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Leistungsfähigkeit erfassen und bewerten

Lieferantenmanagement aus Sicht der (IT-)Praxis
Leistungsfähigkeit erfassen und bewerten

Lieferantenmanagement ist aktuell in aller Munde. Praktisch resultiert dies aus einer immer stärkeren Fokussierung auf die jeweiligen Kernkompetenzen in den Unternehmen und damit einhergehend einer Erhöhung des Einkaufsvolumens. Walter Huber empfiehlt, bei der Lieferantenauswahl eine Kosten-Entscheidungsanalyse vorzunehmen und anhand einer Balanced Scorecard den für das Unternehmen wertvollsten Lieferanten zu ermitteln.

Dr. Walter Huber, Abteilungsleiter Bereich Purchasing, Finance & HR, msg systems ag, Ismaning

Die Wertschöpfung jedes Unternehmens kann durch das jeweilige Unternehmen selber erbracht werden oder über den eigenen Einkauf zugekauft werden. Durch das stetig steigende Einkaufsvolumen wird der Einkauf zu einem strategischen Stellhebel in vielen Unternehmen und damit zu einem wichtigen Teil der Unternehmensstrategie. Eine der wichtigsten Aufgaben besteht nun darin, die Fähigkeiten der Lieferanten mit der Unternehmensstrategie und den jeweiligen Bereichen zu verknüpfen. Das zentrale Element hierbei ist das Lieferantenmanagement.
Viele Definitionen des Begriffs Lieferantenmanagement folgen bewusst oder unbewusst jener von h&z und Siemens. Sie waren bei den ersten, die das Thema umgesetzt haben. Auch die folgende Beschreibung lehnt sich an diese Definition an und erweitert sie entsprechend. Lieferantenmanagement umfasst die Bausteine:
  • Lieferantenregistrierung/Lieferantenselbstauskunft,
  • risikoorientierte und bedarfsgerechte Lieferantenauswahl,
  • risikoorientierte Lieferantenbewertung,
  • Lieferantenauswertung,
  • bedarfsgerechte Lieferantenoptimierung und -entwicklung,
  • Management strategischer Lieferanten.
Einen Teil der Aufgaben in jeder der aufgeführten Phasen lässt sich zweckmäßig durch IT-Systeme übernehmen, ein anderer Teil obliegt dem jeweiligen Anwender.
Die einzelnen Aufgaben unterscheiden sich natürlich etwa in Abhängigkeit der Branche und ob es sich um das Lieferantenmanagement für A- oder B/C-Teileeinkauf handelt. Im Folgenden erfolgt schlaglichtartig, an Hand konkreter Fragen, die Beschreibung des Lieferantenmanagements. Ein Großteil der Fragen stammt aus der Automobilindustrie, die hier als Vorreiter gilt.
Lieferantenauswahl
Bei der Lieferantenauswahl für konkrete Vorhaben kann es sich um einen sehr aufwändigen Prozess handeln, der aber andererseits sehr stark das Ergebnis des geplanten Vorhabens beeinflusst. Toolgestützt kann hier über eine entsprechende Standardisierung im Vorgehen eine erhebliche Prozessoptimierung erreicht werden. Basis für eine fundierte Lieferantenauswahl ist eine Datenbasis, die durch kontinuierlich durchgeführte Bewertungen aktualisiert wird. Die Lieferantenauswahl erfolgt über mehrere Schritte. Einflussparameter sind hierbei entsprechende Bedarfsanalysen und -bündelungen. Daneben gilt es für eine Vorauswahl über ein Lieferantenmanagementsystem den Kreis der Anbieter einzuengen. Speziell für den Einkauf von Produktionsgütern kann die Basis möglicher Lieferanten sehr gering ausfallen.
Im Anschluss an eine Vorselektion wird im Rahmen einer Ausschreibung (basierend auf einem möglichst standardisierten Ausschreibungsprozess) der optimale Lieferant für das geplante Vorhaben ermittelt. Vielfach erfolgt die Auswahl eines Lieferanten leider ausschließlich über eine Preisstrukturanalyse.
