Wenn es an die Verringerung des CO2-Fußabdrucks geht, bilden die Emissionen von Scope 1 und 2 für Unternehmen meist zunächst den Schwerpunkt von Maßnahmen. Denn unternehmenseigene Ressourcen sowie indirekte Emissionen aus der Energieerzeugung sind gut kontrollier- und steuerbar. Die indirekten Scope-3-Emissionen dagegen entstehen in der gesamten Wertschöpfungskette. Sie stellen oft eine größere Herausforderung dar, weil sie außerhalb der eigenen Produktionsstätten anfallen und somit schwerer zu messen und zu reduzieren sind.
Unternehmen stehen daher häufig vor einer Mammutaufgabe. Es bedarf klarer Strategien, detaillierter Pläne und funktionsübergreifender Zusammenarbeit, um Ansätze und Systeme zur Emissionsverfolgung aufzubauen. Auch muss die Finanzierung von Maßnahmen abgesichert werden.
Die Ausgangssituationen – und entsprechend die Lösungsansätze – variieren dabei stark je nach Branche und Geschäftsmodell, wie der folgende Blick auf drei beispielhafte Sektoren zeigt. Die Emissionen können in der Lieferkette entstehen (Upstream) oder nach der Produktion während der Nutzung und Entsorgung (Downstream), wobei wir uns hier auf die Upstream-Phase konzentrieren.
Pharma: Einsparpotenzial durch nachhaltiges Produktdesign
Eine McKinsey-Analyse von etwa 40 Pharmaunternehmen zeigt, dass rund 75 Prozent der Emissionen in der gesamten Wertschöpfungskette dem Bereich Scope 3 zuzuordnen sind. 50 Prozent davon stammen aus dem Bereich der in der Lieferkette entstehenden Emissionen. Die Hauptquellen sind bekannt: eingekaufte Materialien, Wartungsdienstleistungen, Ersatzteile und Investitionsausgaben für Anlagen-Upgrades sowie die Transporte von Zulieferern, zum Beispiel Materiallieferungen.
Durch Hebel wie einem nachhaltigen Produktdesign kann ein typisches Pharmaunternehmen bis 2040 etwa 90 Prozent seiner Gesamtemissionen zu Kosten von etwa 100 US-Dollar pro Tonne CO2 reduzieren. Die verbleibenden zehn Prozent sind schwerer einzusparen, können aber mit kurzfristigen Strategien wie dem Erwerb von CO2-Zertifikaten angegangen werden.
Baustoffe: Langfristige Partnerschaften mit Lieferanten
Bei Baustoffherstellern stammt ein großer Teil der vorgelagerten Scope-3-Emissionen aus der Verwendung von Rohstoffen wie Aluminium, Zement oder Kupfer. Hier sind langfristige Partnerschaften mit Zulieferern erforderlich, um die bestehende Produktion zu dekarbonisieren und neue Kapazitäten für CO2 reduzierten Stahl oder Zement aufzubauen. Dabei ist von Vorteil, Produktspezifikationen und -anforderungen zu überprüfen, zum Beispiel die Dicken der Endprodukte, die mögliche Verwendung von Füllstoffen sowie alternativer Bindemittel im Falle von Zement.
Halbleiter: Fokus auf drei wichtige Materialien
Die Emissionen von Scope 1 und 2 machen in der Halbleiterindustrie 65 Prozent der gesamten THG-Emissionen aus. Möchten Produktionsstätten die Netto-Null-Ziele erreichen, sollten sie ihre Maßnahmen auf die in der Lieferkette entstehenden Scope-3-Emissionen erweitern. Der Ausstoß verteilt sich in diesem Falle oft auf Hunderte von Lieferanten und Materialien für die Chipherstellung. Die Hälfte der Emissionen bei Chemikalien, Wafern und Gasen entfällt letztlich oft auf nur sechs bis zehn Lieferanten, so eine McKinsey-Analyse.
Wenn sich die Unternehmen auf die genannten drei wichtigsten Materialkategorien fokussieren, können sie ihre Lieferanten bei der Dekarbonisierung effektiv unterstützen. Sie können zudem das Recycling in der Produktion erhöhen, was die Menge der bestellten Materialien senken hilft. Wichtige Hebel sind, Chemikalien und Gase mit einem geringeren Emissionsfußabdruck zu verwenden oder Produktspezifikationen zu ändern.
Häufig steht auch ein Wechsel zu Tier-1-Lieferanten mit einem geringeren CO2-Fußabdruck offen oder die Fabriken kooperieren mit bestehenden Lieferanten, um deren Dekarbonisierung zu beschleunigen und weiter auszubauen.
