Beschaffung aktuell: Herr Augustin, das strategische Lieferantenmanagement wurde bei der EVN neu aufgestellt. Für die Steuerung der komplexen Maßnahmenbündel gab es bereits 2023 vom österreichischen Einkäuferverband BMÖ den „Austrian Supply Excellence & Digital Procurement Award“. Wie fügen sich die Zertifizierungsaktivitäten in Sachen Nachhaltigkeit in die komplexe globale Beschaffungsthematik ein?
Oliver Augustin: Wir wollen hohe ökologische Standards und soziale Verantwortung kontinuierlich weiterentwickeln – von der Lieferantenauswahl bis zu internen Prozessen. Im Rahmen unseres neu aufgestellten strategischen Lieferantenmanagements haben wir eine EU-Warengruppenbewertung geschaffen. Die basiert auf einer standardisierten Methodik für Analyse, Bewertung und Performance-Verbesserung. Im Ergebnis haben wir unser Wissen über die Lieferketten verdichtet bzw. vertieft. Das gesamte Projekt war bzw. ist ein wesentlicher Schritt zur Digitalisierung von Prozessschritten und zudem das Fundament für diverse ESG-Vorgaben. Zu unseren diversen Arbeitspaketen zählte auch die BME-Zertifizierung „Level 2“ für nachhaltige Beschaffung. Dabei wird auch deutlich, dass wir mehr als das derzeit gesetzlich Geforderte tun.
Level 1 der BME-Zertifizierung Zertifizierung „Nachhaltige Beschaffungsorganisation“ ist die Basis. Die EVN hat bereits Level 2 durchlaufen. Worauf beruhen beide Stufen?
Irene Zimmermann: Den Einstieg in die Zertifizierung, also Level 1, haben wir bereits 2023 absolviert. Der bestand aus einem Selbstaudit in Form eines standardisierten und gelenkten Fragebogens und auf einer Selbstverpflichtungserklärung, die die Mindestkriterien einer nachhaltigen Beschaffungsorganisation enthält. Der Ergebnisbericht kam schon wenige Tage nach der Teilnahme. Das war noch kein Hexenwerk. In der zweiten Stufe, also Level 2, wurde es dann konkreter: Hier wurde die Umsetzung der Mindestkriterien anhand unserer eingereichten Unterlagen betrachtet. Diese Maßnahmen wurden durch den BME nach Maßgaben wie Umsetzbarkeit, Zielerreichung im Sinne der Nachhaltigkeitsstrategie des Unternehmens und der Beschaffungsorganisation geprüft und on top stichprobenartig getestet. Auch die Umsetzungsfortschritte wurden gecheckt. Das alles lief remote ab. Das Besondere bei uns: Wir haben unser bestehendes Nachhaltigkeitszertifikat in ein gruppenweites für Österreich, Bulgarien und Nordmazedonien ausgeweitet. Die BME-Urkunde haben wir im Oktober 2024 für die EVN Group erhalten.
Und nun folgt Level 3? Hier würde dann die tatsächliche Belastbarkeit Ihrer Maßnahmen evident.
Augustin: Genau! Level 1 und 2 bauen aufeinander auf. Nach Erlangung des Bronze- und Silber-Status könnte man sich erstmal zufrieden zurücklehnen und seine Zertifizierungsurkunden an die Wand hängen. Das reicht uns aber nicht. Wir streben den „Gold-Level“ an und sind schon in der Umsetzung. Diese dritte Stufe beinhaltet die Prüfung des Mindestanforderungskatalogs durch externe Prüfer, also einer neutralen Stelle. Dabei setzt man sich mit uns zusammen, kontrolliert also vor Ort die praktische Umsetzung unseres Nachhaltigkeitsprogramms, analysiert die Wirkungen der beschlossenen Maßnahmen und auditiert diese in einem Überwachungsaudit. Unser Motto lautet „Go for Gold.“
Während dieses Prozesses werden dann auch Schwachstellen erkannt.
