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„Eine Mischung aus Gier und Angst“

Journalist Jochen Kalka über Start-ups
„Eine Mischung aus Gier und Angst“

„Eine Mischung aus Gier und Angst“
Jochen Kalka ist Chefredakteur bei Werben & Verkaufen. Bild: Stefan König
„Die Startup-Lüge“ ist das neue Buch von Journalist Jochen Kalka. In ihm rechnet er ab mit dem Hype um Start-ups und erklärt, wie sich Unternehmen wappnen können.

Beschaffung aktuell: Herr Kalka, gibt es im Moment einen Hype um Start-ups?

Jochen Kalka: Es ist definitiv ein Hype. Ich beschreibe es als eine Mischung aus Gier und der Angst, etwas zu versäumen. Die Gier ist nichts Neues. Anfang 2000er haben viele ihr Geld in Infineon, eine Siemens-Tochter, gesteckt. Keiner wusste so genau, was die Firma macht, aber sie hatte „irgendetwas mit Halbleitern“ zu tun. Und deshalb hat jeder investiert. Man sollte sich auf jeden Fall hüten, diesen Buzzwords hinterherzulaufen.

Heute ist das System ähnlich. Man sollte auch immer ein Auge auf die Hype-Wellen haben. KI ist eine davon, Biotech eine andere. Das ist irgendwie schick, da Geld anzulegen. Dann jeder Unternehmer hat Angst, als „alter weißer Mann“ zu gelten. Um sich jünger zu kleiden, im wahrsten Sinne, ziehen sie sich rote Sneakers an und legen ihre Krawatten ab. Otto zum Beispiel hat das „Du“ im Unternehmen befohlen. Das ist aber etwas anderes, als wenn Verjüngung gelebt wird. Wenn sie so aufgesetzt wird, dann heißt es nichts anderes als: „Wir wollen auch dabei sein“.

Beschaffung aktuell: Was würden Sie Firmen raten, die mit Start-ups zusammenarbeiten wollen?

Kalka: Bei vielen Start-ups gibt es kaufmännische Defizite. Sie wissen zum Beispiel nicht, was ihr Alleinstellungsmerkmal oder ihre Zielgruppe ist. Deshalb muss man sich mit klarem Verstand das Geschäftsmodell von Start-ups anschauen, ganz so, als ob es ein normales Unternehmen wäre. Etablierte Unternehmen haben einen Vorteil aufgrund des gesunden Geschäftssinns, den sie haben. Den sollten Sie nutzen, um Start-ups einzuschätzen und zu durchschauen.

Als zweites würde ich empfehlen, mit den Personen zu reden, die das Start-up führen, um herauszufinden, wie sie ticken. Dabei sollte man sich nicht auf die Arbeit beschränken. Wenn ein junger Gründer dann über seinen neuen BMW erzählt und wie er den Motor hochdrehen kann, dann kann das auch eine Metapher für den Umgang mit Geld im geschäftlichen Umfeld sein. Wichtig ist auch, sich die beruflichen Hintergründe anzuschauen. Ein junger Gründer muss nicht alle Kenntnisse sofort parat haben, aber Neugier mitbringen. Wenn man den Gründer dann das nächste Mal besucht, kann man herausfinden, ob das Wissensdefizit aufgefüllt wurde. Durch solche Maßnahmen kann man das Risiko stark reduzieren.

Start-ups haben auch einige Vorteile. Anders als etablierte Unternehmen sind sie mutig. Davon könnten Unternehmen sich eine Scheibe abschneiden. Das Motto: „Das haben wie noch /nie/ so gemacht, das machen wir jetzt“ wäre auch gut für große Unternehmen.

Am Ende ist das Geld, das in Start-ups investiert wird, bis zu einem gewissen Grad immer Spielgeld. Man sollte auch im Hinterkopf behalten: Laut einer Umfrage der Stanford University sind 50 Prozent aller Start-ups überkapitalisiert. Da besteht immer eine große Gefahr, dass Geld verbrannt wird.

