspartner verursacht wurde. Mitursächlichkeit schließt die Haftung dagegen nicht aus, sondern führt gegebenenfalls zu einer gemeinsamen Haftung des Unternehmens mit einem direkten oder indirekten Geschäftspartner.

4. Ein Verschulden, also Vorsatz oder Fahrlässigkeit, des verpflichteten Unternehmensträgers.“

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