Augustin: Ja, und das ist auch gut so. Werden Schwachstellen – auch potenzielle – transparent, dann nehmen wir gemeinsam mit den Auditoren Anpassungen vor. Ziel ist auch, die kontinuierliche Verbesserung bereits existierender Maßnahmen zu erreichen und neue zu identifizieren. Das Ganze erfolgt in drei Jahren aufeinander und stellt sicher, dass die Nachhaltigkeitsmaßnahmen in den gesamten EVN-Konzern hineinwirken.
Welche Vorteile hat eine solche Zertifizierung insgesamt?
Zimmermann: Man schafft und verfolgt stringent einen strukturierten Ansatz, um Nachhaltigkeit in die bestehende Beschaffungsorganisation zu integrieren. Man minimiert Risiken innerhalb der Beschaffungsorganisation, verhindert Parallelstrukturen und Redundanzen, etwa durch High-Level-Strukturen wie ISO und EMAS. Und: Man spart Ressourcen. Der BME und das steuernde Jaro-Institut in Berlin geben auf dem kompletten Weg gute Hilfestellung durch Leitfäden, Handbücher und Maßnahmenkataloge. Wir haben Transparenz gewonnen, erkennen Risiken eher und können darauf reagieren. Wir sind zudem auf zukünftige Regularien vorbereitet. Dieses stringente Vorgehen verleiht unserem Tun, unseren Argumenten und Anforderungen hohe Glaubwürdigkeit – und zwar nach innen und außen. Am Ende der Reise haben wir mit Erreichen des Bronze-, Silber- und Gold-Status das Gesamtunternehmen zukunftssicherer gemacht und einen Wettbewerbsvorteil erreicht. Die Beschaffungsorganisation hat großen Anteil daran. Das ist also auch Werbung in eigener Sache. Den Gesamtkontext werden wir auch entsprechend kommunizieren.
Ok, das ist der Blick ins Jahr 2025 und darüber hinaus. Sprechen wir über die Vorarbeit, die bisher geleistet wurde. Welche wesentlichen Maßnahmen wurden im Level 2 konkret neu angeschoben?
Augustin: Der Lieferantendialog bei den Top-Lieferanten vor Ort – das haben wir in dieser Form davor nicht gemacht. Wir sehen diesen Termin mit unseren Top-Partnern als gemeinsamen Entwicklungstag, gerade aus kaufmännischer und ESG-Sicht. Die EVN-Gruppe arbeitet sehr stark mit regionalen Partnern im KMU-Bereich zusammen. Mit unserem Know-how können wir so die Hürden in Sachen CSRD und Co gemeinsam bewältigen. Man lernt voneinander.
Wie wurde die Zusammenarbeit der Einkäufer organisiert?
Augustin: Wir haben das BME-Neunpunkteprogramm zur Erreichung der Zertifizierung als Basis herangezogen. Wir mussten uns über Ländergrenzen hinweg committen und haben dafür einen einwöchigen Workshop durchgeführt. Dabei kamen die Einkaufsleiter der drei eingebundenen Länder und unsere Nachhaltigkeits-Beschaffungsexperten zusammen. Bei der Ausweitung war die Regionalität mit jeweiligen gesetzlichen Vorgaben zu betrachten. Zum Beispiel: Die EU-Taxonomieverordnung gilt für Österreich und Bulgarien, aber nicht für einen Beitrittskandidaten wie Nordmazedonien. Die dort tätigen Kollegen haben wir auch eingebunden, weil wir unsere Lieferketten diesbezüglich harmonisieren und vorbereitet sein wollen. Man will später für andere Länder nicht nochmal Aufwand haben. Gut war, dass wir uns alle persönlich kennengelernt haben und auch kulturelle Unterschiede sowie unterschiedliche Märkte jetzt noch besser begreifen.
Wie werden die Lieferanten eingebunden – und was wird jetzt konkret von den wichtigsten erwartet?
