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Wie das Metaverse den Einkauf verändern könnte

Digitale Zwillinge und künstliche Intelligenz im Einsatz
Wie das Metaverse den Einkauf verändern könnte

Auch wenn es so scheint, als sei der Hype rund um das Metaverse wieder verflogen, werden in der Wirtschaft Milliarden in konkrete Lösungen und Anwendungen investiert. Die beiden KPMG-Experten Marc Ennemann und Prof. Dr. Heiko von der Gracht erläutern, wie Unternehmen mithilfe virtueller 3D-Welten die Zusammenarbeit mit Lieferanten verbessern, Einkaufsprozesse optimieren und Kosten reduzieren können.

Das Interview führte Yannick Schwab, Beschaffung aktuell.

Beschaffung aktuell: Welche Bedeutung hat das Metaverse im B2B-Kontext?

Marc Ennemann: Ein gutes Beispiel war die diesjährige Hannover Messe: Dort konnte man sehen, dass das Metaverse die Art und Weise revolutioniert, wie wir Industrieprozesse organisieren, Daten erlebbar machen und kollaborativ gestalten. Ganz konkret wird der B2B-Kontext beim Industrial Metaverse, wenn sich etwa Plattform- und Technologie-Entwickler mit Herstellern zusammentun, um digitale Zwillinge der Fabrik oder des Shop Floor zu erstellen. Mit deren Hilfe können sie zum Beispiel innerhalb kürzester Zeit technische Mitarbeitende für Bedienung und Wartung von Maschinen einlernen. Ein anderer Anwendungsfall ist die Analyse und Optimierung laufender Produktionsprozesse nahezu in Echtzeit und digital, beispielsweise mit Blick auf das Energiemanagement. Wichtig dabei ist, dass Metaverse nicht einfach Virtual Reality bedeutet, sondern auch traditionelle Endgeräte wie Smartphone und Laptop einschließt.

In meiner Wahrnehmung hat der Hype um das Thema zuletzt nachgelassen. Wie sehen Sie das und was spielt sich im Hintergrund ab?

Prof. Dr. Heiko von der Gracht: Die Medien sind thematisch tatsächlich schon zu den nächsten Hypes weitergezogen, doch die reale Wirtschaft investiert gerade Milliarden in die konkreten Lösungen und Anwendungen. Das sieht man auch daran, dass die Metaverse-Terminologie Einzug in den Sprachgebrauch des Managements von Unternehmen gefunden hat. Begriffe wie Avatar, Digital Twin, NFT oder GenAI sind für viele keine Fremdwörter mehr. Das Metaverse steht auch für das Zusammenwachsen der verschiedenen Technologien, die sich in der Entwicklung befinden: KI, Simulationssoftware, Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR), Blockchain und viele mehr.

Welche Rolle spielt künstliche Intelligenz für das Metaverse? Wo liegen die Anwendungsfälle?

Ennemann: KI spielt schon jetzt eine große Rolle. Wenn man in virtuellen Welten mit smarten Avataren, sogenannten immersiven Copiloten, spricht und interagiert, steckt eine KI dahinter. Aber das funktioniert auch in umgekehrter Richtung: Wir simulieren eine virtuelle Umwelt als Metaverse-Welt, zum Beispiel in Form einer fiktiven Fabrik, mithilfe von Milliarden synthetischer Daten und trainieren damit eine KI. Dabei lernt die KI dann sehr viel schneller und kosteneffizienter, als wenn man sie mit realen Daten (RWD, Real World Data) trainieren müsste.

Wie sehen die konkreten Vorteile aus, die das Metaverse für den Einkauf im Vergleich zu traditionellen Ansätzen bietet?

Ennemann: Mit den heutigen VR- und AR-Headsets kann man innerhalb von Sekunden fotorealistisch Bauteile in Produktkatalogen aufrufen, dreidimensional in Explosionszeichnungen schauen oder mit intelligenten Avataren zusammenarbeiten, die einen durch Produktkataloge führen und Empfehlungen geben. Zudem kann man Verhandlungsstrategien mit Verhandlungs-Bots diskutieren und trainieren. Oder man kann sich auf Knopfdruck Analysen für Lieferantenstrategien und Märkte ausgeben lassen. Das bedeutet, man kann damit schneller, besser, effizienter und zu geringeren Kosten verhandeln und einkaufen.

Ergeben sich dadurch neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit Lieferanten?

