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Um regional produzieren zu können, brauchen wir regionale Lieferanten

Hans Keeris, Senior Vice President Group Procurement, Supply Chain & Logistics, Wilo
Um regional produzieren zu können, brauchen wir regionale Lieferanten

Um regional produzieren zu können, brauchen wir regionale Lieferanten
Hans Keeris ist seit einem Jahr Senior Vice President Group Procurement, Supply Chain & Logistics bei der Wilo-Gruppe. Bild: Wilo
Die Wilo Gruppe mit Konzernhauptsitz in Dortmund ist einer der führenden Hersteller von Pumpen und Pumpensystemen für die Gebäudetechnik, die Wasserwirtschaft und die Industrie. Mit Hans Keeris, Senior Vice President Group Procurement, Supply Chain & Logistics, sprach Beschaffung aktuell über Learnings aus der Coronazeit, Agilität in der Supply Chain und Klärwerke im Taschenformat.

Für Beschaffung aktuell führte das Gespräch
Ulrike Dautzenberg, Journalistin, Wiesbaden.

Beschaffung aktuell: Herr Keeris, Sie leiten als Senior Vice President Group Procurement & Supply Chain den Einkauf der Wilo Gruppe. Was ist für Sie das Spannende daran?

Hans Keeris: Der Einkauf ist der Bereich mit den meisten Schnittstellen im Unternehmen. Wir arbeiten mit allen Abteilungen zusammen, von Finance über Marketing bis hin zur Produktion. Und auch extern müssen wir gut vernetzt sein. Über die Verhandlungen mit unseren Lieferanten haben wir Einfluss auf die Kosten unserer Produkte, können also gestalten und maßgeblich zur Wertschöpfung beitragen. All das macht den Einkauf enorm spannend und vielfältig.

Wie ist Ihre Einkaufsorganisation strukturiert?

Wir haben drei Bereiche im Einkauf. Der eine ist das so genannte Advanced Procurement – hier kümmern wir uns hauptsächlich um die Materialien und Kosten einzelner Projekte. Wir schauen uns an, wie die Materialkosten aufgebaut sind und mit welchen Kosten wir insgesamt zu rechnen haben, damit die Projekte entsprechend geplant werden und in Produktion gehen können.

Der zweite Bereich ist der strategische Einkauf, der zuständig ist für unser Lieferantenmanagement und die Marktbeobachtung – wie sieht die Rohstoffplanung aus, wie wird der Markt sich entwickeln, wie sind die Preise etc. Diese Informationen bekommt dann auch der Vertrieb, um die Preise für die Kunden kalkulieren zu können.

Der dritte Bereich ist das Indirect Procurement. Die Kolleginnen und Kollegen aus dieser Abteilung kümmern sich um die nicht-produktbezogene Beschaffung weltweit.

Diese Säulen ergänzen sich sehr gut. Der strategische Einkauf ist dezentral, neben dem Hauptsitz in Dortmund haben wir Mitarbeitende in den verschiedenen Regionen in Europa, China, Indien, Nord- und Südamerika. Dieses Netzwerk mit einem gut zusammenarbeitenden Team ist für uns sehr wichtig, um schnell alle relevanten Informationen verfügbar zu haben. Unser Management ist zentral organisiert, wir brauchen aber die Matrix in den verschiedenen Ländern. Elektronik beispielsweise kann man zentral beschaffen, da die Lieferanten global arbeitende große Unternehmen sind. Aber für mechanische Komponenten braucht man ein lokales Netzwerk. Und auch für eine effektive Marktbeobachtung ist es sinnvoll, wenn die Informationen aus den verschiedenen Einkaufsteams in den jeweiligen Ländern mit Einblick in die lokale Marktsituation kommen. Insgesamt haben wir im strategischen Einkauf ca. 100 Mitarbeitende, die in Deutschland, Frankreich, China und Indien sowie Nord- und Südamerika sitzen. Dort kaufen wir Elektronik, Stahl, Aluminium und Kupfer. Daneben gibt es in jedem unserer Werke noch ein Team für den operativen Einkauf. Diese Teams kümmern sich vor Ort um den Projekteinkauf und die Planung mit den einzelnen Lieferanten.

