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Neupositionierung des Einkaufs im Unternehmen

Der Integrierte St.Galler Beschaffungsmanagement-Ansatz
Neupositionierung des Einkaufs im Unternehmen

Neupositionierung des Einkaufs im Unternehmen
Abb. 1: Integriertes St. Galler Beschaffungsmanagement-Modell
Der Einkauf wird in vielen europäischen Unternehmen noch eher stiefmütterlich behandelt. Wer das bejaht, verkennt Bedeutung und Notwendigkeit eines modernen Einkaufs für den Unternehmenserfolg. Denn auch wenn es sich um keinen wertschöpfenden Bereich im eigentlichen Sinne handelt, gilt umgekehrt, dass jeder eingesparte Euro zu Renditesteigerung und Unternehmenswert beiträgt.

Holger Schober Dr. Alexander Middendorff, Dr. Christopher Jahns,

Dass sich dies nicht allein auf die Erzielung der günstigsten Konditionen beschränken kann, zeigen die Negativbeispiele von Unternehmen, die die Preis-Schraube zu stark angezogen haben. Wie die Erfahrungen belegen, umfasst erfolgreiches Einkaufsmanagement eine Reihe von Elementen wie etwa konsequente Kundenorientierung, Konzentration auf die Einsparpotenziale in den Beschaffungsprozessen oder die Entwicklung einer effektiven Organisationsstruktur. Der Einkäufer wird zum Einkaufsmanager, zum Prozessverantwortlichen, der eine komplexe Aufgabe zu bewältigen hat. Im Zeitalter der Globalisierung, der Informationstechnologie und des Internet wird die traditionelle Aufgabe des Einkaufs, benötigte Güter und Dienstleistungen zur rechten Zeit, am rechten Ort, in der richtigen Qualität und zum richtigen Preis bereit zu stellen, zu einer besonderen Herausforderung.
Die Kontinuität des Erfolgs von modernem Einkaufsmanagement hängt entscheidend davon ab, ob und inwieweit es den Unternehmen gelingt, die einzelnen Maßnahmen in ein Gesamtkonzept zu integrieren. Ohne einen integrativen Rahmen lassen sich allenfalls kurzfristige Erfolge erzielen, die sich auf lange Sicht neutralisieren und sogar ins Gegenteil umschlagen können (der sogenannte Pendel-Effekt). Im folgenden Beitrag wird ein bewährtes Konzept vorgestellt, das die Anforderungen modernen Einkaufsmanagements erfüllt: der Integrierte St. Galler Beschaffungsmanagement-Ansatz.
Das Integrierte St. Galler Beschaffungsmanagement-Modell
Das Einkaufs-Modell systematisiert die wesentlichen Einflussfaktoren erfolgreichen Einkaufs. Hierbei handelt es sich im Einzelnen um
–Einkaufs-Visionen,
–strategisches Lieferantenmanagement,
–effektives Prozessmanagement,
–kundenorientierte Aufbauorganisation,
–Teile- und Prozess-Standardisierung und
–ganzheitliches Beschaffungscontrolling.
Das Modell basiert auf dem St. Galler Management-Ansatz. Darin vereinigen sich normative, strategische und operative Ebenen zu einem integrativen Gesamtrahmen. Die Innovation gegenüber dem klassischen Einkauf besteht darin, dass dort, wo möglich, bewährtes Management-Know-how auf den Einkaufsbereich und seine Problemstellungen übertragen wird. Waren z.B. strategische Überlegungen oder die Fokussierung der Beschaffungsabläufe bisher Randüberlegungen für den Einkäufer, werden diese Themen das Berufsbild in den nächsten Jahren deutlich prägen. Ferner müssen Einkaufsmanager auch Chancen und Risiken moderner Informations- und Kommunikationstechnologie (E-Commerce, E-Business) erkennen, die weit über den Möglichkeiten einer bloßen Bestellung per E-Mail liegen.
Visionen als Basis einer erfolgreichen Einkaufsperformance
Wichtige und in der Praxis am meisten vernachlässigte Ebene sind die Visionen; die verbalisierten Leitbilder des Einkaufs, die allen Beteiligten – auch den internen Kunden – als Orientierungshilfe dienen. Um diese Funktion richtig ausfüllen zu können, müssen Visionen drei Forderungen erfüllen:
–sie müssen umfassend sein,
–in sich konsistent und
–gleichzeitig in wenige Worte fassbar.
