Die strategische Gestaltung von Supply Chains erfährt vor dem Hintergrund der zahlreichen aktuellen Störungen mit absolut disruptivem Charakter sowie der steigenden Anzahl an kontinuierlich zu beobachtenden Risiken (Cyber-Attacken, geopolitische Spannungen, CSR-Risiken) zunehmend an Bedeutung. Erlaubt sie doch direkte Rückschlüsse hinsichtlich der Robustheit und Innovationskraft eines Unternehmens.
Zur Gestaltung nachhaltiger Lieferketten
Um die Risiken und Potenziale in Supply Chains besser zu erfassen, wurden in der jüngeren Vergangenheit bei der Auswahl von Lieferanten, neben den klassischen Einkaufszielen Kosten, Qualität und Zeit, zunehmend Nachhaltigkeits-, Risiko- und Innovationsaspekte ergänzt. Gleichzeitig führen Unternehmen immer mehr digitale Technologien und Tools ein, wodurch der digitale Reifegrad der Unternehmen erhöht wird. Der Einkauf ist sich hier seiner tragenden Rolle bewusst, zugleich fördern die vergangenen Krisen– allerdings zwei wesentliche Erkenntnisse zutage:
- Die Integration als auch Erweiterung bekannter, zugleich noch recht junger Ziele wie Nachhaltigkeit und Innovation im Einkauf muss konsequent vorangetrieben werden. Der Integrationsgrad dieser Dimensionen entscheidet mehr denn je über die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens in komplexen Wertschöpfungsnetzwerken mit stetig wachsenden Anforderungen an Unternehmen und einer Verkürzung ihrer Reaktions- und Anpassungszeiten auf externe Ereignisse.
- In der Folge des in den vergangenen Jahren oftmals primär notwendigen „Firefighting“ kehren die Einkaufsorganisationen zurück zur Priorisierung der altbekannten Zielsetzungen. Die klassischen Einkaufsziele Kosten, Qualität und Geschwindigkeit dominieren, neue Kriterien wie Innovationen und Nachhaltigkeit sind, ob der weiterhin kostengetriebenen Bewertung der Einkaufsperformance gerade in Krisenzeiten, nachrangig platziert.
Nicht zuletzt aufgrund des seit 01.01.2023 in Kraft getretenen – zum Teil gerade im Mittelstand auch sehr kritisch gesehenen – Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes in Deutschland oder dem geplanten EU-Supply Chain Act sind Unternehmen zunehmend aufgefordert, das Umfeld sowie die Auswirkungen ihres wirtschaftlichen Handelns darzulegen. Eine Umsetzung dieser neuen Anforderungen erfolgt dabei stets im Spannungsfeld des Nachhaltigkeitsdreiecks. Eine Verbesserung der beiden Dimensionen „Ökologie“ und „Soziales“ wird dabei nur unter Berücksichtigung der ökonomischen Ziele erreicht werden können. Denn die Umsetzung ist nicht kostenlos und braucht neben Verordnungen ebenso ökonomische Anreize für die Unternehmen. Die Verbesserung der ökologischen und sozialen Dimension muss daher die ökonomische Dimension immer zwingend integrieren (Abb. 1).
Vor dem Hintergrund der voranschreitenden Reife digitaler Technologien ist ein zentraler Ansatzpunkt für die Berücksichtigung aller drei Zieldimensionen der Einsatz neuer Technologien. Sie ermöglichen einen originären Nutzen zur Erzielung von Transparenz und zur Optimierung der Lieferketten und als Zusatznutzen die Erfüllung der Anforderungen gemäß neuen regulatorischen Anforderungen, bspw. des Lieferkettengesetzes.
Die formulierte Nachhaltigkeitsstrategie der Einkaufsorganisationen könnte vor diesem Hintergrund lauten: Technologiegestützte Erzielung von Transparenz und Optimierung von Lieferketten zur Vermeidung von Versorgungsabbrüchen, bei gleichzeitiger Erfüllung von Sozial- und Nachhaltigkeitsanforderungen. So sind die Lieferketten, zum Beispiel im Agrarbereich, ursprünglich nicht mit der Zielsetzung von Transparenz und Sichtbarkeit gestaltet worden, sondern unter der Zielsetzung die verschiedenen Inputs zur Herstellung und dem Vertrieb von Produkten effizient zu koordinieren. Heute ist der Agrarbereich eine der Branchen mit der höchsten Anzahl digitaler Lösungen zur Erreichung von Lieferkettentransparenz überhaupt.
