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Zweiter Schritt: Risiko bewerten

Risikomanagement in der Lieferkette, Teil II
Zweiter Schritt: Risiko bewerten

Die Kombination von Risikoinformation und Kritikalitätsdaten ermöglicht, akute Handlungsbedarfe zu identifizieren, um Risiken mit geeigneten Maßnahmen proaktiv zu adressieren und damit den Unternehmenserfolg zu sichern. Der zweite Teil des Leitfadens für Risikomanagement in der Lieferkette beschäftigt sich mit der konzeptionellen und organisatorischen Implementierung der Bewertung des relativen und monetären Schadensausmaßes/Kritikalität von Lieferketten.

In unserem ersten Teil „Risiko Identifikation“ ging es um die Identifizierung von Risiken entlang der Lieferkette mittels Überwachung von latenten Risiken und Event-Frühwarnsystematik. Im Krisenfall können so präventiv bzw. zeitnah geeignete Reaktionen generiert werden. Um jedoch faktenbasiert reagieren zu können, gilt es in beiden Szenarien die Kritikalität der betroffenen Lieferketten zu bewerten. In den meisten Fällen ist auch die Ermittlung einer warengruppen-/artikelspezifischen Kritikalität unumgänglich. Die dadurch gewonnene Granularität in der Kritikalitätsbewertung ermöglicht es im Ernstfall adäquate und fokussierte Maßnahmen zu initiieren.

