Covestro und Netzsch beschäftigen sich mit der Dekarbonisierung schon viele Jahre. Das kommt dem Einkauf zugute. Trotzdem ist die Reduktion des Scope 3 herausausfordernd. Das bestätigen Covestro-CPO Ferdinand Rammrath und Rudolf Hargasser, Einkaufsleiter Netzsch, im CPO-Talk von Beschaffung aktuell und der amc-Zukunftswerkstatt.
Für das Erreichen der Klimaziele der Industrie ist die Dekarbonisierung der Lieferketten alternativlos. Für den Einkauf ist die Reduktion der Emissionen bei Lieferanten, Bauteilen und Rohstoffen alles andere als ein Spaziergang. Die Beschaffung braucht Expertise, Zeit und Ausdauer, bis sie erste Maßnahmen auf den Weg bringen kann. Viele Firmen kommen auf dem Weg allerdings gut voran.
Was der Expertentalk zutage führt
Das bestätigt das jüngste Webinar der Zukunftswerkstatt Einkauf & Supply Chain (ZKW) und Beschaffung aktuell. Zu Gast waren Covestro-CPO Ferdinand Rammrath und Rudolf Hargasser, Leiter Einkauf, Logistik und Operations des Familienunternehmens Netzsch Pumpen und Systeme, sowie der Dekarbonisierungs-Spezialist Maximilian Droste von amc. Durch den Expertentalk führte Sabine Schulz-Rohde – mit erstaunlichen Erkenntnissen.
Ähnliche Erfahrungen
Denn obschon Covestro und Netzsch als Chemie- und Maschinenbauunternehmen in unterschiedlichen Branchen agieren, andere Materialien einkaufen und sich mit 14 Milliarden versus 900 Millionen Euro Jahresumsatz auch von der Firmengröße und den personellen Kapazitäten erheblich unterscheiden, machen ihre Einkaufsabteilungen bei der Bilanzierung und Reduktion des Scope 3.1 ganz ähnliche Erfahrungen.
Zur Erinnerung: Der Scope 3.1 umfasst (im Gegensatz zum Scope 1 und 2) die CO2-Emissionen, die aus der vorgelagerten Wertschöpfungskette kommen. In sehr vielen Industrien, so auch bei Covestro und Netzsch, macht dieser Fußabdruck 80 bis 98 Prozent der Gesamtemissionen aus. Damit liegt der Ball für die Klimaneutralität der allermeisten Unternehmen beim Einkauf.
Einkauf braucht klare Klima-Ausrichtung
Netzsch und Covestro gehören zu den „Early Moover“ (Maximilian Droste). Beide Unternehmen beschäftigen sich schon seit mehreren Jahren mit der Dekarbonisierung, haben früh klare Reduktionsziele formuliert, zuerst für die eigenen Emissionen und die zugekaufte Energie (Scope 1 und Scope 2), zuletzt für den Scope 3.
Es folgte im Einkauf die Bilanzierung der CO2-Werte, die über Zukaufteile und Rohstoffe in die Produkte einfließen. „Wir sind schrittweise vorgegangen, haben uns zunächst für unser Hauptwerk eine Datenbasis erarbeitet, um dann für eine Referenzpumpe im Detail die Emissionswerte, den Product Carbon Footprint, zu ermitteln“, beschreibt Rudolf Hargasser das Vorgehen. Entscheidend sei die Clusterung der Materialien mit Blick auf die Emissionswerte: „Man muss wissen, wo man ansetzen und etwas erreichen kann“, erklärt Hargasser und betont: „Das Pareto-Prinzip gilt auch für die Dekarbonisierung.“
Bilanzieren, Zuordnen, Handeln
Covestro kauft Rohstoffe für die Polymerherstellung. Das Vorgehen ist ähnlich. „Es fängt immer mit der Transparenz an“, erklärt Ferdinand Rammrath, „nur so erkenne ich, an welchen Stellen ich eine maßgebliche Reduktion bewirken kann.“ Die konkreten Hebel in der vielstufigen chemischen Prozesskette zu identifizieren sei anspruchsvoll, beschreibt Rammrath die Herausforderung im Chemieunternehmen Covestro. Mit Blick auf die Wirtschaftlichkeit verfolge man den Ansatz „highest value for lowest costs“. Denn, auch das ist kein Geheimnis: Nachhaltige, CO2-arme Materialien und Rohstoffe sind in der Regel teurer als Standardlösungen. Branchenexperten sprechen von zehn bis 20 Prozent. Nicht immer sind Kunden bereit, diese Mehrkosten zu tragen. Rammrath: „Wir gehen durchaus in Vorleistung, aber es bleibt am Ende immer auch eine wirtschaftliche Abwägung.“ Ähnliche Erfahrungen macht Netzsch. „Für uns als Unternehmen ist Nachhaltigkeit ein zentrales und wichtiges Ziel, dennoch ist es schwierig die Kunden zu überzeugen, den Weg zur Klimaneutralität nicht nur ideell, sondern auch finanziell mitzugehen“, erklärt Rudolf Hargasser.
