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Verhandlungsschwächen im Einkauf liegen oft in den Fachabteilungen

Aus der Sicht eines Vertriebsinsiders
Schwächen im Einkauf: Eine Einladung für Lieferanten

In vielen Einkaufsorganisationen ist der Verhandlungsprozess von strategischen Schwächen geprägt, die nachhaltig gute Verhandlungsergebnisse blockieren und es signifikant erschweren, die gesteckten Einkaufsziele zu erreichen. Dieser Artikel untersucht drei Schwachstellen im Einkaufsprozess und gibt Ausblick auf Lösungen, diese zu beseitigen.

Viele Einkäufer kennen die Situation: Die Fachabteilung entscheidet bzw. verhandelt den Lieferantenvertrag schon vor. Dieses Phänomen schwächt die strategische Position eines Unternehmens in Verhandlungen erheblich.

In Verhandlungstrainings klagen mehr als 75 Prozent der Einkäufer darüber, dass Fachabteilungen bereits mit Lieferanten kommunizieren, bevor formelle Verhandlungen überhaupt begonnen haben. Die betroffenen Unternehmen sind bei Weitem nicht nur KMU oder Mittelstandsunternehmen, sondern auch DAX-Schwergewichte. Diese vorzeitige Kommunikation führt zu einer strategischen Vorfestlegung, die oft zu internen Konflikten führt: Wer hat das Sagen bei der Auswahl und Bewertung der Lieferanten – die Fachabteilung oder der Einkauf? Häufig endet dies zum Nachteil des Einkaufs, der in seiner Handlungsfreiheit stark eingeschränkt wird und ihm die sprichwörtlichen Handschellen angelegt werden.

Schwäche Nr. 1: Die Fachabteilung

Diese Problematik beginnt in der Regel mit einem scheinbar harmlosen Anruf einer Fachabteilung bei einem Lieferanten, um eine Angebotsabfrage zu starten. Dieser Kontakt setzt jedoch bereits einen entscheidenden Fußabdruck für den Ausgang der Verhandlungen. Lieferanten nutzen diese frühzeitige Einbindung strategisch aus, indem sie – den oft hierzu untrainierten – Fachabteilungen gezielt strategisch Informationen entlocken, die für den Ausgang der Verhandlungen entscheidend sind.

Die vorgezogene Festlegung schwächt nicht nur die Verhandlungsposition, sondern führt auch zu schlechteren Abschlüssen, da die Lieferanten bereits wissen, dass die Entscheidung zu ihren Gunsten getroffen wurde, bevor der Einkauf überhaupt involviert wurde. Die Einkaufsabteilung hat dadurch kaum noch Spielraum, um auf Augenhöhe zu verhandeln oder gar vorteilhafte Konzessionen zu erzielen.

Erstaunlicherweise fehlen in vielen Unternehmen klare Prozesse, die solche Situationen verhindern könnten. Von einer strikten Regelung, wann und wie Fachabteilungen Kontakt zu Lieferanten aufnehmen dürfen, über Gremienentscheidungen ab einem bestimmten Einkaufswert, bis zu einem Vetorecht des Einkaufs, wären erste Schritte zur Lösung dieses Problems. Ohne klare Richtlinien und eine starke Führung, die die Rolle des Einkaufs als zentrale Schnittstelle für Verhandlungen stärkt, werden Unternehmen weiterhin ineffizient agieren. Nur durch solche grundlegenden Veränderungen können Unternehmen sicherstellen, dass sie in ihren Verhandlungen die bestmöglichen Ergebnisse erzielen.

Schwäche Nr. 2: Die Angebotsanfrage

In vielen Einkaufsorganisationen beginnt der Prozess mit einem scheinbar logischen Schritt: Die Angebotsanfrage beim Lieferanten. Doch was auf den ersten Blick als standardisierte Praxis erscheint, birgt in Wahrheit eine gravierende strategische Schwachstelle, die dazu führt, dass der Einkauf mit einem taktischen Nachteil in die Verhandlungen startet.

Diese Vorgehensweise ermöglicht den Lieferanten, den ersten Preisanker in der Verhandlung – einem psychologischen Framing – zu setzen, der in der Verhandlungsforschung seit Jahrzehnten bekannt ist. Derjenige, der das erste Angebot macht, definiert die Ausgangsbasis für alle weiteren Diskussionen und kann somit die Wahrnehmung des Verhandlungsgegenstandes signifikant beeinflussen. Die Bedeutung dieses Vorgehens ist so elementar, dass Forscher schon seit über 50 Jahren darauf hinweisen und sich dennoch immer wieder fragen, warum diese Erkenntnis in der Praxis so selten Anwendung findet, was als „Research-Practice-Paradox“ bekannt ist. Eine scheinbar logische Lösung, anstatt dessen drei verschiedene Angebote einzuholen – gängige Praxis – verlagert das Problem jedoch nur, da hier dann drei Preisanker miteinander vergleichen werden.

Die logische Konsequenz aus dieser Erkenntnis wäre für Einkaufsorganisationen, nicht passiv Angebote einzuholen, sondern aktiv Zielpreise vorzugeben. Doch genau hier liegt das Problem vieler Einkaufsabteilungen: Es fehlt oft an einer präzisen Kostenrechnungsabteilung, die in der Lage ist, fundierte Daten zur Bestimmung dieser Zielpreise zu liefern. Ohne ein solides Verständnis der Kostenstrukturen der angefragten Produkte oder Dienstleistungen befinden sich Einkäufer in einer schwächeren Verhandlungsposition. Dieser strategische Schwachpunkt ist eng mit Schwäche Nr. 3 verknüpft.