Eine Möglichkeit: Blockchain
Eine vielversprechende Möglichkeit für technologiegestützte Transparenz bietet die Blockchain. Die Teilergebnisse eines aktuellen Forschungsprojekts mit Beteiligung des Fraunhofer IML, welche Blockchain-Lösungen nach Anwendungsziel und Branche klassifiziert, stellt eine starke Use-Case-Konzentration der Technologie im Bereich der Transparenzgewinnung über Produktions-, Transport- und Lagerbedingungen fest.
Die Eigenschaften der Technologie gewährleisten dabei die Souveränität über die eigenen Daten und schaffen infolgedessen das notwendige Vertrauen, sensible Unternehmensdaten zu teilen. Durch die eindeutige Zuteilung von definierten Rollen und ihren Zugriffsrechten bis auf Datenfeldebene können diese zu keiner Zeit kompromittiert oder unrechtmäßig gelesen werden. Eine unternehmensübergreifende Vernetzung bei Wahrung aller Geschäftsgeheimnisse kann so anwendungsspezifisch aufgebaut werden.
Dies bildet die Grundlage für Softwareprodukte wie bspw. den Blockchain-basierten digitalen Produktpass, der aktuell Dr. Axel T. Schulte und seinem Team am Fraunhofer IML in Dortmund erprobt wird. Mit ihm sollen relevante Daten, z. B. CO2-Daten, zukünftig ab Beginn des Wertschöpfungsprozesses erfasst und ausgewertet werden und infolgedessen zu mehr Transparenz in Supply Chains beitragen. Ebenso kann die Blockchain-Technologie im Bereich der effizienten Nutzung von Ressourcen einen wertvollen Beitrag leisten, indem Unternehmen der Zugang zu neuen Geschäftsmodellen oder gar den Eintritt in die Shared-Economy ermöglicht wird.
In 3D-Druck-Netzwerken können bereits heute dezentral organisierte Produktionskapazitäten sicher genutzt werden. Netzwerkteilnehmer verzichten auf den Aufbau eigener Ressourcen, stattdessen buchen und bezahlen sie freie Produktionskapazitäten auf einer Blockchain-basierten Plattform. Der Einsatz von Smart Contracts garantiert dabei bedarfsgerechte und regelkonforme Transaktionen für alle Akteure. Auch dieses Anwendungsszenario wird in einem aktuellen Forschungsprojekt am Fraunhofer IML bearbeitet.
Ausblick und Fazit
Die Einsatzmöglichkeiten neuer Technologien im Blick zu haben und für das Unternehmen zu bewerten, muss stärker, denn je Aufgabe des Einkaufs sein. So kann die Entwicklung und Integration des Blockchain-basierten Produktpasses zur Umsetzung des Lieferkettengesetzes beitragen, in dem notwendige Daten zur Einhaltung der CSR-Richtlinien über den Wertschöpfungsprozess gesammelt und in dem Produktpass verursachungsgerecht hinterlegt werden. Zugleich kann der Einkauf auf Basis neuer Technologien alternative Beschaffungsstrategien entwickeln und diese gewinnbringend in die bestehenden Beschaffungskonzepte integrieren. Gelingt dies, leistet der Einkauf wertvolle, dringend benötigte Pionierarbeit für das gesamte Unternehmen.
Verteilte Datenhaltung in dezentralen Netzwerken
Dank der verteilten Datenspeicherung kann jeder Partner die Vollständigkeit und Manipulationsfreiheit des Informationsstands zu jeder Zeit überprüfen, was für Sicherheit und zusätzliches Vertrauen in die Daten sorgt. Dieser Ansatz einer verteilten Datenspeicherung in einem Netzwerk stellt im Gegensatz zu einer einzelnen Datenquelle an einem zentralen Speicherort eine Ausprägung des als „Distributed Ledger-Technologie“ bezeichneten Konzepts einer dezentralen Datenspeicherung dar. Durch ständige Kontrolle aller Netzwerkteilnehmer Block für Block entsteht eine Kette von in ihrer Manipulationsfreiheit bestätigten Informationen – die Blockchain. Direkte Intermediäre, also zwischen den eigentlichen Akteuren stehende, vermittelnde Dritte sind in diesen dezentralen Austauschkonzepten nicht mehr notwendig. Jeder Akteur hat eine aktuelle, jederzeit synchronisierte und vertrauenswürdige Version der Daten vorliegen (Singe Point of Truth).
Die Autoren:
Dr. Axel T. Schulte, Abteilungsleiter, Abteilung Einkauf und Finanzen im SCM, Fraunhofer IML, Dortmund
Natalia Broza-Abut, Teamleitung, Abteilung Einkauf und Finanzen im SCM, Fraunhofer IML, Dortmund
Tobias Jornitz, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Abteilung Einkauf und Finanzen im SCM, Fraunhofer IML