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Mehr Widerstandsfähigkeit in der Lieferkette durch Redundanz

Strategien zur Schaffung von Redundanz
Mehr Widerstandsfähigkeit in der Lieferkette durch Redundanz

Mehr Widerstandsfähigkeit in der Lieferkette durch Redundanz
Ohne Redundanz kann eine Schwachstelle im schlimmsten Fall die gesamte Lieferkette lahmlegen. Bild: Kalyakan - stock.adobe.com

Störungen der Lieferketten sind aufgrund der multiplen wirtschafts- und geopolitischen Krisen in den vergangenen Jahren zu einem Dauerthema geworden. Erst zu Beginn des Jahres war durch den Nahostkonflikt die Schifffahrt im Roten Meer erheblich betroffen: Eine Datenauswertung ergab, dass sich im Januar die durchschnittliche Transitzeit durch diese Region nach Deutschland um zwölf Tage verlängerte. Gleichzeitig gab das Kieler Institut für Weltwirtschaft an, dass im März täglich nur noch etwa 40 Containerschiffe das Rote Meer passierten, da Ausweichrouten befahren wurden. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr waren es etwas mehr als 100 Schiffe. Lieferschwierigkeiten und Materialengpässe verteilen sich dabei keinesfalls nur auf den international agierenden Industriesektor – betroffen sind Unternehmen unterschiedlichster Branchen und Größen.

Supply-Chain-Experten treibt deshalb die Frage um, welche strategische Antwort Unternehmen geben können, um ihre Lieferketten widerstandsfähiger und resilienter zu gestalten. Neben Nearshoring – einer vieldiskutierten Strategie, bei der die Produktion wieder näher an regionale Märkte geholt wird – ist Redundanz ein weiterer, vielversprechender Weg, um Risiken in der Lieferkette zu mindern.

Dabei ist Redundanz beim Lieferkettenmanagement keineswegs als ein Zeichen von Ineffizienz zu verstehen, sondern ein strategischer Schritt, um die Geschäftskontinuität trotz unerwarteter Störungen zu gewährleisten. Der durch ein Erdbeben ausgelöste Tsunami, der im Januar die japanische Küste traf, könnte in Zukunft mehr deutsche Unternehmen betreffen als gedacht. Laut einer aktuellen Geschäftsklimaumfrage wollen zunehmend mehr von ihnen ihre Produktion von China nach Japan verlegen oder dort Neuinvestitionen tätigen, weil die wirtschaftliche Stabilität des Landes geschätzt wird. Doch Störungen von Lieferketten lassen sich auch durch solche Entscheidungen nicht gänzlich ausschließen. Umso wichtiger ist es deshalb, sich auf unerwartete Ereignisse gut vorzubereiten.

Erwähnenswert ist zudem, dass sich Redundanz und Nearshoring beim Bestreben nach mehr Resilienz keineswegs gegenseitig ausschließenden. Viele Unternehmen stellen fest, dass beide Strategien dazu beitragen, die Anfälligkeit der gesamten Lieferkette einzudämmen. Mit Nearshoring werden Waren und Dienstleistungen näher an den Endkunden gebracht. Dies kann durch einen Plan für Redundanz ergänzt werden, der mehrere Quellen für die Rohstoffbeschaffung vorsieht und dazu beiträgt, Unterbrechungen in der Lieferkette eines Unternehmens durch unvorhergesehene Ereignisse zu verhindern.

Was ist Redundanz in der Lieferkette und warum ist sie wichtig?

In der Praxis bedeutet das, Backup-Optionen oder Alternativen bereitzuhalten, um die Kontinuität funktionierender Lieferketten bei Störungen aufrecht zu erhalten. Redundanz könnte zum Beispiel bedeuten, dass es mehrere Lieferanten für eine einzelne Komponente gibt, dass ein Pufferbestand vorgehalten wird oder dass es alternative Transportwege gibt.

Ohne Redundanz kann eine einzige Schwachstelle die gesamte Lieferkette lahmlegen und zu Produktionsausfällen, höheren Kosten und einem Vertrauensverlust bei den Kunden führen. Seltene Erden zum Beispiel sind für viele moderne Technologien wie Elektronik, erneuerbare Energien und Verteidigungssysteme von entscheidender Bedeutung. China dominiert deren weltweite Produktion und Verarbeitung und deckt über 60 Prozent des globalen Bedarfs ab.

Jegliche Unterbrechung der Versorgung mit Seltenen Erden aus China – sei es aufgrund politischer Ereignisse, Spannungen in den Handelsbeziehungen oder Umweltproblemen – kann erhebliche Auswirkungen auf zahlreiche Branchen haben, die auf diese speziellen Materialien angewiesen sind. Diese Abhängigkeit von China als einziger Bezugsquelle für Seltene Erden hat große Sorge über die Anfälligkeit globaler Lieferketten ausgelöst. In der Folge wuchs der Bedarf für eine diversifiziertere Beschaffung dieser Materialien.

