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Kartelle im digitalen Zeitalter: Konsequenzen und Kosten

Kartelle im Fokus, Teil 2
Kartelle im digitalen Zeitalter: Konsequenzen und Kosten

Kartelle kommen teuer z. B. über vier Mrd. Euro für Google, eine Mrd. Euro für Daimler, 726 Millionen für die Deutsche Bank. Aber nur ein Teil aller Kartelle wird aufgedeckt. Für die anderen müssen Kunden und Wettbewerber zahlen: in Form von überhöhten Preisen und erschwerten Marktbedingungen.

Sinn und Zweck des Kartellrechts ist der Schutz der freien Wirtschaft, in welcher der Markt Angebot, Nachfrage und Preise durch Wettbewerb regelt. Wird dieser Wettbewerb durch Absprachen zwischen marktbeherrschenden Unternehmen ausgehebelt, drohen nicht nur höhere Preise, sondern auch eine Stagnation der Märkte in puncto Innovation, Qualität und Services. Um dem entgegenzuwirken, wurde 1958 die deutsche Kartellbehörde gegründet. Diese unabhängige Behörde schützt das geltende Kartellrecht in Deutschland und darüber hinaus in Kooperation mit internationalen Behörden auch in Europa und der ganzen Welt.

Absprachen im Konferenzraum

Zu den Aufgaben des Bundeskartellamts (BKartA) gehören zuerst einmal die Aufdeckung und Untersuchung von Kartellverstößen. Es überwacht dazu den Markt und führt initiativ auch Untersuchungen durch. Als Informationen dienen neben eigenen Recherchen auch Beschwerden von Unternehmen oder Verbrauchern. Die Behörde hat das Recht auf Durchsuchungen, auf Dokumenteneinsicht sowie auf Zeugenaussagen, um Beweise für Kartellverstöße zu sammeln.

Neben klassischen Kartellabsprachen untersucht das BKartA auch Fusionen und Übernahmen, um Wettbewerbsverzerrungen bereits im Vorfeld auszuschließen. Unternehmen müssen deshalb Fusionspläne im Vorfeld bei der Behörde anzeigen, wenn eines der beteiligten Unternehmen mehr als 25 Millionen Umsatz erzielt. Die Behörde kann ggf. Zusammenschlüsse verbieten oder bestimmte Auflagen festlegen, um wettbewerbsrechtliche Bedenken auszuräumen. In der Vergangenheit wurde beispielsweise die Übernahme von 53 medizinischen Zentren durch die Helios Kliniken erlaubt, der Aufbau einer gemeinsamen Video-Plattform von RTL und Pro7Sat.1 dagegen untersagt. 2022 hat die Behörde rund 800 Kooperationsvorhaben geprüft.

Die Oligarchen der Industrie

Marktbeherrschende Unternehmen

Zu einem Kartell müssen nicht unbedingt mehrere Unternehmen gehören: Das BKartA beobachtet auch einzelne Unternehmen, die eine marktbeherrschende Stellung einnehmen. Als Maßstab gilt hier, wie sich der Markt mit mehreren Teilnehmern entwickeln würde. Ein schwieriges Unterfangen in Zeiten von Microsoft und Amazon, die in ihren Branchen absolute Alleinstellungsmerkmale besitzen. Microsoft wurde 2007 beispielsweise wegen „unangemessen hoher Preise für die Bereitstellung der Schnittstellenspezifikationen für Arbeitsgruppen-Server“ zu 899 Mio. Euro Strafe verurteilt. Amazon konnte dagegen eine drohende Strafzahlung im Dezember 2022 durch umfangreiche „Verpflichtungsangebote“ an die Europäische Union abwenden. Zu diesen Verpflichtungen gehören unter anderem ein verschärfter Datenschutz oder auch mehr Rechte für Amazon-Prime-Verkäufer.