Es ist dringend anzuraten den Auswahlprozess für Lieferanten nicht auf Basis einer Preisstrukturanalyse (d. h. ausschließliche Betrachtung der Kostenbestandteile des Beschaffungspreises), sondern statt dessen auf Basis einer Kosten-Entscheidungsanalyse vorzunehmen. Hier finden alle Kosten Beachtung, die dem Abnehmer bei Auswahl des entsprechenden Lieferanten entstehen. Cost-Ratio-Methoden oder Total Cost Supplier Selection Model geben hier einen wesentlich umfassenderen und objektiveren Eindruck. Derartige Ansätze haben natürlich auch entscheidenden Einfluss auf die abgelieferte Qualität einer Leistung.
Darüber hinaus sind wichtige Punkte bei der Auswahl eines Lieferanten natürlich dessen wirtschaftliche Stabilität und seine Unternehmensverflechtung. Dies gilt vor allem bei Produktionsgütern, wo eine Entscheidung für oftmals fünf bis sieben Jahren getroffen wird (vor allem im Automobilbau). Die kontinuierliche Überwachung dieses Parameters im Rahmen periodischer Bewertungen dient also auch der Risikominimierung.
Hierbei gilt es auch die wirtschaftliche Verflechtung einzelner Lieferanten darzustellen. Die UPIK (oder DUNS-Nummer) ist hier leider nur ein schwacher Indikator. Durch diese Überwachung kann unter anderem sichergestellt werden, dass keine „Scheinunabhängigkeiten“ zu mehreren Lieferanten vorhanden sind. Dies kann automatisiert, für Anwender verborgen, im Hintergrund erfolgen.
Lieferantenbewertung mit Scorecard
Die Bewertung von Lieferanten ist ein vielschichtiges Unterfangen. Zum einen muss klar sein, wie sichergestellt werden kann, dass Bewertungen verschiedener Lieferanten möglichst vergleichbar sind. Hierzu dient ein möglichst unternehmenseinheitliches Set an Kriterien, die natürlich je Problemstellung (etwa am besten je Warengruppe) angepasst werden. Darüber hinaus ist die Bewertungsart wichtig. In der Praxis erfolgt oftmals die Verwendung einer numerischen Bewertung anhand von Schulnoten oder einer 10er- rsp. 100er-Bewertungsskala. Darüber hinaus sind so genannte „verkürzte“ Bewertungsskalen (etwa 1, 3, 7, 9, 10) in der Praxis zu finden.
Viel wichtiger ist aber die Motivation einer Bewertung. Ziel sollte es sein, herauszufinden, welchen Beitrag ein Lieferant zu den eigenen Unternehmenszielen leistet. Somit lassen sich der individuelle Wert des einzelnen Lieferanten aus Sicht des eigenen Unternehmens darstellen und die „wertvollsten“ Lieferanten ermitteln. Als praktikabler Weg hat sich hier eine Bewertung an Hand einer Balanced Scorecard (BSC) herausgestellt.
Bei einer BSC gibt es zwei Spielarten, die im Rahmen einer Lieferantenbewertung von Interesse sind:
  • Zum einen eine Unternehmens-BSC und zum anderen eine
  • Supplier Scorecard (SSC rsp. eine Abbildung der eigenen Unternehmensziele auf die Ziele des Lieferanten – xBSC, sogenannte Cross Balanced Scorecards).
Im Folgenden konzentrieren wir uns auf erstere. Die zweite Variante kann eine Ableitung der Ersteren darstellen. Kurz einige grundsätzliche Bemerkungen zu BSC. Bei einer BSC handelt es sich um ein Managementsystem (also nicht „nur“ ein Mess-System). Es ermöglicht Unternehmen, ihre Strategie oder Vision darzustellen und zu operationalisieren. Somit gibt es dem Management die Möglichkeit, seine Strategie in Zahlen auszudrücken um daraus Aktionen abzuleiten. Im Kontext des Lieferantenmanagements sind der Metrik- (soll heißen Mess-) und der Aktionsanteil von primärem Interesse. Der Prozess für das Aufstellen einer solchen BSC wird aus Platzgründen nicht erläutert.
Balanced Scorecard zur Lieferantenbewertung
Eine BSC orientiert sich im Allgemeinen an vier Zielfeldern oder Perspektiven, unter denen ein Unternehmen gesehen wird. Diese sind:
  • die Fähigkeit den Kundenbedürfnissen gerecht zu werden,
  • die Fähigkeit der Wachstumsrate,
  • Wertschöpfungsrate,
  • Fähigkeit zur Produktorientierung.