Schwäche Nr. 3: KPIs und Kostenrechnung

Eine Studie von BME/Entero (2019) zum Einkaufscontrolling zeigt auf, dass „Savings in Prozent“ als der wichtigste Key Performance Indicator (KPI) für Verhandlungen angesehen wird. Dieses Messkriterium ist jedoch nicht ohne Tücken.

Lieferanten, die die Mechanismen des Marktes kennen, passen sich an diese Metrik an, indem sie ihre Preise künstlich erhöhen, bevor sie in Verhandlungen treten. Ein salopper, aber treffender Spruch unter Lieferanten lautet: „Rabatte, lass dir sagen, werden im Vorfeld aufgeschlagen.“ Dies führt zu einer erhöhten Anfangsforderung, dem bereits erwähnten Anker, die den wahren Wert des Produktes verschleiert.

Die Konsequenz dieser Praxis ist gravierend. Einkäufer stehen häufig vor der Herausforderung, die Angemessenheit eines Angebots zu bewerten, ohne über fundierte Kenntnisse der tatsächlichen Kostenstruktur zu verfügen. In Trainings und Seminaren wird uns oft die Frage gestellt: „Woher weiß ich, ob ich einen guten oder schlechten Deal habe?“ oder „Woher weiß ich, ob ich noch mehr herausholen kann?“ Die Antwort darauf verlangt eine tiefere Auseinandersetzung mit den zugrundeliegenden Kostenstrukturen als nur den verglichenen Endpreisen.

In der Praxis führt diese Unkenntnis oft dazu, dass, wie oben schon erwähnt, Angebote von drei verschiedenen Lieferanten eingeholt werden, die dann als Hauptinformationsquellen dienen. Jedes dieser Angebote setzt jedoch eigene Anker – und lässt den Einkäufern wenig Raum für objektive Argumente, die die Kostenstruktur betreffen. Die Folge sind Verhandlungen, die sich weniger auf Kooperation und mehr auf Druck stützen. Häufig versuchen Einkaufsorganisationen, die Lieferanten mit dem Hinweis auf günstigere Wettbewerbspreise unter Druck zu setzen – „Der Wettbewerb ist günstiger“ oder „Da geht noch was!“ sind dabei gängige Parolen.

Diese Taktiken führen meist zu einem Tunnelblick auf eine kompetitive Verhandlungsstrategie, die das Potenzial für kooperative Lösungen und nachhaltig bessere Geschäftsbeziehungen untergraben. Das Ergebnis sind oft schlechtere Abschlüsse, bei denen lediglich suboptimale Preisnachlässe, anstatt möglicher langfristiger Wertbeiträge erzielt werden.

Die Lösung dieses Dilemmas erfordert eine grundlegende Neuausrichtung der Rolle von Einkaufsabteilungen: Weg vom reinen Preisverhandler, hin zu strategisch denkenden, informierten Akteuren, die ihre Entscheidungen auf detaillierte Analysen und klare Kostenverständnisse stützen und damit auch gute Argumente für Verhandlungen in der Hand zu haben.

Fazit: All diese aufgezeigten Schwächen unterminieren die Verhandlungsmacht des Einkaufs, bevor die Verhandlungen überhaupt begonnen haben. Unter solchen Bedingungen können selbst beste Verhandlungsführer nur überschaubare Ergebnisse erzielen. Deshalb beginnen Verhandlungen zuallererst mit einem Blick auf die eigenen Prozesse, KPIs, Vorgaben und internen Abläufe.

Weiterführende Informationen: www.schoen-negotiation.com


Der Autor:

Dr. Raphael Schoen

promovierter Verhandlungswissenschaftler, arbeitet mit DAX-Konzernen, KMU‘s, Verbänden und Bundesministerien zusammen.


 

Checkliste

Mit dieser Checkliste erhalten Sie eine klare Richtschnur, um Einkaufsverhandlungen effektiv zu führen und für sich das Meiste herauszuholen.

Bedarfsanalyse

  • „Must-have“ von „Nice-to-have“ abgegrenzt?
  • Total Cost of Ownership (TCO) definiert?

Informationen und Macht

  • Finanzielle Situation des Lieferanten analysiert?
  • Eigener Umsatzanteil beim Lieferanten bestimmt?
  • Alternativen identifiziert und entwickelt?
  • Wechselkosten zu Alternative quantifiziert?
  • Position – Machtbalance bestimmt?
  • Fachabteilung für Verhandlungen gebrieft?

Ziele

  • Realistisches Ziel definiert?
  • Limit definiert (Ziel + x%)?

Zielpreis

  • Targetpreis definiert?
  • Targetpreis geankert?
  • Anker Targetpreis rational begründbar?
  • Argumentation
  • Supplier Value Proposition definiert?
  • Die stärksten Gegenargumente des Sales Managers antizipiert?
  • Antworten auf Gegenargumente formuliert?

Konzessionen

  • Motivatoren Sales Manager identifiziert?
  • Interessen Sales Manager vs. Firma identifiziert?
  • Konzessionen TO GIVE definiert?
  • No-/ Low Cost Konzessionen definiert

www.schoen-negotiation.com

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