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Ausprägungen, Ursachen und Folgen des Qualitätsrisikos

Risikomanagement als Aufgabe des Supply Chain Management
Ausprägungen, Ursachen und Folgen des Qualitätsrisikos

Teil 4: Bewältigung des Qualitätsrisikos
Entsprechend dem subjektiven Qualitätsbegriff liegt Qualität vor, wenn die Summe und das Niveau der Eigenschaften des gelieferten Produktes bzw. der erbrachten Dienstleistung den Vereinbarungen mit dem Kunden (hier des internen Kunden Fertigung) oder den Erwartungen des Kunden entsprechen. Jede Abweichung von der vereinbarten oder erwarteten Leistung ist ein Fehler.

Qualitätsrisiko ist die Gefahr, dass eine Lieferung insgesamt die benötigten Eigenschaften und Merkmale nicht aufweist (Chargenfertigung, flüssiges Material) oder fehlerhafte Stücke enthält.
Hinsichtlich der Risikoursachen und der Risikofolgen können dabei vier Ausprägungen der Qualitätsrisiko-Situation unterschieden werden:
  • 1. das gelieferte Material entspricht (teilweise) nicht der vereinbarten/geforderten Spezifikation, fehlerhafte Stücke passieren (teilweise) unerkannt die Qualitätsprüfung;
  • 2. das gelieferte Material entspricht (teilweise) nicht der vereinbarten/geforderten Spezifikation, fehlerhafte Stücke werden in der Qualitätsprüfung identifiziert, aussortiert und beanstandet;
  • 3. das gelieferte Material entspricht (teilweise) nicht der vereinbarten/geforderten Spezifikation, der Anteil fehlerhafter Stücke in der geprüften Stichprobe übersteigt die Annahmegrenze, die Lieferung wird insgesamt abgelehnt;
  • 4. das gelieferte Material entspricht der vereinbarten Spezifikation, das gelieferte Material ist jedoch nicht bedarfsgerecht, da die Spezifikation ungeeignet, fehlerhaft oder unvollständig ist.
Diese Unterscheidung der Qualitätsrisiko-Situationen zeigt bereits, dass Qualitätsrisiko durch die Störquellen Lieferant und Abnehmer verursacht werden kann. Der Abnehmer verursacht ein Qualitätsrisiko durch eine fehlerhafte, missverständliche oder unvollständige Spezifikation. Der Lieferant verursacht eine Qualitätsstörung, wenn er ein fehlerhaftes Produkt herstellt und für die Auslieferung freigibt oder wenn es auf dem Transportweg beschädigt wird. Ursachen für eine fehlerhafte Herstellung können in der Fertigung oder auf dem Beschaffungsmarkt des Lieferanten begründet sein.
Eine fehlerhafte Materiallieferung hat häufig Auswirkungen auf die gesamte Prozesskette:
– Fehlmengensituation wegen fehlerhaften Materials: Wird das fehlerhafte Material in der Qualitätsprüfung entdeckt und zurückgewiesen, steht nicht genügend Material zur Verfügung, um den geplanten Fertigungsauftrag starten zu können.
– Opportunitätskosten wegen fehlerhaften Materials: Wird das fehlerhafte Material für die Fertigung freigegeben, entsteht in der Fertigung Ausschuss, der Opportunitätskosten in Form von verschwendetem Material, Mitarbeiter- und Anlagenkapazität verursacht.
– Lieferverzögerung gegenüber dem internen Kunden: Der Ausschuss gefährdet die Termineinhaltung gegenüber nachfolgenden Fertigungsstufen, wo materialbedingte Stillstandskosten oder Umplanungskosten entstehen.
– Lieferverzögerung gegenüber dem externen Kunden: Kann die interne Terminverzögerung nicht in den nachfolgenden Fertigungsstufen oder im Versand kompensiert werden, wird der mit dem Kunden vereinbarte Liefertermin nicht eingehalten. Auf dem Absatzmarkt entstehen Image-, Auftrags- und/oder Kundenverluste und eventuell Pönale.
