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Jörg Hülsmann, CPO, Kaeser Kompressoren, im Interview

Jörg Hülsmann, CPO, Kaeser Kompressoren
„In der Beschaffung wurden Helden gemacht“

„In der Beschaffung wurden Helden gemacht“
Jörg Hülsmann ist CPO bei Kaeser Kompressoren. Bild: Kaeser
Kaeser Kompressoren ist ein mittelständisches Familienunternehmen und einer der weltweit führenden Hersteller von Produkten und Dienstleistungen im Bereich Druckluft. Mit dem Leiter des Strategischen Einkaufs Jörg Hülsmann sprach Beschaffung aktuell über den geänderten Stellenwert des Einkaufs in Krisenzeiten, Kommunikation als Game-Changer und das „Neue Normal“.

Für Beschaffung aktuell führte die Journalistin Ulrike Dautzenberg das Interview.

Beschaffung aktuell: Herr Hülsmann, der Einkauf ist in den letzten drei Jahren in vielen Unternehmen zu einem der wichtigsten Player geworden …

Jörg Hülsmann: Ja, das ist richtig. In „normalen“ Zeiten liegt der Fokus im Unternehmen meist auf dem Vertrieb. In den letzten (Krisen-) Jahren bekamen Einkauf und Produktion deutlich mehr Gewicht. Für uns steht ganz klar die Produktionsversorgung im Vordergrund, und in den letzten drei Jahren kam es dabei vor allem auf gute Kommunikation und auf Schnelligkeit an. Wären wir nicht in der Lage gewesen, auf Zuruf sofort zu handeln, dann hätten wir mit der Versorgung sicher Schwierigkeiten gehabt.

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Jörg Hülsmann ist seit 2014 CPO bei Kaeser Kompressoren.
Bild: Kaeser

Wir sind ein Familienunternehmen, haben kurze Wege in der Kommunikation und Mitarbeiter, die einander zum größten Teil schon sehr lange und dementsprechend gut kennen. Das ist uns in den letzten Jahren sicherlich zu Gute gekommen, denn so waren wir in der Lage, schnell und flexibel zu reagieren. Und was man natürlich auf jeder Ebene braucht, sind bewertete Informationen. Wenn mir drei Experten im Unternehmen sagen, bei den unkritischen Teilen ist alles gut, aber bei den kritischen Teilen wird es brenzlig, dann hilft mir das viel mehr als eine neutrale Zahl, die mir sagt, unsere Ausfallquote beträgt insgesamt vielleicht 20 Prozent. So etwas geht nur, wenn man schnell und unkompliziert miteinander spricht, und das ist in einem Familienunternehmen sicher leichter als in einem Konzern mit starren Strukturen. Ich persönlich glaube, dass die Unternehmen, die flexibel und agil und gut in der Zusammenarbeit waren, besser durch die Krise gekommen sind als Unternehmen, die an Strukturen und festen Kommunikationswegen festgehalten haben. Wir haben insbesondere am Anfang der Schwierigkeiten in der Supply Chain gemerkt: Schnelligkeit ist alles. Wer schnell ist, kann produzieren und hat keine Kurzarbeit. In der Beschaffung reden wir immer auch über Verteilungskämpfe.

Hat das auch Auswirkungen auf die Zusammenarbeit mit Ihren Lieferanten?

Wir arbeiten mit unseren Lieferanten partnerschaftlich zusammen, das ist ein Kernpunkt unserer Einkaufsstrategie. So etwas kann den Unterschied machen zwischen Erfolg und Insolvenz. Und wir haben in den letzten Jahren deutlich gesehen, dass der Abstand zwischen Erfolg und Insolvenz wesentlich kleiner geworden ist. Sprich: Fehlt ein wichtiges Teil und fehlt es über einen längeren Zeitraum, dann hat das Unternehmen ein riesiges Problem. Denn in den letzten Jahren war es nicht wirklich möglich zu wechseln, alle Ressourcen waren komplett ausgeschöpft.