Die umfassende Gültigkeit der Vision ist die notwendige Voraussetzung eines erfolgreichen Einkaufsmanagements. Die formulierten Leitbilder dürfen nicht nur auf bestimmte Einkaufshandlungen abstellen, sondern müssen für den gesamten Tätigkeitsbereich einen Rahmen abstecken.
Die Einkaufsverantwortlichen müssen sich klar werden, was sie mit ihrem Handeln, mit ihren Mitarbeitern und mit ihrer Organisation wirklich erreichen wollen. Die Bedingung eines erfolgreichen Einkaufsmanagements stellt die Forderung nach Konsistenz, d.h. Stimmigkeit dar. Stehen einzelne Aussagen der Vision in einem Widerspruch zueinander, kann dies in der Umsetzung zu Verwirrungen führen. Eine ebensolche Wirkung stellt sich ein, wenn beim Formulieren der Vision aus Sicherheitsgründen möglichst alles in Worte zu fassen versucht wird. Erstens erhöht sich dadurch die Gefahr von Inkonsistenzen und zweitens müssen Visionen, wenn sie im Gedächtnis haften bleiben sollen, kurz und prägnant formuliert werden.
Neben umfassender Gültigkeit, Konsistenz und Knappheit bestimmt sich der Erfolg modernen Einkaufsmanagements auch durch die Art und Weise, wie die Vision mit den Beteiligten erarbeitet, kommuniziert und gelebt wird. Was Erarbeitung und Kommunikation betrifft, so haben sich weder die reine „Top-down“- noch die „Bottom-up“-Strategie erfolgswirksam gezeigt. Vielmehr droht bei einer solchen Vorgehensweise ein schnelles Verpuffen der Idee. Erfahrungsgemäß empfiehlt sich die ständige Wiederauffrischung der Vision, sei es in institutionalisierten Gremien oder auch nur durch Aufhängen von Plakaten.
Um es zusammenzufassen: Vor einer leichtfertigen Formulierung sei gewarnt, da Leitsätze wie „Wir wollen im Vergleich zu unseren Mitkonkurrenten die professionellsten Einkäufer sein“ oder „Wir wollen für unsere internen Kunden ein kompetenter Lösungsanbieter sein“ eine anspruchsvolle Messlatte für den Einkaufsbereich darstellen, an dem sich der Einkauf dann auch messen lassen muss. Die Formulierung von Visionen erfordert daher eine gründliche Analyse der Unternehmens- und Einkaufsstrategie, der Organisationsstruktur und der verfügbaren Ressourcen.
Strategisches Lieferantenmanagement als Kernkompetenz des Einkaufs
Der zweite wesentliche Bestandteil des Integrierten Beschaffungsmanagement-Ansatzes ist das Strategische Lieferantenmanagement. Wiewohl dies die originäre Aufgabe des Einkaufs darstellt, zeigen die Erfahrungen, dass die inhärenten Anforderungen in der Praxis zumeist falsch oder nur unvollständig erfüllt werden. Der Einkauf ist zumeist bemüht um günstige Konditionen, Bündelung von Bedarfen und Ausschöpfung der eigenen Nachfragemacht gegenüber den Zulieferern.
Strategisches Lieferantenmanagement kann aber nur dann seine positive Wirkung voll entfalten, wenn es anstatt punktueller Betrachtung ganzheitlich angewendet wird. Dem Beschaffungsmanagement-Ansatz liegt daher eine prozessuale Sichtweise mit drei wesentlichen Aufgabenfeldern zugrunde:
–Beschaffungsmarktforschung,
–Entwicklung und Umsetzung von Einkaufsstrategien und
–proaktives Lieferantenmanagement.
Abbildung 2 zeigt die drei Aufgaben des Strategischen Lieferantenmanagements und deren Verhältnis zueinander.
