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Claas Radtke, Executive Vice President Global Procurement der Weidmüller-Gruppe

Claas Radtke, Executive Vice President Global Procurement der Weidmüller-Gruppe
„Teamwork und Kommunikation bleiben der Schlüssel“

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Der strategische Einkauf durchlebt einen Paradigmenwechsel – geprägt von zunehmender Digitalisierung, komplexerem Risikomanagement und steigenden Anforderungen an die Nachhaltigkeit. Bei der Weidmüller-Gruppe hat man rechtzeitig auf diese Entwicklung reagiert und neue Maßnahmen eingeleitet, um den geänderten Ansprüchen langfristig gerecht zu werden. Für Claas Radtke, Executive Vice President Global Procurement von Weidmüller, bleiben Teamwork und Kommunikation trotz neuer digitaler Tools weiterhin essenziell. Im Interview spricht der Einkaufsleiter des global agierenden Familienunternehmens über die strategische Ausrichtung des Einkaufs bei Weidmüller, den Wandel seines Fachbereichs und gibt Ausblicke in die Zukunft.

Das Interview führte Sabine Schulz-Rohde.

Beschaffung aktuell: Herr Radtke, wie hat sich der strategische Einkauf aus Ihrer Sicht verändert?

Claas Radtke: Strategische Einkäuferinnen und Einkäufer stehen heute deutlich komplexeren Aufgabenstellungen gegenüber. Die ehemals klassische Rolle, „nur“ Preise zu verhandeln, hat sich längst stark gewandelt. Neben vielen kaufmännischen und rechtlichen Fragestellungen sind Risikomanagement, Innovation, Compliance und viele neue Aspekte des Bereichs Nachhaltigkeit zu beachten. Zudem müssen noch stärker interne wie externe Beziehungen zu Lieferanten gepflegt werden. Aus vielen Informationen gilt es, die wichtigsten Prioritäten zu erkennen, Themen zu hinterfragen und entsprechende Aktivitäten einzuleiten. Zudem muss eine strategische Einkäuferin bzw. ein strategischer Einkäufer nun noch deutlich enger mit anderen Abteilungen des Unternehmens zusammenarbeiten.

Welche Rolle haben Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingenommen, um diesen Wandel erfolgreich zu gestalten?

Teamwork und Kommunikation bleiben der Schlüssel. Der strategische Einkauf bleibt für uns – auch mit zunehmender Digitalisierung – im Kern ein People Business. Es lebt von seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie der Vielfalt ihrer Persönlichkeiten, Kenntnisse, Erfahrungen und Ideen. Wir sind ein globales Team an Standorten auf verschiedenen Kontinenten. Somit spielen regelmäßige Kommunikation zwischen den Kolleginnen und Kollegen und der Austausch übergreifend auf allen Ebenen die wichtigsten Rollen. Daraus ergibt sich ein gemeinsames Verständnis für Aufgaben und Ziele sowie der jeweiligen persönlichen Verantwortung. Unterstützt wird das durch unser Einkaufs-Curriculum mit verschiedenen Schulungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten, zum Beispiel ein gemeinsames Verhandlungstraining mit den Vertriebskolleginnen und -kollegen oder ein Stakeholder Management Training, was immer wieder wichtige Perspektivwechsel ermöglicht.

Sie haben es bereits angesprochen: Die Digitalisierung wird auch im strategischen Einkauf immer bedeutungsvoller. Wie wichtig sind digitale Tools in Ihrem Bereich?

Digitalisierung spielt eine große und immer wichtigere Rolle. In den vergangenen Jahren haben wir unsere digitale Prozess- und Tool-Landschaft kontinuierlich vorangetrieben. Unter anderem haben wir in diesem Zuge so die crossfunktionale, also die bereichsübergreifende Zusammenarbeit ausgebaut. Dabei haben wir viele neue Systeme durch definierte Schnittstellen sinnvoll miteinander verbunden. Aber auch einkaufstypische Aspekte wie die Ausgabentransparenz sowie das Lieferanten- und Risikomanagement konnten wir mit digitalen Prozessen optimieren. Auch zur Nachhaltigkeit und Compliance haben wir neue Systeme implementiert. Beim Contract Lifecycle Management führen wir zudem ein CLM-Tool ein, das uns zum Beispiel beim Vertragsklausel-Management sowie beim automatisierten Vergleich von Verträgen unterstützt – ein klassischer Use Case für den Einsatz von künstlicher Intelligenz.