Lieferanten müssen überzeugt werden
Überzeugungsarbeit muss der Einkauf auch auf Lieferantenseite leisten. „Je nach Klima-Reifegrad der Firmen empfehlen sich andere Maßnahmen“, sagt Dekarbonisierungs-Experte Maximilian Droste, amc. „Viele große Unternehmen sind mit dem Thema schon sehr weit. Dann kann man voneinander lernen und sogar die Innovationen der Lieferanten nutzen“, erklärt er, „andere Firmen, insbesondere KMU, brauchen Unterstützung, Schulungsangebote und eine klassische Lieferantenentwicklung.“
Asiatische Partner vorne dabei
Über den Reifegrad entscheidet nicht unbedingt die regionale Herkunft: Auch von asiatischen Lieferanten kommen durchaus dezidierte Emissionsdaten, die einer externen Prüfung standhalten. Covestro und Netzsch bestätigen dies: „Viele Unternehmen haben erkannt, dass eine saubere Klimabilanz ein Wettbewerbsvorteil ist“, erklärt Ferdinand Rammrath.
Gefragt ist klassische Einkaufsarbeit
In großen Teilen der Wirtschaft sei die Dekarbonisierung angekommen, bestätigt Maximilian Droste. Der individuelle Fortschritt sei eher von der Branche und der Unternehmensgröße abhängig, beobachtet er. Entscheidend seien jedoch nicht allein die Klimaziele, sondern dass die Lieferanten aus den Zielen auch ein Commitment und Maßnahmen ableiten, betont Covestro-CPO Rammrath. Genau hier setze die klassische Einkaufsarbeit an, sagt Droste.
Top-Management muss hinter Klimazielen stehen
Für die Umsetzung der Klimastrategie braucht der Einkauf außerdem ein klares Bekenntnis des Top-Management. Sowohl bei Covestro als auch bei Netzsch ist dies vorhanden: „Ohne die Unterstützung von Geschäftsführungs- und Vorstandsseite kann der Einkauf die Dekarbonisierung am Markt nicht durchsetzen“, erklären beide Einkaufsleiter.
Wie lassen sich die Daten vergleichen?
Sind die ersten Schritte gegangen und eine grundlegende Transparenz herstellt, geht es um die Vergleichbarkeit der Daten. Maximilian Droste begrüßt Branchenstandards für die Berechnung von Product Carbon Footprints (PCF). Covestro nutzt für die Übermittlung von PCF-Zertifikaten den Standard der Chemie-Nachhaltigkeitsinitiative Together for Sustainability (TfS). Netzsch berechnet den PCF nach einer extern validierten Methodik. „Nutzen Firmen solche Standards wird es auch für die Lieferanten leichter, weil sie nicht für jeden Kunden individuelle Datenblätter ausfüllen müssen“, erklärt Droste.
Erst Strategie, dann digitalisieren
Trotzdem bleibt der Aufwand für die Datenerhebung im Einkauf erst einmal hoch. Nach und nach müssen die zum Start ermittelten Durchschnittsdaten mit den Primärdaten von Lieferanten abgeglichen und ständig aktualisiert werden. Ellenlange Excellisten sind in den vielen Firmen noch die Regel. Die Entscheidung für eine durchgängig digitale Lösung hängt maßgeblich von der Branche und den eigenen Anforderungen ab. „Wir prüfen aktuell, welches Monitoring-Tool zu unseren Anforderungen passt“, sagt so auch Netzsch-Einkaufsleiter Hargasser.
„Das Entscheidende ist, dass die Lieferanten aus ihren Klimazielen auch ein Commitment und Maßnahmen ableiten.“
Ferdinand Rammrath, Chief Procurement Officer, Covestro Deutschland AG
Wir haben zunächst für unser Hauptwerk eine Datenbasis erarbeitet, um dann für eine Referenzpumpe im Detail den Product Carbon Footprint zu ermitteln.“
Rudolf Hargasser, Head of Procurement Logistics Operations, Netzsch Pumpen & Systeme GmbH
„Je nach Klima-Reifegrad der Lieferanten empfehlen sich andere Maßnahmen. Insbesondere KMU brauchen Schulung und Unterstützung.“
Maximilian Droste, Experte für Dekarbonisierung, Senior Project Manager amc
Moderierte den CPO-Talk: Sabine Schulz-Rohde, Verantwortliche Redakteurin, Beschaffung aktuell.
Autorin: Annette Mühlberger, Journalistin