Beschaffungsmarktforschung
Logischer Startpunkt eines erfolgreichen Lieferantenmanagements ist die Beschaffungsmarktforschung, in der sich zeitpunkt- und zeitraumbezogene Sichtweisen vereinen. Bei der zeitpunktbezogenen Sichtweise handelt es sich um die Beschaffungsmarktanalyse, die sich – ausgehend vom frühzeitigen Erkennen von Kundenproblemen – vom Überblick über marktgängige Problemlösungsvarianten bis zur Analyse der Struktur der Angebots- und Nachfrageseite des Beschaffungsmarktes erstreckt. Bezüglich der Marktstruktur lassen sich viele auf der Absatzseite bewährte Managementinstrumente, wie z.B. die Branchenstrukturanalyse von Porter, problemlos zur Anwendung bringen.
Der Beitrag des Einkaufs zum Unternehmenserfolg hängt im 21. Jahrhundert u.a. davon ab, ob und inwieweit Einkäufer mit diesen Methoden und Techniken des Managements vertraut sind bzw. diese Tools effektiv anwenden können.
Aktuell zeigt sich bei vielen europäischen Großunternehmen noch erheblicher Nachholbedarf. Der Einkauf beschränkt sich im Rahmen der Beschaffungsmarkt-strukturanalyse sehr häufig auf die Betrachtung der Anbieterzahl und der Machtverhältnisse. Aus Wettbewerbssicht ist jedoch, insbesondere bei standardisierten Gütern und Dienstleistungen, die Frage nach den anderen Konkurrenten (d.h. der Anzahl, der Machtverhältnisse untereinander und dem jeweiligen Verhalten) mindestens ebenso entscheidend. Insofern muss sich modernes Einkaufsmanagement auch mit dem Aufbau und der Pflege von solchen Daten beschäftigen. Gleiches gilt auch bei der Frage nach Substitutionsprodukten, die mit der Folge vernachlässigt wird, dass Marktanteile verloren gehen und unwiderruflich an Konkurrenten abgegeben werden.
Eine weitaus größere Herausforderung als die Anwendung bewährter Managementtechniken stellt für den Einkauf aber die Aufgabe dar, dem internen Kunden adäquate Problemlösungsvarianten bis hin zu kompletten Systemlösungen anbieten zu können. Bloße Marktkenntnis allein kann diesem Anspruch nicht genügen, der Einkaufsmanager muss in diesem Fall zwei Aufgaben gleichzeitig erfüllen können:
–Erstens eine im Vergleich zu früher völlig andere Denkweise, d.h.weg vom bereichs- hin zum konsequent kundenorientierten Denken (und Handeln). Insbesondere bei markt-/kundennahen Bereichen müssen Bereichsinteressen wie Bündelungseffekte oder günstige Konditionen in einem ausgewogenen Verhältnis mit den Wünschen des internen Kunden stehen. Der moderne Einkaufsmanager blickt daher über seinen Tellerrand hinaus und hat ein Gespür für die internen und externen Kundenwünsche, ohne die Bereichsaufgaben aus den Augen zu verlieren.
–Zweitens die Fähigkeit des Einkaufs, Produkte standardisieren bzw. Produktvarianten kombinieren und so dem internen Kunden komplette Systemlösungen anbieten zu können. Neben Alltagsroutine sieht sich der moderne Einkaufsmanager also auch mit der Notwendigkeit innovativen Denkens und Handelns konfrontiert.
Im Ergebnis bedeutet dies, dass bei konsequenter Umsetzung des Beschaffungsmanagement-Ansatzes der Handlungsspielraum des Einkäufers sowohl horizontal als auch vertikal erheblich erweitert wird.
Entwicklung von Einkaufsstrategien auf der Basis von Beschaffungs-Portfolios
Damit sich der Einkaufsmanager tatsächlich auf die angesprochenen Punkte konzentrieren kann, ist eine strikte Differenzierung zwischen Strategischem und Operativem Einkauf unabdingbare Erfolgsvoraussetzung.
Die Formulierung von Einkaufsstrategien ist originäre Aufgabe des Strategischen Einkaufs. Einkaufsstrategien übernehmen für den operativen Bereich eine Orientierungs- und Lenkungsfunktion, indem sie sowohl Ziele als auch Handlungsmodelle formulieren. Das Fundament erfolgreicher Einkaufsstrategien sind umfangreiche Informationen über externe und interne Verhältnisse, die gegenübergestellt werden, um dann in eine effiziente Vorgehensweise zu münden.