– Fehlerhaftes Absatzprodukt: Wird unbemerkt ein fehlerhaftes Absatzprodukt hergestellt und ausgeliefert, entstehen Image- und eventuell Kundenverluste, dem Unternehmen drohen Gewährleistungsansprüche und Schadensersatzansprüche aus dem neuen Produkthaftungsgesetz und/oder der deliktischen Produkthaftung.
Der Schaden, der durch fehlerhaftes, d.h. nicht qualitätsgerechtes Material in der Prozesskette verursacht wird, wird mit dem Begriff Fehlerkosten oder Fehlleistungsaufwand belegt. Ursachen und Wirkungen des Qualitätsrisikos sind in obenstehender Abbildung nochmals im Überblick dargestellt.
Bewältigung des Qualitätsrisikos
Reaktionen auf ein aktuelles Qualitätsproblem müssen in der Praxis unter Abwägung der Fehler- und der Fehlmengenkosten entschieden werden. Ist die Abweichung von der vereinbarten Spezifikation wesentlich, hat der Abnehmer die Möglichkeit, die Lieferung abzulehnen und eine Ersatzlieferung zu beanspruchen, eine Preisminderung zu verlangen oder vom Vertrag zurückzutreten (Gewährleistungsansprüche). Die richtige Reaktion muss im Einzelfall auf die situativen Gegebenheiten abgestimmt werden. Der Entscheidungsträger muss daher prüfen, ob die Möglichkeit einer Freigabe für die Fertigung mit der Auflage einer Nacharbeit oder einer verschärften In-Prozess-Kontrolle besteht. Analog der Reaktion auf eine akute Fehlmengensituation sind die Bedingungen eines Deckungskaufs zu prüfen.
Zur Vermeidung des Qualitätsrisikos stehen dem Abnehmer die folgenden ursachenorientierten Instrumente zur Verfügung:
– Zur Beeinflussung der Häufigkeit bzw. der Gefahr fehlerhafter Lieferungen kann der Einkauf in Zusammenarbeit mit den Funktionsträgern in der Entwicklung eine unmissverständliche, vollständige und durch Fehlertabellen und -klassen ergänzte Spezifikation erstellen und mit dem Lieferanten verbindlich vereinbaren.
– Eine intensive Untersuchung der Leistungsmerkmale des Lieferanten vor der ersten Auftragserteilung (Lieferantenzulassung), eine Musterprüfung und Auswertungen der laufenden Lieferantenbewertung geben Aufschluss über die Qualitätsfähigkeit und -zuverlässigkeit des Lieferanten.
Um die Anfälligkeit gegenüber fehlerhaftem Materials zu reduzieren, stehen dem Abnehmer die folgenden wirkungsorientierten Instrumente zur Verfügung:
– Der Abnehmer versucht, mittels einer Qualitätsprüfung der gelieferten Materialien, fehlerhafte Lieferungen bzw. Stücke zu erkennen und auszusondern oder nachzuarbeiten. Gestaltungsfelder der Qualitätsprüfung sind der Stichprobenumfang und die Annahmegrenze, das Prüfverfahren, die Prüfmerkmale und die Kompetenz sowie Leistungsbereitschaft des Prüfpersonals.
– Je genauer und intensiver die Qualitätsprüfung durchgeführt wird, um so geringer wird die Gefahr, fehlerhaftes Material für die Fertigung freizugeben. Allerdings wächst gleichzeitig die Gefahr einer Fehlmenge, wenn große Teile einer Lieferung beanstandet werden oder die gesamte Lieferung zurückgewiesen wird. Daher sollte auch die Möglichkeit genutzt werden, fehlerhaftes Material für die Fertigung freizugeben mit der Auflage, das Material nachzuarbeiten oder in den nachfolgenden Fertigungsstufen intensive Prüfungen vorzunehmen.
– Sicherheitsbestände, Kapazitätspuffer und die Berücksichtigung von Sicherheitszeiten in den Plan-Durchlaufzeiten und -Beschaffungszeiten sind teilweise geeignet, eine Fortpflanzung der Fehlerfolgen in der Prozesskette zu vermeiden.
