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Mehr Attraktivität und Leidenschaft im Einkauf

Heiko Braitmaier, Executive Vice President Sourcing & Procurement, Kärcher
Mehr Attraktivität und Leidenschaft im Einkauf

Kärcher baut seine Einkaufsorganisation um. Heiko Braitmaier, Executive Vice President Sourcing & Procurement, setzt auf eine neue Führungskultur, Spezialisierung für Einkäuferinnen und Einkäufer, agile Teams und einen starken globalen Verbund. Eine gezielte Personalentwicklung flankiert den Wandel.

Das Gespräch führte Annette Mühlberger, Journalistin, Gärtringen.

Beschaffung aktuell: Krisen, Preissteigerungen und Regulatorik prägen den Einkauf auch in diesem Jahr. Wie schauen Sie für Kärcher auf 2024?

Heiko Braitmaier: Die weltweiten Konflikte und Risiken sind für ein globales Unternehmen wie Kärcher große Herausforderungen. Wir versorgen weltweit Werke und müssen auf Ereignisse sehr schnell reagieren. Hinzu kommen neue Regularien, mit denen zusätzliche Aufwände, Prozessanpassungen, Zertifizierungen, Standards verbunden sind. Das alles braucht eine enge Zusammenarbeit intern und mit den externen Stakeholdern. Vom Einkauf verlangt das ein hohes Maß an Flexibilität und eine klare strategische Ausrichtung. Für mich ist mit den Veränderungen eine neue Führungskultur verbunden. Es geht um Menschen, um Talente, um neue Profile und Weiterentwicklung. Seit 2020 machen wir uns intensive Gedanken, wie der Einkauf der Zukunft als ein verzahnendes Element im Unternehmen aussehen soll. Den Einkauf komplett neu zu positionieren sehe ich persönlich als eine Riesenchance.

Warum muss sich die Führungskultur im Einkauf verändern?

In der Vergangenheit waren die Führungskräfte im Einkauf sehr operativ unterwegs. Das macht zugegebenermaßen Spaß und wenn man die Probleme am Ende des Tages gelöst hat, ist man stolz und glücklich. Leider bringt das für die Strategie und vorausschauende Problemlösung wenig. Deshalb habe ich meine Führungskräfte sukzessive aus der operativen Thematik herausgenommen. Der Weg ist nicht einfach und er ist auch noch nicht abgeschlossen. Für die Transformation, die wir angestoßen haben, ist es entscheidend, die Menschen an Bord zu haben: Gespräche führen, Veränderungen erklären und Chancen aufzeigen sind die Kernaufgaben von Führung heute.

Wie organisieren Sie sich künftig?

Wir installieren zum Beispiel kleine, agile Teams, die sich vorübergehend für ein Thema (etwa die Energiepreise) zusammenfinden. Solche Taskforces haben sich in der Lieferkrise bewährt. Das Prinzip führen wir fort, nehmen Mitarbeiter mit Affinität für ein Thema für eine gewisse Zeit aus dem Tagesgeschäft. Für die Kolleginnen und Kollegen sind das ausgezeichnete Gelegenheiten, sie können sich zeigen, haben Erfolge, bekommen Feedback, erfahren Wertschätzung. Das motiviert und setzt an der Leidenschaft an, die Menschen für ihre Arbeit mitbringen. Ich bin ein ganz großer Verfechter von Leidenschaft, vom Spaß am Tun. Das ermöglichen wir mit diesen neuen Strukturen.

Die Karrierewege im Einkauf verändern sich demnach?

Absolut. Ich selbst bin sicherlich ein Beispiel für eine klassische Kaminkarriere. Diese Art Laufbahn wird es nicht mehr geben, auch weil Mitarbeitende das gar nicht mehr wollen. Für mich ist es die höchste Bestätigung einer guten Personalentwicklung, wenn sich meine Leute auch in anderen Bereichen bei Kärcher etablieren und dort Karriere machen. Ich sehe es als Größe, ein gutes Talent auch mal abzugeben, zum Wohle für Kärcher, zum Wohle des Mitarbeiters.