Im St. Galler Beschaffungsmanagement-Ansatz wird zwischen drei Basisstrategien unterschieden:
–Basisstrategie 1: Ausschöpfung versus Sicherheit,
–Basisstrategie 2: Single Sourcing versus Multiple Sourcing,
–Basisstrategie 3: Local Sourcing versus Global Sourcing.
Die erste Basisstrategie befasst sich mit der Frage, wie das Unternehmen gegenüber den einzelnen Lieferanten auftritt. Hier eröffnen sich als extreme Handlungspositionen die Ausschöpfungsstrategie einerseits und die Sicherheitsstrategie andererseits. Ausschöpfung meint in diesem Zusammenhang, dass das Unternehmen eine existierende Nachfragemacht gegenüber den Zulieferern konsequent ausnutzt und die besten Konditionen zum günstigsten Preis herauszuschlagen versucht (squeezing).
Die Basisstrategien 2 und 3 befassen sich mit der Frage nach dem „Wo“ des Einkaufs; bei einem oder mehreren Lieferanten (Basisstrategie 2) und lokalem gegenüber globalem Einkauf (Basisstrategie 3). Insgesamt eröffnen sich dem Einkauf damit acht Handlungsoptionen.
Welche dieser Optionen im konkreten Fall Anwendung findet, hängt von den unternehmensinternen Gegebenheiten ab, insbesondere von der Bedeutung des eingekauften Gutes für die eigene Leistungserstellung. Handelt es sich beispielsweise um kein für die Leistungserstellung bedeutsames, gleichzeitig standardisiertes Produkt und existieren auf dem Zuliefermarkt mehrere oder viele Anbieter, spräche dies für eine konsequente Ausschöpfungsstrategie. Ob man dann nur einen oder mehrere Lieferanten wählt bzw. lokal oder global einkauft, hängt von modifizierenden, situativ varianten Faktoren ab wie z.B. den Kapazitätsgrenzen des Zulieferers, potenziellen Normen und Standards (die außereuropäisch nicht erfüllt werden) etc. Um diese Einkaufsstrategien entwickeln und langfristig umsetzen zu können, ist es notwendig, das gesamte Spektrum der eingekauften Güter und Dienstleistungen einer Portfolioanalyse zu unterziehen.
Es macht jedoch keinen Sinn und ist zugleich unpraktikabel, jedes einzelne Gut oder jede einzelne Dienstleistung zu portfolieren. Vorab müssen deshalb alle relevanten Güter und Dienstleistungen zu Gruppen und in einem zweiten Schritt zu sogenannten strategischen Beschaffungseinheiten aggregiert werden. Diese in sich homogene strategische Beschaffungseinheiten sind einer Portfolioanalyse zu unterziehen. Der Achsendefinition des Beschaffungs-Portfolios ist große Aufmerksamkeit zu schenken. Abbildung 5 stellt Beschaffungsnutzen und Einkaufsposition gegenüber.
Das Portfolio sollte drei bis vier Kriterien pro Achse enthalten. Diese Kriterien können dann nochmals auf jeder Achse gewichtet werden. Die Portfolioanalyse führt zu einer hohen Transparenz der Märkte, auf denen eingekauft wird, und der Einkaufsposition des eigenen Unternehmens in diesen Beschaffungsmärkten. Dabei ist häufig eine falsche Platzierung einzelner strategischer Beschaffungseinheiten im Portfolio festzustellen. So werden beispielsweise in Märkten mit geringen Umstiegsbarrieren viele nichtstandardisierte Produkte mit geringem Know-how von zu qualifizierten Mitarbeitern eingekauft. Auch der umgekehrte Zusammenhang ist häufig anzutreffen.
