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Papierloser Zoll dank Blockchain

Forschungsprojekt „Blockchain Europe“
Papierloser Zoll dank Blockchain

Papierloser Zoll dank Blockchain
Zöllnerin füllt Formular aus. Zukünftig könnten beim Im- und Export die Papierdokumente entfallen. Bild: Generalzolldirektion
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Wissenschaftler und Unternehmen beschäftigen sich seit mehreren Jahren mit der Frage, wie sich das enorme Potenzial der Blockchain-Technologie auch jenseits von Bitcoin und Co. heben lässt. Die Bereitschaft, dies technologie- und ergebnisoffen zu tun und dabei auch bestehende Lösungen und Rahmenbedingungen immer wieder konsequent zu hinterfragen, wird über den Erfolg entscheiden.

Beim Thema Blockchain und die Nutzung jenseits von Bitcoin und Co. geht es für Deutschland und Europa vor allem darum, jetzt die notwendigen Schritte zu unternehmen, damit der Mehrwert dieser Technologien genutzt werden kann und Europa international eine Vorreiterrolle bei der Entwicklung und Nutzung von Blockchain-Anwendungen einnehmen kann. In Nordrhein-Westfalen fördert das Wirtschafts- und Digitalministerium deshalb mit „Blockchain Europe“ ein Projekt zum Aufbau eines europäischen Blockchain-Instituts. Der Fokus des Projektes liegt vor allem auf der Entwicklung und Erprobung von Blockchain-Anwendungen und auf dem anwendungsnahen Proof of Concept der Technologie selbst. Dabei werden kontinuierlich Open-Source-Lösungen entwickelt und der Industrie zur Verfügung gestellt. Unternehmen sollen damit schneller in die Lage versetzt werden, die vielfältigen Möglichkeiten der Blockchain-Technologie im Zusammenspiel mit anderen Technologien zu nutzen. Die Open-Source-Lösungen umfassen Software-, aber auch Hardwarelösungen samt Ansatzpunkten für passende Geschäftsmodelle. Innerhalb von Blockchain Europe werden verschiedene Entwicklungsprojekte vorangetrieben, von denen sich eines mit dem Fachgebiet der Zollabwicklung beschäftigt. Hierbei werden Lösungen auf Basis der Blockchain-Technologie zur Verbesserung informationslogistischer Prozesse entlang der Supply Chain bei der Zollabwicklung im Außenhandel erforscht und entwickelt.

Die Herausforderung

Die Zollabwicklung im Außenhandel ist ein stark regulierter Bereich, der durch nationale und EU-Vorgaben geprägt ist sowie durch variierende Anforderungen der jeweiligen Drittländer. Die international beteiligten Supply-Chain-Partner haben oft keinen gemeinsamen Kenntnisstand über den Fortschritt der Zollabwicklung und des Logistikprozesses. Auch mit bestehenden digitalen Lösungen zur Zollanmeldung kommt es in der Praxis außerdem häufig zu Medienbrüchen bei der Zollabwicklung, wenn verschiedene Papierdokumente Waren bei der Ein- oder Ausfuhr begleiten. Das Resultat ist eine Informationsasymmetrie zwischen den Zollbehörden und den beteiligten Akteuren in internationalen Supply Chains und ein fortwährend hoher Papieraufwand.

Die Relevanz dieses Themas ist spätestens mit dem Brexit noch einmal sprunghaft gestiegen. Denn trotz des diesbezüglichen Abkommens steht ganz Europa beim freien, jedoch eben nicht immer zollfreien Handel mit dem ehemaligen EU-Mitglied immer noch vor immensen Herausforderungen. Neben vielen weiteren Auswirkungen ist die Logistik besonders betroffen. Mit einem Anteil am Außenhandelsvolumen von rund 100 Mrd. Euro ist das Vereinigte Königreich nach wie vor einer der wichtigsten Handelspartner Deutschlands. Für deutsche Unternehmen bedeutet der Brexit deshalb eine Vielzahl neuer Hürden. Viele Vereinfachungen bei der Zollabwicklung gehören nun der Vergangenheit an und die Ein- und Ausfuhrprozesse sind umständlicher geworden. Neuerdings ist zum Beispiel beim grenzüberschreitenden Handel ein Ursprungsnachweis nötig, sonst fallen zusätzliche Zölle an. Insgesamt werden aufgrund des Brexits rund 10 Mio. zusätzliche Zollanmeldungen pro Jahr allein in Deutschland erwartet. Wer grenzüberschreitend handelt, spürt den Brexit also deutlich. Blockchain-Lösungen können dabei helfen, diesen Ansturm sicher und transparent zu bewältigen.

