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Frühwarnsignale in der Lieferkette mit NLP

Wie KI durch Natural Language Processing die Resilienz erhöht
Verbesserte Frühwarnsignale in der Lieferkette

Verbesserte Frühwarnsignale in der Lieferkette
Der Einsatz von künstlicher Intelligenz, im Speziellen Natural Language Processing (NLP), ist eine Lösung zur Identifikation von Frühwarnsignalen in der Lieferkette. Bild: Rahul/stock.adobe.com
Resilienz ist eine zentrale Zielgröße für Lieferketten. Das zeigen zahlreiche Beiträge aus Forschung und Praxis. Doch bloße Erkenntnisse reichen nicht aus; praktische Lösungen sind gefragt, aber bisher selten vorhanden. Eine solche Lösung besteht in der Verwendung von künstlicher Intelligenz, insbesondere Natural Language Processing (NLP), zur Identifikation von Frühwarnsignalen.

Land Rover, Chrysler, Apple – alle drei haben die Insolvenz eines zentralen Zulieferers erlebt. Land Rover wurde vom Ausfall des Fahrgestellherstellers UPF-Thompson überrascht und sah sich Forderungen von 120 Mio. USD ausgesetzt, um 1500 Jobs und die langfristige Produktion zu retten. Chrysler schloss kurzfristig vier Werke, nachdem der Zulieferer Plastech Engineered Products wegen Insolvenz die Auslieferung stoppte. Apple musste, nachdem der Partner GT Advanced Technologies Insolvenz anmeldete, den Erhalt einer Fabrik in Arizona organisieren, in welcher Saphirglas produziert wird. Kurzum: Immer wieder sehen sich Organisationen überraschend mit der Insolvenz von Zulieferern konfrontiert.

Abhilfe schaffen Frühwarnsignale. Sofern sich die Praxis jedoch Signalen für die Insolvenz eines Zulieferers widmet, wird dafür nach wie vor überwiegend auf Kennzahlenmodelle aus dem Kreditgeschäft der 60er und 70er Jahre vertraut (z. B. Altmans Z-Score). Diese sind nicht mehr zeitgemäß. Nicht-finanzielle Informationen aus der Medien- oder Unternehmensberichterstattung haben an Bedeutung gewonnen, nicht nur für Insolvenzprognosen. Mehrere Studien erzielen präzisere Insolvenzprognosen bei Berücksichtigung nicht finanzieller Informationen (z. B. Marktposition). Das ist nachvollziehbar, denn Finanzkennzahlen sind retrospektiv, mit Verzögerung verfügbar, inhaltlich durch Rechnungslegungsstandards limitiert, Impression Management und Manipulation ausgesetzt und liegen aufgrund von verschiedenen Jurisdiktionen und Publikationspflichten nicht für alle gleichermaßen vor. Seit NLP die Verarbeitung von nicht-finanzieller Information technologisch ermöglicht und stetig verbessert (z. B. ChatGPT), nimmt die Bedeutung und Eignung dieser Informationen kontinuierlich zu.

Im Hinblick auf Lieferketten sticht hervor, dass der Einsatz solcher Technologien gegenüber anderen Feldern zurücksteht. Ein Blick auf Veröffentlichungen der letzten Jahre zeigt, dass für Lieferketten kaum Anwendungsfälle von NLP untersucht wurden. In Bereichen des Aktienhandels hingegen ist es bereits Usus, Medien-, Unternehmensberichterstattung und Social Media in Echtzeit auszuwerten und einzupreisen. Nicht zuletzt aufgrund der massiven Datenverfügbarkeit und eindeutigen Quantifizierbarkeit ist dies einfacher als im Anwendungsfall Lieferkette. Für die vorliegende empirische Analyse wurde mit RavenPack Analytics, einem NLP-Service aus dem Hochfrequenzhandel, die Anwendung auf Lieferketten übertragen. Empirisch und praktisch replizierbar wurde untersucht, ob die Analyse von Nachrichtenartikeln mit NLP die Identifikation von Frühwarnsignalen zulässt.

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Abb. 1: Identifizierte Ereignisse pro Zuliefere (3 Jahre, kumuliert)
Bild: SCM-HSG

Für die Analyse wurden über 150.000 Artikel aus aller Welt zu mehr als 300 Unternehmen ausgewertet. Auf Basis von mithilfe von NLP erfassten Ereignissen (z. B. Freistellung eines Vorstands), die bis zu zwei Jahren vor der Insolvenz eines Zulieferers auftraten, wurde mit Regressionsmodellen die Prädiktionskraft für die Insolvenz berechnet.