Die Portfolioanalyse schafft Transparenz und hilft, systematisch Einkaufsstrategien zu entwickeln und diese in ihrer Umsetzung zu begleiten. Hinter dieser zunächst einfachen Anwendung verbirgt sich ein erheblicher Arbeitsaufwand für den Einkaufsmanager bzw. das Einkaufsteam. Sämtliche eingekauften Güter und Dienstleistungen sind auf ihre Bedeutung für die Leistungserstellung zu überprüfen. Als weitere relevante Aspekte für strategische Fragen haben sich u.a. erwiesen, welchen Standardisierungsgrad die eingekauften Güter aufweisen oder welche Umstiegsbarrieren mit der Entscheidung für ein bestimmtes Gut verbunden sind. So bietet es sich bei Großunternehmen an, zehn bis zwölf Faktoren in den Entscheidungsprozess einfließen zu lassen. Bei geschickter Kombination lassen sich wohlstrukturierte Portfolios erstellen, einzelne Entscheidungsfaktoren gegenüberstellen und praxisrelevante Handlungsanweisungen ableiten.
Proaktives Lieferantenmanagement – neue Rolle des Einkaufsmanagers
Die Entwicklung von Einkaufsstrategien und proaktives Lieferantenmanagement sind wechselseitig voneinander abhängig. Lieferantenmanagement zielt auf die langfristige Optimierung der Beziehungen zwischen dem Unternehmen und seinen Lieferanten und ist deshalb von den entwickelten Einkaufsstrategien abhängig. Andererseits können Einkaufsstrategien ihre positive Wirkung nur dann voll entfalten, wenn das Lieferantenmanagement effizient und effektiv betrieben wird. Eine Hauptaufgabe liegt im Aufbau und der Pflege sowohl der oben genannten wie auch aller anderen entscheidungsrelevanten Faktoren (Kapazitätsgrenzen etc.). In diesem Zusammenhang muss Lieferantenmanagement stets quantitative und qualitative Aspekte berücksichtigen.
Der quantitative Aspekt lässt sich durch das klassische Instrument der ABC-Analyse abdecken. Gleichwohl seit langem bekannt, finden sich immer wieder Unternehmen, die diese vergleichsweise einfache Aufgabe vernachlässigen und daher keine vernünftigen Einkaufsstrategien formulieren können. Die ABC-Analyse ist und bleibt originäre Aufgabe des Einkaufs. Hierdurch lassen sich neben gegenseitigen Abnahmemengen oder Machtverhältnissen weitere entscheidungsmodifizierende Indikatoren entdecken. Erst eine regelmäßige ABC-Analyse ermöglicht die Prüfung, ob und auf welche Lieferanten zukünftig aufgrund ihres geringen Lieferanteils verzichtet werden kann, was zu Prozesskostenreduktion führt.
Lieferantenmanagement und Einkaufsstrategien bedürfen ferner eines qualitativen Instruments, um effizient und effektiv zu sein. Der Beschaffungsmanagement-Ansatz greift auf das Instrument der Zufriedenheitsanalyse zurück, welches einen ebenso hohen Stellenwert haben muss wie die ABC-Analyse. So relativiert sich beispielsweise eine aus quantitativer Sicht wohl fundierte Entscheidung wie z.B. der Abschöpfungsstrategie, wenn das Unternehmen schon lange mit dem Zulieferer zusammenarbeitet und mit der gelieferten Ware hoch zufrieden ist. Die qualitativ richtige Entscheidung des Squeezings würde in diesem Falle zu dysfunktionalen Wirkungen führen. Im umgekehrten Falle müsste die Entscheidung für ein „Single Sourcing“ zumindest dann überdacht werden, wenn das Unternehmen mit dem bisherigen Zulieferer (auch wenn er beispielsweise 80% der eingekauften Güter abdeckt) äußerst unzufrieden ist.
Hieraus erwächst eine weitere originäre Aufgabe des Lieferantenmanagements, die Proaktivität. Modernes Einkaufsmanagement darf keinesfalls reaktiv sein und sich in bloßer Zahlen- bzw. Faktensammlerei erschöpfen. Die aus der Gegenüberstellung von quantitativen und qualitativen Daten resultierenden Chancen und Risiken muss der Einkauf erkennen und resolut nutzen. Die Situation auf den Beschaffungsmärkten muss konsequent zugunsten des Unternehmens verwertet werden, um aktiv zu einer für das Unternehmen positiven Strukturentwicklung beizutragen. So wäre etwa im Falle der Unzufriedenheit mit einem Zulieferer denkbar, dass ein zweiter bewusst und systematisch von dem Unternehmen allein oder im Verbund mit Partnern aufgebaut wird. Proaktives Lieferantenmanagement umfasst auch das Eingehen strategischer Partnerschaften.