Doch auch abseits des Brexits ist Europa nicht frei von Herausforderungen bei der Zollabwicklung – es gibt zwar einen einheitlichen Unions-Zollkodex, aber viele nationale Zollsysteme und natürlich die unterschiedlichen Vorgaben der Nicht-EU-Drittländer, welche im Außenhandel ebenfalls zu beachten sind. 2020 wurden allein in Deutschland 165 Mio. Ausfuhranmeldungen für Exporte in Länder außerhalb der EU-Zollunion abgegeben. Allein diese Zahl verdeutlicht das riesige Effizienzsteigerungspotenzial, das durch eine Vereinfachung der Zollvorgänge gehoben werden könnte – sowohl für alle Akteure entlang der Supply Chain als auch für die beteiligten Zollbehörden.

Wie komplex die Realisierung dieser scheinbar einfachen Idee aber tatsächlich ist, zeigt sich, wenn einzelne Zolldokumente herausgegriffen werden. Auch mit bestehenden digitalen Lösungen zur Zollanmeldung kommen in der Praxis diverse Papierdokumente zum Einsatz, sobald Ware physisch bewegt wird. Dabei ist ein Verzicht auf den Papierausdruck in manchen Fällen bereits heute möglich, zumindest in der Theorie. Praktisch ist die digitale Alternative zum Papier jedoch etwas unklar in der Regelung, beispielsweise hinsichtlich der Frage, was zulässig ist und was nicht. Mit der Konsequenz, dass eben immer noch viel zu viele Papierdokumente Ausfuhren begleiten.

Unklar, was zulässig ist

Außerdem bewirkt das Vorherrschen der Papierform, dass die Akteure entlang der Supply Chain insbesondere beim Grenzübertritt keine gemeinsame Information bzw. Wahrheit über den Prozessfortschritt erreichen – die bereits erwähnte Informationsasymmetrie zwischen Zollbehörden und Supply Chain Managern. Dabei sind die Supply Chain Partner in Nicht-EU-Drittländern für ihre Zollanmeldung und -abwicklung auf Informationen aus dem jeweiligen Ausfuhrland in der EU angewiesen. Dies gilt umgekehrt bei der Einfuhr in die EU natürlich ebenso. Solche Informationslücken sollen mit dem Zollprojekt im Rahmen von Blockchain Europe geschlossen werden, und zwar mithilfe von Blockchain und Smart Contracts zur besseren Integration von Zollabwicklung und logistischen Prozessen.

Verzicht auf Papier

Derzeit beschäftigt sich das Projekt mit der Speicherung und Übermittlung von Informationen aus dem Ausfuhrbegleitdokument (ABD) via Blockchain und deren Koppelung an die physischen Ausfuhrprozesse. In der ersten Stufe wird der Prozess zwischen der Überlassung zum Ausfuhrverfahren bis zum Erhalt des Ausgangsvermerks aus der Perspektive eines exportierenden Unternehmens betrachtet. Zukünftig sollen dann auch Logistikdienstleister, Importeure in Drittländern und Zollbehörden mit eingebunden werden. Auch die Erweiterung auf den ebenfalls noch stark von papierbasierter Dokumentation geprägten EU-Intrahandel ist innerhalb der verbleibenden Projektlaufzeit denkbar. Am Ende können alle interessierten Unternehmen die Ergebnisse des Projektes – Open Source – übernehmen und an die eigenen Anwendungsspezifikationen anpassen.

