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Die Digitalisierung als Krisen- und Klimahelfer

Interview mit Digital-Expertin Christine Berg, Beiersdorf AG
Die Digitalisierung als Krisen- und Klimahelfer

Die Digitalisierung als Krisen- und Klimahelfer
Christine Berg, Director Global Procurement Excellence, Beiersdorf AG, ist überzeugt, dass es mit der bloßen Bereitstellung von Informationen und Trainings nicht getan ist. Bild: Beiersdorf
Macht die Digitalisierung die Beschaffung resilienter? Helfen Plattformen beim Verschlanken von Prozessen und beim Verfolgen von Klimazielen? Über die Digital-Erfahrungen des Beiersdorf-Einkaufs haben wir mit Christine Berg, Director Global Procurement Excellence, gesprochen.

Die Fragen stellte Annette Mühlberger.

Beschaffung aktuell: Die Digitalisierung gilt als Heilmittel für vieles. Macht IT den Einkauf tatsächlich resilienter?

Christine Berg: Digitale Tools sind im Einkauf ein wichtiges Instrument, um Arbeitsabläufe nicht nur effizienter, sondern auch robuster und sicherer zu gestalten. Dazu zählen zum einen Organisations- und Kommunikationstools, die eine effiziente und vernetzte Arbeit der Mitarbeitenden ermöglichen, aber auch Tools, die Beschaffungsprozesse automatisieren und so manuellen Aufwand und Fehler in den Abläufen reduzieren. Darüber hinaus können Tools wichtige Daten zu Lieferanten und den Beschaffungsmärkten liefern, um höhere Transparenz über die Lieferkette und die Geschäftsbeziehungen zu erlangen. Ein konkretes Beispiel ist das Risikomanagement, bei dem digitale Tools einen wesentlichen Beitrag zur Identifikation von Risiken bieten und so die Reaktionsgeschwindigkeit zur Absicherung der Lieferkette erhöhen können.

Nicht immer klappt das auf Anhieb. Wo liegen die Herausforderungen?

Berg: Die Herausforderungen liegen oft im Umgang mit der Flut an neugenerierten Daten und der Vielzahl an neuen Tools, die oft weitreichende Änderungen in den Beschaffungsabläufen hervorrufen. Hier ist ein Umdenken und eine grundsätzliche Weiterentwicklung der Beschaffungsfunktion erforderlich, die Zeit und Ressourcen kostet, sich am Ende jedoch auszahlt.

Was ist nötig, damit die Systeme die Erwartungen des Einkaufs erfüllen? Wo spüren Sie bereits Effekte?

Berg: Wir sehen bereits in vielen Bereichen Effekte. Ein Beispiel sind die angesprochenen digitalen Tools im Risikomanagement, mit deren Hilfe wir frühzeitig Risiken identifizieren und entsprechende Gegenmaßnahmen ergreifen können. Außerdem konnten wir z. B. im P2P-Bereich durch weitreichende Automatisierung sowie den Einsatz künstlicher Intelligenz Prozesse nicht nur effizienter, sondern auch zuverlässiger und damit resilienter gestalten. Das Zusammenspiel von Menschen, Prozessen und Systemen stellt dabei einen bedeutenden Faktor dar, um Resilienz zu erreichen. Die Systeme und digitalen Tools müssen mit ihrem Funktionsumfang, einer guten Integration und hohen Anwendungsfreundlichkeit optimal auf die Beschaffungsprozesse und die Anforderungen der Mitarbeitenden abgestimmt sein. Nur so schafft man einen robusten Einkauf und die notwendige Akzeptanz bei den Menschen, die mit den Tools arbeiten. Letzteres bedarf insbesondere eines umfassenden Change-Managements.

Was tun Sie, damit neue Tools als Arbeitserleichterung und nicht als Hindernis empfunden werden?

Berg: Es ist wichtig, die Mitarbeitenden an der Entwicklung teilhaben zu lassen. Mit der bloßen Bereitstellung von Informationen und Trainings ist es meist nicht getan. Die Flut an Informationen und Konfrontation mit neuen Anforderungen kann dazu führen, dass Mitarbeitende sich überfordert fühlen. Hier kann sogenannten Change-Agents eine Schlüsselrolle zukommen. Diese begleiten den Wandel, nehmen Mitarbeitende im übertragenen Sinn an die Hand, sind Motivatoren und fördern den aktiven Austausch über Digitalisierung und damit verbundene Tools.

Und wenn das alles nicht hilft …

Berg: Tatsächlich werden neue Lösungen nicht immer direkt als Erleichterung wahrgenommen. Wenn sich Arbeitsweisen verändern, geht damit in der Regel ein initialer Mehraufwand einher, weil man sich erst zurechtfinden muss. Neben dem achtsamen Heranführen spielt daher auch die innere Haltung der Mitarbeitenden eine entscheidende Rolle. Hierzu zählt zum einen die Bereitschaft, neue Wege mitzugehen, aber auch bestehende Abläufe zu hinterfragen und an der stetigen Weiterentwicklung der Beschaffungstätigkeiten mitzuwirken. Zum anderen braucht es eine offene Fehlerkultur, die Mitarbeitende ermutigt, Neues auszuprobieren. Das alles kann nur gelingen, wenn mit der Digitalisierung Lösungen entwickelt werden, die die Schmerzpunkte der Organisation aufgreifen und einen spürbaren Mehrwert schaffen. Dies ist die Grundvoraussetzung für eine breite Akzeptanz.