Idealerweise umfasst die initiale Bewertung des Schadensausmaßes alle Geschäftspartner, damit vollständige Transparenz über die Kritikalität des gesamten Lieferantenportfolios sichergestellt wird. Auf diese Weise erhält man Auskunft, welche Geschäftspartner erhebliche Auswirkungen auf Umsatz, Marge oder z. B. Gewinn haben. Eine klare Empfehlung sei an dieser Stelle, keine Selektion nach strategisch wichtigen Lieferanten oder Lieferanten mit hohem Einkaufsvolumen durchzuführen. Denn auch von einem C-Teile Lieferanten, dessen Teile möglicherweise in mehreren Produkten vorhanden sind, kann ein hohes Risiko ausgehen. Eine Studie des Massachusetts Institute of Technology in Zusammenarbeit mit Ford stellt dies transparent dar: Zahlreiche Lieferanten mit geringen Einkaufsvolumen hätten extrem negative Auswirkungen auf den Gesamtumsatz. Die initiale Bewertung der Lieferanten mit Einstufung anhand z. B. hoher, mittlerer und geringer Kritikalität kann eine Entscheidungshilfe für künftige Aktualisierungszyklen bieten. Hochkritische Lieferanten könnten so beispielsweise jährlich neu bewertet werden, während bei Geschäftspartnern mit mittlerem und geringem Risiko ein weiter gefasster Zyklus ausreichend sein kann.
Für die Kritikalitätsbewertung der gesamten Lieferkette sollten weitere Dimensionen eingebunden werden: Lokationen, Länder, logistische Knotenpunkte. Diese Parameter haben Auswirkung auf die Verfügbarkeit und Substituierbarkeit.
Falls Lieferanten verschiedene Warengruppen bedienen, ist auch die Ermittlung einer warengruppen-/artikelspezifischen Kritikalität notwendig. Hier zeigt sich, ob ein Lieferant in verschiedenen Warengruppen unterschiedliche Kritikalitäten innehat. Ebenso erfährt man, bei welchen Lieferanten oder Warengruppen die größten Abhängigkeiten bestehen. Im Idealfall werden auch Sublieferantenstrukturen der Kritikalitätsbewertung unterzogen: Bisher vermeintlich ungefährliche Lieferantenportfolios weisen plötzlich eine hohe Kritikalität auf, da das Zusammenspiel bzw. Rückwirkungen verschiedener Ebenen gegenseitige Kunden-/Lieferantenbeziehungen zwischen Lieferanten aufzeigen. So offenbart ein Blick auf die Sub-Ebene der Lieferantenbeziehungen untereinander ein Beziehungsgeflecht, welches mitunter in quasi Single-Source Situationen resultiert.
Die zentralen Fragen zur Bewertung des Schadensausmaßes können in der initialen Bewertung nach dem Prinzip „weniger ist mehr“ gehalten werden. Drei bis fünf kritische Parameter geben bereits im ersten Schritt einen guten Überblick über Kritikalität/Abhängigkeiten in den Lieferketten.
Zur Bewertung der relativen Kritikalität empfehlen wir folgende Parameter:
  • Wiederherstellungszeitraum (Total Time to Recovery, TRR)
  • Substituierbarkeit bzw. Verlagerungszeitraum (Relocation Time)
  • Auswirkung auf Unternehmens-Image
Mögliche weitere Parameter für Detailbewertungen im Eventfall sind
  • Anzahl der qualifizierten Alternativlieferanten
  • Anzahl der betroffenen Kunden
  • Aufwände für korrigierende Marketing- und Vertriebsaktivitäten
Die finanziellen Auswirkungen einer Lieferunterbrechung können zusätzlich anhand folgender beispielhaften Parameter gemessen werden: Einfluss auf Umsatz, Deckungsbeitrag oder EBIT.
Insbesondere hier ist ein Umdenken im Einkauf gefragt: Die Korrelation von der Höhe des Einkaufsvolumens und der Höhe des Schadensausmaßes ist bei einer Lieferunterbrechung gering! Wichtig ist es deshalb für die monetäre Bewertung konkrete Dimensionen von Umsatz- oder Gewinnverlusten zu nehmen.
Die Antworten für die Bewertung sind primär über interne Informationsquellen einzuholen. Know-how zur Evaluierung findet sich zu 95 % bei den verantwortlichen Lead Buyern, Commodity Managern oder Logistikern. Daten für die absolute Bewertung können über BI-Tools oder ERP-Systeme automatisiert eingeholt und integriert werden. Für eine reibungslose organisatorische Einbindung der Risikobewertung sollte die zyklische Bewertung in den Rollenprofilen der jeweilig Verantwortlichen verankert sein. Hilfreich ist es an dieser Stelle einen automatisierten Prozess zu etablieren um mit E-Mail-Benachrichtigungen und systemgestützten Bewertungen sowie Auswertungs- und Analysemöglichkeiten die Aufgaben zu unterstützen.
Die Ergebnisse von Risikobewertung, kombiniert mit den Ergebnissen der Risikoidentifizierung können am besten in Form eines Portfolios veranschaulicht werden (siehe Grafik). Dabei steht die Färbung der Felder (rot, gelb, grün) für den Grad der Risikobedrohung und der Kritikalität. Die Objekte im roten Bereich sind also mit höchster Priorität zu beobachten. Weiterhin ist zu beachten, dass die Größe der Objekte das absolute Schadensausmaß widerspiegelt. Je größer das Objekt, desto höher ist der potenzielle monetäre Schaden auf den Umsatz oder Gewinn des Unternehmens. Sowohl Positionierung als auch Größe der Objekte sind Basis für die Planung von Risikomaßnahmen. Zudem können die Bewertungsparameter als Zusatzinformation für andere Einkaufsprozesse wie beispielsweise Lieferantenqualifizierung, Lieferantenklassifizierung, Lieferantenentwicklung oder Vergabeentscheidungen herangezogen werden.
Hottinger Baldwin Messtechnik (HBM), Spezialist im Bereich Messtechnik elektrischer und mechanischer Größen, nutzt eine solche Bewertungsmatrix und Portfolioanalyse, um das Risiko der Supply Chain zu bewerten. „Wir erhalten so eine genaue Prognose, welcher Schaden bei Lieferantenausfall eintritt und wie sich dieser Ausfall auf die Profitabilität des Unternehmens auswirkt“, erklärt Karl-Heinz Pöhlmann, Group Vice President Supply Chain bei HBM. Auf diese Weise identifiziert HBM, bei welchen Lieferanten Maßnahmen zur Risikoprävention bzw. -vermeidung zu treffen sind.
Der dritte Teil der Beitrags-Serie „Risikomanagement in der Lieferkette“ erscheint in der Dezember-Ausgabe der Beschaffung aktuell und gibt eine Handlungsanleitung zur Maßnahmenplanung.

Nutzen der Risikobewertung
  • Voraussetzung für adäquate präventive und reaktive Maßnahmen
  • Basis für die Entwicklung einer Risikomanagement- und Portfoliostrategie, z. B. für Beschaffungsmarktanalyse, Warengruppenstrategie, Vergabeentscheidung, Lagerhaltung, CSR und Compliance
  • Reduzierung der Versicherungsraten von CBI-Versicherungen um bis zu 50 %
Quelle: Studie „Der ROI von Supply Chain Risk Management“, Eckseler consult & riskmethods
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