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Strategien zur Schaffung von Redundanz

Um mehr Redundanz in die Lieferketten von Unternehmen zu bringen, ist ein vielschichtiger Ansatz erforderlich:

  • Diversifizierung der Zulieferer für mehr Standortunabhängigkeit: Die Abhängigkeit von einem einzigen Lieferanten für kritische Komponenten oder Materialien kann ein erhebliches Risiko darstellen. Unternehmen sollten ihre Lieferantenbasis diversifizieren, indem sie von unterschiedlichen geografischen Standorten Rohstoffe oder Komponenten beziehen. Mit dieser Strategie lässt sich die die Anfälligkeit der Lieferkette eindämmen: Die Abhängigkeit von einem einzigen Lieferanten wird eingedämmt und die Auswirkungen von lieferantenbedingten Unterbrechungen aus der jeweiligen Region wird verringert.
  • Multi-Sourcing: Beim Multi-Sourcing werden die gleichen Komponenten oder Materialien von mehreren Lieferanten gleichzeitig bezogen. Dieser Ansatz stellt sicher, dass Unternehmen im Falle von Unterbrechungen oder Störungen der Supply Chain bei einem einzelnen Lieferanten über alternative Bezugsquellen verfügen.
  • Vorhaltung eines Pufferbestands: Der Aufbau eines strategischen Sicherheitsbestands für kritische Komponenten, Rohstoffe oder fertige Erzeugnisse kann dazu beitragen, Störungen der Lieferkette abzumildern. Mittels solcher Pufferbestände können Unternehmen ihren Betrieb auch dann aufrechterhalten, wenn es zu vorübergehenden Unterbrechungen bei der Versorgung mit wichtigen Gütern kommt.
  • Alternative Transportrouten: Auch die Abhängigkeit von einer einzigen Transportroute oder Transportart – sei es See- oder Luftfracht – kann die Anfälligkeit der Lieferkette aufgrund von Risiken wie Hafenschließungen, Naturkatastrophen oder geopolitischen Spannungen erhöhen. Indem unterschiedliche Routen, Spediteure oder Transportarten genutzt werden, lässt sich auch im Transportwesen Redundanz schaffen, was die Widerstandsfähigkeit der Lieferkette erhöht. Zudem lässt sich die Kontinuität der Logistikabläufe besser gewährleisten.
  • Dual-Sourcing: Ähnlich wie beim Multi-Sourcing geht es bei der dualen Beschaffungsstrategie um die Zusammenarbeit mit zwei Lieferanten für dieselbe Komponente oder dasselbe Material. Bei der dualen Beschaffung können Unternehmen jedoch einen größeren Teil ihrer Beschaffung einem Hauptlieferanten zuweisen, während sie einen zweiten Lieferanten als Reserve oder Notfalloption behalten.
  • Produktion näher heranholen: Auch die Einrichtung von Fertigungsstätten oder Produktionslinien, die näher an den Absatzmärkten sind, kann für Redundanz bei den Produktionskapazitäten sorgen. Durch die Dezentralisierung der Produktion auf verschiedene Regionen lassen sich die Auswirkungen lokaler Störungen und Ereignisse wie Naturkatastrophen, politische Instabilität oder Änderungen der Vorschriften abmildern.
  • Zusammenarbeit mit Lieferanten bei der Risikobewertung: Im Rahmen der Kooperation mit Lieferanten kann auch eine gründliche Risikobewertung helfen, potenzielle Schwachstellen in der Lieferkette zu erkennen. Darauf basierend lassen sich mit den Lieferanten geeignete Maßnahmen zur Risikominderung implementieren, wie z.B. Notfallpläne, Strategien zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs und eine gemeinsame Überwachung der Supply Chain Performance.
  • Fortschrittliche Technologie und Automatisierung: Der Einsatz moderner Technologien wie künstliche Intelligenz (KI), das Internet der Dinge (IoT) und Predictive Analytics können die Transparenz, Flexibilität und Entscheidungsfindung in der Lieferkette verbessern. Mit der Automatisierung kritischer Prozesse können zudem Vorlaufzeiten verkürzt, die Effizienz gesteigert und Unterbrechungen in Produktion und Logistik minimiert werden.
  • Strategische Partnerschaften und Allianzen: Der Aufbau strategischer Partnerschaften oder Allianzen mit komplementären Unternehmen oder Unternehmen aus der gleichen Branche kann den Zugang zu zusätzlichen Ressourcen, Fachwissen sowie zu erweiterten Lieferkettenkapazitäten eröffnen. Zudem erleichtern sie das Risikomanagement aller Akteure und ermöglichen eine gemeinsame Reaktion auf Engpässe und Krisen sowie die gemeinsame Nutzung von Ressourcen.
  • Kontinuierliche Überwachung und Planung verschiedener Szenarien: Mit der Implementierung robuster Überwachungsmechanismen und der Einführung geeigneter Instrumente für die Planung von Szenarien werden Unternehmen potenzielle Störungen proaktiv erkennen. Außerdem lassen sich mögliche Auswirkungen bewerten und Reaktionsstrategien entwickeln. Die kontinuierliche Überwachung von wichtigen Leistungsindikatoren (Key Performance Indicators KPIs), Markttrends und geopolitischen Entwicklungen trägt dazu bei, dass Unternehmen flexibel und anpassungsfähig in ihren Entscheidungen bleiben.

Fazit

Die Umsetzung dieser Strategien für eine verbesserte Redundanz kann Unternehmen dabei helfen, widerstandsfähige Lieferketten zu schaffen, die Unterbrechungen und Engpässen standhalten und die Geschäftskontinuität gewährleisten. Redundanz ist in der heutigen volatilen Geschäftsumgebung weniger eine Option, sondern vielmehr eine unternehmerische Notwendigkeit.

Bild: Infor

Der Autor: 

Will Quinn
ist Global Director of Strategy
bei Infor WMS

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