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Supply-Chain-Planung mit KI: Wahrheiten und Irrtümer

Von KI, Krisenbewältigung und Küchen
Supply-Chain-Planung mit KI: Wahrheiten und Irrtümer

Wir müssen uns wohl an die Vorstellung eines „No Normal“ gewöhnen. Deswegen hoffen viele Manager auf den Einsatz von KI in der Supply-Chain-Planung als Geheimwaffe, um Krisensituationen zu meistern. Wir zeigen, was KI kann und wo ihre Grenzen sind, und was man unbedingt bei der Einführung beachten muss.

Die Unternehmenberatung Gartner beschreibt „No Normal“ als „ein Umfeld der Ungewissheit und Mehrdeutigkeit, das kontinuierliche Flexibilität, Innovation und Investitionen (oder Reinvestitionen) in Daten- und Analysestrategien erfordert“. Der Einsatz von KI in der Supply-Chain-Planung soll dafür die Geheimwaffe sein, um Krisensituationen zu meistern.

Nun ist es zwar richtig, dass die Nutzung von KI in der Supply-Chain-Planung eine gute Entscheidung ist, aber sie ist bei weitem keine schnelle Lösung und sie erfordert einiges an Vorarbeit. Es ist an der Zeit, die Rolle der KI in der Supply-Chain-Planung zu entmystifizieren und ihre wahren Stärken, aber auch ihre Grenzen aufzuzeigen. 

KI ist nicht dasselbe wie ML

Die beiden Konzepte Künstliche Intelligenz (KI) und Machine Learning (ML) sind zwar miteinander verbunden, werden aber oft verwechselt. KI ist ein übergeordnetes Konzept, das intelligente, vorprogrammierte Software beschreibt, die das menschliche Denken und Verhalten simuliert. Wenn wir über Automatisierungssysteme sprechen, die entwickelt wurden, um menschliche Fähigkeiten zu ersetzen, sprechen wir in der Regel von einer Form der KI. ML ist ein Teilbereich der KI, der es einer Maschine ermöglicht, automatisch aus früheren Daten zu lernen, sodass sie genauere Ergebnisse erzielen kann. 

Nicht alle KI-Systeme arbeiten nach den gleichen Prinzipien. Einige sind intransparente Systeme, die so konzipiert sind, dass sie eine bestimmte Funktion ohne menschliches Eingreifen ausführen – etwa die neuen „fahrerlosen Pods“, die an Flughäfen und anderen kontrollierten Orten getestet werden. Flexiblere KI-Systeme legen einige oder alle ihrer Algorithmen offen und können auch menschliche Eingriffe zulassen. Etwa das selbstfahrende Auto, das in Fußgängerzonen, engen Straßen und anderen komplexen Situationen dem menschlichen Fahrer das Steuer überlässt. 

KI-gesteuerte Supply-Chain-Planungssysteme verwenden Algorithmen, die so programmiert wurden, dass sie diesen Prozess optimieren, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, etwa die Optimierung von Lagerbeständen im Hinblick auf ein angestrebtes Serviceniveau. Ähnlich wie beim selbstfahrenden Auto können die Planer das System auch außer Kraft setzen, um Ausnahmen wie die Schließung von Geschäften während einer Pandemie zu behandeln. 

KI-gesteuerte Planungssysteme erstellen sogenannte probabilistische Prognosen. Anstatt eine einzige Zahl geben probabilistische Prognosen eine Bandbreite möglicher Ergebnisse als Output an. Von dort aus können die Planer mit ihrem eigenen Wissen eingreifen oder ML nutzen, um die Prognosen weiter zu verfeinern.

In der Supply-Chain-Planung wird ML häufig eingesetzt, um die Nachfrageprognosen zu verbessern, die KI-gesteuerte Systeme erstellt haben. ML hat sich als besonders hilfreich erwiesen, um saisonale Muster, die Planung von Werbeaktionen, die Einführung neuer Produkte und andere Prozesse, die sich wiederholen, zu erkennen und die mit der Zeit an Intelligenz gewinnen.

Das Unternehmen Lennox Residential Heating and Cooling, das über eine hochkomplexe mehrstufige Lieferkette verfügt, hat etwa ML eingesetzt, um die stark variierenden saisonalen Nachfragemuster zuverlässig zu modellieren. Dabei werden Hunderttausende von SKU-Locations gesichtet, um „Cluster“ mit ähnlichen saisonalen Profilen zu identifizieren. Diese verbesserten saisonalen Cluster erhöhen die Prognosegenauigkeit für Spitzenzeiten erheblich und konnten so die Servicequalität um 16 Prozent steigern.

Da Maschinen aus vergangenen Erfahrungen lernen, müssen genügend historische Daten vorliegen, damit ML die richtigen Entscheidungen treffen kann. Das bedeutet, dass ML nicht für die Planung unter unregelmäßigen, außergewöhnlichen und sich schnell ändernden Umständen – mit anderen Worten, für Krisen – geeignet ist. Hierfür braucht es ein intelligentes und kontrollierbares KI-System, das menschliche oder maschinelle Eingriffe zulassen kann. 

Die Quintessenz: Trotz seiner großen Bedeutung in der Supply-Chain-Planung ist ML nicht der heilige Gral. Unternehmen können sich nicht einfach zurücklehnen und die ML mal laufen lassen. Stattdessen braucht es Zeit und Ressourcen, um ML-Engines aufzubauen und zu pflegen. 

