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Claudia Kölmel, Leiterin Travel Management bei SEW-Eurodrive

Claudia Kölmel, Leiterin Travel Management bei SEW-Eurodrive
„Im Risikomanagement ist immer noch der Mensch gefragt“

Vor der Pandemie haben die Mitarbeitenden des global agierenden Antriebstechnikherstellers SEW-Eurodrive allein aus Deutschland 20.000 Reisen unternommen. Wie sich das Sicherheits- und Nachhaltigkeitsbewusstsein in den letzten Jahren verändert hat, welche Herausforderungen das mit sich bringt und wie digitale Tools hierbei unterstützen, erzählt Claudia Kölmel, Leiterin Travel Management, im Interview.

Das Interview führte Yannick Schwab, Redaktion Beschaffung aktuell

Beschaffung aktuell: Frau Kölmel, würden Sie Ihre Abteilung und Ihre Arbeit im Travel Management einmal vorstellen?

Claudia Kölmel: Ich arbeite seit 2004 bei SEW-Eurodrive und bin dort mit meinem Team im HR-Bereich angesiedelt. Wir sind eine Einkaufs- sowie Organisationsabteilung und wickeln einen End-to-End-Prozess ab. Wir kümmern uns im Anschluss an Reisen auch um den nachgelagerten Prozess, unter anderem die Reisekostenabrechnung. Wir sind also auch eine Art Finanzabteilung. Die Organisation innerhalb des HR-Bereichs passt gut, weil wir es mit Menschen zu tun haben. Wir lernen die Mitarbeiter anders kennen. Ich sage immer zu meinen Recruiting-Kollegen: „Bevor wir jemanden einstellen, schicken wir ihn zwei Wochen auf Reisen. Danach wissen wir, wie er tickt.“

Zu wievielt arbeiten Sie in Ihrem Team?

Wir sind sechs Personen mit ganz individuellen Aufgaben. Ich habe Kollegen im Team, die für unsere Mitarbeiter Reisen buchen oder sich um Kreditkarten und Langzeitmieten kümmern. Wir haben Spezialisten für Lohnsteuer- oder Immigration-Themen – also alles rund um den Kontakt zu Botschaften und das Thema Arbeitserlaubnis. Zusätzlich kümmert sich ein Kollege um das Projektmanagement. Ich selbst steuere den Bereich und helfe dort, wo es Engpässe gibt. Zu meinen Hauptaufgaben gehört der Einkauf von Reiseleistungen. Dabei gilt es, die Servicequalität hochzuhalten und gleichzeitig die Kosten zu reduzieren. Wir arbeiten mit circa 200 Dienstleistern zusammen. Ich verhandle mit Airlines, Hotels, Visa- und Mietwagen-Anbietern oder mit der Bahn.

Nutzen Sie Tools, um die Servicequalität hochzuhalten und gleichzeitig auf die Kosten zu achten?

Es gibt verschiedene Quellen, die wir heranziehen. Ein Beispiel: Ich werte mit unserem Hotelbuchungstool aus, dass wir 200 Übernachtungen in München in zwanzig verschiedenen Hotels hatten. Irgendwas stimmt da also nicht. Dann überlege ich, ob und wie wir konsolidieren können. So finden wir neue Kooperationen und trennen uns von alten.

Ich bin im Verband Deutsches Reisemanagement (VDR) organisiert und dort sehr gut vernetzt. Seit vielen Jahren sitze ich in den Fachausschüssen Sicherheit, Ground Mobility und Mittelstand. Travel Management in einem Industrieunternehmen ist eher exotisch. Als ich zu SEW kam, gab es keine Konsolidierung der Reiseströme. Deshalb bilde ich heute Benchmarks mit Unternehmen vergleichbarer Größe. Das hilft, ein Gefühl dafür zu bekommen, ob wir gut unterwegs sind oder wo wir noch Optimierungsbedarf haben. Oder nehmen Sie unsere Entwicklung im Mietwagenbereich. Dort sind die Anbieter dazu übergegangen keine festen, sondern je nach Angebot, dynamische Raten zu verhandeln. Darauf müssen wir natürlich reagieren, uns Gedanken machen und schlussendlich neu ausschreiben.

Sie sind bei Geschäftsreisen also noch nicht auf dem Vor-Corona-Niveau?