Ennemann: Es ist möglich, digitale Zwillinge der Lieferantenstandorte zu besuchen und sich auf diese Weise „vor Ort“ ein Bild von den Gegebenheiten der Produktion und Qualitätssicherung machen. Mit den VR-Headsets führender Anbieter dürfte es demnächst auch möglich sein, dass man in virtuellen Umgebungen ganze Lieferanten-Audits durchführt. Dadurch spart man nicht nur Zeit und Reisekosten, sondern der rein digitale Austausch mit Lieferanten kann weitaus persönlicher gestaltet werden.

Welche Herausforderungen sehen Sie bei der Implementierung des Metaverse?

von der Gracht: Momentan ist die höchste Hürde das Enablement – wie übrigens bei jeder neuen Technologie. Das kann banale Fragen umfassen wie: Welche Headsets kaufen wir? Wie können wir das Metaverse in unsere IT-Infrastruktur einbinden? Auch arbeitsrechtliche und gesundheitliche Fragen müssen beantwortet werden: Wie lange dürfen Mitarbeitende die Headsets und Equipment tragen? Welches Training braucht man vorher? Was ist bei Compliance und Sicherheit zu beachten, damit die Metaverse-Plattformen und -Anwendungen kein Einfallstor für Cyber-Kriminalität werden? Das alles sind Fragen, die realistischerweise zu lösen sind.

Wie können Unternehmen sicherstellen, dass die Belegschaft für den Umgang mit den neuen Technologien qualifiziert ist?

Ennemann: In einem Wort: Training. Es gibt unabhängige Trainings von etablierten Bildungseinrichtungen für die Grundlagen und die Entwicklung von Geschäftsmodellen. Auf der anderen Seite unterstützen auch die Anbieter mit Trainings, weil sie ein Interesse daran haben, das Metaverse zusammen mit ihren Kunden zu implementieren und gemeinsam mit Wirtschaft, Industrie und Einkauf die Entwicklung weiter voranzutreiben. Besonders interessant ist dabei das Training des Einkaufsvorganges in Bezug auf die Vermeidung und Verringerung von Risiken innerhalb der Supply Chains anhand verschiedener Faktoren wie etwa natürliche, politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Einflüsse. Hier zeigen sich die Vorteile der Nutzung von KI im Metaverse besonders stark und deutlich.

Wie können Datensicherheit und Compliance im virtuellen Raum gewährleistet werden?

Ennemann: Das gelingt mit der entsprechen Sicherheitsarchitektur. Wie bei jedem anderen Equipment, das man in die vorhandene IT-Struktur einbindet, gilt auch hier, dass die konkrete Umsetzung entscheidet. Beim Einsatz von VR-Geräten können sehr viel mehr persönliche Daten gesammelt werden: Sprachsteuerung, Pupillenbewegung, Bewegung im Raum, um nur einige zu nennen. Deshalb ist das ein sehr sensibler Bereich, der entsprechend geschützt werden und innerhalb der EU auch unter den DSGVO-Gesichtspunkten betrachtet werden muss. Aktuell wird überprüft, inwieweit einheitliche Standards für das Metaverse entwickelt werden sollten. Zu beachten ist weiter, dass die Integration von verschiedenen Plattformen und Programmen zu sogenannten Interoperabilitätsproblemen und Sicherheitslücken führen kann. Daher braucht es eine ganzheitliche und proaktive Sicherheitsstrategie mit entsprechender Umsetzung.

Gibt es bereits konkrete Metaverse-Anwendungsbeispiele im Einkauf?

von der Gracht: Diese Anwendungen nehmen aktuell rasant zu, vor allem bei den großen Konzernen. Um nur einige Beispiele zu nennen: digitale Zwillinge von Produktionslinien, KI-gestütztes Benchmarking unter Einbeziehung von Lieferketten, Rohstoffen, Demographie und Weltereignissen oder KI-gestütztes Risikomanagement im Einkauf insbesondere in der Prozessindustrie. Zudem verbreiten sich auch Verhandlungs-Avatare, welche Generative KI nutzen, exponentiell.

Welche Tipps können Sie Einkaufsorganisationen geben, die das Metaverse nutzen möchten?

Ennemann: Niemand gestaltet das Metaverse alleine. Daher ist es sinnvoll jetzt Allianzen zu schmieden und in gemeinsamen Ökosystemen zusammen mit Partnern, Lieferanten, Kunden und Experten die eigenen Use Cases zu entwickeln. Neben einer Metaverse-Strategie ist es auch ganz wichtig, das eigene Unternehmen entlang einer Roadmap für das Metaverse zu befähigen und Leuchtturmprojekte zu definieren – womit wir wieder beim Training der Mitarbeitenden sind. Das größte Risiko am Metaverse ist, abzuwarten, wie sich die Dinge entwickeln. Wer reaktiv agiert, verpasst die Entwicklung.

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