Zimmermann: Dieses Thema wird zentral durch die nachhaltige Beschaffung auf Konzernebene koordiniert und durch die Einkaufsteams in den Ländern vor Ort durchgeführt. Im Juni gab es beispielsweise in Nordmazedonien eine Stakeholder-Veranstaltung: der Supplier-Round Table. Dabei wurden unter anderem die EU-Themen CSRD und Taxonomie-VO vorgestellt und auch Punkte zur Digitalisierung sowie den Herausforderungen entlang der Lieferketten mit den Top-Lieferanten diskutiert. In Österreich haben wir vor vier Jahren begonnen, Auskünfte unserer Top-Lieferanten über deren aktuellen Status als auch Entwicklung zum Thema ESG mittels eines EVN-Fragebogens einzuholen. Heuer konnte diese Maßnahme des strategischen Lieferantenmanagements auch konzernweit ausgerollt werden. Die Erkenntnisse fließen dann wiederum in das strategische Lieferantenmanagement ein. Sie werden unter anderem in den Jahresgesprächen durch die Lead-Buyer mit dem Lieferanten evaluiert, um Entwicklungen gemeinsam in eine Richtung weiterzubringen.
Ihr Fazit – und was raten Sie anderen Unternehmen?
Augustin: Level 1 und 2 der BME-Zertifizierung bauen aufeinander auf. Level 3 ist der Gold-Standard. Das ist ein durchaus anspruchsvolles, aber lohnendes Projekt mit vielen positiven Aspekten. Bei uns hat die Ausweitung auf die beiden anderen Länder zu mehr Verständnis und Zusammenhalt geführt. Wichtig ist aber vor allem: Alle Kollegen, alle internen und externen Stakeholder wissen: Die EVN hat sich systematisch eine Voreiterrolle erarbeitet. Mein Rat: Keep it short and simple und setzen Sie die Flughöhe nicht zu hoch an. Ich kann diese schrittweise standardisierte Vorgehensweise uneingeschränkt empfehlen, auch mittelständischen Unternehmen. Man verliert sich nicht auf Nebenschauplätzen. Das würde nämlich jede Menge Zeit und Nerven rauben. Also warum sollte man das Rad selbst neu erfinden wollen?
Vielen Dank für das Interview.
BME-Zertifikat „Responsible Procurement Organization Level 2“
Das hat die EVN umgesetzt
- Entwicklung einer nachhaltigen Beschaffungsstrategie (inkl. Risikoanalyse, Zielen, Maßnahmen und Indikatoren)
- Benennung einer nachhaltigkeitsverantwortlichen Person für den Einkauf je Land
- Umsetzung und Fortführung einer Beschaffungsstrategie in Form eines Nachhaltigkeitsprogramms für den Einkauf mit priorisierten Handlungsfeldern, Zielsetzung und Verantwortlichkeiten
- Integration von Nachhaltigkeitsmaßnahmen in die operativen und strategischen Beschaffungsprozesse
- Formulierung einer „nachhaltigen Beschaffungsrichtlinie“
- Kaskadierte Lieferantenanalyse: Schaffung von Transparenz in der Lieferkette mit mindestens drei wesentlichen Lieferanten im Jahr
- Erstellung eines jährlichen Nachhaltigkeitsberichts der Beschaffung mit Management Review (Strategie, Ziele, Optimierungsplan)
- Erklärung der Geschäftsführung über die Einhaltung der Menschenrechte
- Formulierung einer Integritätsklausel
- Erstellung eines Supplier Code of Conduct
EVN AG
Die börsennotierte EVN AG (Energieversorgung Niederösterreich) ist der größte Strom-, Gas- und Wärmeversorger in Niederösterreich und bedeutender Stromversorger in Mazedonien und Bulgarien mit Hauptsitz in Maria Enzersdorf. Die EVN-Gruppe ist derzeit in 14 Ländern aktiv. Mitarbeitende im Konzern: rund 7.255. Die Abteilung Beschaffung und Einkauf ist ab einer definierten Wertgrenze für alle Beschaffungsfälle konzernweit zuständig (ausgenommen Primärenergie).
EVN-Beschaffungsportal: www.evn.at