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Hanno Höhn, GF von Mann+Hummel im Interview

Hanno Höhn, Geschäftsführer Deutschland, Mann+Hummel
„Der Einkauf ist für das agile Arbeiten prädestiniert“

Der Transformation in der Automobilbranche begegnet Mann+Hummel mit innovativen Produkten für die Luft- und Wasserfiltration. Wie sich die Umstellung auf Einkauf und Supply Chain Management auswirkt, erklärt Hanno Höhn, Geschäftsführer Deutschland. Sein Credo für den Wandel: Geschwindigkeit und Agilität.

Annette Mühlberger, freie Journalistin

Beschaffung aktuell: Herr Höhn, in Ihrem Verantwortungsbereich liegen der Einkauf und das globale Supply Chain Management für den Filtrationsspezialisten Mann+Hummel. Wie ist das Unternehmen durch die Lieferkrise gekommen?

Hanno Höhn: Die verschiedenen Wellen der Lieferkrise haben die Schwachstellen in der globalen Lieferkette offengelegt. Hinzu kam, dass sich in den Hochphasen der Krise die Nachfrage der Automotive-OEM völlig verschoben hat, sodass eine vergangenheitsorientierte Planung nicht mehr funktionierte. Wir haben die Schwankungen und Versorgungsengpässe unter anderem aufgefangen, indem wir uns im zentralen und regionalen Einkaufsmanagement mit Vertrieb, Logistik und Produktion tagesaktuell abgestimmt haben.

Welche Lehren haben Sie aus der Krise gezogen? Was machen Sie im Einkauf heute anders?

Höhn: Wir haben 2022 nach all dem Firefighting begonnen, unsere strategischen Hausaufgaben zu machen. Unter anderem unterstützen wir das Riskmanagement im Einkauf über einen Webcrawler, der direkt mit unserem Sourcingsystem verbunden ist. Wir haben im strategischen Lieferantenmanagement das Dual Sourcing ausgebaut mit dem Ziel Materialien immer auch aus einer zweiten Region, von einer weiteren Lieferquelle zu beziehen. Andere Materialien wie Stanz- oder Kunststoffteile haben wir im Rahmen von Make-or-Buy-Analysen auf Insourcing umgestellt und fertigen diese jetzt auch selbst. Außerdem gleichen wir die Konditionen zwischen unseren Kunden- und unseren Lieferantenverträgen sehr viel konsequenter ab. Das heißt, wir versuchen Volumenschwankungen, die wir unseren Kunden erlauben, auch gegenüber unseren Lieferanten einzufordern.

Gibt es auch Veränderungen im Supply Chain Management?

Höhn: In der SCM-Planung arbeiten wir sehr viel stärker mit vorausschauenden Analysen, um Unterbestände, aber auch ein Überlaufen der Bestände zu verhindern. Für die Produktion haben wir die Bestandszielgrößen angepasst, verhandeln im Einkauf kleinere Mindestbestellmengen, um optimale Bestandshöhen fahren zu können. Viele kleinere Bestellungen sind besser, als wenige große. Im Transportmanagement optimieren wir mit 4PL-Partnern unsere Transporte und deren Auslastungen. Ziel von Mann+Hummel ist dort zu fertigen, wo die Kundenbedarfe sind. Viele Themen, die wir jetzt umgesetzt haben, sind nicht neu. Die Pandemie und Lieferkrise waren aber ein weiterer Anschub für die Transformation, auch, weil Ressourcen und Investitionsmöglichkeiten freigesetzt wurden. Das Unternehmen hat erkannt, wie wichtig diese Optimierungen sind.

Wie geht der Einkauf mit den Preissteigerungen um?