Kärcher hat eine eigene Einkaufsakademie. Ist sie Teil der Transformation?

Mit unserer Akademie heben wir den globalen Einkauf auf einen gemeinsamen Standard. Moderne Personalentwicklung geht darüber hinaus. Es gibt Menschen mit Talent für Verhandlung, andere für Beziehungsmanagement. Wir wollen besser verstehen, wer welche Stärken, welche Leidenschaften hat und die Mitarbeitenden individuell weiterentwickeln: als Experten für Nachhaltigkeit, Vertragsmanagement, Verhandlung … Allrounder sind im Einkauf eine aussterbende Spezies. Wichtig ist, dass wir alle globalen Einkaufsstandorte mitnehmen und im Verbund unsere Zusammenarbeit verbessern. Wir haben ein Transformation Office, das dafür sorgt, dass wir die Veränderungen schrittweise ausrollen und die Organisation in diesem Wandel eng begleiten.

Wie digital wird der neue Kärcher-Einkauf?

Ich bin ein großer Fan davon, alle stupiden wiederkehrenden Aufgaben zu digitalisieren. Wir haben im Einkauf deshalb auch Spezialisten, die Bots programmieren. Ein einfaches Beispiel: Für jede Preisanfrage brauchen wir aus SAP eine Zeichnung und müssen diese an die Lieferanten schicken. Das macht jetzt ein Bot. So bekommen wir Luft für unsere Kernaufgabe. Dazu kommt KI. Das fängt klein an, indem Sie die KI zum Beispiel eine Absage auf Chinesisch formulieren lassen. Wir haben enge Kontakte zur Start-up-Szene, waren im Risikomanagement einer der ersten Kunden und sind Entwicklungspartner von Prewave und wir stoßen mit Start-ups das digitale CO2-Monitoring an. Die administrativen Aufgaben nehmen immer weiter zu. Ohne Digitalisierung ist das nicht zu schaffen.

Welche Regularien brauchen im Einkauf die meisten Ressourcen?

Ein Beispiel sind Handelsembargos. Die Listen verändert sich täglich, das lässt sich manuell gar nicht mehr abbilden. Auch die Zollvorschriften sind extrem aufwändig geworden. Beim Lieferkettengesetz konnten wir auf unser vorhandenes Risikomanagement aufsetzen. Das hat uns sehr geholfen. Parallel entwickelt sich der Einkauf immer mehr zum Supply Chain Management. Zu wissen, wo die Ware genau ist, wird sie blockiert, läuft alles glatt, gehört heute zum Tagesgeschäft. Das war in der friedlichen Koexistenz des Globalisierungszeitalters anders. Im Zeitalter der Konflikte tragen wir im Einkauf eine ganz andere Verantwortung.

Hilft Ihnen die Stabilität eines Familienunternehmens, für das Sie schon lange arbeiten?

Bei Kärcher hat der Einkauf grundsätzlich eine sehr gute Rückendeckung. Das hilft uns extrem und es ist außerdem eine hohe Anerkennung und Wertschätzung. Das ist sicherlich auch einer der Gründe, warum ich seit 25 Jahren für Kärcher arbeite. Der Spirit, das Mindset, der Purpose sind bei Kärcher einmalig. Wir können im Unternehmen wie Unternehmer agieren.

Wie kommen Ihre Einkäufer und Einkäuferinnen zu ihren neuen Aufgaben?

Natürlich müssen wir schauen, wer passt grundsätzlich wohin, welches Talent eignet sich für welche Aufgabe. Deshalb sind die Führungskräfte in diesem Prozess so wichtig. Ich bin auch nicht abgeneigt, neue Stellenprofile mal über Pitches zu vergeben. Ich möchte nicht, dass Menschen in ihr Büro gehen, weil sie das schon immer so machen, und Aufgaben erledigen, die sie eigentlich gar nicht interessieren. Ich glaube, dass eine Beteiligung der Mitarbeitenden an organisatorischen Anpassungen wichtig und richtig ist.

