Die finanziellen Gesamtbelastungen der jeweils im Lager befindlichen Waren und Materialien sind nur eines der Kostenelemente im Inventar- und Supply-Chain-Management. Für eine realistische Kostenbilanz müssen alle Ausgaben berücksichtigt werden, die anfallen, bevor die Waren tatsächlich verkauft oder verwendet werden.
Die eigentliche Frage ist dabei jedoch, ob sich die Verantwortlichen all dieser Kosten und ihrer Auswirkungen bewusst sind. Um mehr Transparenz in die Kosten und gebundenen Mittel zu bringen, lohnt sich zunächst eine Bestandsaufnahme des eigentlichen Inventars und weiterer damit verbundener Kosten.
Direkte Sachkosten
Vereinfacht ausgedrückt, kann das Inventar in vier Haupttypen unterteilt werden:
- Rohstoffe und Rohmaterialien – häufig der kostspieligste Bereich
- Waren in Bearbeitung bzw. Teile fertiggestellter Waren
- Fertiggestellte Waren – je nach Branche findet die Produktion erst auf Anfrage statt
- Technisches Inventar für den Bereich MRO (Wartung, Reparaturen und Betrieb)
Alle diese Inventar-Bestandteile haben einen Sachwert und erfordern spezielle Lager- bzw. Bearbeitungsanforderungen, die sich auf die gesamten Bestandskosten auswirken können.
Versteckte Kosten
Darüber hinaus gibt es zahlreiche weitere Faktoren, die sich auf die Bestandskosten auswirken. Zu den weniger offensichtlichen Kosten gehören unter anderem:
- Die Lagerkosten – das umfasst nicht nur die eigentlichen Lagerhallen oder deren Mietkosten, sondern auch Kosten für Ausrüstung, besondere Lagerungsbedingungen, Energie und die Personalkosten für die Lagermitarbeiter
- Wertverluste – diese werden etwa durch Verschleiß, Beschädigungen und Alterung verursacht
- Kosten für Versicherungen und Sicherheitsmaßnahmen
- Kosten für Software, Lizenzen, Zertifizierungen, etc.
- Personal und Systeme für Bestell- und Liefermanagement
- Wechselkurse, Bankgebühren, etc.
- Ausgaben für interne und externe Audits & Marktbewertungen, Risikomanagement, etc.
Wenn sich der direkte Sachwert des Inventars beispielsweise auf 20 Millionen Euro beläuft, dann manchen diese zusätzlichen Kosten üblicherweise nochmals 15 bis 25 Prozent des Betrags aus. Bei einem Durchschnittswert von 20 Prozent wären das 4 Millionen Euro Extrakosten.
Weitere finanzielle Auswirkungen durch Kapitalbindung
Ein noch weniger offensichtlicher Faktor sind die finanziellen Auswirkungen, die die Kapitalbindung im Inventar und den damit verbundenen Kostenpunkten auf andere Geschäftsbereiche hat. Denn je mehr Barvermögen im Inventar gebunden ist, desto weniger steht für die Umsetzung von Innovationen, Investitionen in Projekte, Betriebsänderungen oder Marketing zur Verfügung. Das bewirkt einen Mangel an Flexibilität, sodass das Unternehmen beispielsweise nicht mehr adäquat auf Marktanforderungen reagieren kann.
Finanziert ein Unternehmen solche Maßnahmen über Kredite, weil nicht genügend freies Kapital zur Verfügung steht, fallen entsprechende Fremdkapitalkosten an. Bei einem Zinssatz von drei Prozent lägen die jährlichen Finanzierungskosten für einen 20-Millionen-Kredit also bei 600.000 Euro.
„Wenn Unternehmen Investitionen in Innovationen, neue Projekte oder gezielte Kampagnen tätigen, dann erwarten sie in der Regel eine Rendite (ROI) von 15 Prozent oder mehr. In unserem Beispiel wären das 3 Millionen Euro.“, erklärt SCM-Experte Sam Samson. „Dieser Gewinn würde also entfallen, wenn ein Unternehmen keine strategischen Investitionen tätigt, weil das Kapital im Inventar gebunden ist.“
Ansätze für die Verbesserung des Inventar-Managements
Sich allen Parametern bewusst zu sein, die die tatsächlichen Inventarkosten beeinflussen, ist der erste Schritt, die Aktivitäten zu optimieren und zugleich wirkliche Kosteneinsparungen zu erzielen. Diese können den Ausgleich des Kapitalflusses, die Verbesserung des Warenbestandsmanagements sowie Maßnahmen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens beinhalten.
Wenn es um verschiedene Bestandteile des Inventars und dessen Optimierung geht, gilt es mehrere Schlüsselüberlegungen anzustellen. An erster Stelle steht für die meisten Unternehmen die Verfügbarkeit der Produktionsmittel: es muss stets geeignetes Material erhältlich sein, um die Nachfrage zu erfüllen. Diese kann aufgrund von Einflüssen wie saisonalem Bedarf, gezielten Marketingkampagnen für bestimmte Produkte und anderen Marktentwicklungen stark variieren. Es gilt also sicherzustellen, dass möglichst wenig Inventar lange im Lager vorgehalten wird und Kapital bindet, aber gleichzeitig auch, dass es schnell verfügbar gemacht werden kann, wenn es benötigt wird – Stichwort „Just in time“.
Versteckte Kosten und ungenutzte Potenziale
Bei einer wachsenden Anzahl an Zulieferern, die Einkaufsabteilungen und Supply-Chain-Manager betreuen müssen, ist das Inventar-Management laut Samson eine echte Mammutaufgabe. Denn neben der Optimierung der Bestellmengen müssen Zulieferer auch validiert und betreut werden. Daneben ist die administrative Seite, wie Purchase Order Management, Rechnungsstellung und die Verwaltung von SKUs (Stock Keeping Units) etc. zu beachten.
„Ein möglicher Ansatz ist es daher, sich auf die Kernlieferanten zu konzentrieren und die Betreuung der vielen Lieferanten für nicht geschäftskritische Materialien an einen Partner auszulagern. Spezialisierte ‚Superlieferanten‘ übernehmen das Management dieser nicht geschäftskritischen Lieferanten sowie die Verantwortung für die Lieferkette und die Verfügbarkeit der Waren.“, erklärt Samson. „Das bedeutet, sie sorgen dafür, dass die benötigten Artikel in den Lagern jederzeit in der optimalen Menge und zum optimalen Preis verfügbar sind. Darüber hinaus verfügen sie über mehr Tools und ggf. zusätzliche Bezugsquellen, um den Warenfluss und die damit verbundenen Kosten zu optimieren. Außerdem können so die in einem Lagerbestand gebundenen Finanzmittel drastisch reduziert werden, um sie stattdessen für die Umsetzung wichtiger Maßnahmen – von der Digitalisierung über Innovationsentwicklungen bis hin zum Marketing – einzusetzen.“
„Ein ‚Superlieferant‘ kann auch die Anzahl der notwendigen finanziellen und operativen Transaktionen und Ressourcen sowie die Kosten reduzieren, die mit den Rechnungsabwicklungen oder Zahlungen an viele unterschiedliche Lieferanten in verschiedenen Regionen und Währungen verbunden sind. Das Ziel ist es, das gesamte Zahlungsverfahren zusammenzufassen und einmal im Monat eine Rechnung in einer Währung zu erstellen. Geeignete ‚Superlieferanten‘ können hier entscheidende Unterstützung und Beratung bieten“, erläutert Samson abschließend. (ys)