Welches sind Ihre wichtigsten Einkaufsmärkte?

Unsere Lieferanten sitzen hauptsächlich in Mitteleuropa, vor allem in Deutschland, Italien und Tschechien. Das hat uns in den letzten Jahren durchaus geholfen, wir waren beispielsweise von den Schließungen chinesischer Häfen kaum betroffen. Vorprodukte kommen aus Asien, keine Frage. Die Lieferketten wurden teilweise sehr transparent, und wenn irgendwo in Deutschland noch ein oder zwei Lieferanten Ware liegen hatten, konnte das schon den entscheidenden Unterschied machen. Wir haben in der Zeit auch unsere Lagerhaltung massiv ausgebaut.

Und wo liegt der Fokus nun?

In den letzten Jahren ging es vor allem darum, die Produktion sicherzustellen. Die Jahre 2018 und 2019 waren mehr oder weniger der Normalzustand. Dann kam Corona mit abgerissenen Supply Chains, Chaos, explodierten Preisen etc. Die große Frage ist nun, wie sich das Ganze entwickeln wird. Wie wird die „neue Normalität“ aussehen? So wirklich klar lässt sich das noch nicht sagen. Die Lieferketten werden langsam wieder stabiler, sind allerdings noch nicht wieder auf dem Niveau wie vor Corona. Preise sind ein großes Thema, Inflation und die Marktverschiebungen zwischen Europa, Asien und den USA. Diese volkswirtschaftlichen Parameter zeigen sich erst allmählich, und sie werden sicher anders aussehen als vor drei oder vier Jahren. Das „neue Normal“ wird also definitiv nicht wie das alte sein. Wie das Neue aussieht und wie man sich darauf einstellen kann, das ist jetzt die spannende Frage. Und je schneller man versteht, was das neue Normal ist, desto besser steht das Unternehmen natürlich wirtschaftlich da.

Das hieße, man muss so flexibel und gleichzeitig so vorbereitet sein wie nur möglich …

Das ist schwer zu sagen, denn vorbereitet zu sein kostet immer Geld, und die Frage ist doch, ob sich der Investitionsaufwand im Verhältnis zum Erfolg lohnt oder nicht. Die Lagerbestände, die wir in den letzten Jahren aufgebaut haben, werden wir sicher nicht auf dem gleichen Niveau weiterführen können, das wäre viel zu teuer. Also müssen wir uns die Preise ansehen und vor allem mit unseren Lieferanten reden. Trotzdem kann jederzeit etwas Unvorhergesehenes passieren und viele Fragen lassen sich derzeit einfach nicht beantworten: Was macht China, wie entwickelt sich die Versorgung mit Vormaterial von dort, was passiert im Bereich Elektronik und bei Seltenen Erden? Und in Deutschland: Wie geht es mit den Energiepreisen weiter? Das sind viele spannende Fragen, auf die man sich nur bedingt vorbereiten kann. Was wir tun, ist, unsere Lieferantenbasis zu diversifizieren. Wir haben zum Beispiel unsere Gießereien bisher alle in Mitteleuropa gehabt, da werden jetzt der Energiepreis und vor allem die Versorgungssicherheit zum Thema. Deshalb suchen wir nach Alternativen, nicht in China, sondern in der Türkei, in Spanien und auch in Indien. So verbreitern wir unsere Lieferantenbasis, nicht global, sondern sehr bewusst mit Blick auf die Risiken, die wir aktuell erkennen können.

Binden Sie Ihre Lieferanten auch in die Entwicklung neuer Produkte mit ein?