Analyse und Design ganzheitlicher Beschaffungsprozesse
Ein für modernes Einkaufsmanagement mindestens ebenso bedeutendes Element stellt das Prozessmanagement dar. Erfahrungen zeigen, dass gegenwärtig und zukünftig die größten Einsparpotenziale nicht mehr durch Preisverhandlungen, sondern durch die Analyse und das Design ganzheitlicher Beschaffungsprozesse zu erzielen sind. Einerseits, weil sich in den Abläufen die strategischen Vorgaben konkretisieren und die Prozesse eine Schnittstelle zwischen Strategischem und Operativem Einkauf bilden. Und zum anderen verbirgt sich in den meisten Beschaffungsabläufen „Organizational Slack“, Reserven, die sich etwa in einer zu großen Ressourcenausstattung, komplexen Prozessstrukturen, langen Durchlaufzeiten oder zu hohen Prozesskosten dokumentieren. Effektives Prozessmanagement bedeutet, dass der Einkäufer zum Prozessmanager mit dem Ziel wird, Beschaffungsprozesse einfach, übersichtlich, transparent und kostengünstig sowie den Kundenwünschen entsprechend zu gestalten.
Allerdings gestaltet sich die Konzeption und Umsetzung einer effizienten Prozessorganisation bei weitem nicht so einfach wie es in der Diskussion um Business Reengineering immer anklingt. Wesentliche Problempunkte sind:
  • 1. Statt einer ganzheitlichen Betrachtungsweise dominiert in der Praxis eine starke funktionale, die Interdependenzen zwischen Teilprozessen vernachlässigende Sichtweise.
  • 2. Die für die Prozessrestrukturierung verantwortlichen Entscheidungsträger sind überwiegend Angestellte des Unternehmens und daher oft schwer für innovative Lösungsansätze zu gewinnen.
  • 3. In nahezu keinem Unternehmen werden die wesentlichen Abläufe im Detail erhoben, mit der Folge, dass
–die Führungskräfte selbst die Prozesse ihrer Abteilung/Organisationseinheit nicht kennen,
–die Teilprozesse anderer Organisationseinheiten überhaupt nicht transparent sind (man empfängt Leistung und gibt Leistung ab; das davor und das danach ist eine Blackbox),
–die mit dem Unternehmenswachstum inhärent verbundenen Änderungen in den Abläufen überhaupt nicht nachvollzogen werden.
4. Bei der Prozessrestrukturierung wird allzu oft „top-down“ agiert und eher den modernen Informationstechnologien vertraut als dem eigentlichen Wissensfundus des Unternehmens, den Mitarbeitern.
Die Erfolge des St. Galler Beschaffungsmanagement-Ansatzes beruhen darauf, dass die ihm zugrundeliegende Ganzheitlichkeit gerade beim Prozessmanagement bzw. bei der Konzeptionalisierung der Abläufe zum Tragen kommt. Aus einem Prozess-Referenzmodell werden Schritt für Schritt Referenzprozesse mit den Prozessbeteiligten abgeleitet, wobei der Detaillierungsgrad von Betrachtungsebene zu Betrachtungsebene zunimmt, bis sich der Prozess schließlich mit guten IT-Tools abbilden und rechnen lässt. In Workshops wird intensiv über das Für und Wider von Gesamt- bzw. Teillösungen diskutiert, um eventuell notwendige, situativ begründete Änderungen in die Modellierung einfließen zu lassen.
Positive Nebeneffekte einer solchen Vorgehensweise: Der Widerstand gegen Änderungen wird von vornherein stark vermindert bzw. eliminiert, da die Betroffenen sowohl informiert als auch in den Veränderungsprozess involviert werden. Ferner kann das Unternehmen eine seiner wesentlichen Ressourcen tatsächlich nutzen, die Humanressourcen. Erfahrungen zeigen, dass vielen Teilnehmern im Verlauf der Workshops erst klar wird, welche Konsequenzen ihre eigenen Tätigkeiten in anderen Teilprozessen haben.