Diese Unterteilung ist natürlich unternehmensspezifisch entsprechend zu modifizieren. Im Kontext des Lieferantenmanagements ist nun wichtig, welchen Beitrag einzelne Lieferanten zu diesen Unternehmenszielen leisten (also welchen messbaren Beitrag sie liefern).
Vielfach erfolgen Bewertungen in den einzelnen Fachbereichen. Sie stellen die Basis für eine fundierte Lieferantenbewertung dar. Aus diesen einzelnen Sichtweisen kann mit Hilfe eines unternehmens-/konzernübergreifenden Systems der fachübergreifende Beitrag eines Lieferanten zu den Unternehmenszielen (basierend einer BSC) ermittelt werden. Ferner lassen sich hieraus auch Aktivitäten zur Verbesserung des Beitrages ableiten. Diese Aktivitäten können nun pro-aktiv durch den Lieferanten erfolgen oder über die gemeinschaftlich vereinbarten Aktionen. Der Lieferant selber sollte durch ein derartiges System motiviert werden sich kontinuierlich zu verbessern. Durch diese Selbststeuerung der einzelnen Lieferanten werden sowohl deren Fehlleistungen möglichst gering gehalten und gleichzeitig die eigenen administrativen Aufgaben für operative Tätigkeiten (im Einkauf) minimiert.
Die Basis für das eigene Handeln oder das Handeln seitens des Lieferanten sind aussagefähige Reports. Hierauf gehen wir im Kapitel zu Auswertungen näher ein.
Ein Beispiel für eine Scorecard im Bereich Lieferantenmanagement ist auszugsweise in oben stehender Abbildung dargestellt. Hierbei handelt es sich um eine bewusste Simplifizierung. Scorecards in der Praxis weisen vielfach multidimensionale Strukturen auf und stellen somit hohe Ansprüche an das jeweilige Softwaresystem. Die Bewertung für die einzelnen Messwerte erfolgt, wie schon erwähnt, durch den zuständigen Fachbereich. Dies kann etwa neben dem Einkauf die Logistik, die Qualitätssicherung oder die Regressabteilung sein. Alternativ/Additiv kann eine Bewertung maschinell über entsprechende Vorsysteme vorgenommen werden.
Um nun die operativen Aufgaben der Anwender für die Beurteilung einer Lieferantenleistung zu minimieren, sollten möglichst viele Messwerte automatisiert über Vorsysteme eingepflegt werden. Dies führt auch zu einer Akzeptanzsteigerung des Systems, da Anwender in ihrer täglichen Arbeit nicht be- sondern entlastet werden.
Primär im Einkauf für A-Teile können die für eine Bewertung notwendigen Daten über Produktionsplanungs- und Steuerungssysteme (PPS-Systeme) automatisiert in eine Bewertung übernommen werden. Hierbei sollten sich die Bewertungsintervalle entsprechend den fachlichen Anforderungen systemseitig leicht modifizieren lassen rsp. über entsprechende Algorithmen automatisiert darstellen. Ein weiterer Parameter für die Bewertungsintervalle sollte die Leistung des jeweiligen Lieferanten sein. Verschlechtert sich diese, sind die Bewertungsintervalle zu verkürzen. Verbessert sich hingegen seine Leistung wieder, so können die Intervalle wieder vergrößert werden.
Um dieses Vorgehen fachlich entsprechend zu unterstützen, ist ein entsprechender Eskalationsprozess zu definieren. Er sollte natürlich nicht nur auf Bewertungsintervalle beschränkt sein, sondern auch Eskalationsstufen (inkl. Kriterien für deren Eintreten), Maßnahmen und ggf. Konsequenzen für den Lieferanten definieren.
Speziell bei maschinell erfassten und anschließend aufbereiteten Daten muss im Vorfeld die Granularität der erfassten Daten genau festgelegt werden. Ein möglicher Ansatz ist, sich anhand der eigenen Produktstruktur (Warengruppenstruktur) zu orientieren. Aber auch hier muss ein „richtiges“ Maß an Granularität im Vorfeld festgelegt werden. So sind im Vorfeld einige Fragen zu klären. Können alle Daten auf der gleichen Granularitätsebene über die entsprechenden Vorsysteme in der definierten Zeit bereitgestellt werden? Entstehen Mehrdeutigkeiten in den Daten? Haben alle Daten die gleiche Qualität und Aktualität?