Eine Blockchain-basierte Lösung soll hier dazu dienen, die relevanten Daten manipulationssicher bereitzustellen und Informationen zur Zollabwicklung wieder in den logistischen Prozess zurückzuspielen, um sie den Akteuren entlang beider Richtungen der Supply Chain zur Verfügung zu stellen. Zudem werden alle einmal gespeicherten Einträge durch die Blockchain-Technologie manipulationssicher vorgehalten und sind somit als Grundlage für behördenseitige Prüfungen digital verfügbar. Langfristig kann so mittels Blockchain-Technologie eine grenzübergreifende, durchgängige Informationshaltung über verschiedene Zollprozesse und Akteure hinweg geschaffen werden. Die zu entwickelnde Open-Source-Lösung ist dabei fälschungssicher, schafft mehr Transparenz in internationalen Lieferketten und soll so dazu beitragen, die Zollabwicklung im Außenhandel zu vereinfachen. Nicht zuletzt reduziert eine digitale Abbildung der relevanten Zolldokumente per Blockchain auch den manuellen Papieraufwand und trägt somit zur Erreichung von Nachhaltigkeitszielen bei.

Automatisierte Zollprozesse

Mittelfristig sollen die Prozesse durch Automatisierung vereinfacht werden. Die Vision dahinter ist eine durchgängig digitale Zollabwicklung auf Grundlage der Blockchain-Technologie. Dabei sind Zolldokumente digitalisiert und können durch einen einfachen Scan oder virtuellen „Handover“ erfasst bzw. weitergegeben werden. Darüber hinaus ist die komplette Zollabwicklung transparent nachvollziehbar und aufwendige Vor-Ort-Überprüfungen werden reduziert. Um diese Vision zu ermöglichen, sind jedoch zahlreiche Schritte notwendig. Bei der großen Vielfalt an involvierten Akteuren sind viele bürokratische und politische Prozesse zu berücksichtigen. Dies soll Schritt für Schritt geschehen, damit von einer Umsetzung alle im Außenhandel tätigen Unternehmen und die Behörden profitieren können. Wenn hier eine Blockchain-Lösung zur Harmonisierung beitragen kann, wäre dies ein Riesenschritt in Richtung eines wahrlich freien Handels, der Staaten von hinderlicher Bürokratie befreien würde, Unternehmen von teuren Kosten und die Konsumenten von eigentlich unnötigen Wartezeiten auf begehrte Produkte.


Digitalisierung des Ausfuhrbegleitdokuments

Das Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML und der Softwareanbieter AEB SE arbeiten gemeinsam an einer Blockchain-basierten Zolllösung, um eine durchgängig digitale und weitestgehend automatisierte Zollabwicklung zu entwickeln. Im Fokus des Projekts steht in einem ersten Schritt das Ausfuhrbegleitdokument. Mit diesem bestätigt die zuständige Zollstelle, dass die Ausfuhr zulässig ist, und versendet es per PDF an den Exporteur. Dieser druckt das Dokument aus und legt es der Ausfuhrsendung bei.

Der Warenempfänger im Drittland ist meist nicht digital in den Ausfuhrprozess eingebunden, erhält viele relevante Informationen erst mit der Ware und das häufig in Papierform. Er muss für seine Importanmeldung die Daten oft erneut digital erfassen.

Noch steht das Projekt relativ am Anfang. Für die weitere Umsetzung werden weitere Unternehmen gesucht, die sich beteiligen wollen – darunter auch Firmen, die vom Brexit betroffen sind.

„Wir freuen uns sowohl über Profis bei der Zollabwicklung als auch über Unternehmen, die zum Beispiel durch den Brexit erstmalig mit den Herausforderungen der Zollabwicklung im Außenhandel in Berührung kommen“, erklärt Roman Koller vom IML.

blockchain-europe.nrw


Prof. Dr. Michael Henke

Institutsleiter, Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML


Roman Koller

Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer IML

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