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Transformation bei einem Netzbetreiber

Next Level Einkauf
Transformation bei einem Netzbetreiber

Transformation bei einem Netzbetreiber
(Bild: TransnetBW)
Die öffentliche Diskussion um „Stromautobahnen“ hat die Wahrnehmung von Übertragungsnetzbetreibern deutlich gesteigert. Welche großen Herausforderungen für eine „Energiewende im Einkauf“ zu bewältigen sind, zeigt der folgende Beitrag aus dem energiewirtschaftlichen Mittelstand.

Kaum ein Wirtschaftszweig hat durch Deregulierung in den vergangenen Jahren eine so große Veränderung erfahren wie die Energiebranche. Um den Wettbewerb zu stärken und gleichzeitig die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, mussten Energieerzeugung, -übertragung und -verteilung nach den gesetzlichen Vorgaben vollständig getrennt werden.

Was für die Verbraucher zu sinkenden Preisen führen soll, stellt für die betroffenen Unternehmen eine riesige Herausforderung dar: die komplette Loslösung aus etablierten Konzernstrukturen, die neue Aufstellung als kleineres, eigenständiges Unternehmen. Zusätzlich bringt die Energiewende einen deutlichen Anstieg der Investitionsprojekte in Netzkapazitäten mit sich – was das Beschaffungsvolumen massiv erhöht. Aber diese Herausforderungen bieten auch die Chance einer Transformation im Einkaufsbereich.
Mit rund 600 Mitarbeitern ist die TransnetBW GmbH aus Stuttgart im europäischen Vergleich ein mittelgroßer Stromnetzbetreiber. Doch auch dieser hat in der Energiewende eine tragende Rolle beim Netzausbau. So standen die Stuttgarter vor der Situation, nach der vorgeschriebenen organisatorischen und rechtlichen Trennung von der EnBW nicht mehr auf die etablierten Strukturen, Prozesse und natürlich auch Konditionen der ehemaligen Konzernmutter zurückgreifen zu können. Statt jedoch nur die alten Muster zu übertragen, hat TransnetBW die Chance ergriffen, den Einkauf völlig neu auszurichten.
Als „Next Level Einkauf“ wurde die Funktion weitreichend umstrukturiert. Dabei ging es nicht darum, den Vorteilen der beendeten Einbettung in einen Konzern – Synergiepotentiale oder etablierte Vertragswerke – nachzutrauern. Vielmehr sollte die Chance zu einer engeren Zusammenarbeit wesentlicher technischer und kaufmännischer Bereiche „unter einem Dach“ im Vordergrund stehen. „Ein moderner, kompetenter Einkauf sollte die Fachabteilungen optimal bei der Realisierung der vielfältigen Investitionsvorhaben unterstützen, nicht mehr nur deren Vorgaben ausführen“, fasst Dr. Werner Götz zusammen. Der Geschäftsführer der TransnetBW verantwortet unter anderem den Einkauf. Um die Überzeugungskraft im Unternehmen sowie das Engagement und die Identifikation in den Abteilungen zu stärken, hat sich das Unternehmen bewusst für den Verzicht auf externe Beratungsunterstützung entschieden.
Erster Ansatzpunkt war die Entwicklung einer fokussierten Vision für den Einkauf: als Dienstleister mit hoher Marktorientierung, der durch kooperatives Auftreten und Konzentration auf seinen spezifischen Wertbeitrag interne Kunden optimal unterstützt – und nicht deren Verantwortungsbereiche beschneidet.
Diese Vision bildete das Zielkonstrukt für die Umsetzung der Transformation. Dafür wurden in eigenständiger Recherche aus externen Quellen gezielt „Best Practices“ in den Dimensionen Strategie, Wertbeitrag, Mitarbeiter, Prozesse, Interne Fachbereiche und Lieferanten identifiziert.
Die daraus entwickelten Handlungsfelder wurden in Maßnahmen gegossen und über eine Kosten-Nutzen-Abschätzung priorisiert. Die beiden wichtigsten Ergebnisse: ein Fahrplan für die Einkaufstransformation und Maßnahmenblätter, die Ziele und Inhalte definierten und Grundlage für eine regelmäßige Kontrolle der Fortschritte waren. So wurden die Dokumentation klarer Beschaffungsstrategien für alle Warengruppen, eine erhöhte Bestellwertgrenze zwecks operativer Entlastung und verpflichtende Musterverträge auf den Weg gebracht. Auch die Einführung einer strukturierten Verhandlungsmethodik sollte die Rolle des Einkaufs neben den Fachbereichen stärken.