Parallel hierzu sollten aber auch die Leistungen eines Lieferanten differenziert nach Standorten erfasst werden. Auf der anderen Seite müssen natürlich die vorhandenen Informationen in dem jeweiligen führenden Einkaufssystem berücksichtigt werden. Um in diesem Spannungsfeld bestehen zu können, sind im Vorfeld tiefgehende Analysetätigkeiten notwendig, um die Datenverfügbarkeit, aber auch die Datenqualität und deren Aktualität sicherzustellen.
Die Ergebnisse derartiger Untersuchungen haben natürlich auch Auswirkungen auf die Tiefe einer BSC. Eine BSC wird ja nicht nur auf Unternehmensebene oder auf Ebene eines Bereichs erstellt. Sinn und Ziel ist vielmehr das Herunterbrechen bis auf Abteilungsebene und in unserem Fall der Lieferantenbewertung bis auf Lieferantenebene auf der einen Seite und Warengruppenstruktur und/oder Produktionsort auf der anderen Seite. Die Tiefe derartiger Analysen kann beliebig verfeinert werden. Die schon angesprochene Datenqualität rsp. generelle Verfügbarkeit der Daten schränkt diese Granularität ein. Ein weiterer limitierender Faktor ist die aufkommende Datenmenge und die Komplexität hinsichtlich der Menge an anzubindenden Systemen. Derartige Integrationen mutieren oftmals zu komplexen und aufwändigen Integrationsprojekten, die Lizenzkosten oftmals erheblich übersteigen. Eine fundierte Kosten-Nutzen-Betrachtung ist hier dringend anzuraten.
Problem: Dynamische eClass- Warengruppenstruktur
Aber auch nach Klärung dieser umfangreichen Aufgaben ist man leider noch nicht am Ziel angelangt. Hat man sich beispielsweise für die Bewertung an Hand einer Warengruppenstruktur gemäß der eClass-Struktur festgelegt, so ist man mit dem Problem der Releasefähigkeit der eigenen Lieferantenbewertung konfrontiert. Die eClass-Struktur ist kein statisches Gebilde, sie ist vielmehr dynamisch. Konkret auf den Fall einer Lieferantenbewertung angewandt, stellt sich das Problem sich verändernder Warengruppenstrukturen. Ein Softwaresystem, aber auch ein Fachprozess, muss diesem Sachverhalt Rechnung tragen. Konkret heißt dies, es sind Mechanismen vorzusehen, wie mit dynamisch veränderten Warengruppen umzugehen ist. Eine Möglichkeit und, sicherlich die einfachste, ist diesen Sachverhalt zu ignorieren. Man muss sich allerdings im Klaren sein, dass somit entweder Bewertungen verloren gehen oder man bewusst keine Neuerungen (außer Additiven) hinsichtlich der Warengruppenstruktur zulässt. Alternativ kann über einen regelbasierten Ansatz eine teilweise automatisierte Migration der Warengruppen vorgenommen werden. Somit ließen sich Bewertungen über einen längeren Zeitraum vergleichen und ein aussagekräftiges Bild des Lieferanten aufzeigen. Speziell in der Beschaffung von B- und C-Gütern sollte der „Sammlerwut“ allerdings nach ca. 3 Jahren ein Ende gesetzt werden. Ältere Bewertungen geben sicherlich kein aussagekräftiges Bild eines Lieferanten mehr ab.
In der aktuell wirtschaftlich angespannten Lage investieren Unternehmen nur sehr zurückhaltend. Gerade aber auf Grund des hohen Kostendrucks, müssen Einsparpotenziale kontinuierlich gesucht und umgesetzt werden. Lieferantenmanagement und hier speziell eine an den eigenen Unternehmenszielen orientierte und ausgerichtete Lieferantenbewertung können hierzu wichtige Beiträge leisten. Die hierbei zu bewältigenden Herausforderungen dürfen allerdings nicht unterschätzt werden. Ohne die Unterstützung durch ein leistungsfähiges Softwaresystem sind diese Ziele allerdings nicht zu erreichen.
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