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Die Oligarchen der Industrie

Kartelle im Fokus, Teil 1: Was, wie viel und wer?
Die Oligarchen der Industrie

Kartelle schaden der Wirtschaft, indem sie den Wettbewerb durch Absprachen schwächen. Deshalb sind Kartelle de jure verboten, de facto aber weit verbreitet. Die Bandbreite reicht von Abgassystemen, Erdöl über Leberwurst und Software bis hin zu Zucker.

Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen GWB definiert im Absatz 2 ein Kartell als „eine Absprache oder abgestimmte Verhaltensweise zwischen zwei oder mehr Wettbewerbern zwecks Abstimmung ihres Wettbewerbsverhaltens auf dem Markt oder Beeinflussung der relevanten Wettbewerbsparameter.“ Dabei geht es nicht nur um Konditionen (Preiskartelle), sondern beispielsweise auch um die Aufteilung von Märkten (Gebietskartelle), um Ausschreibungen (Submissionskartelle) oder um konsolidierte Maßnahmen gegen Wettbewerber.

Auch Fusionen unterliegen einer Kontrolle durch das Bundeskartellamt und dürfen erst nach einer Prüfung vollzogen werden. Das Bundeskartellamt bewertet dabei die Auswirkungen auf den Wettbewerb. Überwiegen die wettbewerblichen Nachteile, kann eine Fusion verboten oder nur unter bestimmten Bedingungen freigegeben werden. So hat das Bundeskartellamt 2022 rund 800 Kooperationsprojekte geprüft. Eines wurde verboten (in der Wasserwirtschaft), zwei weitere (die teilweise Übernahme von OMV-Tankstellen durch Esso sowie der Zusammenschluss von Rheinenergie und E.ON) unter Auflagen genehmigt. Insgesamt war 2022 ein ruhiges Jahr für die Wettbewerbshüter: Unter dem Strich wurden „nur“ rund 24 Mio. Euro Bußgeld gegen 20 Unternehmen und sieben Manager verhängt. In Spitzenjahren kann diese Summe locker die Milliardengrenze überschreiten.

Schweigen ist Gold

Seit Juni 2022 arbeitet das Bundeskartellamt mit dem sogenannten Wettbewerbsregister, in dem Kartellverstöße dokumentiert und archiviert werden. Diese Datenbank informiert öffentliche Auftraggeber über eventuelle Wirtschaftsdelikte potenzieller Marktpartner, die bei negativer Auskunft von öffentlichen Vergabeverfahren ausgeschlossen werden können. Das kann die Existenzfähigkeit eines Unternehmens bedrohen. Betroffene Firmen können eine Löschung beantragen – allerdings erst, nachdem sie Vorkehrungen zur Vermeidung zukünftiger Rechtsverstöße getroffen haben.

Einsame Kartelle

In manchen Kartell-Fällen bedarf es noch nicht einmal externer Absprachen: Dann nämlich, wenn ein Unternehmen eine marktbeherrschende Stellung erreicht hat – also keinem wesentlichen Wettbewerb mehr ausgesetzt ist. Nutzt das Unternehmen diese Position „marktmissbräuchlich“, liegt ebenfalls ein kartellrechtlicher Verstoß vor. Maßstab ist dabei, wie sich der Markt bei wirksamem Wettbewerb mit hoher Wahrscheinlichkeit entwickeln würde (§ 19 GWB). Hier sehen sich vor allem die Big Five in der Kritik und oft genug auch vor Gericht: Alphabet (Google), Amazon, Apple, Meta Platforms (ehem. Facebook) und Microsoft. Die Strafen können beträchtlich ausfallen: So hat das Gericht der Europäischen Union (EuG) im September 2022 eine Geldbuße in Höhe von 4,1 Mrd. Euro gegen Google verhängt. Die Begründung: Google habe seine beherrschende Marktstellung dazu ausgenutzt, Betreibern von Mobilfunknetzen rechtswidrige Beschränkungen aufzuerlegen. Auch Apple steht regelmäßig vor dem Kadi: zum Beispiel wegen illegaler Preisabsprachen im Großhandel (Strafmaß 370 Mio. Euro) oder wegen unerlaubter personalisierter Werbung (bspw. in Frankreich und in den Niederlanden).

Es geht um die Wurst

Insgesamt drohen hohe Strafen: Bis zu zehn Prozent des Konzernumsatzes kann das Bundeskartellamt bzw. die EU-Kommission verhängen. So hat das Libor-Kartell die beteiligten Großbanken 1,7 Milliarden gekostet, das Autoglas-Kartell die entsprechenden Zulieferer über eine Milliarde. Legendär ist das Wurstkartell, in dessen Rahmen sich 21 deutsche Wursthersteller zusammengeschlossen haben, um gemeinsam höhere Preisforderungen gegenüber dem Lebensmitteleinzelhandel durchzusetzen. Infolgedessen wurden rund 340 Mio. Euro an Bußgeldern verhängt, unter anderem gegen die Böklunder Fleischwarenfabrik, die Zur-Mühlen-Gruppe und die Tönnies-Gruppe. Ein Großteil der Bußgelder wurde allerdings nicht bezahlt, weil die Konzerne die betroffenen Tochterunternehmen einfach aus dem Handelsregister löschten. Diese sogenannte „Wurstlücke“ im Kartellrecht hat das Bundeswirtschaftsministerium inzwischen juristisch geschlossen.