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Jörg Hülsmann hat als CPO in den vergangenen Jahren die Einkaufsstrategie bei Kaeser Kompressoren bestimmt.
Bild: Kaeser

Ja, wir binden sie sogar sehr intensiv mit ein. Die meisten unserer Lieferanten kennen wir seit vielen Jahren und sie kennen uns und unsere Anforderungen sehr genau. Vielleicht ist das nicht immer die kostengünstigste Lösung, aber wenn wir mit Partnern arbeiten, die uns kennen, dann sind wir in der Entwicklung viel schneller und das Qualitätsniveau liegt meist deutlich höher. Time to market lässt sich durch langjährige Partnerschaften, gegenseitiges Verständnis und eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Lieferanten einfach enorm beschleunigen. Außerdem haben wir einen Innovationsvorteil, wenn zum Beispiel ein Unternehmen für uns forscht und entwickelt. Savings sind ja nicht alles; wir legen den Fokus lieber auf Qualität, Innovation und Kundenorientierung. Wir können preislich nicht mit einem Unternehmen mithalten, das seine Kompressoren in der chinesischen Provinz herstellt, denn dort gibt es ganz andere Kostenfaktoren. Dafür laufen unsere Maschinen länger, sind energieeffizienter und unsere Kunden erhalten einen exzellenten Service.

Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für Ihr Unternehmen, Ihre Organisation und sich selbst als Einkaufsverantwortlichen in den kommenden Jahren?

Ich sehe, dass der Einkauf und vor allem seine gute Vernetzung, sowohl intern als auch extern, immer wichtiger werden. Wären wir nicht gut vernetzt gewesen, dann hätten wir die letzten Jahre nicht so gut überstanden. Das Digitalisierung wichtig ist, muss man, glaube ich, gar nicht extra erwähnen – wer hier den Anschluss verpasst, der hat verloren. Ein großes Thema für uns sind auch neue gesetzliche Regelungen wie beispielsweise das LkSG und der richtige Umgang damit. Es gibt eine ganze Reihe für uns relevanter Vorschriften, zum Beispiel die EU-Verordnung über fluorierte Treibhausgase, die uns stark tangiert, da wir mit Kältemitteln arbeiten. Generell gibt es viele gesetzliche Regelungen, mit denen sich Unternehmen extrem schwer tun. Es kostet nicht nur jede Menge Geld, sondern schwächt auch das eigene Unternehmen im Vergleich zur Konkurrenz aus Asien, Indien oder den USA, die das viel entspannter sieht.

Und, wie ich schon sagte: Die neue Normalität fängt gerade erst an, sich zu zeigen. Man kann sehen, dass in der jetzigen Zeit mit all den Problemen in der Supply Chain in der Beschaffung Helden gemacht wurden. Hier zeigen sich die Leute, die wirklich Biss haben, die schnell denken können, kreative Lösungen suchen und finden und die niemals aufgeben. In den letzten drei Jahren haben mich viele Mitarbeiter sehr überrascht, indem sie den Stab aufgenommen und nicht aufgegeben haben. Das waren dann letztendlich die Kollegen, die dafür gesorgt haben, dass wir ohne Kurzarbeit durch die Krise gekommen sind.


Jörg Hülsmann

… studierte Maschinenbau an der TU München. Er graduierte als Diplom-Ingenieur im Maschinenbau und absolvierte anschließend ein Aufbaustudium mit dem Abschluss Diplom-Wirtschaftsingenieur. Seit 1999 ist er bei der Kaeser Kompressoren SE, Coburg tätig, erst als Assistent der Einkaufsleitung und seit 2014 als Leiter des Strategischen Einkaufs.


Kaeser Kompressoren

Das Familienunternehmen Kaeser Kompressoren ist einer der weltweit führenden Hersteller und Anbieter von Produkten und Dienstleistungen im Bereich Druckluft. Im Jahr 1919 als Maschinenbauwerkstatt gegründet, produziert Kaeser heute an zwei Produktionsstandorten in Deutschland. Auf der ganzen Welt beschäftigt das Unternehmen rund 7500 Mitarbeiter.

Kaeser stellt seine Produkte in Coburg (Nordbayern) und Gera (Thüringen) her und vertreibt seine Kompressoren mittlerweile in über 140 Ländern mittels Niederlassungen und exklusiven Partnerfirmen.

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