2019 wurden 20.000 Reisen von Deutschland aus unternommen. Jetzt sind wir bei ungefähr 60 Prozent davon. Gefühlt haben wir aber mehr Arbeit, da das Thema Reisesicherheit eine ganz andere Rolle spielt und sich unsere Prozesse durch die Pandemie verändert haben. Wir müssen jede Auslandsreise einer Gefährdungsanalyse unterziehen und prüfen, wie die Einreisebestimmungen sind. Das gab es vor Corona nicht. Wir hatten zwar schon ein Risk-System, aber das war im Prinzip automatisiert und nicht so umfangreich.

Geht das Reisevolumen durch die Etablierung virtueller Meetings während der Pandemie zurück?

Ja, das ist ein Thema. Und trotzdem ist der Wunsch nach Präsenztreffen in vielen Fällen wieder groß. Allerdings haben wir natürlich das Thema Nachhaltigkeit im Fokus. Das hat einen großen Einfluss auf unsere Arbeit. Wenn früher für ein Zwei-Stunden-Meeting vier Stunden geflogen wurde, stellen wir uns heute die Frage, ob das nicht besser virtuell durchgeführt werden kann.

Wir haben in einigen Ländern eine neue Abrechnungslösung eingeführt. Während Corona habe ich mich wirklich gefragt, wie wir das ohne Reisen machen sollen. Wöchentlich stundenlang mit internationalen Kollegen telefonieren? Und siehe da, es hat funktioniert. Es gab ein paar Anlaufschwierigkeiten. Schlussendlich haben wir aber die Niederlande, Italien sowie Spanien auf dieses System umgestellt, ohne die Kolleginnen und Kollegen tatsächlich gesehen zu haben. Ohne Corona wären wir in diese Länder gereist oder die Kollegen eben zu uns.

Welche Hebel zur Reduzierung der CO2-Emissionen sehen Sie im Travel Management?

Wir wurden beauftragt, die aktuell auf Wirtschaftlichkeit ausgelegte Reiserichtlinie auf Nachhaltigkeit auszurichten. Das heißt beispielsweise, dass wir bei Mietwagen schauen, wo es vollelektrische oder Hybrid-Autos gibt. Oder, dass wir innerdeutsche Flüge streichen und den Kolleginnen und Kollegen dafür eine Fahrt mit der Bahn anbieten. Derzeit bieten wir auch Shuttles von zuhause an die Flughäfen an. Die Kosten dafür sind hoch und meistens sitzt eine Person im Auto. Auch hier setzen wir vermehrt auf die Alternative Bahn. Bei Airlines schauen wir auf diejenigen, die ein Nachhaltigkeitskonzept haben oder die Möglichkeit bieten, CO2 zu kompensieren. Für uns war es wichtig, erstmal Gebote zu machen und keine Verbote. Wir wollen Leitlinien an die Hand geben und motivieren, bevor es letztendlich verpflichtend wird.

Messen Sie bei Reisen entstehende Emissionen?

Unsere Dienstleister können nachweisen, wie viel CO2-Ausstoß wir produziert haben. Wir haben angefangen diese Daten zu sammeln. Bei der Bahn reisen wir als Business-Kunde mit Öko-Strom. Wir werden künftig auch „grüne Hotels“ auf unserer Hotelplattform ausweisen. Möchte der Mitarbeitende in ein nicht-grünes Hotel, muss er eine Begründung eingeben. So haben wir verschiedene Ansätze, die uns momentan bewegen. Es gibt im Unternehmen ein Nachhaltigkeitskomitee, bei dem besonders der Produktionsbereich im Fokus steht. In diesem Komitee wurde aber auch festgestellt, dass die Mobilität der Belegschaft ein wichtiges Thema ist. Deswegen wurden Dienstreisen jetzt auch priorisiert, was das Thema Nachhaltigkeit angeht. Ich und mein Team haben dazu Verbesserungsvorschläge erarbeitet. Wir haben viele Ideen gesammelt und sie bereits dem Nachhaltigkeitsbeauftragten vorgestellt.

Das Sicherheitsempfinden hat sich verändert. Wie unterstützen Sie die Belegschaft hier?