Daten- und Nachfragemodelle

Bevor Unternehmen von der KI-Automatisierung profitieren können, müssen sie Zeit in den Aufbau eines robusten Datenmodells für ihr Vertriebsnetz investieren. Das Datenmodell legt fest, welche Daten erfasst werden sollen, wo sie gehostet werden und wie sie mit den verschiedenen Bereichen des Unternehmens in Beziehung stehen. Ziel ist es, Klarheit und Konsistenz für alle an der Supply-Chain-Planung beteiligten Personen und Systeme zu gewährleisten. 

Nachdem das Datenmodell erstellt wurde, kann mit der Modellierung der Nachfrage begonnen werden. Dabei sollte das Nachfragemodell möglichst viele verschiedene interne und externe Faktoren berücksichtigen. Zu den internen Faktoren gehören geplante neue Produkteinführungen, Werbeaktionen und Preissenkungen. Zu den externen Faktoren gehören etwa soziale Medien, Wettervorhersagen und Informationen über die Konkurrenz.

Die wichtigste Erkenntnis: Daten- und Nachfragemodellierung ist nichts, was eben schnell mitten in einer Krise gemacht werden kann. In den meisten Fällen dauert es etwa drei Monate, bis es richtig läuft.

Franke ist ein 2-Milliarden-Dollar-Unternehmen für Küchenprodukte, das in 42 Ländern tätig ist. Das Unternehmen verwaltet etwa 300.000 Produkte-SKUs für 140 Verkaufsgebiete in einem fünfstufigen Vertriebsnetz. Das entspricht 1,7 Millionen SKU/Location-Kombinationen, für die Franke in zweimonatlichen Planungszyklen Prognosen erstellt. 

Glücklicherweise hatte das Unternehmen bereits vor der Pandemie seine Daten und Nachfragemodelle erstellt und sein KI-basiertes Planungssystem in Gang gesetzt. Global verwalteten nur zwei Personen den Prozess zentral. Entscheidend ist jedoch, dass ein Team von etwa 100 Mitarbeitern an der Bedarfsplanung und -prognose mitwirkt und ihr Wissen über die Kunden und die lokale Marktdynamik einbringt, um die Basislinie anzupassen.

Komplexität in den Griff bekommt

Zu Beginn der Pandemie, als die Planer hauptsächlich mit Lieferverzögerungen aus China zu kämpfen hatten, war die Situation noch überschaubar. Das Team war in der Lage, alle Lieferanten von „gefährdeten“ Materialien zu isolieren und die Erwartungen der Kunden zu steuern. Als Corona jedoch nach Europa kam, eskalierte die Situation. In dieser Situation war der Planungsprozess zu kompliziert. Hinzu kam, dass viele an der Planung beteiligte Personen freigestellt oder beurlaubt wurden, andere aber rund um die Uhr arbeiteten. Es gab keine Strategie für eine Krise dieser Dimension.

Zum Glück verwendete Franke ein automatisiertes Planungssystem, das manuelle Eingriffe ermöglichte. Das bedeutete, dass das Unternehmen seinen Ansatz ändern konnte. Zu den Schritten, die Franke unternahm, um die Krise erfolgreich zu bewältigen, zählten unter anderem:

  • Konzentration auf die Beschaffung von A-Produkten mit hoher Priorität zur Vermeidung von Lieferengpässen, Anforderung von Sofortlieferungen und Nutzung von Luftfrachtsendungen
  • Vorübergehende Umstellung auf einen vereinfachten wöchentlichen Bedarfsplanungszyklus; Umschichtung aller Planer von unwesentlichen Aufgaben auf das Krisenmanagement
  • Im neuen wöchentlichen Zyklus bereinigten die Planer kontinuierlich die probabilistischen Prognosen, um Verschiebungen von Kundenaufträgen und Änderungen von Bestellungen zu berücksichtigen; sie aktualisierten täglich die geplanten Prognoseabweichungen.
  • Schließung des Kalenders an Tagen, an denen aufgrund von Marktschließungen kein Verkauf möglich war. Dadurch wurde sichergestellt, dass diese verkaufsfreien Tage keine Auswirkungen auf zukünftige Prognosen hatten.

Durch den effektiven Einsatz von KI-Automatisierung und Personal konnte Franke die Verschlechterung der Prognosen erstaunlich gut in Grenzen halten. Während des Höhepunkts der Pandemie verlor das Unternehmen nur 15 Prozent an Prognosegenauigkeit – und das in einem Umfeld, in dem die Gesamtabweichung bei etwa 80 Prozent lag. Es gelang auch, den Bullwhip-Effekt zu vermeiden, selbst in Märkten wie Großbritannien, die aufgrund von Marktschließungen die größten Schwankungen aufwiesen. 

Die Leistung der KI-Automatisierung wird in der Supply-Chain-Planung noch verstärkt, wenn sie mit dem Wissen und dem Einfallsreichtum menschlicher Planungsteams kombiniert wird – gerade in einer Krise wie der Pandemie, kann dieser Ansatz einen Unterschied machen. Doch der Einsatz solcher Systeme erfordert Zeit und kann nicht mal eben schnell erfolgen.


Bild: ToolsGroup

Mauro Adorno

Chief Operating Officer EMEA & APAC bei ToolsGroup

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