»Nur wenn man die Zusammenhänge­ versteht und aktiv steuert, kann man weitere Systeme oder die Nutzung neuer Technologien wie künstliche Intelligenz sinnvoll integrieren.«

Setzen Sie bereits künstliche Intelligenz ein?

Ja, der Einsatz von KI unterstützt uns unter anderem bei der Datenaufbereitung und -analyse im Rahmen vieler bei uns eingesetzter Systeme; beispielhaft im Bereich Risikomanagement oder bei der Lieferantensuche. Abhängig von verschiedenen KI-Methoden, sei es Machine Learning oder Large Language Models, sehe ich zukünftig zudem viele weitere interessante Use Cases im Einkaufsumfeld.

Welche Erfahrungen haben Sie mit Tools von Start-ups?

Der Austausch mit Start-ups ist immer spannend und regt dazu an, Themen und Fragestellungen neu zu denken. Wir sind regelmäßig auf Veranstaltungen, um den Überblick über das inzwischen sehr große Anbieterangebot an digitalen Lösungen zu behalten. Im Rahmen von kleineren Proof of Concepts haben wir bereits neue Tools von Start-ups zu unterschiedlichen Fragestellungen getestet.

Können Sie uns von einem konkreten Projekt berichten?

Im Bereich der Beratungs- und IT-Dienstleistungen testen wir mit Apadua derzeit ein neues Tool. Dieser Bereich eignet sich gut, um erste Erfahrungen zu sammeln, denn hier sind erst einmal keine Schnittstellen oder eine weitgehende Integration zu anderen Systemen notwendig. Die ersten Erfahrungen und Ergebnisse sind erfolgversprechend, eine weitere Prüfung und Ausweitung auf andere Einkaufsbereiche diskutieren wir momentan.

Ein bekanntes Problem zunehmender Digitalisierung ist mitunter die Entstehung von „Tool-Dschungels“ mit zu vielen digitalen Lösungen. Wie verhindern Sie dies?

Dies ist in der Tat eine gewisse Herausforderung. Zumal ja nicht nur einkaufsspezifische Tools, sondern auch unternehmensweite Systeme wie ERP oder PLM im Einkauf aktiv genutzt werden. Wir entscheiden deshalb auf Basis von gezielten Analysen, welche Tools und Funktionen wir wirklich sinnvoll integrieren, welche wegfallen oder anders genutzt werden sollen. Es geht im Endeffekt darum, welche Informationen man benötigt und wo man sie findet – etwa konsolidierte Daten für die nächste Lieferantenverhandlung oder detaillierte Informationen zur letzten Lieferantenbewertung. Unsere Lösung: Eine zentrale Plattform in Form eines Portals, von der die Kolleginnen und Kollegen auf verschiedene Systeme – und nicht nur einkaufsspezifische Anwendungen – direkt zugreifen können. So vermeiden wir die isolierte Nutzung mehrerer einzelner Tools und bedienen neue Anforderungen effektiv.

Unvermeidbar bleibt aber eine Vielzahl von unterschiedlichen Datenquellen. Wie behält Ihr Team den Überblick?

Die Vielfalt ist tatsächlich sehr groß. Als Technologieunternehmen kaufen wir eine breite Palette unterschiedlicher Materialien ein – von Rohmaterial, Elektromechanik bis hin zu Elektronik mit Hard- und Software. Hinzu kommt die gesamte Bandbreite an Bedarfen des indirekten Einkaufs für Materialien und Dienstleistungen. Diese Vielfalt kann man nicht pauschal behandeln. Nicht jede Kollegin bzw. jeder Kollege arbeitet mit allen Tools und Datenquellen gleich intensiv.

In unserem Bereich haben wir deshalb über die Jahre auch eigenes IT-Wissen aufgebaut und beschäftigen uns nicht nur mit Einkaufsprozessen, sondern auch mit der einkaufsspezifischen IT-Landschaft, Schnittstellen, Datenqualität und den zugrunde liegenden Datenmodellen in den Systemen. Nur wenn man die Zusammenhänge versteht und aktiv steuert, kann man schließlich weitere Systeme oder die Nutzung neuer Technologien wie künstliche Intelligenz sinnvoll integrieren.

Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit für den modernen strategischen Einkauf?

Eine große. Gerade als Familienunternehmen ist das Thema Nachhaltigkeit für Weidmüller von zentraler Bedeutung. Das Thema wird im Unternehmen ganzheitlich verstanden und umfasst alle Aspekte im Sinne von ESG, also Environmental, Social und Governance, die dann auch für uns im Einkauf ungemein wichtig sind. Vieles ist dabei selbstverständlich und seit Jahren eingeführt, wie zum Beispiel ein umfassender Code of Conduct oder umfangreiche Lieferantenaudits. Anforderungen und Herausforderungen der neuen Gesetzgebungen wie das LkSG oder CBAM sind in jüngerer Vergangenheit dazugekommen. Auch hier sind gezielte digitale Lösungen und gute Kommunikation essenziell.

Wie gehen Sie konkret vor?

Als mittelständisches Unternehmen gehen wir stets pragmatisch vor und erfüllen die gesetzlichen Regularien. Wie bereits angesprochen, ist die crossfunktionale Zusammenarbeit für uns essenziell. Das Thema Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz haben wir beispielsweise fachabteilungsübergreifend, hier insbesondere mit unserem globalen EHS-Bereich und der Abteilung Risk & Compliance, gestartet und gemeinsam umgesetzt. Aber auch über offizielle Gesetze hinaus entwickeln wir uns aus eigener Motivation gezielt weiter. Zur Verringerung von CO2– Emissionen und zur Dekarbonisierung sind zum Beispiel generell eine Reihe von Aktivitäten bei uns im Unternehmen initiiert worden. Auch hier unterstützen wir die Fachbereiche, sind aber auch selbst aktiv bei Themen wie Kreislaufwirtschaft oder Materialsubstitution durch nachhaltig produzierte Materialien.

Wie gestaltet sich in diesem Zusammenhang die Zusammenarbeit mit der Entwicklungsabteilung?

Die Zusammenarbeit findet auf mehreren Ebenen und über mehrere Funktionen hinweg statt. Themen zur Standardisierung, insbesondere bei Materialien wie Kunststoff, bearbeiten wir in Sourcing Teams mit der zentralen Technologieentwicklung. Produktspezifischer ist dann die enge Zusammenarbeit mit Produktmanagement und Engineering der jeweiligen Bereiche. Diese Zusammenarbeit ist auch international und bezieht sich auf alle Materialgebiete von Rohmaterial, Elektromechanik bis zur Elektronik. Neue Produktentwicklungen begleiten wir aus dem Einkauf projektbasiert in einem gemeinsamen Innovationsprozess – Themen der Nachhaltigkeit werden hier von allen Seiten bei jedem Entwicklungsschritt mitgedacht, diskutiert und schließlich umgesetzt.

»Neue Produktentwicklungen begleiten wir aus dem ­Einkauf projektbasiert in einem gemeinsamen ­Innovationsprozess – Themen der Nachhaltigkeit werden hier […] ­mitgedacht.«

Wie stellen Sie Transparenz in der Lieferkette her?

Transparenz in der Supply Chain – über die verschiedenen Wertschöpfungsschritte in der gesamten Kette hinweg – ist und bleibt ein wichtiges Thema für alle Einkaufsbereiche. Diese Transparenz stellen wir fortlaufend auf prozessualer, digitaler wie kommunikativer Ebene her. So werden wir den Anforderungen aus dem LkSG, der Compliance, des Marktes, unserer Kunden sowie Fragestellungen zur Herkunft und zum Einsatz von Rohstoffen gerecht. Unsere Lieferantenbeziehungen pflegen wir dabei nachhaltig und langfristig. Mit Hilfe der digitalen Tools ist zudem ein fortlaufendes Monitoring möglich. Durch dieses Zusammenspiel kennen wir unsere Partner und können einschätzen, ob Informationen vertrauenswürdig sind oder einer genaueren Überprüfung bedürfen. Verantwortung hängt für uns nicht nur von Gesetzen ab, sondern von einem kontinuierlichen und vertrauensvollen Umgang mit unseren Partnern.