Zentrale Hebel zur Dekarbonisierung
So unterschiedlich die Branchen, die Positionen in der Wertschöpfungskette und das Geschäftsmodell sein mögen – branchenübergreifend lassen sich drei zentrale Mechanismen für die Umsetzung der Dekarbonisierung von Scope-3-Emissionen unterscheiden, die natürlich überlappen können. Der Fokus der Betrachtung liegt wieder auf dem Upstream-Bereich.
1. Auswahl von Lieferanten und Kunden
Es ist unerlässlich, den Faktor CO2 durchgängig entlang der Wertschöpfungskette transparent zu machen und dann in den Lieferanten-Auswahl- und Verhandlungsprozess einzubeziehen. Diese Verpflichtung muss über die Tier-1-Zulieferer hinaus auch auf die Tier-n-Zulieferer ausgedehnt werden. Besonders auf den vorgelagerten Ebenen der Lieferkette lassen sich in der Regel noch Emissions-Hotspots finden – und dann adressieren. Zusammen mit den Lieferanten können geeignete Rohstoffe gefunden werden, um Produktionsprozesse und Produktdesigns anzupassen. Der „Dual Mission“-Ansatz, also beim Einkauf eines Produkts oder von Services die Kosten und zugleich den CO2-Fußabdruck zu minimieren, entwickelt sich zum neuen Standard in vielen Beschaffungsteams.
2. Produktspezifikation und Lösungen
Weiterführende Ansätze zur Emissionssenkung konzentrieren sich in der Regel auf die Anpassung von Produkten, um deren Input-Emissionen zu verringern. Einige Unternehmen reduzieren dafür beispielsweise den Bedarf an neuen Rohstoffen. Gleichzeitig können sie die Anforderungen erfüllen, indem sie historische Rezepturen und Spezifikationen ändern. Sie können zum Beispiel bei Materialspezifikationen und -stärken ansetzen, ganz im Sinne klassischer Design-to-Cost-Ansätze bzw. „Design-to-Carbon“. Andere Unternehmen stellen die Produktion um und verwenden rezyklierte oder biobasierte Rohstoffe.
3. Zusammenarbeit entlang der Lieferkette
Viele Emissions-Reduktionshebel erfordern die Zusammenarbeit entlang der Wertschöpfungskette. Organisationen sind daher gut beraten, Partnerschaften auf- oder auszubauen, um die Dekarbonisierung voranzutreiben. Gemeinsam mit anderen Unternehmen können sie mithilfe neuester Technologien und innovativer Lösungen CO2-ärmere Produktlinien und Prozesse schaffen. So haben sich beispielsweise das Bergbauunternehmen Anglo American und thyssenkrupp Steel zusammengetan, um hochwertige Vormaterialien für eine CO2-ärmere Stahlproduktion zu entwickeln.
Fazit
Der Weg zu einem erfolgreichen Umgang mit Scope-3-Emissionen verläuft in der Regel in drei Phasen. Ausgangspunkt jeder Strategie ist es, mit Lösungen wie Spendscape von McKinsey eine Baseline für die Scope-3-Emissionen zu erstellen. Eine granulare, transaktionsbasierte Ausgabenanalyse wird mit einer „Matching Engine“ kombiniert, die den Zugriff auf bis zu 300.000 kuratierte Emissionsfaktoren entlang der gesamten Lieferkette erlaubt. Damit können sowohl ausgaben- als auch verbrauchsbasierte Berichte erstellt werden. Die Konnektivität zu mehreren Quellsystemen ermöglicht es, Daten regelmäßig zu aktualisieren und die Emissionen kontinuierlich zu überwachen.
Auf diese Baseline-Analyse folgt eine Bottom-up-Planungsphase, um detaillierte Initiativen zur Erreichung des langfristigen Ziels zu entwickeln, wie beispielsweise den Anteil von niedrig-emissiven Materialien zu erhöhen und dabei die kosteneffizientesten Möglichkeiten zu priorisieren.
Schließlich folgt mit der Umsetzung die dritte Phase. Das Unternehmen führt seine Initiativen zur CO2-Reduzierung und Optimierung entlang der oben genannten Mechanismen durch, zertifiziert grüne Produkte und verankert die Fähigkeiten in der Organisation.
Peter Spiller
berät als Partner von McKinsey & Company in Frankfurt Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen bei der Entwicklung und Umsetzung von umweltverträglichen Betriebsabläufen und ESG-Strategien.
Björn-Uwe Mercker
ist Partner in der Operations Practice von McKinsey in München. Er ist Leiter und Geschäftsführer von Spendscape by McKinsey, das Technologie- und Servicelösungen für Ausgaben, Kostenanalyse und Werterfassungsmanagement anbietet.