Beschaffung aktuell: Herr Wolff, wie managt das Familienunternehmen Ritter Sport seine Lieferbeziehungen?
Asmus Wolff: Stabile langfristige Lieferantenbeziehungen sind uns als Familienunternehmen extrem wichtig. Durch die Krisen seit 2020 sind wir durch unser langfristiges Handeln sehr gut durchgekommen. Wir hatten keinerlei Lieferausfälle. Dazu kommt unsere Rückwärtsintegration. Ritter Sport produziert z. B. seinen eigenen Kakao. Dadurch haben wir nicht nur ein großes Wissen über den gesamten Anbau des Kakaos als solches, sondern auch darüber, was vor Ort benötigt wird, um effizient zu produzieren und eine hervorragende Qualität zu erzielen. Wir wissen, welche Rahmenbedingungen notwendig sind, damit die Erträge stabil bleiben und es den Menschen, die für uns arbeiten, gut geht.
Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit in Ihren Lieferketten?
Wolff: Daran arbeiten wir seit Jahrzehnten und kommunizieren dies für die Marke künftig noch sehr viel stärker. Um diese Aussagen treffen zu können, entwickeln wir seit 30 Jahren unsere Supply Chain und unser Unternehmen in diesem Sinne. Glaubwürdigkeit steht für uns an erster Stelle. Deshalb lassen wir alle Schritte durch externe Expertise begleiten. Für die Messung unserer CO2-Emissionen arbeiten wir zum Beispiel mit der Science Based Targets Initiative. Die SBTI ist die von der UN akkreditierte Gesellschaft, die auf wissenschaftlich basierten Daten unsere Emissionen und die unserer Lieferkette berechnet, sodass wir vom Feld bis zum Konsumenten unsere CO2-Bilanz haben.
Ist das nicht deutlich aufwändiger als andere Verfahren?
Wolff: Wir glauben nicht daran, dass wir einen Schalter umlegen können und morgen die Welt ganz anders ist. Wir haben ein Commitment abgegeben, dass wir das 1,5 Grad Ziel durch unsere Aktivitäten unterstützen. Das ist ein extrem hartes Ziel. Das bedeutet, dass wir unsere gesamte Emission über alle Scopes um 42 Prozent absolut reduzieren müssen. Das heißt also, wenn wir weiterwachsen, was wir hoffen, sind diese 42 Prozent der Deckel. Damit betreten wir eine neue Welt, in der wir nicht mehr nur relative Parameter anschauen, also die CO2-Emissionen pro Kilogramm Schokolade. Sondern absolut, bezogen auf all unsere Aktivitäten und die unserer Lieferanten. All das muss 42 Prozent runter. Und das wollen wir bis 2030 erreichen.
Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz hat Ritter Sport ausdrücklich begrüßt. Warum?
Wolff: Für uns ist ein Geschäft, das nur für eine Seite ein Geschäft ist, kein Geschäft. Auch unsere Lieferanten aus Afrika, Asien, Südamerika müssen ein Geschäft machen und mit ihren Familien davon leben können. Das ist uns von jeher extrem wichtig, deshalb haben wir die Gesetzesinitiative von Anfang an unterstützt und bei der Ausarbeitung des Gesetzes mit Ansätzen, die das in die Realität bringen, geholfen. Alles fängt mit der Risikoanalyse an. Genauso sind wir für unsere Lieferketten vorgegangen. Für unser Geschäft bedeutet dies, dass 95 Prozent unseres Impacts, dort, wo wir etwas bewirken können, in vier Rohstoffen, Kakao, Milchpulver, Palmfett, Haselnüsse und in den Packstoffen stecken.
Was bedeutet dies für Ihr Lieferanten- und Warengruppenmanagement?
Wolff: Wir haben unseren Fokus auf diese Warengruppen gelegt. Ganz vorne steht der Kakao, weil dieser für unsere Produkte der geschmacksgebende Inhaltsstoff ist und weil wir dort im globalen Maßstab jemand sind, der etwas bewirken kann. Dann kommen Fette, Milchprodukte, Zucker und Packstoffe und damit insgesamt rund 50 direkte Lieferanten. Die übrigen 1000 bearbeiten wir in anderer Form. Wir haben drei Risikostufen, für die wir unterschiedlich in die Tiefe gehen. Das wurde in den Handreichungen zum LkSG genauso abgebildet.