Aus der Not eine Tugend gemacht
Dabei lag der Fokus anfänglich auf kurzfristig sichtbaren Ergebnissen, um so längerfristig Engagement und Motivation aller Projekt-Stakeholder zu sichern. In der Umsetzung verfolgte das Projektteam dann den Ansatz, regelmäßig und offen zu kommunizieren und zu informieren und so den Mehrwert einer verstärkten Einbindung des Einkaufs in die Investitionsprojekte aufzuzeigen. Es war vor allem wichtig, den Einkauf als Partner sichtbar zu machen, mit dem gemeinsam ein Optimum für das gesamte Unternehmen erreicht werden kann – und der kein Konkurrent der Fachbereiche ist.
Weniger als ein Jahr nach Projektbeginn sind fast alle Maßnahmen wie geplant umgesetzt – und auch die Wahrnehmung des Einkaufs hat sich wie gewollt verändert: „Unsere Fachbereiche loben regelmäßig die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit dem Einkauf. In vielen Fällen hat ,Next Level Einkauf´ sogar wichtigen Investitionsprojekten den entscheidenden Schub verliehen“, so der zuständige Geschäftsführer Götz. Auch die gewünschte Entlastung von operativen Aufgaben ist mit einer von 20 % auf über 50 % erhöhten Bestellautomatisierungsquote erreicht worden. Dabei war der Erfolg keineswegs vorgezeichnet. Gerade die technischen Projektmanager waren anfangs eher kritisch, da bisher auch die Beschaffung in Ihrer Verantwortung lag und der Einkauf nur zur Bestellabwicklung eingebunden wurde. Doch die offene Kommunikation, sichtbarer fachlicher Mehrwert und auch eine merkliche operative Entlastung überzeugten auch hier die Skeptiker.
Offene Türen und mehr Freiheit
So hat TransnetBW in Eigenleistung die Transformation des Einkaufs zum akzeptierten Wertschöpfungspartner geschafft. Gerade für mittelständische Unternehmen mit meist eher knappen Ressourcen stellt sich daher die Frage nach den Erfolgsfaktoren.
Dabei fügen sich klassische Projektmanagementansätze, offenes Führungs- und Kooperationsverhalten, personelle Ausstattung sowie Flexibilität zu einem Ganzen zusammen. Für die Führungskräfte im Projekt bedeutete dies zum Beispiel, die eigene Tür tatsächlich „offen“ zu halten, um Mitarbeiter bei den komplexen Projektaufgaben zu unterstützen, ihnen ansonsten aber viele Freiheiten zu lassen. Auf der anderen Seite waren regelmäßige Fortschrittskontrollen unerlässlich, um die tatsächliche Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen nachzuhalten.
Hier zeigt sich nicht nur, dass vielen Herausforderungen der strategischen Weiterentwicklung des Einkaufs bei mittelgroßen Unternehmen – wie Ressourcenknappheit oder fehlende Expertise – erfolgreich begegnet werden kann. Es lassen sich sogar typische Stärken von „KMU’s“, wie Flexibilität, kurze Wege, offene Kommunikation etc. nutzen, um den Veränderungsprozess zu beschleunigen. Dies wiederum kann auch für Kollegen in größeren Firmen wichtig sein: Eine tragende Rolle für den Einkauf hängt nicht nur von Vorgaben aus dem Management ab, sondern auch und insbesondere davon, welcher Mehrwert einer stärkeren Einbindung aufgezeigt und realisiert werden kann. Diese Chance sollten Einkäufer und Einkaufsmanager gezielt suchen und nutzen, um den Einkauf in ihrem Unternehmen als „Wertschöpfungspartner“ zu etablieren.

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Prof. Dr. Florian C. Kleemann, Professor für Materialwirtschaft und Logistik im Bereich „Industrial (Service) Management“ an der DHBW Stuttgart.

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Steffen Bausinger, Leiter Einkauf und Immobilien, TransnetBW GmbH in Stuttgart

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Domenico Gentile, Transnet BW, leitet das Einkaufsteam und verantwortete in dieser Rolle das Programm „Next Level Einkauf“.
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