Das deutsche Lieferkettengesetz soll bis 2026 von den EU-Regelungen (CSDDD) abgelöst werden. Kurz vor den Europawahlen ließ Minister Habeck verlauten, dass er die deutsche Wirtschaft vom LkSG befreien will (so wurde es zumindest kommuniziert)! Kurz nach den Europawahlen fordert die CDU/CSU das Aus für das LkSG. Mit 401 Gegenstimmen ist dieser Antrag jedoch kläglich gescheitert. Simon Simanovski macht in seinem Verfassungsblog deutlich: „Die Richtlinie darf … nicht als Grundlage für eine Absenkung des Schutzniveaus von Menschen-, Arbeiter:innen- oder sozialen Rechten sowie des Umwelt- und Klimaschutzes dienen, das im nationalen Recht der Mitgliedstaaten zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der CSDDD bestand.“ Die deutsche Politik ist nervös, denn die Frage, ob eventuell der weitere Anwendungsbereich des LkSG beibehalten werden muss, ist strittig. Mehr als Verunsicherung wurde somit mit diesem erneuten politischen Vorstoß gegen das LkSG nicht erreicht!
Compliance „first“ – leider nein!
Wie wäre es, wenn deutsche Unternehmen die politischen Verzweiflungstaten und den damit verbundenen Compliance-Fokus ignorieren und sich den ganz offensichtlichen Vorteilen der Due Diligence Gesetzgebung widmen? In der IBM-Studie (2024) „Beyond checking the box“ ist zu lesen, dass der Fokus alleine auf Compliance zu Kapazitäts- und Kompetenzengpässen führt. „Integrierte Nachhaltigkeit“ ist notwendig, um die eigenen Lieferketten robuster zu gestalten. Und das erstaunliche Ergebnis dieser Studie – diese sogenannten „Embedders“ geben weniger Geld für Nachhaltigkeit aus! Denn sie integrieren nachhaltige Maßnahmen in ihre Innovations- und Automatisierungsaktivitäten und schaffen damit einen langfristigen Geschäftswert. Liegt der Fokus auf Reporting und dem Versuch, Imageverluste zu vermeiden, sind nachhaltige Maßnahmen nicht zu finanzieren.
„Do-it-yourself“ ist gefragt!
Lassen Sie mich drei Aspekte herausgreifen, die ich in den nächsten Ausgaben näher beleuchten werde.
1. Um nachhaltige Lieferketten zu implementieren, bedarf es eines strategischen Einkaufs. Denn nur er kann die Vorteile, die sich aus der neuen Gesetzeslage ergeben, heben. Das Topmanagement muss in den Einkauf investieren, durch Trainings, Wissensvermittlung oder Aufbau kollaborativer Ansätze. Diese Vorgehensweise ist billiger, effizienter und erfolgsversprechender als ein Investment in Beratung.
2. Die meisten CSRD-Standards sind qualitativer Natur. Im G 1–2 Standard werden Unternehmen aufgefordert, die Beziehung zu Lieferanten durch entsprechende Lieferantenbewertungskriterien, Kollaborationsmethoden usw. zu beschreiben. Verlässt man sich auf AI-Tools, die ihre Bewertungslogik nicht offenlegen, ist dieser Standard nicht zu erfüllen. Dieses Vorgehen kostet erneut viel Geld, ohne dass relevantes Wissen über strategische Lieferanten verfügbar wird. AI-Tools können nur Freigaben für Lieferanten erteilen, die keinerlei Impact in Lieferketten haben.
3. Die wichtigste Erkenntnis liegt darin, dass ohne Lieferkettengesetze kein CSRD-Reporting möglich ist. Bevor sich Unternehmen an die doppelte Materialitätsmatrix machen, müssen sie den Impact ihrer Lieferkette kennen. Auch hier ist die Expertise des Einkaufs der effektivste Hebel.
Wie Albert Einstein formulierte: „Das wahre Zeichen von Intelligenz ist nicht das Wissen, sondern die Vorstellungskraft.“ Meine Vision ist es, die unternehmerische Vorstellungskraft zu bestärken, dass ohne nachhaltigen Einkauf die Zukunftsfähigkeit jedes Unternehmens auf dem Prüfstand steht.
Die Autorin: Prof. Dr. habil. Lisa Fröhlich
Jenseits der Compliance
Einkauf und sein wirtschaftliches sowie politisches Umfeld kritisch betrachtet Prof. Dr. Lisa Fröhlich (www.ispira-thinktank.com) in unserer neuen Reihe.