Beschaffung aktuell: Wie bewerten die die Zusammenarbeit von Start-ups mit Unternehmen in Accelerator-Programmen?

Kalka: Viele Unternehmen wollen an der Zusammenarbeit mit Start-ups partizipieren. Vor allem wollen sie erzählen können: „Wir machen auch so einen Startup-Pitch“. Dieses Modell gibt es übrigens schon seit Jahren, Sky hat solche Wettbewerbe schon früh angefangen. Damals waren die Wettbewerbe sehr spielerisch – heute sind sie oft aufgesetzt, und weit weg von den Geschäftsmodellen der Unternehmen. Dann ist es oft ein Versuch, einen billigen PR-Effekt zu erzeugen.

Eine Synergie zwischen einem etablieren Unternehmen und Start-ups kann auch gut gemacht sein. Rewe bietet zum Beispiel Startup-Pitches an und beschränkt sich dabei auf Start-ups im Lebensmittel- und Einzelhandelsbereich. Rewe profitiert davon, weil sie so an neue Produktideen kommen. Dort ist die Idee positiv weitergedacht: Neue Produkte können dann unter dem Namen Rewe vermarktet werden.

Beschaffung aktuell: Was ist eigentlich ein Start-up im Vergleich zu einer „normalen“ Firmengründung?

Kalka: Bei einem Start-up kann man über Finanzierungsrunden schnell und leicht an Geld kommen. Man braucht also keinen großen Businessplan und muss damit nicht die Banken abklappern. Im Prinzip reichen ein Factsheet und leuchtende Augen. Ein Investor im Silicon Valley sagte mal, er schaue den Gründern nur in die Augen und nicht auf die Geschäftsidee. Wenn die Augen leuchten, dann investiert er. Das gibt es bei klassischen Gründungen nicht. Aber ich behaupte, dass bei Start-ups auch viel gelogen wird, ganz im Sinne der Geschichte: „Des Kaisers neue Kleider“ – gerade weil das Geld lockerer sitzt.

Ein weiterer Unterschied ist, dass ein Start-up billiger an hippes, junges Personal kommt. Start-ups faszinieren junge Menschen, die dann bereit sind, Abstriche zu machen, um dort zu arbeiten.

Etablierte Unternehmen versuchen sich ebenfalls moderner darzustellen, indem sie neue Geschäftsbereiche „Start-up“ nennen. Siemens zum Beispiel gründet jetzt eine Startup-City in Berlin. So kommt man einfach schneller an Investorengelder. Siemens spielt mit dem Begriff „Start-up“ und nutzt ihn, um Personal zu akquirieren. Denn so kommt man schneller an junge Mitarbeiter heran. Und Fachkräfte suchen wir alle händeringend.

Beschaffung aktuell: Wie würden Sie die Startup-Landschaft in Deutschland beschreiben?

Kalka: Die Landschaft ist zwiegespalten. Auf der einen Seite haben wir viel Energie bei jungen Menschen, auf der anderen Seite ist die deutsche Startup-Kultur im internationalen Vergleich eher klein. In Deutschland wurden 2018 ein bis drei Milliarden Euro investiert, das ist wahnsinnig wenig. Im Silicon Valley sind es 30 mal so viel.

Auf der einen Seite wollen wir cool sein, auf der anderen Seite fehlt noch viel Nährboden, den wir auch von staatlicher Seite schaffen müssten, zum Beispiel durch günstige Räumlichkeiten. Es sind zum Beispiel Modelle denkbar, bei denen Start-ups kostenlosen Raum gegen Unternehmensbeteiligungen bekommen. Das ginge in den Kommunen, um so den Wirtschaftsraum zu stärken. Aber da gibt es zu wenig Antrieb.

Beschaffung aktuell: Sie sagen, die Mentalität der Start-ups ist oft Ausbeutung. Wie kommen Sie zu diesem Schluss?

Kalka: Obwohl Start-ups neu gedacht werden, liegt hier viel im Argen. Wenn man sich Start-ups näher anschaut, dann erkennt man, dass es oft funktionierende Ausbeutungsmaschinen sind. Leider ist es so: der Tischkicker spart Knete. Oder die gemeinsam bestellte Pizza am Abend – die verlangt, dass danach alle weiterarbeiten.