Der Vorschlag kam von Ritter Sport?
Wolff: Ja, der Vorschlag die Risikoanalyse so aufzubauen, kam von uns. Weil wir wissen, dass man so einen ganz großen Teil seines Einflusses auf die 17 SDG (Sustainable Development Goals) der UN managen kann. Für alle wesentlichen Rohstoffe haben wir mit Wissenschaftlern und Nichtregierungsorganisationen Zielbilder erarbeitet.
Wie sehen diese Zielbilder aus?
Wolff: Wir haben umfassend beschrieben, was wir von einem Lieferanten in zehn Jahren erwarten, damit wir ihm glauben können, dass er nachhaltig arbeitet. Für die Milch haben wir das mit dem Thünen Institut erarbeitet. Wir waren vor Ort, haben uns ein Bild gemacht, Experten befragt, was ist wichtig für die Haltung einer Milchkuh, welche Themen müssen wir an Bord nehmen. Wenn wir einem Schwarzwälder Milchbauern sagen, er müsse seine Kühe auch bei extremem Minusgraden auf der Weide lassen, funktioniert das nicht. Es geht um realistische Zielbilder. Diese haben wir für alle strategischen Roh- und Packstoffe entwickelt, kommunizieren und auditieren sie und es gibt Benefits für Lieferanten, die in diese Richtung arbeiten.
Wie sieht es mit den CO2-Zielen aus?
Wolff: Für CO2 haben wir seit zwei Jahren Ziele für die Lieferkette formuliert. Für unser strategisches Ziel, nämlich CO2-neutrale Rohstoffe, gibt es eine stringente Zeitlinie, die wir mit den 50 Top-Lieferanten durcharbeiten.
Können alle Lieferanten schon eine CO2-Billanz vorweisen?
Wolff: Das ist sehr unterschiedlich. Es hängt jedoch weder an Regionen, noch Branchen, noch an der Unternehmensgröße, wie eine Firma hier aufgestellt ist, sondern einzig am Unternehmen selbst. Von manchen bekommen wir ganze Dossiers, extern zertifiziert. Von anderen noch nichts. Bei diesen Lieferanten müssen wir sehen, ob wir uns gemeinsam in die gleiche Richtung bewegen können.
Werden Sie Lieferbeziehungen beenden, wenn die Firmen die Transformation nicht mitgehen?
Wolff: Wenn wir überhaupt nicht weiterkommen, auf jeden Fall. Und wir lassen andere Lieferanten zu, das heißt geben neue Partner für den Einkauf frei, die sehr fortgeschritten sind. Ich komme nochmal zur Milch. In Irland gibt es seit Jahren eine Gesetzgebung, die extrem fortschrittlich ist, was das Tierwohl angeht. Man kann also aus Irland mit sehr gutem Gewissen Weidemilch kaufen. Deshalb haben wir Weidemilch aus Irland im Portfolio trotz des längeren Transports. Einfach, weil wir in der konventionellen Landwirtschaft in Deutschland nicht so weit sind. Das nehmen wir als Benchmark für unsere Lieferpartner. So versuchen wir das Themen nach vorne zu bringen.
Müssen Sie nah so an den Ursprung, um etwas zu bewirken?
Wolff: Bei unserem größten Rohstoff, dem Kakao, ist die direkte Zusammenarbeit mit den Landwirten und ihren Erzeugerorganisationen seit Jahrzehnten vorhanden und gewünscht. Seit 2012 bauen wir unsere Plantage in Nicaragua auf. Das ist eine der größten Kakaoplantagen der Welt, die wir gegründet haben, um zu zeigen, wie man Kakao im Einklang mit Mensch und Natur anbauen kann – in einem Agroforstsystem mit Kakao- und Schattenpflanzen. Dort leben wieder Faultiere und Krokodile. Daneben haben wir ein hochmodernes Agrarsystem, mit sehr guten Leistungen der Bäume, weil wir den Bestand nicht ausbeuten, sondern im Einklang mit der Natur bewirtschaften. Der Großteil unserer Kakaolieferanten sitzt aber in Afrika. Mittlerweile können wir unseren gesamten Kakaobezug bis zur Erzeugerorganisation zurückverfolgen. Bis 2025 haben wir die volle Transparenz bis zum Bauern. Das ist uns extrem wichtig, weil wir nur so etwas verändern können.
