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Risiken rechtzeitig entdecken

Global Supply Chain Management – Risikoidentifikation im globalen und komplexen Projektgeschäft
Risiken rechtzeitig entdecken

Nur wer Chancen und Risiken rechtzeitig erkennt, kann darauf reagieren. Doch ein solches Risikomanagement stellt bereits in „traditionellen“ Geschäftsmodellen die Unternehmen vor große Herausforderungen. Globale Projekte steigern die Komplexität um ein Vielfaches. Der hier vorgestellte Ansatz von EADS Cassidian, orientiert sich am Projektlebenszyklus und analysiert Risiken pragmatisch mit Unterstützung von definierten Standard-Checklisten. Dieses Instrumentarium bietet ein grundsätzliches Vorgehensmodell und erlaubt die Analyse komplexer Projekte.

Das komplexe Projektgeschäft zeichnet sich häufig durch einen jahrelangen Leistungserstellungsprozess und den Einbezug zahlreicher Wertschöpfungspartner im In- und Ausland aus. Dies trifft umso mehr zu, wenn sich der eigentliche Ort der Leistungserbringung – der Aufbau einer Fabrikanlage, die Implementierung einer Grenzsicherungsanlage oder die Inbetriebnahme einer Maschine – im Ausland befindet. Spezifische Länderrisiken, politische Einflüsse sowie technologische, vertragliche und finanzielle Herausforderungen sind charakteristisch für die Abwicklung derartiger komplexer Projekte im internationalen Rahmen. Gerade vor diesem Hintergrund ist ein systematisches und vorausschauendes proaktives Risikomanagement für sich in diesem volatilen Umfeld bewegende Unternehmen unerlässlich.

Allgemein kann man unter einem Risiko ein unsicheres Ereignis in der Zukunft verstehen, bei dessen Eintreten ein negativer Effekt auf die Geschäfts- und Unternehmensziele zu erwarten ist. Dieses Risikoverständnis setzt voraus, dass man das künftige, negative Ereignis identifizieren und ihm eine bestimmte Eintrittswahrscheinlichkeit beimessen kann. Davon abzugrenzen sind Risiken, die trotz intensivem Suchprozess unerkannt bleiben. Diese werden hier nicht weiter behandelt. Darüber hinaus werden in der Praxis die Begriffe „Risiko“ und „Problem“ oft voneinander abgegrenzt. Unter einem Problem versteht man ein negatives Ereignis, das bereits eingetreten ist und in der Gegenwart eine Problemlösung erfordert.
Die enormen wirtschaftlichen Vorteile gerade einer frühzeitigen Risikoidentifikation in der Lieferkette zeigt das Beispiel EADS Cassidian im Bereich Defence and Security. Durch die Analyse der Lieferkette und potenziell anfallender Importzölle auf spezielle Komponenten konnte die Wertschöpfungskette so effizient gestaltet werden, dass beispielsweise Zölle in signifikanter Höhe eingespart werden. Dies zeigt, dass ein frühzeitiges Erkennen von Risiken, möglichst schon vor der eigentlichen operativen Projektabwicklung, es ermöglicht, negative Einflüsse auf die Projekt- und Geschäftsziele von Beginn an zu vermeiden oder zumindest zu verringern. Ein besonders wichtiger Aspekt in diesem Kontext ist die systematische Betrachtung der globalen Lieferkette und der damit verbundenen, potenziellen Risiken. Methodisch gesehen ist es deshalb sinnvoll, sich die wichtigsten geplanten Material-, Informations- und Finanzströme der Lieferkette zu veranschaulichen und dann systematisch nach potenziellen Risiken und Chancen zu fahnden.