Ihr KI-gestütztes Risikomanagement haben Sie seit 2023 durch Funktionen zum LkSG erweitert. Sind die Ergebnisse zufriedenstellend?

Wir haben unsere Risikobetrachtung bereits vor der Pandemie gestartet und bevor es irgendwelche Regularien gab. Seitdem haben wir Transparenz in unserer Lieferkette und das hat uns in der Umsetzung des LkSG sehr geholfen. Weil auch die Finanzdaten integriert sind, haben wir eine Rundumsicht auf unsere Lieferanten. Ergänzt wird das Bild künftig durch Klimadaten. Vorlieferanten beobachten wir über Frachtdaten. Die Ergebnisse diskutieren wir mit unseren Lieferanten. Wir sitzen in einem Boot, um die Sache gemeinsam nach vorne bringen.

Wie verhindern Sie Klumpenrisiken in Ihrer Lieferkette?

Wir verfolgen den Ansatz regional für regional, bewusst nicht lokal für lokal. Das heißt, für Geräte, die wir in Europa verkaufen, wollen wir die Materialien so weit möglich in Europa zukaufen. Natürlich gibt es Technologien, die vorrangig aus Asien/China kommen. Deshalb haben wir parallel unsere Kerntechnologien reflektiert, manches inhouse genommen, anderes ausgelagert. So haben wir erreicht, dass wir bereits 75 Prozent unserer Materialen für Europa regional kaufen, für Nordamerika zu 70 Prozent und in China zu 90 Prozent. Wir gehen in der Risikoabsicherung durchaus auch ungewöhnliche, innovative Wege: Zum Beispiel errechnen wir für einzelne Länder oder Regionen Szenarien, wie sich dort der Klimawandel auswirken wird. Also: Wie hoch steigt der Meeresspiegel? Inwiefern nimmt die Temperatur, nehmen Extremwetterereignissen zu.

Für welche Technologien haben Sie Kompetenzen aufgebaut, welche Technologien lagern Sie aus?

Düsen für Hochdruckreiniger fertigen wir zum Beispiel jetzt selbst. Dazu kommt der Kompetenzaufbau in Software und Robotik, wie sie zum Beispiel in unserem Saugroboter für Industrieanwendungen zum Einsatz kommen. Zellfertigung oder Elektronikkomponenten sind für uns wiederum kein Thema: Ersteres ist hochkomplex und bei den Komponenten bedingt durch zu hohe Investitionen. Für die Bauteilversorgung wiederum brauchen Sie ein gutes Netzwerk in Asien. Deshalb haben wir unsere Einkaufspräsenz ganz aktuell in Vietnam deutlich verstärkt. Wenn es eng wird, wenn Bauteile knapp werden, brauchen Sie ein gutes Beziehungsmanagement und das funktioniert nur, wenn Sie aus der Kultur kommen und vor Ort sind.

Bleibt der persönliche Kontakt zum Lieferanten trotz Digitalisierung wichtig?

Einkauf bleibt ein Geschäft zwischen Menschen: Es geht um Zusammenarbeit, Vertrauen und offene Kommunikation. Deshalb gehen in die Gespräche mit neuen Lieferanten und Start-ups immer auch Vertreter aus der Entwicklung und Qualität. Es geht nie nur darum, einen Vertrag zu unterschreiben.

Kunststoff ist ein viel diskutiertes Material. Sind Rezyklate für Ihre Geräte eine Option?

