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Die Weichen für die Zukunft stellen

Entwicklung der Rohstoffmärkte insbesondere Seltene Erden, Teil 2
Die Weichen für die Zukunft stellen

Ressourceneffizienz, Recycling und der Ersatz von schlecht verfügbaren Rohstoffen sind wichtige Zukunftsthemen, die von der Fraunhofer-Projektgruppe IWKS in Alzenau und Hanau verfolgt werden. Prof. Dr. Gerhard Sextl wirkt als Leiter des Fraunhofer ISC und Gründungsvater der Projektgruppe IWKS, dass die Projektgruppe vor dem Hintergrund teurer und knapper werdender Rohstoffe eine wichtigen Beitrag leiste, um die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Ziel ist die Rohstoffversorgung der Industrie und damit die Technologieführerschaft in Deutschland auch langfristig zu sichern. Beschaffung aktuell sprach mit Prof. Dr. Gerhard Sextl und Prof. Dr. Ronald Bogaschewsky über die Möglichkeiten der Industrie.

Beschaffung aktuell: Professor Sextl, wie sieht Ihre Forschung aus?

Prof. Dr. Gerhard Sextl: Die Projektgruppen in Alzenau und Hanau beschäftigen sich unter anderem mit Technologien für Rohstoffgewinnung und Recycling. Dabei geht es um zukünftige Recyclingtechnologien – sozusagen um Recycling 2.0.
Eine Gruppe beschäftigt sich beispielsweise mit der Substitution von Funktionsmaterialien. Denn immer dort, wo eine Ressource knapp wird, muss man sich Alternativen überlegen.
Beschaffung aktuell: Könnten Sie konkrete Beispiele nenne?
Sextl: Ich erläutere Ihnen das anhand zweier Beispiele: Wenn Sie elektrische Signale nicht mehr mit Kupferleitungen übertragen möchten, gibt es die Alternative: Lichtwellenleiter, also Glasfaser. Das ist eine vollkommen andere Technologie. Denn man kann nicht die Prinzipien von Kupfer auf die Lichtwellenleiter übertragen. Das ist eine andere Welt. Beide Technologien haben nur noch gemeinsam, dass sie Signale übertragen. Zusätzlich erfordert die neue Technologie auch andere Fertigungseinrichtungen.
Ein anderes Beispiel ist die Fotografie. Ich bin noch mit den Silberfilmen groß geworden. Heute hat man Digicams. Die Kamera schaut aus wie früher und man hat die Funktionalität beibehalten: Beide Geräte machen Bilder. Aber, was drin ist, hat nichts mehr mit den alten, analogen Kameras zu tun. Die Technologien sind vollkommen andere. Die Firmen, die noch Filme hergestellt haben, sind out. Jetzt produzieren Halbleiterproduzenten die Chips für Kameras.
Das hat eine andere Qualität, wenn man nur das Material eines Gehäuses, beispielsweise Blech durch ein anderes Material wie Kunststoff, ersetzt. Das ist trivial, dafür benötigt man keine Forschertruppe. Aber wenn es um die Funktionsmaterialien geht, reden wir von hoch komplexen Forschungsarbeiten. Die Substitution hat immer auch etwas mit Innovation zu tun. Wenn Sie sich die Definition nach Schumpeter anschauen, dann ist Innovation nicht die Erfindung selbst, sondern die Umsetzung in den Markt. Das heißt innovativ ist man erst dann, wenn man ein Produkt im Markt umgesetzt hat.
Beschaffung aktuell: Werden wir in Deutschland zukünftig unabhängig von unsicheren Importen aus China oder anderen Ländern werden können?
Sextl: Das ist unser Ziel. Wenn ganz bestimmte Elemente nicht mehr benötigt werden, können Sie deren Verbrauch natürlich reduzieren. Es geht darum, wie man eine tragfähige Ressourcenstrategie entwickelt. Wir machen uns Gedanken zum ressourceneffizienten Wertstoffkreislauf. Denn die Entwicklung und Umsetzung wirtschaftlicher Recyclingkonzepte muss an den wirtschaftlichen Randbedingungen orientiert sein. In der Forschung kann man viel machen, aber es muss auch wirtschaftlich sein. Ich bin aber der Meinung, dass es keinen Sinn macht, für die Rückgewinnung von Wertstoffen, beispielsweise aus einem Handy, mehr Ressourcen einzusetzen als man wieder an Ressourcen rausholen kann.
Beschaffung aktuell: Können Sie ein paar Projekte nennen?
Sextl: Ganz wichtig im Bereich Recycling sind Trenn- und Sortiertechnologien für die die neuen Materialien: Es gibt fast ein Inflation neuer Kombinationswerkstoffe, aber man muss auch in der Lage sein, diese später voneinander zu trennen. Es fehlt an Technologien, um diese Materialien für die Rohstoffwiederverwerter nutzbar machen zu können. Da ist ein großes, noch ungelöstes Thema!
Ein anderer Bereich beschäftigt sich mit recyclinggerechtem Design: Wie zerlegt man – wieder das Beispiel Handy – so ein Gerät wieder in seine Bestandteile, um an wertvolle Materialien ranzukommen? Schreddern ist eigentlich das Schlimmste, was man machen kann. Denn dann hat man alles gleichmäßig verteilt und maximiert den Aufwand für die Werkstofftrennung. Intelligente Lösungen sind da gefordert.