Es zeigt sich, dass solche Ereignisse sowohl in ihrer Gesamtheit, als auch alleinstehend und in Interaktion miteinander signifikante bis hochsignifikante Frühwarnsignale für eine Insolvenz sein können. Die Signale können dabei bis zu mehr als zwei Jahre ex ante des eigentlichen Risikoeintritts (Insolvenz) auftreten (z. B. Reorganisation mit Entlassungen). Zunächst ist festzustellen, dass sich prospektiv insolvente Zulieferer generell durch deutlich mehr Ereignisse (5 x) kennzeichnen als solvent bleibende Unternehmen. Gemäß Intuition sind es zudem vor allem negative Ereignisse, die bei prospektiv insolventen Zulieferern vielfach häufiger (16 x) auftreten. Allein dies lässt auf grosses Potential zur Identifikation von Frühwarnsignalen basierend auf Medienberichterstattung und NLP schließen.

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Abb. 2: Auswahl hochsignifikanter Signale
Bild: ISCM-HSG

Speziell ergeben sich Erweiterung der Schuldenlast, Umschuldung, Kündigung eines Senior Managers und Reorganisationen mit Entlassungen als hochsignifikante Signale. Diese treten teils weit vor der eigentlichen Insolvenz auf. Auch können konterintuitiv Ereignisse als Signale verworfen werden. Beispielsweise spielen der Rauswurf eines Managers im Gegensatz zu dessen selbstständiger Kündigung oder Kostensteigerungen keine Rolle.

Frühzeitig reagieren

Für Unternehmen ist es nicht nur möglich den verfolgten Ansatz weiterzuentwickeln, sondern wie die Ergebnisse zeigen, auch sinnvoll. Es liegt nahe, dass für weitere Risiken in der Lieferkette ähnliche Muster bestehen (z. B. Unfälle, Brände, Streiks). Es wird damit eine konkrete Lösung geliefert, wie durch Technologie Resilienz erhöht werden kann. Frühzeitige Reaktionen auf ein verändertes Risikoprofil eines Zulieferers können dann vor immensen Schäden schützen. Unternehmen sollten eigene Frühwarnsysteme oder die ihrer Dienstleister entsprechend auf ihre Reife überprüfen. Folgende sieben Fragen helfen dabei:

1. Risikoauswahl: Wird das Insolvenzrisiko wichtiger Zulieferer (oder andere Top- Risiken) speziell überwacht?

2. Make-or-buy: Übernimmt ein Dienstleister diese Aufgabe oder lohnt sich der interne Systemaufbau?

3. Signalauswahl: Wird lediglich auf Kennzahlenmodelle zurückgegriffen oder werden nicht-finanzielle Informationen wie beispielsweise die Medien- und Unternehmensberichterstattung ebenfalls berücksichtigt?

4. Signaljustierung: Wie fein justiert sind diese Signale? Sind für die ausgewählten Risiken spezifische Frühwarnsignale empirisch identifiziert worden? Sind diese Erkenntnisse in das System eingeflossen?

5. Signalmessung: Werden die Signale in Echtzeit gemessen? Kommen die besten/neuesten Technologien zum Einsatz?

6. Signalinterpretation: Wer entscheidet auf welcher Ebene wann und wie über die Weiterleitung und Reaktion auf identifizierte Signale?

7. Risikomitigierung: Welche Maßnahmen können ergriffen werden? Wer ist für deren Umsetzung und Überwachung zuständig?

Letztlich werden es wohl primär Dienstleister sein, die sich die beschriebenen Erkenntnisse zu Nutze machen können. Nicht nur aufgrund der gebündelten Kompetenz für den zielgerichteten Technologieeinsatz. Dieser ist nötig, da die Mehrdeutigkeit von Informationen und die starke Abhängigkeit vom Kontext eine Herausforderung bei der textuellen Analyse im Finanzbereich bleibt. Vor allem aufgrund des dahinterstehenden Gesamtsystems „Frühwarnung-as-a-Service“, das verschiedene Risiken abdeckt, unterschiedliche Technologien parallel einsetzt, ständig weiterentwickelt wird und Ergebnisse geeignet kommuniziert. Schließlich müssen am Ende tatsächlich Maßnahmen ergriffen werden – zielgerichtet und zeitnah.


Natural Language Processing (NLP)

Zur Stärkung der Lieferketten-Resilienz ist der Einsatz von künstlicher Intelligenz, im Speziellen Natural Language Processing (NLP), eine effiziente Lösung. NLP analysiert mittels Linguistik und Statistik, Struktur, Bedeutung und Kontext von Texten.


Bild: ISCM-HSG

Ingo Weth M.A. HSG

Forschungspraktikant am Institut für Supply Chain Management an der Uni St. Gallen (ISCM-HSG).


Bild: ISCM-HSG

Daniel Langner M.Sc.

Projektmanager und Postdoktorand am Institut für Supply Chain Management an der Uni St. Gallen (ISCM-HSG).

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