Kleinkartelle machen auch Mist

Aber auch KMUs können eine marktbeherrschende Position einnehmen und ausnutzen. So haben beispielsweise die beiden einzigen Hersteller für mehrprofilige Brückendehnfugen über Jahre hinweg ein Quotenkartell gebildet: Sie hatten ihre Marktanteile abgesprochen und den Markt unter sich aufgeteilt. Infolgedessen mussten die Unternehmen aus München und Göttingen 2022 insgesamt 7,3 Millionen Geldbuße bezahlen. Bei der Strafzumessung wurde berücksichtigt, dass beide Firmen umfassend mit dem Bundeskartellamt kooperierten und die Verfahren im Wege eines einvernehmlichen Settlements abgeschlossen werden konnten.

Grundsätzlich gilt: Die Höhe der vom BKartA verhängten Bußgelder richtet sich nach verschiedenen Faktoren wie der Schwere des Verstoßes, dem Umsatz des Unternehmens, dem erzielten Gewinn und – wie in diesem Fall – von der Kooperationsbereitschaft aller Beteiligten bei der Aufklärung von Kartellrechtsverstößen. Auskunftswillige Kronzeugen kommen bei der Aufdeckung von Kartellen meist sogar straffrei davon – zumindest was Sanktionen des BKartA betrifft. Schadensersatzklagen von Wettbewerbern sind davon unbenommen.

Die Negativ-Liste des BKartA

Das Dehnfugen-Kartell beweist, dass es bei kartellrechtlichen Verstößen oft um komplexe Vorgänge handelt. Die deutschen Kartellbehörden verfolgen eine Vielzahl von Straftatsbeständen:

  1. Der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung, wenn Unternehmen damit den Wettbewerb behindern. Beispiele hierfür sind überhöhte Preise, diskriminierende Vertragsbedingungen, der Ausschluss von Wettbewerbern oder auch die Behinderung des Marktzugangs für neue Unternehmen.
  2. Preisabsprachen für Produkte oder Dienstleistungen. Dazu zählen beispielsweise auch Arrangements über Mindestpreise, konzertierte Preissteigerungen sowie abgesprochene verbindliche Preisempfehlungen.
  3. Rabatt- und Bonussysteme mit dem Ziel der Wettbewerbsdiskriminierung.
  4. Markt- und Gebietsaufteilungen, mit denen Unternehmen geografische Gebiete oder auch Kundensegmente wettbewerbsfrei unter sich aufteilen.
  5. Produktions- und Kapazitätsbeschränkungen. Dabei begrenzen Unternehmen ihre Produktionskapazitäten, um künstlich die Angebotsmenge zu verringern und infolgedessen die Preise zu steigern.
  6. Kartellbildung bei Ausschreibungen. Dabei schränken Unternehmen den Wettbewerb bei öffentlichen Ausschreibungen ein und verhindern, dass andere Unternehmen fair um Aufträge konkurrieren können.

Follow the money

In Zeiten grenzüberschreitender Unternehmensstrukturen arbeitet das BKartA eng mit anderen Wettbewerbsbehörden zusammen. In Europa treibt das European Competition Network (ECN) die Zusammenarbeit zwischen den nationalen Wettbewerbsbehörden und der Europäischen Kommission voran. Schwerpunkt der Kooperation ist der Austausch von Informationen sowie die gegenseitige Unterstützung bei Kartellermittlungen.

Auf globaler Ebene beteiligt sich das Bundeskartellamt aktiv an den kartellrechtlichen Aktivitäten von multilateralen Organisationen. Dazu zählen zum Beispiel das International Competition Network (ICN), die Organisation for Economic Cooperation and Development (OECD) sowie die United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD). Schwerpunkte sind dabei der partnerschaftliche Meinungsaustausch sowie eine Konzertierung von grenzüberschreitenden Aktivitäten und Vorgaben.