Wie ist Ihnen das gelungen?
Wolff: Wir schließen Programmverträge mit den Herstellerorganisationen. Meist sind dies Kooperativen, zu denen sich mehrere 100 Landwirte zusammengeschlossen haben. Diese Kooperativen verarbeiten den Kakao weiter und verkaufen ihn an Händler. Für 85 Prozent unserer Kakaolieferungen haben wir bereits Vereinbarungen mit den liefernden Organisationen. Um die Programme aufzusetzen, haben wir über eine mehrjährige Studie mit dem Sustainable Agriculture Network für die verschiedenen Herkünfte untersucht, was die Menschen vor Ort brauchen. Für manche Kommunen sind das Schulen, in anderen spielt Kinderarbeit nach wie vor eine Rolle, für wieder andere sind es Brunnen. Basierend auf dieser Studie haben wir unsere Programme entwickelt und das in Verträgen festgehalten. Die Verträge beinhalten auch unsere Investitionen, die wir vor Ort machen. Wir bezahlen also den Bauern nicht nur den Kakaopreis, sondern unterstützen sie auch, ihre Communityprojekte zu entwickeln, also beim Bau von Brunnen oder der Schule. Und wir stellen vor Ort sicher, dass die Themen auch umgesetzt werden.
Sie entwickeln Ihre Lieferanten also schon auf Rohstoffebene?
Wolff: Die Anbauländer verfügen über sehr viel Kakaowissen. Über einen Austausch mit dem von uns auf unserer Plantage El Cacao Erlernten schaffen wir eine Symbiose. Wir verstehen die Bedarfe der Bäuerinnen und Bauern, können aber auch unsere Anforderungen zum Beispiel an Qualität einbringen und gemeinsam weiterentwickeln. So bekommen wir reinste Rohstoffe, frei von Kontaminanten. Und wir haben ein großes Verständnis über den Geschmack der verschiedenen Kakaosorten entwickelt. Kakao ist ein bisschen wie Wein. Es gibt unterschiedliche Bäume, Böden, Anbaubedingungen. Wir setzen für unsere Schokoladen keine Aromen ein, nicht zuletzt, weil unser Kakao ein so klares Geschmacksprofil hat. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal, auf das wir sehr stolz sind. Möglich ist das, weil wir den Rohstoff und die einzelnen Verarbeitungsstufen verstehen und mitbestimmen.
Lohnt es sich wirtschaftlich, so tief in die Lieferkette einzusteigen?
Wolff: Wir sind profitabel und sind sicher, dass wir durch diese Arbeit eine Top-Qualität erzeugen und Verbraucherinnen und Verbraucher das honorieren – vielleicht nicht durch einen gewaltig höheren, aber doch einen höheren Preis. Wir glauben, dass sich Schokolade weiter differenzieren wird und dass wir das über unsere Produktrange wunderbar abdecken können. Qualitätsaspekte sind für uns extrem wichtig. Diese Investitionen lohnen sich vielleicht nicht im nächsten Jahr, aber sie lohnen sich. In unsere Plantage in Nicaragua investieren wir mit Hunderten Mitarbeitern vor Ort seit 2012. Die erste kleine Ernte war 2018. Das sind diese langen Linien, in denen wir als Familienunternehmen denken und handeln.
Macht das tiefe Engagement in der Lieferkette Ritter Sport auch innovativer?
Wolff: Ein Beispiel: Das süße Kakaofruchtfleisch, das beim Fermentationsprozess der Kakaobohnen einfach abfließt und im Boden versickert – und diese dabei übersäuert – fangen wir auf und haben unsere eigene Limonade aus Kakaofruchtsaft, einen Eistee und auch einen Kakao-Secco daraus entwickelt. So ergeben sich Chancen, die wir nicht hätten, wenn wir nicht selbst im Anbau tätig wären.
Welche Rolle spielt in dieser Transformation der Einkauf?