Wir entwickeln Verfahren, wie so ein Gerät auf möglichst einfache Art und Weise in seine Einzelteile zerlegt werden kann, ohne dass beispielsweise der Akku geschreddert wird. Man muss Produkte so designen, dass man nach Ablauf deren Gebrauch an die Wertstoffe wieder leichter herankommt.
Prof. Dr. Ronald Bogaschewsky: Jetzt ist strategisches Handeln gefordert: Zum einen müssen wir auf geschlossene Kreisläufe setzen, zum anderen müssen wir enge Verbindungen zu noch freien Märkten schaffen. Beispielsweise zu den Kanadiern, die seit geraumer Zeit hier in Deutschland Investitionspartner für ihren „Plan Nord“ in Quebec suchen. Dort lassen sich riesige Rohstoffvorkommen erschließen. In Deutschland scheint es allerdings kaum jemanden zu geben, der ernsthaft in diese Zukunft investieren möchte. Das ist kurzsichtig. Kanada wäre ein guter strategischer Partner auf dem Weltmarkt, der genügend eigene Reserven im Bereich Rohstoffe hat.
Sextl: Die günstigen Rohstoffpreise sind bezüglich der langfristigen strategischen Überlegungen eigentlich kontraproduktiv.
Bogaschewsky: Außerhalb Westeuropas funktionieren die Mechanismen des Marktes nicht so richtig. Denn die Preise der Rohstoffe, die von Minen aus Ruanda oder China kommen, wo die radioaktiven Abwässer einfach irgendwo reinlaufen, sind Dumpingpreise. Deshalb haben wir immer eine Schieflage und müssten nachsteuern. Ein sehr schwieriges Thema.
Beschaffung aktuell: Wie reagiert die Industrie auf Ihre Vorschläge?
Sextl: Es gibt Firmen, die sagen, dass es sie nicht interessiert. Es gibt andere, die bereit sind, sich um dieses Thema zu kümmern. Unsere Gruppe in Alzenau ist das Resultat von vielen Gesprächen mit großen dort ansässigen Firmen, die gesagt haben, dass sie das Problem auf sich zukommen sehen und sie Unterstützung bräuchten. Sie beauftragen uns beispielsweise mit Studien, um zu erfahren, wie es mit der Versorgungssicherheit der Elemente aussieht, die diese Firmen einsetzen oder planen einzusetzen. Was ist zu erwarten, womit muss man rechnen? Und dann noch die Frage: Was gibt es für Alternativen? Diese Firmen sind innovativer als andere, die das Versorgungsproblem ignorieren. Aber auf Dauer werden sie von der Realität eingeholt werden.
Beschaffung aktuell: Was raten Sie Unternehmen heute?
Bogaschewsky: Wir müssen die Zeit jetzt nutzen, um bei der Entwicklung neuer Produkte Fragen nach der Verfügbarkeit der zur Verarbeitung kommenden Materialien zu stellen: Was kommt da rein? Wo können wir substituieren? Wo können wir die Mengen von knappen Stoffen reduzieren? Wo können wir in ganz andere Richtungen gehen? Das sind Entscheidungen, die für die nächsten zehn bis 20 Jahren getroffen werden. Und da muss der, der die Kenntnisse über den Markt hat – und ich hoffe, dass die Einkäufer diese Kenntnisse über die Märkte haben – unbedingt mitreden.
Sextl: Man muss die FuE-Abteilung mit den Einkäufern zusammenbringen. Denn man muss sich bei der Entwicklung immer auch die Frage stellen, sind die Rohstoffe, die wir hier bei der Entwicklung vorsehen, überhaupt langfristig in den Mengen verfügbar, die wir benötigen.
Macht es Sinn Seltene Erdelemente in großen Menge einzusetzen? Diese Diskussionen müssen in den Unternehmen geführt werden. In diesem Rahmen kann man heute die Weichen für die Zukunft stellen, damit man als Unternehmen in kein Desaster hineinläuft, wenn Rohstoffe nicht oder nicht mehr ausreichend verfügbar sind, die ganze Produktion aber genau auf dieses Szenario hin optimiert wurde.
Wir in Deutschland haben das Damoklesschwert, dass wir so gut wie keine eigenen Reserven an insbesondere metallischen Rohstoffen haben. Wir haben Steine und Erde in Hülle und Fülle. Wir können Glas machen, wir können Keramik herstellen und Porzellan. Aber ob das für den Erhalt unserer Wirtschaft reicht?
Beschaffung aktuell: Suchen Sie noch Kooperationspartner aus der Industrie?
Sextl: Immer gerne. Wir sind ein Fraunhofer-Institut. Und müssen uns zu dreiviertel aus Drittmitteln finanzieren. Wir sind u.a. Mitglied des Netzwerkes German Resource Research Institute (GERRI) und sind dabei, weitere nationale und europäische Netzwerke aufzubauen, um die Forschung zu koordinieren. Wenn man allein arbeitet, dann addiert man Erfolge, wenn man zusammenarbeitet, dann multipliziert man diese.
Beschaffung aktuell: Vielen Dank für das interessante Gespräch.
In der nächsten Ausgabe von Beschaffung aktuell stellen wir verschiedene Fraunhofer-Projektgruppen für Wertstoffkreisläufe und Ressoucenstrategie vor.
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