Die Beschaffung über Plattformen nimmt dem Einkauf Arbeit ab. Inwiefern nutzen Sie diese Möglichkeit in Zeiten knapper Personalressourcen?

Berg: Bei Beiersdorf werden Plattformen heute in erster Linie im C-Artikel-Bereich genutzt, um beispielsweise Konditionen für unsere Kataloge zu verhandeln. Hier profitieren wir bereits heute von der Preistransparenz, die Plattformen bieten. Viel wichtiger als der Preis sind für uns hier jedoch die Prozesskosten und die Fragestellung, wie sich die Beschaffungsprozesse standardisierter und effizienter gestalten lassen. Auch hier können Plattformen einen wichtigen Beitrag leisten, der bei Beiersdorf perspektivisch auch über die Beschaffung von C-Artikeln hinaus geht. Mit Blick auf die steigende Preisvolatilität können Plattformen beispielsweise die zunehmenden Preisverhandlungen abfedern und mit dynamischen Preisanpassungen das Schließen neuer Vereinbarungen automatisieren.

Welche Rolle spielen dann noch die Rahmenverträge?

Berg: Auch in Rahmenverträgen besteht die Möglichkeit, über die Indexierung schwankende Materialpreise zu berücksichtigen. In Zeiten steigender Inflation rücken aber insbesondere andere Aspekte, als die Fixierung von Preisen in den Fokus. Insbesondere für den Aufbau langfristiger Geschäftsbeziehungen mit Lieferanten und die Absicherung von Bedarfen bleiben Rahmenverträge heute ein wichtiger Baustein. Sie regeln viel mehr als nur die Preiskonditionen, und bilden so oft das Fundament für eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit, die auch Sicherheit bietet. Spannend wird in Zukunft die Frage sein, wie sich Rahmenverträge in Plattformen stärker integrieren lassen.

Wo ist der Haken, wenn Plattformen die Prozesse verschlanken?

Berg: Speziell im Bereich der C-Artikel bieten Plattformen bereits ein breites Portfolio an, sodass die Auslagerung der Beschaffungsprozesse verhältnismäßig einfach funktioniert. Komplexitäten zeigen sich aber insbesondere in der Anbindung und der Vielzahl an Plattformen. Die Selektion der passenden Plattformen und die Integration in die bestehende Prozess- und Systemlandschaft ist hier die größte Herausforderung. Auch hier spielt Change-Management eine wichtige Rolle, um den Wandel aktiv zu unterstützen.

Welche Rolle kommt digitalen Marktplätzen in Bezug auf eine nachhaltige, klimaneutrale Beschaffung zu?

Berg: Mithilfe von Plattformen besteht die Möglichkeit, Transparenz über die Nachhaltigkeit in der eigenen Lieferkette zu schaffen. Wenn man jedoch für jede Einkaufskategorie die am besten passende Plattform sucht, würde die Sache sehr komplex. Ziel ist es, eine oder wenige Plattformen zu verwenden, die alle notwendigen Daten zur Nachhaltigkeit abbilden, die trotz Komplexität einfach zu bedienen sind und am Ende einheitliche Daten sowie Möglichkeiten zur Reduktion liefern. Ein weiterer Punkt ist, dass man Lieferanten nicht mit zu vielen verschiedenen Plattformen überlasten sollte. Insofern gilt es zu beobachten, ob sich aus dem derzeitigen Überangebot ein Marktstandard herausbildet. Wir arbeiten bereits heute mit gängigen Plattformen oder befinden uns in Pilotphasen. Allerdings gibt es viel Bewegung am Markt, sodass wir unser gesamtes Set-up weiter optimieren. Hierzu zählt unter anderem der Bereich der transaktionalen Plattformen. Diese bieten die Möglichkeit, Präferenzen für die Beschaffungsvorgänge transparent und artikulierbar zu machen, bspw. Fragen zu Nachhaltigkeit und Klimaneutralität.

Entfernt sich der Einkauf damit nicht zu weit von der eigenen Lieferkette?

Berg: Plattformen bieten eine gute Möglichkeit, Prozesse im Einkauf zu verschlanken und Transparenz über den Markt zu schaffen. In Zukunft wird das Thema Lieferantenkollaboration und -Integration mithilfe von Plattformen ein spannendes Entwicklungsfeld sein. Dann entfernen Plattformen den Einkauf nicht von der Lieferkette, sondern schaffen im Gegenteil mehr Transparenz und Vernetzung in der Lieferkette.

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