Was mich persönlich besonders betroffen hat, ist die Ungleichheit von Frauen und Männern in Start-ups. Deutschlandweit liegt die Gender Pay Gap bei 22 Prozent, aber in Berlin, der Hauptstadt der Start-ups, bei ungefähr 25 Prozent. Auch die allgemeine Beteiligung ist ungleich: Nur 15 Prozent der Gründer sind weiblich, bei den Investoren sind es nur 11 Prozent. Mehr noch: die sexuelle Belästigung in Start-ups liegt bei 33 Prozent – anzügliche Kommentare müssen sich über die Hälfte der Mitarbeiterinnen anhören. Das hat Innofact im Auftrag der Bild am Sonntag herausgefunden. Selbst bei der Bundeswehr ist diese Quote niedriger. Das liegt auch daran, dass manche Männer irrtümlich glauben, ein Startup sei eine Art „Abenteuerspielplatz“.

Eine andere Geschichte macht deutlich, wie fahrlässig manche Start-ups handeln. Das Medizintechnik-Startup Theranos hat neun Milliarden Investorengelder verbrannt [siehe Buchrezension auf Seite 65, Am. d. Red.]. Dieser Fall ist symptomatisch für die Lügenthese meines Buches. Man hat hier doch Investoren, die Verantwortung übernehmen. Dass es möglich ist, Investoren und auch Mitarbeiter so zu blenden, sogar große Businessdeals einzugehen, ohne dass die Technik des Produkts jemals funktioniert hat, hätte ich nicht für möglich gehalten. Bei jedem klassischen Unternehmen würde viel früher die Notbremse gezogen.

Beschaffung aktuell: Eine der Aussagen, denen Sie wiedersprechen, ist: „Scheitern ist gut“. Ist Scheitern also schlecht?

Kalka: Wenn Sie in einem Unternehmen sind und mit Start-ups zu tun haben und scheitern, dann ist es nicht so schlimm. Aber wenn Sie privat investieren und verlieren, müssen Sie Insolvenz anmelden. Dann ist Scheitern nicht so geil. Ich finde, der „Scheitern ist gut“-Slogan ist aufgesetztes Getue. Inzwischen gibt es sogar „Fuck-up-Nights“, bei der Leute damit angeben, wie toll und oft sie gescheitert sind. Das zeigt, wie wenig seriös diese Herangehensweise ist. Man muss sich sicher nicht verstecken, wenn man scheitert, aber sehen, was man daraus gelernt hat. Scheitern voller Stolz auf der Bühne zu präsentieren, ist aber doch etwas seltsam.

Beschaffung aktuell: Was müssten Start-ups besser machen?

Kalka: Start-ups vergessen die eigene Öffentlichkeitsarbeit sehr oft. Da gibt es für Startups verschiedene Möglichkeiten.

ProSieben bietet etwa eine Kooperation mit Start-ups an. Ein Erfolgsbeispiel ist ihre Zusammenarbeit mit Parship. Damals hat das junge Unternehmen vom Sender Werbezeit gegen Anteile bekommen, ein klassisches Tender-Geschäft. Das ist ein Vorzeigemodell, das auch heute noch genutzt wird.

Es gibt in diesem Bereich viele Möglichkeiten zur Zusammenarbeit mit Verlagen und Fachverlagen, die noch nicht ausgelotet sind. Wichtig ist auch, dass Start-ups schon früh Marketingmaterialen vorliegen haben. Etwa indem sie ihre Geschäftsidee in einem Satz formulieren, dass ein Artfremder versteht, warum es geht. Denn oft können junge Firmen gar nicht erklären, was sie tun.

Auch die altgedienten Messen sind ein Forum, das Botschaften und Inhalte vermitteln kann. Start-ups sollten viel öfter auf Messen zugehen – und andersherum. Da könnte noch einiges passieren. So gesehen sind wir erst am Anfang.

Das Interview führte Sanja Döttling.


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