Wolff: Innerhalb der Geschäftsführung ist Nachhaltigkeit für alles, was die Wertschöpfungskette betrifft, in meinem Geschäftsressort verankert. Bei der Umsetzung betreffen 70 bis 80 Prozent der Themen den Einkauf. Nachhaltigkeit war bei uns noch nie eine Stabsfunktion, sondern wurde von Anfang an in die Funktionsbereiche implementiert. Die dominante Rolle spielt der Einkauf. Bis in den zentralen Steuerungskreis hinein.
Der Einkauf ist ja aber auch kostengetrieben.
Wolff: Ja das stimmt. Aber weil der Einkauf so überwältigend wichtig ist, ist er selbst in der Führung, leitet die Themen und bringt sie in die Umsetzung. Und zu diesen Entscheidungen gehört unter anderem auch jene, dass wir auch bei weiteren Kernrohstoffen in die Agrarproduktion einsteigen.
Wird Ritter Sport auch zum Verpackungsproduzenten?
Wolff: Das nicht (lacht), aber auch die Verpackung unserer Schokolade ist für uns extrem wichtig. Sie ist nicht nur quadratisch und enganliegend am Produkt, optimal für den Transport, die Einstofffolie ist auch seit Jahrzehnten bereits komplett recyclingfähig. Nichtsdestotrotz wissen wir, dass nicht alle Kunststoffe im Kreislauf und zu viele in der Natur landen. Deshalb haben wir gemeinsam mit unserem Papierlieferanten der Köhler Group ein Entwicklungsprojekt initiiert, um eine für uns brauchbare Papierverpackung zu entwickeln. Für Papier gibt es in den meisten Ländern etabliertere Recyclingkreisläufe als für Kunststoff. Die Primärverpackung ist für uns entscheidend, sie ist direkt an der Schokolade, schützt sie z. B. vor Verunreinigung, Beschädigungen beim Transport und muss haptisch schön sein. Bislang gab es mehrere Markttests mit Papierverpackung, aber wir sind noch nicht am Ziel.
Die Zusammenarbeit mit den Lieferanten wird auch hier enger?
Wolff: Solche großen Innovationen kann ein Unternehmen alleine gar nicht entwickeln. Man braucht die vorgelagerten oder nachgelagerten Ketten. Und man braucht Kunden, die das akzeptieren. Deshalb ist es wichtig, dass man mit dem Mindset anfängt. Und hier nehme ich ganz eindeutig einen Wandel wahr. In unserer Industrie, vom Handel bis zum Landwirt, haben alle verstanden, dass sich etwas ändern muss.
Auch die Logistik muss grün werden, wenn wir die Klimaziele erreichen wollen.
Wolff: Die Logistik ist in unserer Überzeugung ein Schlüssel in Richtung CO2-Neutralität. Anfang des Jahres haben wir hierzu einen tollen Schritt gemacht und unsere Kurzstreckenlogistik komplett elektrisch umgestellt. Für den Pendelverkehr zwischen Lager und Werk haben wir in Kooperation mit der Nagel-Group nicht nur zwei Elektro-Lkw gekauft. Wir stellen über eine PV-Anlage auch den Strom für die Lagerkühlung und den Pendelverkehr her. Außerdem versorgen wir über Solarthermie auf dem Lager auch noch 3000 umliegende Haushalte mit Fernwärme. Solche Zukunftsmodelle rechnen sich vom ersten Tag. Unser Ziel ist es, unsere Energie selbst zu erzeugen, daher gehen wir auch hier an den Ursprung. Das erste Windrad geht am 1. April ans Netz.
Ritter Sport
Das 1912 gegründete Familienunternehmen beschäftigt heute rund 1750 Mitarbeiter und erzielte 2021 einen Umsatz von 505 Millionen Euro. Ritter Sport bezieht laut eigenen Angaben als erster großer Tafelschokoladehersteller für das gesamte Sortiment ausschließlich zertifiziert nachhaltigen Kakao. Zusätzlich zum Aufbau der eigenen Kakaofarm El Cacao investiert das Unternehmen jährlich rund 7 Millionen Euro in Kakaoprogramme in Mittel- und Südamerika sowie in Westafrika.