Wir haben 2019 ein Travel-Risk-Management bei SEW eingeführt. Das war in der Pandemie unsere Rettung, da wir es um Corona-Maßnahmen erweitern konnten. Wenn ein Ticket gebucht wird, laufen die Informationen im Hintergrund in ein Tracking-System. Dort wird die „Farbe“ des Landes festgelegt. Diese wird aus Sicherheits- und medizinischen Risiken ermittelt. Ein Land, das bei der Sicherheit mit grün bewertet wird und bei Medizin mit orange, erhält im Ergebnis die Farbe Gelb. Für jede Farbe leiten sich dann verschiedene Maßnahmen ab, die automatisiert im Hintergrund generiert werden. Bei der Farbe Grün bekommt der Mitarbeiter ein „Pre Trip Advisory“, eine Länderinformation und -datenbank. Dort kann er sich über gefährliche Regionen, medizinische Hinweise, das nächste Krankenhaus oder Notfallnummern informieren. Auch ein Knigge ist dabei. Bei der Farbe Rot wird ein sogenanntes Risk Assessment erstellt auf dessen Basis entschieden wird, ob der Mitarbeiter reisen soll oder nicht. Während der Pandemie gab es viele rote Länder. Wenn die Reise dann trotzdem durchgeführt wird, greifen etliche Sicherheitsmaßnahmen.

Wir haben auch einen Travel Risk Manager outgesourct. Das ist ein Dienstleister, der uns diese Informationen zur Verfügung stellt und im Notfall 24/7 als Kontaktperson agiert. Wenn ich an Erdbeben oder Terror denke, brauchen wir Leute vor Ort, die weiterhelfen und die Menschen schnell aus dem Land holen. Wir haben „Authorized Persons“ die dann angerufen werden und Gelder freigeben können. Da geht es um Sekunden. Ansonsten entscheidet unser Travel Risk Manager bis zu einem festgelegte Betrag selbst, welche Maßnahmen ergriffen werden.

Ist das ein Sonderfall oder passiert das häufiger?

Das ist eine Ausnahme. Was vorkommen kann, sind Magen-Darm-Probleme, Herzkreislauferkrankungen oder ein Knochenbruch nach einem Sturz. Etwas anderes sind Sicherheitsthematiken wie Überfalle. Da müssen wir unsere Reisenden sensibilisieren. Ab der Risikofarbe Orange bekommen sie eine persönliche Unterweisung. Reist jemand beispielsweise nach Brasilien, checkt der Travel Risk Manager vorher, ob derjenige Vorerkrankungen hat oder Medikamente nehmen muss. Wie ist die Sicherheitslage? Gibt es einen Transfer vom Flughafen? Wie kommt der Mitarbeitende morgens zum Kunden oder zu seiner Baustelle? Auch das Hotel wird überprüft.

All diese Dinge werden dokumentiert und zehn Jahre bei uns aufbewahrt, da wir auch hier haftbar gemacht werden können. Ein Beispiel: Wir haben den Mitarbeitenden nicht aufgeklärt, dass er in ein Land reist, in dem Malaria übertragbar ist. Dort erkrankt er und verklagt die SEW. Dann müssen wir nachweisen, dass wir ihn darüber aufgeklärt haben, dass es sich um Malaria-Gebiet handelt.

Wie handhaben Sie den Umgang mit Kriegs- und Krisengebieten?

Generell haben wir für Kriegsgebiete ein Reiseverbot. Anrainerstaaten sind unterweisungspflichtig und es wird geprüft, ob eine Reise notwendig ist. Bei der Risikoeinstufung wird der Vorgesetzte in Kopie genommen und es ist auch schon passiert, dass eine Reise abgesagt wurde, weil die Führungskraft gesagt hat, dass wir eine Fürsorgepflicht für den Mitarbeitenden haben. Man kann natürlich auch selbst entscheiden, dass man nicht reisen möchte.

Wie läuft die Reisebuchung konkret ab? Gibt es eine Plattform für die Mitarbeiter?

Wir machen das in unserem Bereich zentral für alle Mitarbeitenden. So fällt die Steuerung leichter. Das heißt, wir wählen auch das Verkehrsmittel. Wir geben den Reisenden klare Vorgaben, was gemacht werden darf und was nicht. Wir überlegen aktuell, gewisse Dinge in den Self Service zu geben – zum Beispiel innerdeutsche Bahnfahrkarten. Wir können die Online-Buchungsmaschine so gestalten, dass Richtlinien abgebildet sind. So hat der Mitarbeitende gar nicht die Möglichkeit, gewisse Dinge zu buchen. Ein Hotel ab 400 Euro ist dann zum Beispiel nicht ohne weiteres buchbar. Wenn es trotzdem gebucht werden soll, muss eine Begründung angeben werden. Ein solches Tool haben wir bereits, es steht aber heute noch nicht allen zur Verfügung.

