Der 1. März 2023 dürfte als besonderer Tag in die Geschichte der weltweit führenden Strategieberatung McKinsey eingehen. Aus einer völlig überraschenden E-Mail der Senior-Partner an das Netzwerk der 44.000 ehemaligen McKinsey-Mitarbeiter weltweit geht laut Titelstory des Handelsblattes hervor, dass das Beratungshaus selbst nach der richtigen Strategie für die kommenden Jahre sucht. In der Mail heißt es „Unser Geschäftsmodell passt nicht mehr für die Zwecke einer modernen Firma“. Erstaunlich selbstkritisch wird darauf hingewiesen, dass das Geschäftsmodell schon seit einer Dekade nicht mehr überprüft worden sei. Dies macht deutlich, dass die Beratungspraktiken der Vergangenheit offenbar nicht mehr so recht tragen.
Dabei scheint auf den ersten Blick bei McKinsey alles in bester Ordnung zu sein: Die Mitarbeiterzahl stieg auf mittlerweile 45.000 in 65 Ländern, und der Jahresumsatz wuchs auf 15 Mrd. Dollar in 2021 (in 2022 dürfte es noch einiges mehr gewesen sein). Leider gibt es aber keine Informationen über Rentabilität und Free Cash Flow des Beratungshauses. Aufhorchen lässt die Tatsache, dass gerade in jüngster Zeit von den McKinsey-Oberen nicht bestätigte Berichte über anstehende Stellenstreichungen in der Wirtschaftspresse kursieren.
Aufwändige Recherchearbeit
Dass wohl bei McKinsey doch nicht alles Gold ist, was glänzt, macht das vorliegende Buch, mehr als deutlich. Die beiden preisgekrönten Investigativ-Journalisten der New York Times, Walt Bogdanich und Michael Forsythe, haben Hunderte von Interviews geführt, Zehntausende von aufschlussreichen vertraulichen Dokumenten erhalten und zeichnen – typisch für ein Schwarzbuch – sehr kritisch das Porträt eines Unternehmens, das in scharfem Widerspruch zu seinem Image steht und dringend einen tatsächlich gelebten Purpose benötigt.
McKinsey propagiert wohlklingende Handlungsmaximen, schafft es dann aber nicht, diesen im harten Wettbewerb um Beratungsmandate gerecht zu werden. Die Autoren haben sich vor diesem Hintergrund auf die Darstellung von Missständen fokussiert. Sie greifen Skandale auf, in die McKinsey direkt oder indirekt involviert war, weisen aber etwas zu einseitig die Schuld den Beratern zu und vergessen dabei deren Auftraggeber. Sie behandeln ausführlich die Verwicklungen von McKinsey in die amerikanische Opiodkrise, für die das Beratungshaus rund 600 Mio. Dollar in einem Vergleich ohne juristisches Schuldeingeständnis zahlte.
Interessante Analysen
Anhand zahlreicher konkreter Beispiele, in denen die Journalisten Ross und Reiter nennen, gehen sie der Frage nach, wie McKinsey in den vergangenen Jahren gearbeitet hat, und welche Folgewirkungen die Beratungsepisoden hatten. Keineswegs führte die teure Beratung in allen Fällen dazu, dass die beratenen Unternehmen auf den Pfad nachhaltig erfolgreicher Strategien geleitet wurden. Zu oft ging es den Beratern um Kurzfristeffekte durch radikales Cost-Cutting insbesondere durch Personalentlassungen. Die mittelfristigen Folgewirkungen für die Stakeholder der beratenen Unternehmen wurden dabei nicht beachtet mit desastösen Konsequenzen.
Die Autoren haben auch herausgefunden, dass McKinsey keineswegs Interessenkonflikte vermeidet, indem Beratungsmandate von miteinander im harten Wettbewerb stehenden Unternehmen angenommen werden. Ebenso würden Regierungsstellen auch von autokratischen Regimes beraten, die wiederum den regulatorischen Rahmen für Unternehmen aus dem McKinsey-Klientel gestalten.
Die Lektüre des Buches ist lohnend. Sie dürfte McKinsey-Fans nicht schmecken und sie bestätigt die Vorbehalte der McKinsey-Skeptiker.
Die Lektüre macht aber auch deutlich, dass diejenigen, die die Beratungsmandate vergeben, das Heft in der Hand behalten müssen und klare Vorstellungen über die Beratungsziele haben sollten, bevor es heißt „McKinsey is coming to town“.