Die Transparenz eines ganzheitlich analysierten Beschaffungsprozesses kann sehr vieles bei den einzelnen Beteiligten bewirken. Hierzu reicht es nicht aus, nur Teilschritte eines Beschaffungsprozesses zu erheben. Wesentliche Liegezeiten entstehen häufig beim Kunden selbst. Die internen Kunden, aber auch die Wareneingangsbuchung, das Rechnungswesen und die örtliche Versorgungsstelle sind für die mitunter inakzeptablen Prozesszeiten in der Praxis verantwortlich.
Prozessrestrukturierungen bedingen zwangsläufig auch Änderungen in der Organisationsstruktur, so dass auch im Einkauf die Formel „Structure follows Processes“ an Gültigkeit gewinnt. Ausgehend von den Bedürfnissen des internen Kunden muss der Einkäufer als Prozessmanager strikt prozessorientiert denken und daraus die Implikationen für die Aufbauorganisation ableiten. Nach der Prozessrestrukturierung gilt es, die Abläufe und die Beteiligten stets zu beobachten und konsequente Abweichungsanalyse zu betreiben. Der Einkäufer des 21. Jahrhunderts wird nicht ohne eine fundierte Ausbildung in der Prozesskostenrechnung und Organisationslehre auskommen.
Die Aufbauorganisation ist aber nicht nur nachrangiges Element der Beschaffungsprozesse, sondern eine weitere Möglichkeit, kundenorientiertes Denken in Strukturform umzusetzen. Wie die externen Kunden haben auch die internen Kunden unterschiedliche Bedürfnisprofile, Budgets und vor allem eine unterschiedliche Bedeutung für den Leistungserstellungsprozess. Der Einkauf muss sich an den wirklich relevanten internen Kunden, den Schlüsselkunden, orientieren, wenn er nachhaltig und entscheidend zum Unternehmenserfolg beitragen will. In der Praxis impliziert dies die Institutionalisierung eines gut funktionierenden Key-Account- Managements, wie es im Absatzbereich üblich ist. Je konzentrierter die Schlüsselkunden bearbeitet werden (ohne dass die anderen Bereiche völlig vernachlässigbar wären), desto wirtschaftlicher und erfolgreicher kann der Einkauf seine Aufgaben erfüllen.
Standardisierungsoffensive als wichtige flankierende Maßnahme
Das Ziel von Standardisierungsoffensiven ist die Identifizierung und Realisierung von Standardisierungspotenzialen. Im Mittelpunkt dieser Aufgabe stehen weniger die Unternehmensprozesse, sondern vielmehr alle eingekauften Güter und Dienstleistungen.
Hauptaufgabe von Standardisierungsoffensiven ist es, Komplexität – hervorgerufen durch Variantenvielfalt, spezifische Wünsche oder komplexe Lieferstrukturen – so weit als möglich zu reduzieren. Das Leitmotiv lautet: Standardisierte Güter so weit wie möglich, eine Abkehr nur dort, wo wirtschaftlich begründbar. Standardisierung bedeutet nicht, die Wünsche des internen Kunden zu vernachlässigen. Aber in jedem Falle gilt es zu überprüfen, ob und inwieweit sich Extraanforderungen oder -anfertigungen tatsächlich rechnen bzw. ob dafür nicht auch ein marktgängiges Standardgut existiert.
Auf den ersten Blick scheint Standardisierung eine Aufgabe operativer Funktionen zu sein. Dass es aber auch um ein strategisches Thema geht, wird deutlich, wenn man sich die Standardisierungspotenziale bei großen Projekten (etwa im zwei- oder dreistelligen Millionenbereich) vor Augen führt. Neue Gebäude oder neue Anlagen bergen derart viel Einsparpotenzial, das es durch proaktives Handeln zu realisieren gilt. Leider zeigt sich in der Praxis oft ein anderes Bild: Die strategische Relevanz wird verkannt, die Zuständigkeiten sind nicht eindeutig geregelt und die Einspar- bzw. Standardisierungsbemühungen werden meist nur halbherzig verfolgt.