Auf das Management von Lieferketten angewendet, lässt sich das dargestellte Risikoverständnis wie folgt spezifizieren: Ein Risiko in der Lieferkette ist eine potenzielle Störung, bei deren Eintreten die Leistung der Kette negativ beeinflusst wird. Die Leistung der Lieferkette kann an Hand von drei Merkmalen, die dem SCOR-Modell entnommen sind, beschrieben werden: Verfügbarkeit, Reaktionsfähigkeit und die damit verbundene finanzielle Lage. Verfügbarkeit beschreibt die Erbringung der Leistung zur richtigen Zeit am richtigen Ort in der nachgefragten Qualität in der richtigen Menge und Ausprägung. Reaktionsfähigkeit beschreibt, wie schnell die Leistungserbringung in der Lieferkette angepasst werden kann. Die finanzielle Lage gibt an, wie viel die Leistungserbringung kostet. Ein Risiko entlang der Lieferkette hat also negative Folgen für die Verfügbarkeit, die Reaktionsfähigkeit und die finanzielle Situation eines Unternehmens. Neben der potenziellen Störung des physischen Materialflusses können auch die Finanz- oder die Informationsströme in der Wertschöpfungskette betroffen sein. Beispielsweise könnte eine verspätete Bezahlung eines Lieferanten zu einer verzögerten Auslieferung einer Komponente führen. Die Verzögerung der Auslieferung kann dann im ungünstigsten Fall Einfluss auf die Fertigstellung des gesamten Projekts ausüben.
Betrachtet man die zuvor dargestellte Risikodefinition in Lieferketten, so erfordert die Identifikation von entsprechenden Störgrößen einen systematischen und sich iterativ wiederholenden Suchprozess. Iterativ bedeutet in diesem Fall, dass entlang des gesamten Projektlebenszyklus, von der Akquise über die Planung bis hin zur eigentlichen Leistungserbringung, immer wieder nach Risiken gefahndet werden muss. Das hier vorgestellte Vorgehen orientiert sich an diesen Projektphasen und identifiziert Risiken mithilfe von To-Do-Listen bzw. Checklisten je Phase (siehe Abbildung 1+2). Dadurch werden Risiken, die phasentypisch sind, z. B. terminliche Risiken, betrachtet. Daran schließt sich die Identifikation von Risiken entlang der geplanten Wertschöpfungskette an. Hierzu werden zwei wesentliche Instrumente genutzt: Das sind zum einen die Supply Chain Map und zum anderen die Risiko-Checklisten je Supply Chain Link (siehe Abbildung 3).
Supply Chain Map. Für die Erstellung der Supply Chain Map werden in einem ersten Schritt die wichtigsten Lieferanten, Partner, Dienstleister und Kunden sowie das eigene Unternehmen entlang der geplanten Lieferkette visualisiert. Es sollten zunächst nur die Akteure in die Visualisierung aufgenommen werden, die für den Projekterfolg besonders kritisch sind (z.B. größter Wertbeitrag zum Projekt oder besonders kritische Komponentenlieferanten, ohne die der Bau einer Anlage nicht fortgesetzt werden kann). Gleichzeitig sollten nur die wichtigsten Standorte der beteiligten Wertschöpfungspartner aufgezeigt werden. Auf diese Weise bleibt die Übersichtlichkeit der Darstellung gewahrt. Bei großen Anlagenprojekten sind das in der Regel die wichtigsten Subunternehmer bzw. Sublieferanten und deren Kernstandorte.
In einem zweiten Schritt sollte zu jedem Lieferanten-, Partner-, Unternehmens- und Kundenstandort (Standort der Leistungserbringung) die wichtigsten Informationen festgehalten werden. Diese Kerninformationen können z. B. durchschnittliche Kapazität, Durchlaufzeit oder Lagerbestand sein. Darüber hinaus ist es empfehlenswert, jedem Standort auch die genaue Lage bzw. geografische Verortung hinzuzufügen. Auf diese Weise kann sehr schnell veranschaulicht werden, ob es sich bei den späteren Transportverbindungen um See-, Luft- oder Landverkehr handelt und wie lange die jeweiligen Transportzeiten dauern werden. Zugleich wird klar ersichtlich, ob es sich um grenzüberschreitenden Verkehr mit all seinen Implikationen wie etwa Zollgebühren und Abfertigung, notwendige Frachtpapiere, politische Unwägbarkeiten, etc. handelt.