Höhn: Das Spannungsfeld zwischen den Preiserhöhungen am Beschaffungsmarkt und dem Zeitpunkt, zu dem wir die Erhöhungen an Kunden weitergeben können, muss gut gemanagt werden. Hierfür ist der Einkauf mit dem Vertrieb und den Geschäftsbereichen noch einmal sehr viel enger zusammengerückt. Wir stellen die Preisentwicklungen detailliert auf Stücklistenbasis dar, bezogen auf Materialien, Lohnkosten, Frachtkosten, Energie.

Das Ende des Verbrennungsmotors ist eingeläutet. Wie bereiten Sie Ihre Supply Chain auf den Aus- und den Umstieg in neue Geschäftsfelder vor?

Höhn: Hierzu möchte ich zunächst etwas ganz Grundsätzliches zur Transformationsstrategie bei Mann+Hummel sagen. 2022 hat Mann+Hummel einen Umsatz von 4,8 Milliarden Euro erwirtschaftet. Davon stammen noch über vier Milliarden Euro aus dem Transportation-Bereich. Darunter fällt das Ersatzteil- und Servicegeschäft, das noch einige Jahre anhalten wird. Auch im Nutzfahrzeug- und Industriebereich wird die Umstellung Zeit brauchen. Parallel dazu investieren wir im Bereich alternative Antriebe. Egal, ob Fahrzeuge künftig batterieelektrisch, mit Wasserstoff oder synthetischen Kraftstoffen betrieben werden, der Bedarf an Filtration ist weiterhin groß. Hinzu kommen unsere Entwicklungen der Technologien im Bereich Wasser- und Luftfilter, für Abwasser, Feinstaub, Reinräume, Operationssäle, die Filtration von Gebäuden, von U-Bahn-Stationen. Hier bewegen wir uns erfolgreich in neuen Branchen mit zum Teil sehr unterschiedlichen Anforderungen und anderen Stückzahlen.

Was bedeutet das für Ihre Lieferkette?

Höhn: Die Struktur zu den Lieferanten muss anders gestaltet werden. Mehr Artikel, kleinere Stückzahlen, zum Teil sehr unterschiedliche Spezifikationen. Das erfordert eine andere Arbeitsweise im Einkauf, eine neue, agile Organisation und die Qualifikation der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in neuen Kompetenzfeldern wie der Elektronik.

Betrifft die Agilisierung nur den Einkauf?

Höhn: Der Einkauf hat Schnittstellen in ganz viele Unternehmensbereiche hinein und ist damit für das agile Arbeiten prädestiniert. Aber natürlich kann er sich nicht alleine transformieren. Die Geschwindigkeit und die Umsetzungsorientierung sind für den Erfolg in den neuen Märkten zentral.

China treibt bei vielen Technologien die Entwicklung voran. Das Mantra dort lautet: Fortschritt geht vor Perfektion.

In Deutschland hemmt uns oftmals die Regulatorik. Die deutschen Normen waren über Jahrzehnte ein weltweiter Standard, der die Unternehmen geschützt hat. Diese Eintrittsbarriere zerfließt gerade.

Wie begegnen Sie dem neuen Wettbewerb?

Höhn: Wir nehmen es sportlich. Für mehr Geschwindigkeit in der Transformation haben wir vor zweieinhalb Jahren ein Performance Office gegründet, direkt angedockt an CEO und CFO. Damit haben wir Transparenz über die verschiedenen Transformationsprojekte im Unternehmen bekommen, die Geschwindigkeit in der Umsetzung gesteigert und Priorisierungsprobleme erkannt. Das alleine reicht aber nicht aus. Nun kombinieren wir die großen strategischen Initiativen noch mit der agilen Methodik. Am Anfang stehen die Vision und die emotional besetzten Ziele, die zum Handeln motivieren. Für Mann+Hummel sind dies „Leadership in Filtration – wir trennen das Nützliche vom Schädlichen“ sowie unser Einsatz für saubere Mobilität, saubere Luft und sauberes Wasser. Für die Umsetzung geht es um eine ergebnis- und wirkorientierte Denkweise und um die richtige Methodik. Wir gehen weg von den starren langen Planungszeiträumen, hin zu kurzen, drei- bis sechsmonatigen Entwicklungszyklen und Sprints. Den agilen Ansatz haben wir in das gesamte Unternehmen ausgerollt, über alle Geschäftsbereiche und Funktionen. Die Ziele stimmen wir miteinander ab und führen die Projekte im Performance Office zusammen.