Beziehen Sie Ihre Lieferanten in die Entwicklung neuer Produkte mit ein?

Ja, denn vor allem bei den strategischen Komponenten braucht man sehr früh im Prozess auch den Input der Lieferanten. Oft kommen Lieferanten, mit denen wir sehr eng zusammenarbeiten, auch von sich aus mit Ideen, beispielsweise wie man Pumpen so verkleinern kann, dass sie sich leichter in einen Gasboiler einbauen lassen. Solche Informationen braucht man im Projekt schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt. Innovationen sind sehr wichtig, auch weil die Anforderungen stetig zunehmen. Das betrifft Preise und Lieferzeiten, aber auch den CO2-Ausstoß, und zieht sich durch die gesamte Lieferkette.

Hat sich durch die Lieferkettenprobleme der letzten Jahre bei Ihnen im Einkauf etwas verändert?

Ja, schon. Wir praktizieren bei Wilo seit Jahren den region-for-region-Ansatz. Das heißt: Regionale Kundenbedürfnisse werden mit regional hergestellten Produkten bedient. Durch die Corona-Pandemie und die bekannten Krisen haben wir unseren Fokus hier noch einmal deutlich geschärft. Wir müssen also in der Lage sein, regional zu produzieren, und dafür brauchen wir regionale Lieferanten. Auch die gestiegenen Energiepreise lassen sich so besser abfedern. Um die Kosten zu reduzieren und wettbewerbsfähig zu bleiben, brauchen wir also eine lokale Einkaufsbasis und regionale Lieferketten, beispielsweise auch in Asien und den USA, wo unser Geschäft in den letzten Jahren deutlich gewachsen ist. Inzwischen beschaffen wir 80 Prozent lokal. Das hat uns in der Krise auch dabei geholfen, unsererseits lieferfähig zu bleiben. So konnten wir unsere Kunden halten und neue hinzugewinnen. Ein weiterer Vorteil: Man setzt weniger CO2 frei, wenn man lokal beschaffen kann. Der region-for-region-Ansatz ist also in jeder Hinsicht nachhaltig.

Worauf liegt der Fokus derzeit?

Unsere Top-Priorität ist es, nicht nur den Einkauf, sondern auch die Logistik und die komplette Supply Chain flexibel und agil zu machen. Das ist nach wie vor sehr wichtig, nicht nur für den Einkauf, sondern für das gesamte Unternehmen. Die Krise hat uns gelehrt, dass Flexibilität in der Supply Chain enorm wichtig ist. Das ist eine unserer Key Strategic Initiatives: Was haben wir aus der Krise gelernt und was müssen wir bis 2023 tun, um Flexibilität und Agilität zu verbessern? Das gilt, wie gesagt, nicht nur für den Einkauf, sondern auch für die Produktion und für alle unsere Standorte in den verschiedenen Regionen. Logistik und Supply Chain können nur End-to-End beobachtet werden, vom Lieferanten bis zum Kunden. Wir arbeiten derzeit an einer Strategie für die komplette Lieferkette, die wir dann für das gesamte Unternehmen ausrollen werden.

Was sind die aktuellen Herausforderungen, denen sich der Einkauf stellen muss?

Die Flexibilität und Agilität der Supply Chain sind das eine. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Entwicklung der Kostenstruktur. Wir haben das beim Thema Energie in den letzten Jahren gesehen, aber es geht auch darum, wie resilient unsere Lieferanten sind. In den letzten Monaten sind mehr und mehr Unternehmen in die Insolvenz gegangen, insofern ist das auch eine Frage des Risikomanagements. Wir beobachten die finanzielle Situation unserer Lieferanten genau. Für jeden Lieferanten gibt es im Einkauf einen Verantwortlichen, der weiß, wie dieser aufgestellt ist und der jede Eskalation sofort meldet, damit wir zeitnah reagieren können.

Ihr Unternehmen hat in diesem Jahr gemeinsam mit der Stiftung Deutscher Nachhaltigkeitspreis den Internationalen Deutschen Nachhaltigkeitspreis vergeben. Inwiefern trägt der Einkauf zur Erreichung von Nachhaltigkeitszielen im Unternehmen bei?