In einem dritten Schritt werden die Beziehungen zwischen den Wertschöpfungspartnern aufgezeichnet. Dabei gilt es, die Material-, Finanz- und Informationsströme entsprechend abzubilden. So kann es z. B. durchaus sein, dass Partner im Rahmen eines langfristigen Projektes Aufträge über ein gemeinsames, zentrales ERP-System koordinieren. Dementsprechend würden die Informationsströme nicht zwingend analog den Materialströmen folgen. Gleichzeitig können durch die Visualisierung potenzielle Informationsbrüche oder Lücken erkannt werden.
RISIKO-CHECKLISTE. Im nächsten Schritt kann jede der kritischen Verbindungen (Supply Chain Links) zwischen den wichtigsten Partnern und Standorten in der Supply Chain Map systematisch nach potenziellen Risiken untersucht werden. Hierzu kommen die Risiko-Checklisten zum Einsatz. Diese Checklisten können auf bestimmte Typen von Supply Chain Links zugeschnitten werden, z. B. Materialfluss „Transatlantischer Containerverkehr“, Finanzfluss „Rechnungslegung China-Supplier“, Informationsfluss „Datenaustausch temporäre Lagerstandorte“ usw. Solche Risiko-Checklisten je Kategorie enthalten das gesammelte Erfahrungswissen vorhergehender Projekte ähnlicher Ausprägung. Voraussetzung hierfür ist, dass die wichtigsten Risiken über alle Projekte eines Unternehmens konsequent dokumentiert und schließlich in den Risiko-Checklisten konsolidiert werden. Dann können diese konsolidierten und allgemeingültigen Checklisten mit den projektspezifischen Supply Chain Maps zusammengeführt werden. Dabei bietet es sich an, die jeweils identifizierten Risiken, zumindest ab einer bestimmten Schwere des Risikos, ebenfalls in der Supply Chain Map zu visualisieren. Dieses pragmatische Vorgehen bietet zahlreiche Vorteile für die Beteiligten. Zum einen werden keine wesentlichen Risiken übersehen, gleichzeitig sind die betroffenen Mitarbeiter häufig froh, eine Hilfestellung bei der Risikoidentifikation zur Hand zu haben. Zu guter Letzt wird die Risikoanalyse immer genauer, denn die Checklisten sollen als lebende Dokumente verstanden werden. Sie können jederzeit um neu erkannte Risikokategorien erweitert werden.
Das Arbeiten mit den Risiko-Checklisten und der Supply Chain Map erfolgt dabei häufig in Form einer szenario-basierten Vorgehensweise. So kann gezielt überlegt werden, welche Konsequenzen z. B. der Ausfall eines Lagerstandortes (Streik, Transportunterbrechung, Überschwemmung …) auf die Lieferkette habe. Diese Wenn-Dann-Fälle bieten zusätzliche Suchfelder für Risiken. Die Erstellung der Wertschöpfungslandkarte sowie die darauf aufbauende systematische Suche nach Risiken sollte durch ein Team aus erfahrenen Supply Chain Managern erfolgen. Das Team sollte sich aus Experten der Fachbereiche Supply Chain Planung, Einkauf, Operations, Delivery und Customer Services zusammen setzen.
Zusätzlich zur Betrachtung der relevanten und kritischen Einzelverbindungen kann auch ein besonders kritischer Ast der Lieferkette betrachtet werden, z. B. wenn die Gesamtdurchlaufzeit eines Asts den Fertigstellungstermin des Gesamtprojektes gefährdet.