Kartelle können teuer werden

2020 hat die EU-Kommission rund drei Milliarden Euro Strafgelder gegen mehrere Lkw-Hersteller verhängt. Beteiligt waren Daimler, Scania, DAF, Renault/Volvo, Iveco und MAN. Die Unternehmen haben ihre Preise für mittelschwere und schwere Lastwagen abgesprochen und auch ihre Zeitpläne in puncto Umwelttechnologien abgestimmt. Mit gut einer Milliarde Euro fiel die Geldbuße für den Daimler-Konzern am höchsten aus. Straffrei ging dagegen die Münchner VW-Tochter MAN aus – von ihr stammte der entscheidende Tipp für die Kartellbehörden. Im Rahmen des Dieselskandals kam dann Daimler besser weg. Jahrelang haben sich VW, Audi, Porsche, BMW und Daimler über Strategien, Lieferanten und speziell auch über Abgasreinigungskonzepte abgesprochen. Das kostete Volkswagen unter dem Strich 500 Mio. Euro, BMW musste 375 Mio. Euro auf den Tisch des Gerichtes legen. Diesmal agierte Daimler als Kronzeuge, legte die geheimen Gesprächsrunden offen und ging deshalb straffrei aus.

Der Kronzeuge hat gut lachen

Jedes zweite Kartell wird durch solche Kronzeugen aufgedeckt – der Rest durch Anzeigen und/oder Recherchen des Bundeskartellamtes bzw. der internationalen Kartellbehörden. Die bestehende Kronzeugenregelung will das Bundeskartellamt (BKartA) derzeit ausweiten. „Wer als Erster auspackt, dem sollten wir nicht nur die staatliche Strafe ganz oder weitgehend erlassen. Wir sollten dieses Unternehmen auch von Schadenersatzforderungen freistellen“, so Andreas Mundt, Präsident der Wettbewerbsbehörde im Interview mit der Rheinischen Post.

Bei Kaffee und Butterbrezel

Nicht jedes Kartell ist verboten. So dürfen sich kleinere Unternehmen gemäß § 3 GWB zusammenschließen, um gemeinsam ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Das sogenannte „Mittelstandskartell“ soll Unternehmen das Erreichen einer kritischen Größe ermöglichen, um gegen Großunternehmen bestehen zu können. Darunter fällt auch der gemeinsame Einkauf von Waren. Darüber hinaus erlaubt der Gesetzgeber Krisenkartelle, um schwerwiegende wirtschaftliche Folgen für die einzelnen Unternehmen auszuschließen sowie Rationalisierungs-Kartelle, bei dem die Teilnehmer Produktionsschritte untereinander aufteilen. Kennzeichen für erlaubte Kartelle sind Transparenz, die Festlegung und Bekanntgabe einheitlicher Normen sowie die Teilnahme ausschließlich kleinerer und mittlerer Unternehmen. Ein Kartell ist leicht zu verbergen. Ohne schriftliche Unterlagen oder gar Verträge werden meist sogenannte Frühstückskartelle gebildet: Absprachen ohne Dokumentation. Der Name geht auf die am 1. April 1899 gegründete „Vereinigung Deutscher Elektrizitätsfirmen“ zurück. Die Teilnehmer trafen sich regelmäßig und zwanglos zum gemeinsamen Frühstück, um „angemessene Preise herbeizuführen und aufrechtzuerhalten“. Was angemessen war, lag dabei allein im Ermessen der Frühstücks-Direktoren.

Je größer, desto kritischer

Ist ein zwangloses Treffen auf dem Messestand zwischen Kaffee und Keksen kartellrechtlich relevant oder nicht? Das lässt sich nicht pauschal beantworten. Ob das Gespräch ein verbotenes Kartell, eine zulässige Kooperation oder nur einen Meinungsaustausch abbildet, hängt beispielsweise vom Marktanteil der beteiligten Unternehmen ab. Was zwischen KMUs völlig unproblematisch ist, kann bei Konzernchefs kritisch werden. Ab einem Marktanteil von 30 Prozent schauen die Kartellbehörden genauer hin. Zudem kommt es natürlich auch auf die Themen an: Gemäß Kartellrecht sind Informationen über Einkaufs-, Verkaufs- und Wiederverkaufspreise einschließlich Listenpreise, Preisbestandteile, Preiskalkulation sowie Fakten über aktuelle Aufträge und Ausschreibungen immer tabu. Darüber hinaus muss das Gespräch marktrelevant sein – das heißt, es muss eine spürbare Wettbewerbsbeschränkung bezwecken oder bewirken.

Nullo actore, nullus iudex

Wo kein Kläger, da kein Richter: Letztlich muss natürlich auch ein Marktteilnehmer das Kartell aufdecken bzw. anzeigen. Klagen kann jeder, der sich durch ein Kartell geschädigt sieht – also nicht nur Wettbewerber, sondern auch Zulieferer und Kunden. Diese haben bei einer rechtskräftigen Verurteilung gute Chancen, über eine Schadensersatzklage einen Teil des durch das Kartell verursachten Schadens zurückzubekommen. Für eine Anzeige reicht eine telefonische oder schriftliche Meldung beim Bundeskartellamt und die Sache kommt ins Rollen. Hinweise können auch anonym abgegeben werden. Und nicht zuletzt: Über das Kronzeugenprogramm kommen Mitglieder jederzeit straffrei aus einem Kartell heraus.


Michael Grupp

Journalist, Stuttgart

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