Nachhaltigkeit ist ja nicht nur das, was wir an den Standorten machen. Auch die Lieferanten tragen dazu bei, die gesamte Lieferkette nachhaltig zu machen. Nicht erst seit Inkrafttreten des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes müssen sie bei uns bestimmte Anforderungen erfüllen, und diese Informationen bringen wir dann wiederum in das Nachhaltigkeitstableau ein. Außerdem achten wir natürlich auf den CO2-Fußabdruck und versuchen ihn permanent zu reduzieren. Auch Komponenten, die die Pumpen effizienter und damit nachhaltiger machen, tragen ja zur Nachhaltigkeitsbilanz unseres Unternehmens bei. Pumpen haben in den letzten Jahren unglaubliche Fortschritte gemacht, was die Effizienz angeht. Deshalb sind die Pumpen und Pumpensysteme, die wir heute verkaufen, um ein Vielfaches effizienter und damit nachhaltiger als die, die noch vor 15 oder 20 Jahren verbaut wurden. Da haben die Materialien, aber auch die Lieferanten mit technologischen Weiterentwicklungen natürlich Einfluss. Deshalb ist der Pumpentausch heute auch ein so wichtiges Instrument zur Effizienzsteigerung und zur Energieeinsparung in Gebäuden. Belohnt wurde unser Nachhaltigkeitsengagement 2023 übrigens zum zweiten Mal infolge mit der Platin-Medaille von Ecovadis. Ein Erfolg, zudem natürlich auch der Einkauf beigetragen hat.

Herr Keeris, Sie haben ja bereits darauf hingewiesen, wie wichtig sauberes Wasser ist, und es gibt nach wie vor weltweit sehr viele Menschen, die keinen oder kaum Zugang zu sauberem Wasser haben. Sind Sie auch in Entwicklungshilfeprojekte involviert?

Ja, wir haben verschiedene Projekte in der Entwicklungszusammenarbeit. Es gibt zum Beispiel ein großes Capacity-Development-Programm, also Kapazitätsentwicklung vor Ort. Im Rahmen dieses Programms betreiben wir Schulungszentren, um die Menschen vor Ort im Umgang mit den Pumpen zu befähigen. Wir haben auch viele Kooperationen mit verschiedenen Entwicklungsorganisationen. So haben wir an einer Lösung zur dezentralen Wasser- und Energieversorgung für ein Dorf im Senegal mitgewirkt und wir helfen auch nach Naturkatastrophen wie beispielsweise Erdbeben. Da kommen dann zum Beispiel die so genannten PAULs zum Einsatz – Kanister, so groß wie ein Rucksack, in die man oben ungeklärtes Wasser hineinschüttet, um unten trinkbares Wasser entnehmen zu können. Im Prinzip ein portables, energieautarkes Mini-Klärwerk. Diese Wasserrucksäcke haben wir in großer Stückzahl in die Ukraine und in die Türkei gespendet.

Wo sehen Sie die größten Herausforderungen in den kommenden Jahren?

In den nächsten Jahren wird es vor allem darum gehen, die Lieferketten zu stabilisieren. Angesichts der aktuellen Krisen wird es enorm wichtig sein, die Supply Chains proaktiv so zu organisieren, dass sie möglichst resilient sind. Daneben werden Kosten und Nachhaltigkeit weiter zu den wichtigsten Themen gehören.


Hans Keeris

… ist Senior Vice President Group Procurement, Supply Chain & Logistics bei der Wilo Gruppe. Keeris, der Wirtschaft studiert und erweiterte Managementkurse (IMD, Insead und Stanford University) absolviert hat, arbeitete zuvor unter anderem bei Philips Lightning und Danfoss.


Wilo Gruppe

Die Wilo Gruppe zählt zu den weltweit führenden Premiumanbietern von Pumpen und Pumpensystemen, die in der Gebäudetechnik, Wasserwirtschaft und Industrie eingesetzt werden. Darüber hinaus bieten sie eine Reihe von Produkten in den Bereichen Kühlung, Heizung, thermische Solartechnik, Geothermie und Sanitär an. Aktuell beschäftigt das Unternehmen weltweit rund 8200 Mitarbeiter, davon über 2600 Mitarbeiter in Deutschland, verteilt auf die Standorte Hof und Dortmund.

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