Wie gehen Sie mit dem zunehmenden bürokratischen Aufwand um, der auch mit den neuen Gesetzgebungen einhergeht?

Auch hier liegt die Antwort in der Digitalisierung. Wir nutzen Tools zur Selbstauskunft, Risikobewertung und -überwachung sowie zur Unterstützung bei der notwendigen Berichtserstellung. Der Einsatz von Softwarelösungen hilft, die Datenflut zu bewältigen, relevante Informationen zu filtern und ermöglicht eine zielgerichtete Lieferantenkommunikation und schnelles Handeln. Die Tools ersetzen jedoch nicht die direkte Kommunikation und den regelmäßigen Austausch mit unseren Geschäftspartnern oder Vor-Ort-Besuche bei Lieferanten – auch im internationalen Kontext. Auch hier hilft also direkte, persönliche Kommunikation.

Wie sehen Sie die Funktion des Einkaufs in zehn Jahren?

Die traditionellen Einkaufsthemen Kosten, Qualität und Lieferservice bleiben weiterhin wichtig, werden aber immer stärker um Risikomanagement, Nachhaltigkeit, Compliance, Digitalisierung und die Innovationsfähigkeit ergänzt.

Die globale Zusammenarbeit auf internationalen Märkten wird essenziell sein. Auch die funktionsübergreifende Kooperation wird in den kommenden Jahren weiter an Bedeutung gewinnen. Alle Prozessabläufe werden dabei noch digitaler und durch KI-Unterstützung optimiert. Durchgängige Digitalisierung mit effizientem Datenmanagement ist ein großer Faktor. Dieser noch nicht abgeschlossene Wandel birgt Herausforderungen, aber auch große Chancen der Weiterentwicklung.

Ich bin davon überzeugt, dass der strategische Einkauf in 10 Jahren ein Bereich sein wird, der auch mit fortschreitender Digitalisierung im Kern von gut ausgebildeten, motivierten und kreativen Teammitgliedern aktiv gestaltet und vorangetrieben wird.

Vielen Dank für das Interview, Herr Radtke.


Claas Radtke

… ist seit 2015 bei Weidmüller tätig und derzeit als Executive Vice President Global Procurement für die globalen Beschaffungsstrategien und Lieferkettenprozesse verantwortlich. Zuvor war er Senior Director bei Osram, wo er zuletzt in Doppelfunktion den Einkaufsbereich der Business Unit Leuchten sowie auf Corporate Ebene den Einkauf aller Fertigprodukte leitete. Davor war er in verschiedenen Einkaufsfunktionen fünf Jahre lang für Osram in Hong Kong tätig. Seine berufliche Laufbahn startete Radtke bei der Mannesmann AG und setzte sie bei Siemens SPLS fort. Er verfügt über einen Abschluss als Diplom-Wirtschaftsingenieur mit den Schwerpunkten Fertigungstechnik und Betriebswirtschaft.

 


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Weidmüller entwickelt Lösungen für die Digitalisierung, Elektrifizierung und Automatisierung – zum Beispiel mit der SNAP IN-Anschlusstechnologie, die robotergestützte Verdrahtungsprozesse ermöglicht.
Bild: Weidmüller

Weidmüller

… ist ein global agierendes Unternehmen, das sich auf Smart Industrial Connectivity spezialisiert hat. Es bedient Märkte in den Bereichen Elektrifizierung, Automatisierung, Digitalisierung, elektrische Verbindungstechnik, Elektromobilität und erneuerbare Energien. Gegründet im Jahr 1850, hat sich das Familienunternehmen zu einem bedeutenden Akteur in der elektrischen Verbindungstechnik entwickelt und ist in über 80 Ländern mit Produktionsstätten und Vertriebsgesellschaften vertreten.

Im Geschäftsjahr 2023 erzielte Weidmüller einen Umsatz von mehr als einer Milliarde Euro und beschäftigt weltweit rund 6000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Der Stammsitz befindet sich in Detmold, inmitten von Ostwestfalen-Lippe, wo circa 2000 Beschäftigte tätig sind.

 

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