Im Moment haben wir einen papiergebundenen Prozess, den wir digitalisieren wollen. Der Reisende kann dann von unterwegs über die App seine Auslagen erfassen und wegschicken. Oftmals hat man Wartezeiten, in denen Mitarbeitende ihre Belege abfotografieren und in das System geben können, um diese gleich zur Abrechnung vorzubereiten. Dann haben sie das Thema vom Tisch und müssen sich im Büro nicht darum kümmern. Mithilfe von smarten Tools wird dann beispielsweise erkannt, dass es sich um einen Parkbeleg handelt, welcher in Mannheim ausgestellt wurde und fünf Euro gekostet hat. Bestätigt man diese Informationen, verbucht das System den Beleg mit dem korrekten Steuersatz. Es geht schneller, einfacher und man muss kein Papier ausdrucken. Davon erhoffen wir uns mehr Mitarbeiterzufriedenheit. Wir haben den Auftrag, das in 40 Ländern zu implementieren und jedes hat eine andere Gesetzgebung. Das ist eine Menge Arbeit. Die ersten drei Länder sind allerdings schon live.

Das Thema Künstliche Intelligenz stößt aktuell auf großes Interesse. Sehen Sie im Travel Management Ansätze zur Nutzung von KI?

Es gibt schon erste Ansätze wie Online-Reisebüros, die mit Chatbots arbeiten. Für einfache Tätigkeiten werden wir irgendwann vermutlich keine Menschen mehr brauchen. Wir werden uns dann aber umso mehr für die Themen Immigration und Beratung einsetzen. Während der Pandemie sind die Kolleginnen und Kollegen sehr unsicher gewesen. Ich glaube, wenn eine künstliche Intelligenz mit ihnen gesprochen hätte, wäre das nicht gut gegangen. Im Risikomanagement ist immer noch der Mensch gefragt.

Beim Erkennen und Auswerten von Risiken stellt es sich anders dar. Wir nutzen einen sogenannten Travel Tracker von einem Assistance-Unternehmen. Das ist eine Länderdatenbank, die sich ihre Informationen aus allen möglichen Quellen beschafft. Hier gibt es zum Beispiel Krisenreaktionszentren in der ganzen Welt. Wir bekommen dann eine Special Advisory, die beispielsweise so klingt: „Achtung! Wahlen in der Türkei, es kann zu Ausschreitungen kommen.“ Im Tracker kann ich dann sehen, wer gerade in der Türkei ist, und eine personalisierte Meldung schicken. Die Reisenden erhalten daraufhin eine Push-Nachricht. Wenn sie sich in einem solchen Fall nicht innerhalb von zwei Stunden zurückmelden, versuchen wir sie anderweitig zu erreichen. So kümmern wir uns mithilfe von KI um die Sicherheit der Reisenden.

Gibt es darüber hinaus noch Tools, die Sie im Reisemanagement verwenden?

Wir haben einen sogenannten Information Manager, in den alle Buchungsdaten fließen. Damit können wir Analysen und Kennzahlen erstellen. Wenn es um das Thema Nachhaltigkeit geht, kann man dort beispielsweise schauen, wie oft innerdeutsch gereist wurde. Unser Controlling kann mir sagen, welche Reisekosten wir verursacht haben, allerdings nur sehr oberflächlich. Deshalb brauche ich dafür ein eigenes Tool. Das haben wir von unserem Kreditkartenanbieter erhalten. Wir können darin aber auch andere Daten einfließen lassen, wie die persönlichen Kreditkarten und was der Mitarbeitende bar oder mit Karten bezahlt. Diese Informationen können wir dann auswerten und analysieren.


Claudia Kölmel

… arbeitet seit 2004 bei der SEW-Eurodrive GmbH & Co KG in Bruchsal und leitet dort das Travel Management. Die erfahrene Spezialistin für Reisemanagement hat Tourismus studiert. Kölmel ist im Verband Deutsches Reisemanagement (VDR) organisiert und in mehreren Fachausschüssen zu Sicherheit, Mittelstand und Ground Mobility vertreten.

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