Zusicherung von Eigenschaften
Geeignete vertragliche Vereinbarungen schaffen die Voraussetzung, um Fehlleistungskosten teilweise auf den Lieferanten abwälzen zu können. Die Rechtslage nach BGB und HGB bietet bei einer fehlerhaften Lieferung – wenn der Abnehmer nicht entsprechende vertragliche Vereinbarungen geschlossen hat – nur unbefriedigende Ansprüche auf Gewährleistung und Schadensersatz:
Gewährleistungsansprüche kann der Abnehmer nur dann durchsetzen, wenn er seiner Prüf- und Rügepflicht ordnungsgemäß nachgekommen ist und wenn die gelieferten Produktmerkmale wesentlich von den vereinbarten abweichen. Schadensersatz für dem Abnehmer entstehende interne und externe Fehlerkosten kann nur dann durchgesetzt werden, wenn dem Lieferanten schuldhaftes Verhalten vorzuwerfen ist oder wenn eine Zusicherung von Eigenschaften vorliegt.
Der Abnehmer sollte daher durch entsprechende vertragliche Vereinbarungen versuchen Bedingungen zu schaffen, in denen insbesondere die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen erleichtert wird:
• Klauseln, in denen sich der Lieferant verpflichtet,
– bestimmte Materialien oder Materialien bestimmter Güte einzusetzen,
– bestimmte Fertigungs- und Prüfverfahren anzuwenden,
– bestimmte Vorlieferanten zu beschäftigen, erweitern die Schadensersatzansprüche des Abnehmers gegenüber dem Lieferanten, wenn dieser fehlerhaft liefert und die vereinbarten Qualitätsmanagementmaßnahmen nicht durchgeführt hat. In diesem Fall ist der Lieferant wegen positiver Vertragsverletzung schadensersatzpflichtig.
• Auch eine „Zusicherung von Eigenschaften“ verschafft dem Abnehmer eine wesentlich günstigere Anspruchsgrundlage, wenn eine Lieferung fehlerhaft ist: Der Lieferant ist gemäß §§ 463, 635 BGB zum Schadensersatz verpflichtet, er muss den Abnehmer so stellen, als sei der Schadensfall nicht eingetreten. Der Abnehmer ist demnach bei seinen Ansprüchen nicht auf Neulieferung, Wandlung oder Minderung beschränkt. Der Abnehmer muss bei zugesicherten Eigenschaften nicht darüber streiten, ob ein Mangel erheblich ist oder nicht: weist die Ware die zugesicherten Eigenschaften nicht auf, kommt es für die Gewährleistungsansprüche nicht darauf an, ob die Ware für den bestimmten Gebrauch noch geeignet ist oder nicht. Der Anspruch auf Schadensersatz besteht unabhängig von einem Verschulden des Lieferanten.
In jedem Falle beschränkt sich der Schadensersatz jedoch auf nachweisbaren durch fehlerhaftes Material entstandenen Aufwand. Opportunitätskosten des Imageschadens, durch Umsatz- und Kundenverluste, können nicht eingefordert werden.
Die genannten Instrumente lassen sich häufig nicht nur einer Strategie zuordnen. So hat die Vereinbarung einer Vertragsklausel, die dem Abnehmer Schadensersatzansprüche bei fehlerhaften Lieferungen verschafft, einerseits passiven und wirkungsorientierten Charakter, da die Vereinbarung zu einer Überwälzung der Fehlerkosten auf den verursachenden Lieferanten führt, andererseits veranlasst die Drohung von Schadenersatzforderungen den Lieferanten, systematische Qualitätsverbesserung seiner Prozesse und Produkte zu forcieren und ist insoweit auch der aktiven ursachenorientierten Risikostrategie zuzuordnen.
Hier sind die Instrumente zur Bewältigung des Qualitätsrisikos nochmals gegenübergestellt.
Prof. Dr. Ruth Melzer-Ridinger
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