INTEGRATION IN DEN PROJEKTLEBENSZYKLUS. Im Rahmen des Projektmanagements können die beiden vorgestellten Instrumente schon frühzeitig zur Risikoidentifikation eingesetzt werden. Das lohnt sich schon während der eigentlichen Projektakquisephase. Zu diesem Zeitpunkt fehlen zwar unter Umständen einige Detailinformationen, allerdings ist es möglich, sich bereits konzeptionell Gedanken zum potenziellen Layout der Lieferkette und den damit verbundenen Risiken zu machen. Der Vorteil des frühzeitigen Einsatzes liegt auf der Hand. Nur zu diesem Zeitpunkt ist es möglich, ohne größere Wechselkosten das Netzwerk bzw. die Wertschöpfungskette anzupassen und zu verändern. Darüber hinaus können Risiken auch Einfluss auf die Ausgestaltung der Verträge und der Kostenschätzung haben. Auch während der weiteren Projektphasen (Projektdurchführung bzw. Projektabschluss) können die beiden vorgestellten Instrumente eingesetzt werden. Ein wichtiger Punkt ist dabei die sorgfältige Übergabe der während der Akquisephase identifizierten Risiken an das Projektteam, welches die Aus- bzw. Durchführung des Projekts/Auftrages übernimmt. In späteren Projektphasen können mit den Checklisten einerseits phasenspezifische Risiken erstmalig bewertet werden, andererseits kann auch die bisherige Risikodokumentation aktualisiert und erneut überprüft werden. Zu berücksichtigen sind dabei beispielsweise Lieferantenwechsel während der Projektlaufzeit.
Selbstverständlich reicht es nicht aus, Risiken nur zu identifizieren. Dem hier dargestellten Such- und Identifikationsprozess mithilfe von Checklisten folgt natürlich das weitere Vorgehen im Rahmen des Risikomanagementprozesses. Das beinhaltet in jedem Fall eine qualitative und quantitative Risikobewertung, eine Risikobewältigungsplanung sowie eine Risikoüberwachung und Steuerung. Die Risikobewertung betrifft die Priorisierung der Risiken für eine weiterführende Analyse, indem die Eintrittswahrscheinlichkeit und die Auswirkung des Risikos beurteilt wird. Dies kann eine quantitative Einschätzung der Auswirkungen identifizierter Risiken auf die Projektziele bzw. die Leistungsfähigkeit der Lieferkette beinhalten. Die Risikobewältigung beschäftigt sich mit der Entwicklung von Handlungsoptionen um die Störgröße zu eliminieren oder zumindest zu verringern. Die Risikoüberwachung und Steuerung kümmert sich um die Verfolgung identifizierter Risiken sowie um die konsequente Überwachung des Risikobewältigungsplans.
FAZIT. Das vorgestellte Vorgehen zur Risikoidentifikation bei globalen und komplexen Projekten wurde anhand des Beispiels von EADS Cassidian im Bereich Defence and Security praktisch angewendet und erprobt. Die genutzten Instrumente verbinden die projektspezifische Supply Chain Map mit den Risiko-Checklisten, die auf bestimmte Supply Chain Links zugeschnitten und standardisiert sind. Vorteilhaft ist die Visualisierung der wichtigsten Verbindungen, Partner und Lieferanten in einer Wertschöpfungslandkarte. In komplexen Projekten kann eine solche Visualisierung grundsätzlich die Ermittlung konkreter Risiken bereits in einem sehr frühen Projektstadium erleichtern und unterstützen. Die Risiko-Checklisten beinhalten das gesammelte Erfahrungswissen der Fachexperten aus vorhergehenden Projekten. In Kombination mit den Risiken aus den Wertschöpfungslandkarten ermöglichen sie eine schnelle und systematische Risikoidentifikation. Die pragmatische Herangehensweise bietet zudem die Chance, dass die Risikoidentifikation bei den Mitarbeitern nicht als lästige Pflicht, sondern als wichtiger, ganzheitlicher und optimierender Projektbestandteil gesehen wird.
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