Die technischen Anforderungen für unsere Systeme und unsere farblichen Anforderungen über Chargen hinweg einzuhalten, ist bei Rezyklaten eine Herausforderung, die wir mit zunehmendem Erfolg meistern. Bei den Verpackungen ersetzen wir zunehmend Styropor durch nachhaltigere Materialien, die recyclebar und kreislauffähig sind. Und wir haben gemeinsam mit einem langjährigen Partner eine neue, kompostierbare Verpackung aus Erbsenstärke entwickelt. Bei Verpackungen ist der Markt schon deutlich weiter als im Bereich der technischen Kunststoffe.

Was bedeutet das EU-Recht auf Reparatur für den Gerätehersteller Kärcher?

Das hat einen großen Einfluss. Wir haben 2023 eigens für Reparaturen einen neuen Standort eröffnet. Das Aftersales-Geschäft wirkt sich auch auf den Einkauf und die Materialwirtschaft aus. Die Ersatzteilhaltung ist herausfordernd, weil wir ein sehr breites Produktportfolio haben. Deshalb haben wir unsere Strategie im Einkauf angepasst.

Welche Ziele verfolgen Sie für den CO2-Fußabdruck in Ihrer Lieferkette?

2024 geht es darum Datentransparenz nach Scope 3 in unserer Lieferkette zu schaffen. CO2-Emissionen werden und sind auch heute schon Bestandteil von Vergabeentscheidungen. Ab 2025 wird es klare Zielvorgaben geben. Was uns in der Vergangenheit bereits bei der Reduktion von Emissionen geholfen hat, ist unsere konsequent regionale Beschaffungs- und Versorgungsstrategie.

Nachhaltige Materialien sind im Einkauf oft teurer. Wer zahlt die Umstellung?

Die Umsetzung der CO2-Ziele wird Geld kosten. Nicht überall sind Kunden bereit die Mehrkosten zu tragen. Selbst in Europa ist angesichts der Teuerung nicht gesagt, wie sich Kunden entscheiden, wenn sie im Baumarkt vor dem Regal stehen. Wir stehen als Premiumanbieter in einem harten internationalen Wettbewerb vor allem aus China. Gleichzeitig nehmen die Auflagen und Kosten zu. Das macht mir in Kombination mit der geopolitischen Lage schon ein wenig Sorgen. Für den Einkauf bedeutet das, wir müssen sehr flexibel bleiben.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Eine friedvollere Welt wäre sicherlich das, was uns allen guttun würde. Für den Einkauf von Kärcher wünsche ich mir, dass unsere Transformation ein Erfolg wird. Dass wir nicht nur schneller und effizienter werden, sondern auch mehr Attraktivität und Leidenschaft für die Mitarbeiter ermöglichen. Diese Werte stehen auf keinem Dashboard, trotzdem ist für mich die Freude ein ganz zentraler Faktor für den Erfolg. Wichtig ist mir eine offene Fehlerkultur. Lieber treffe ich zehn Entscheidungen und drei davon sind falsch, als dass ich nicht handele. Stillstand kann sich heute keine Einkaufsorganisation mehr leisten.


Heiko Braitmaier

… begann 1999 seine Laufbahn bei Kärcher als Einkäufer für Metallteile. 2003 wurde er im Einkauf Gruppenleiter für Kaufgeräte, 2006 Abteilungsleiter für diese Kategorie. Seit 2009 ist er Vice President Sourcing & Procurement.


Kärcher

Mit 3,294 Milliarden Euro erzielte Kärcher 2023 einen neuen Umsatzrekord. 86 Prozent des Umsatzes erwirtschaftet das Familienunternehmen mit Sitz in Winnenden im Ausland. Privatkunden und Profianwender tragen in etwa gleich viel zum Umsatz bei. Kärcher beschäftigt 16.000 Mitarbeitende und hat 22 Produktions- und Logistikstandorte. Zuletzt hat das Unternehmen stark in neue Standorte investiert – mit einem neuen Werk in Vietnam, einer Werkserweiterung in Rumänien, einem Wartungs- und Reparatur-Standort in Ahorn und einem größeren vollautomatischen Hochreallager in Bühlertal.

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