Was haben Sie im Einkauf bereits umgesetzt?

Höhn: Im Einkauf haben wir die Jobbeschreibungen verändert und neue Rollen eingeführt. Es gibt einen Projekteinkauf zur Unterstützung der neuen Geschäftsfelder und wir haben den Einkauf insgesamt sehr viel enger mit den Produkt- und Marktteams verzahnt. Wir analysieren im Rahmen der digitalen Transformation unsere Beschaffungs- und Lieferprozesse, setzen sie neu auf und sorgen dafür, dass die Standardabläufe eingehalten werden.

Haben Sie hierfür ein Beispiel?

Höhn: Maverick Buying ist der Klassiker. Alle denken, das Thema ist längst diskutiert und umgesetzt. Doch durch den Einsatz von Process-Mining-Software haben wir beispielsweise erfahren, dass teilweise Rechnungen ohne Bestellungen ins Haus kommen und können nun gezielt eingreifen. Auch die korrekte Umsetzung der Rahmenverträge ist ein Thema: Bezahlen wir für die bestellten Mengen tatsächlich immer die korrekten, vertraglich vereinbarten Preise? Oder passieren Übertragungsfehler? Andere Prozesse können wir durch das Wissen aus dem Process Mining wiederum bündeln und in Shared Service Center auslagern. Für Nichtproduktionsmaterial und Volumina unter 5000 Euro testen wir Verhandlungs-Bots. Wir erproben Analytics für vorausschauende Materialpreisprognosen und digitalisieren unser Vertragsmanagement. Es geht insgesamt um eine bessere Lieferantenintegration. Wir haben eigene digitale Labs, die uns in diesen Themen sehr gut unterstützen. Wir testen den Einsatz von KI, diskutieren aber auch Zukunftsthemen wie digitale Interaktionen im Metaversum zwischen Menschen und automatisierten Systemen.

Wo nutzen Sie Künstliche Intelligenz?

Höhn: Zum Beispiel in der Supply-Chain-Planung, im S&OP-Prozess. In die mittelfristige Bedarfsplanung, in das Demand-, Angebots- und Kapazitätsmanagement bis zur monatlichen und wöchentlichen Abstimmung spielen wir Analytics aus historischen Daten hinein, die wir mit den Einschätzungen der Planer und Planerinnen matchen.

Wird der Mensch trotzdem gebraucht?

Höhn: Wir würden es aktuell nicht zulassen, dass ein Bot die Entscheidungen trifft. Unvorhergesehene Schwankungen, zum Beispiel wenn neue, große Kunden oder Aufträge dazukommen, kann die KI ja nicht berücksichtigen. Wir schauen uns aber an, wer die besseren Vorhersagen trifft, die KI oder der Mensch. Da können wir zwischen unseren Werken vergleichen, in manchen wird noch rein manuell geplant, in anderen unterstützt von Analytics. Unsere Erfahrung lautet: Es kommt auf das richtige Zusammenspiel an. Unabhängig davon spart der Einsatz von KI im Supply Planning viel Zeit und setzt Kapazitäten für Unvorhergesehenes oder strategische Aufgaben frei.

Sie sprachen von einem stärkeren lokalen Fußabdruck der Fertigung. Wie wirkt sich das regionale Engagement auf den Einkauf aus?