Sanktionsmöglichkeiten des BKartA

Das Bundeskartellamt verfügt über eine ganze Palette von Maßnahmen und Befugnissen zum Kampf gegen kartellrechtliche Verstöße. Die Kartellbehörde hat beispielsweise das Recht, Unternehmen zu untersuchen. Sie darf Betriebsräume betreten, Dokumente und elektronische Aufzeichnungen beschlagnahmen und Zeugenaussagen zur Beweissicherung einfordern.

Als Sanktionen kann die Behörde anschließend Bußgelder gegen Unternehmen wie auch gegen Personen verhängen. Sie kann darüber hinaus Auflagen erteilen, um den Wettbewerb wiederherzustellen oder kartellrechtliche Verstöße zu beenden. Dazu zählen beispielsweise die Abgabe von Geschäftsanteilen oder auch die Anpassung von Vertragsbedingungen. Sie kann auch Fusionen oder Übernahmen verbieten bzw. deren Aussetzung anordnen und bestimmte Geschäftspraktiken untersagen, bis eine endgültige Entscheidung getroffen werden kann.

Kartellrecht in der Beschaffung

Das Kartellrecht hat direkte Auswirkungen auf Beschaffungsprozesse im Gewerbe und in der Industrie. Das geltende Recht schreibt vor, dass auch Vergabeverfahren fair, transparent und wettbewerbsgerecht ablaufen müssen. Unternehmen müssen deshalb sicherstellen, dass bei der Beschaffung von Waren oder Dienstleistungen keine wettbewerbswidrigen Absprachen oder Begünstigungen getroffen werden.

Darüber hinaus empfiehlt das BKartA im Vorfeld von Beschaffungsprozessen eine Überprüfung der potenziellen Lieferanten, ob sie in der Vergangenheit aktiver Teil von Kartellen waren oder andere wettbewerbswidrige Praktiken begangen haben. Unternehmen sollten sich bewusst sein, dass die Zusammenarbeit mit kartellrechtswidrigen Anbietern rechtliche und wirtschaftliche Konsequenzen haben kann. Dazu sind eine Sensibilisierung und Schulung der Mitarbeitenden notwendig: Sie sollten die relevanten kartellrechtlichen Bestimmungen kennen und verstehen, welche Aktionen erlaubt sind und welche nicht.

Wie Algorithmen den Heuhaufen durchdringen

Quo vadis, Kartell?

Globale und digital geprägte Märkte führen zu neuen Herausforderungen auch für das Kartellrecht. Wenn Algorithmen menschlichen Akteure ersetzen und Marktgesetze neu schreiben, muss das Kartellrecht dem Rechnung tragen: zum Beispiel durch eine akribische Beobachtung der Monopole und Oligopole der Global Players. Die effektive Bekämpfung kartellrechtlicher Verstöße erfordert damit die Zusammenarbeit der nationalen Wettbewerbsbehörden. Infolgedessen werden Kompetenzen und Aktivitäten zunehmend von den Nationalstaaten zur EU-Ebene wandern.

Nicht nur die Quantität, auch die Qualität digitaler Geschäftsmodelle steht zunehmend im Fokus der Kartellbehörden, allen voran Plattform-to-Business-Modelle. Die dabei gesammelten und ausgewerteten Daten geben ihren Besitzern bisher unerreichte und exklusive Zugriffsmöglichkeiten auf Kunden und Märkte – sehr zum Leidwesen der Wettbewerbshüter.


Serie Kartelle im Fokus

Unsere Reihe über Kartellrecht beschäftigt sich nach Teil eins (Definition von Kartellen plus aktuelle Beispiele; Beschaffung aktuell Ausgabe 03/2023) in diesem zweiten Beitrag mit der Kartellbehörde selbst und ihrer Arbeitsweise sowie ihren Sanktionsmöglichkeiten. Im kommenden dritten Teil behandeln wir die aktuelle Gesetzgebung (bspw. die Übergewinnsteuer) sowie die Rolle von Whistleblowern.


Michael Grupp

Journalist, Stuttgart

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