Ganzheitliches Beschaffungscontrolling
Das Integrierte Beschaffungsmanagement-Modell wird durch ein ganzheitliches Beschaffungscontrolling abgerundet, welches sich aus zwei leistungswirtschaftlichen Kennzahlensystemen zusammensetzt:
–System zur Steuerung des Kerngeschäfts des Einkaufs und
–System zur finanziellen Budgetverantwortung.
Ziel des Beschaffungscontrollings muss die hierarchiegerechte und führungsadäquate Bereitstellung von relevanten Daten in absoluter und komprimierter Form sein, um Informationsbedürfnisse zu befriedigen und Steuerungsinformationen zu liefern. Dabei ist darauf zu achten, dass neben quantitativen auch qualitative Daten berücksichtigt werden.
Mit dem Beschaffungscontrolling lassen sich eine Reihe notwendiger Managementaufgaben realisieren:
–Regelmäßige Auswertungen zur einheitlichen Steuerung des Einkaufs,
–Rückgriff und Verwendung für Ad-hoc-Auswertungen und Maßnahmenplanungen,
–Lieferung von Daten zur qualitativen und quantitativen Überprüfung der definierten Strategien.
Bei der hierarchiegerechten Konzeption der Kennzahlensysteme ist penibel darauf zu achten, dass durch die Zahlenaggregation die wirklich wesentlichen Informationen nach oben weiter geleitet werden und nicht zwischen den Hierarchiestufen versickern. Die Effizienz des Beschaffungscontrolling hängt entscheidend von der Definition der einzelnen Kennzahlen ab. In der Praxis hat sich die Pyramide bewährt: Auf der ersten Hierarchiestufe die strategischen Daten (z.B. über strategische Partnerschaften etc.) und die wesentlichen Finanzinformationen (Gesamtbudget, Struktur). Diese Kennzahlen bilden zusammen mit weiteren Steuerungsinformationen die Basis für die nächste tiefere Hierarchieebene, während in den darauffolgenden Stufen leistungswirtschaftliche Informationen bis zu Stammdatenauswertungen relevant sind.
Der moderne Einkäufer – Prozessmanager in Standardisierungsfragen
Der integrierte Beschaffungsmanagement-Ansatz bietet in der Praxis einen konzeptionellen Rahmen für die Analyse und die Neupositionierung des Einkaufs in Unternehmen und Konzernen.
Der moderne Einkäufer analysiert ganzheitliche Beschaffungsprozesse. Er deckt Liegezeiten und Prozesskosten in anderen Teilprozessen auf und entwickelt abteilungs- und/oder organisationsübergreifende Wertschöpfungsprozesse. Beschaffungsprozesse werden von ihm günstig, wenig komplex, mit wenig Schnittstellen und vor allem kundenorientiert gestaltet.
Der moderne Einkaufsmanager kennt die Bedürfnisse seiner internen Kunden genau. Wichtige, bedeutende Kunden (nach Volumen, Entwicklungspotenzial, Bedeutung in der Wertschöpfung) werden von definierten Einkäufern in der Rolle von Schlüsselkundenbetreuern bearbeitet. Sie vertreten den gesamten Einkauf beim Kunden, kennen seine Problemstellungen und zeigen ihm Problemlösungen auf.
Der moderne Einkäufer arbeitet nicht nur operativ. Er entwickelt systematische Einkaufsstrategien. Er testet sein Güter- und Dienstleistungsspektrum in strategischen Beschaffungsbereichen und steuert sein Beschaffungs-Portfolio. Beschaffungsmärkte werden von ihm aktiv bearbeitet, strategische Partnerschaften gemanagt.
Zu guter Letzt fungiert der moderne Einkäufer als Sparringspartner des internen Kunden in Standardisierungsfragen. Er weist auf Sonderwünsche seiner Kunden hin, beziffert die möglichen Mehrkosten im Vergleich zu Standardlösungen und zeigt Alternativen auf.
Dieses ganzheitliche Rollenverständnis wird dazu führen, dass sich der Einkäufer der Zukunft vom bloßen Beschaffer zum unverzichtbaren Partner, zum verantwortlichen Manager, weiterentwickelt.
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