Höhn: Wir haben weiterhin einen global geführten Einkauf, der die Regionen über Standardisierung, in ihren Prozessen und über ein zentrales Warengruppenmanagement unterstützt. Regionale Spezifika, regionale Kundenstrukturen, regionale Anforderungen an die Supply Chain bilden wir in den Regionen ab. Die neuen Geschäftsfelder brauchen im Einkauf regional eine andere Flexibilität als das im Automotivemarkt der Fall ist. Die Strukturen sind andere. Um trotzdem Synergien heben zu können, brauchen wir die Daten aus den neuen Geschäftsbereichen in einem zentralen Datalake. Wir haben im Geschäftsbereich Life Sciences & Environment zahlreiche Firmen mit vielen unterschiedlichen IT-Landschaften zugekauft. Diese zusammenzuführen ist die aktuelle Herausforderung. Die Umstellung auf S4Hana wird uns hier einen ganzen Schritt voranbringen.

Inwiefern verändern ESG-Regulatorik und Klimaziele Ihre Lieferbeziehungen? Haben Sie nachhaltige Aspekte in Ihre Beschaffungsprozesse integriert?

Höhn: Zunächst war es wichtig, das Unternehmen und den Einkauf dafür zu sensibilisieren, dass 80 Prozent unseres CO2-Fußabdrucks in der Lieferkette (Scope 3) entstehen. Das heißt, es liegt zu einem Großteil am Einkauf, wenn wir unsere Ziele erreichen wollen. Mann+Hummel will bis 2050 komplett klimaneutral sein, bis 2035 in der eigenen Fertigung. Hierfür haben wir im ersten Schritt und natürlich auch, um die Anforderungen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz zu erfüllen, 7000 Lieferanten einer CSR-Bewertung unterzogen. Darüber hinaus fordern wir unsere Lieferpartner auf, sich einem Rating von Ecovadis zu unterziehen. Wir selbst haben den Ecovadis-Gold-Standard und erhalten damit u. a. auch am Kapitalmarkt bessere Konditionen. Mit Blick auf unsere Lieferkette haben wir den Aspekt der Nachhaltigkeit in die 360°-Lieferantenbewertung – neben u. a. Qualität, Risiko, Technologie und Zusammenarbeit – als zentralen Faktor aufgenommen. Das ESG-Rating der Lieferanten wird künftige Sourcing-Entscheidungen beeinflussen.

Wie sieht es mit dem CO2-Fußabdruck in der Lieferkette aus?

Höhn: In Pilotprojekten ermitteln wir im Rahmen des Carbon Disclosure Projekts bereits die CO2-Primärdaten von Lieferanten. Über die gesamte Lieferkette ist dies jedoch noch nicht möglich. Da sind viele Lieferanten einfach noch nicht soweit. Über die gesamte Kette arbeiten wir deshalb mit CO2-Näherungs- bzw. Sekundärdaten, um unseren Scope 3 zu ermitteln. Im Downstream sorgen im Rahmen von ESG wiederum unsere Produkte durch die Filtration schädlicher Stoffe aus der Luft und aus dem Wasser für die Reduktion des ökologischen Fußabdrucks. Auch das ist für uns eine sehr starke Motivation.


Hanno Höhn

ist Geschäftsführer Deutschland des Filtrationsexperten Mann+Hummel. Als Chief Procurement Officer leitet er das Performance Office und den globalen Einkauf für mehr als 40 Werke. Zu Mann+Hummel kam Hanno Höhn 2004, zunächst als Geschäftsführer Aftermarkt und seit 2010 in der Funktion des Group Vice President Purchasing. Hanno Höhn hat in Mannheim (Diplom) und Toronto (MBA) Betriebswirtschaft studiert und lebte auch in seiner Jugend einige Jahre in Kanada. Aus dieser Zeit hat er seine Leidenschaft fürs Eishockey mitgebracht. Auch nach seiner Rückkehr nach Deutschland spielte Höhn aktiv in der Liga und ist heute im Vorstand des Eishockey-Zweitligisten Steelers in Bietigheim-Bissingen. Seit 2022 ist Hanno Höhn auch Vorsitzender der Bezirksgruppe Ludwigsburg des Arbeitgeberverbands Südwestmetall.

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